Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Psychisch stabil mit Schweinshaxn und Bayerisch Creme

Oh Django! After the showers the sun will be shining…

Sie kennen das: Kaum dass Sie sich gewundert haben, warum sich andere Leute einen barocken Stadtpalast angetan haben, sitzen Sie selbst beim Notar und kaufen so ein Objekt, um Steuern zu sparen und das Geld unterzubringen. Sie denken sich vor dem Mahl noch, dass Sie keine Schweinshaxe wie der da drüben essen werden – und da steht dann diese fette, dampfende Gans vor Ihnen, und Sie sehen mit einem Auge, wie hübsch doch die Bayerisch Creme ist, die hier von der Bedienung im Dirndl serviert wird. Am Morgen noch hatten Sie den Vorsatz, ein wenig zu sparen, und am Nachmittag vergrössern zwei neue Paar Schuhe das Platzproblem in ihrer Biedermeierkommode. So geht das immer. Gestern dachte ich mir noch, ach, wenn die Zeitschrift Edition F von einer wütenden Schar Frauen, darunter die auch in dieser Zeitung fast nur rauf und runter gelobte Anti-Stalking-Aktivistin Mary Scherpe, brutal vorgeführt wird, nur weil sie keine Gewaltaufrufe und Hetzjagden wollen, dann sollen ihre Freunde sie mal selbst gegen diese Leute verteidigen.

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Leider hat mich dann eine gewisse, in diesen Kreisen wohlbekannte Helga Hansen auch direkt angesprochen, ohne dass sie sich je hätte vorstellen lassen, und darauf verwiesen, dass ich, dessen Beitrag der Urgrund für den Konflikt war, Frauen als psychisch labile “Schlitzerinnen” bezeichne. Hier. In einem Beitrag, der inhaltlich immer noch zutreffend, aber nicht gerade reich an kunsthistorisch interessanten Brüsten ist. Ich bitte das zu entschuldigen, ich habe aus Mantua viele neue Bilder von nackten Grotesken mitgebracht – ich fürchte, die werde ich alle brauchen.

Ich sollte wirklich mehr an Orten verkehren, wo anstelle von norddeutschen Vortragenden der Friedrich-Ebert-Stiftung fette Gänse und Schweinshaxn vorbei getragen werden, denn die Bayerisch Creme täte ich als Vegatarier gern nehmen, damit die anderen nicht zu dick werden – aber gut. Reden wir halt über psychisch labile Schlitzerinnen. Aber danach eine Bayerisch Creme, gell?

Ja, also, geschrieben habe ich das vor zwei Jahren tatsächlich. Weil es halt psychisch labile Schlitzerinnen gibt. Mir ist auch voll bewusst, dass man das netter sagen könnte. Ich könnte von selbstverletzend Autoaggressiven sprechen, die aber gar nicht wirklich krank sind – krank ist unser Kapitalismus, und das äussert sich dann bei den Sensiblen und Wissenden in derartigen Handlungen. Da darf man nicht sagen, dass sie eine spinnerte Gans ist, und zwar ohne Knödel und Blaukraut, nein, da muss man als nicht Marginalisierter schweigen und ihre Erfahrungen anhören, die die grundsätzlichen Fehler unseres Systems offenlegen, um dann erst sich selbst und das System zu ändern. Nur so und mit der Solidarität der Leidenden weltweit kann Heilung der Gesellschaft gelingen. Falls Sie das etwa an die Ideologie des sozialistischen Patientenkollektivs SPK erinnert: Sagen Sie es nicht so laut, die Säulenheilige der Magersuchtserkrankung Laurie Penny verkauft hochgelobte Bücher mit der Neuauflage einer Idee, die damals in die Arme der RAF führte.

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Aber bis zum nächsten deutschen Herbst werden noch viele schöne Biergartentage kommen, und kurz vor dem schönsten Biergarten der Region habe ich einmal einen Unfall gehabt. Da bin ich unachtsam mit dem Rennrad in eine Kurve und hängen geblieben. Unachtsam war ich, weil mein Freund in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie war, und ich dort die Geschichte einer jungen Frau gehört habe, die sagte, von ihrem Vater vergewaltigt worden zu sein. Ich war jung, leichtgläubig, es war keine einfache Zeit für mich, da macht man sich eben Gedanken, und dann reibt es einen mit Karacho in den Asphalt, als wäre man ein Stück Parmesan auf Spinatknödeln. Aber davor stand mir er Sinn auch schon nicht nach Biergarten. Wie schrecklich, dachte ich mir damals. Missbraucht. Vom eigenen Vater. Man hat ja keine Ahnung, und auch keine Erfahrung: Mit Pflastern verklebt sprach ich mit einer Freundin der Insassin, und sie meinte, ich sollte mit einer Anzeige vorsichtig sein, solche Geschichten würde sie öfters mit wechselndem Personal bringen. Mein eigener Freund war dann zwei Wochen später davon betroffen, wie so ziemlich jeder andere in der Station auch.

Die ganze Geschichte mit all ihren Auswüchsen und Dramen hat mich einen Sommer gekostet, der normalerweise der schönste aller Sommer hätte werden können: Nach dem Abitur, vom Wehrdienst zweifach befreit, jung, trotz der Untauglichkeit sportlich, Führerschein, Studienbeginn eines beruflich, wie man hier sieht, aussichtslosen, aber feinen Faches im November: Andere ziehen los, verführen Frauen und lassen es mit dem Auto der Eltern krachen. In meiner zur Verdrängung neigenden Erinnerung hat in diesem Sommer immer die Sonne geschienen, obwohl damals die B. wegen des nicht erreichten Abiturs von Hochhaus sprang, und ich täglich in der Station drüben war. Man sieht da als junger Mensch zuerst nur die leidenden Freunde. Was das mit den Familien macht, begreift man erst später. Es gab damals eine Reihe von unschönen Geschichten im Westviertel der dummen, kleinen Stadt an der Donau: A so ein Schmarrn, pflegte sich meine Grossmutter zu empören, wenn sie die Geschichten hörte, so ein Gwuisl, ihr brauchts mal wieder eine schlechte Zeit, dann vergeht Euch das wieder, sagte sie – und sie hatte zwar wie immer Recht damit, aber einerseits blieb ich gesund und konnte nichts dafür, und anderseits ist eine schlechte Zeit für alle auch keine schöne Therapie, weil es da nämlich keine fetten Gänse gab, sondern nur einen drastischen Rückgang beim Wildentenbestand der Region.

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Ich würde deshalb nicht so weit gehen wie meine Grossmutter. Aber was man beim Umgang mit psychisch Kranken als Aussenstehender mitbekommt, ist ihre mitunter besondere Fähigkeit, für den kleinsten eigenen Gewinn für andere den maximalen Schaden zu verursachen und sich dann gleich nochmal viel schlechter zu fühlen. Man kann das eine Weile mitmachen, man kann für einen Freund einen Tag opfern, nur um nach ein paar Minuten in einem Wutausbruch abgewiesen zu werden, und sich dann eine Nacht lang zu überlegen, was man falsch gemacht haben könnte. Aber es raubt Kraft und bringt ansonsten intakte Familien und gute Beziehungen in fundamentale Krisen. Man kann viel von mir verlangen, ich bin wirklich ein nachsichtiger Mensch und wenn die Bayerisch Creme aus ist, nehme ich auch ohne Klagen einen Germknödel. Aber ich werde nicht den Fehler machen und in eine Zeit zurück fallen, als mich die Identifikation mit den Betroffenen vom Rad stürzen liess. „Psychisch labile Schlitzerinnen“ beschreibt nicht nur affirmativ Handelnde, die mich an den Rand der Beherrschung bringen – es sorgt dafür, dass es für mich beherrschbar bleibt.

Menschen brauchen eine Distanzierung, um das alles zu verarbeiten. Niemand will an das Zerlegen einer Sau denken, wenn er die Schweinshaxe bekommt – ich bin, weil ich das nicht trennen könnte, sehr bewusst lebender Vegetarier. Den gleichen Abstand brauche ich zu psychischen Erkrankungen. Deshalb bin ich bei der Beschreibung mitunter offen und direkt, und manchmal auch, wenn es die Umstände geraten scheinen lassen, nicht rücksichtsvoll, egal was die diversen Akzeptanzbewegungen an verbaler Erniedrigung von „Normalen“ einfordern, die sie dann gleich als „normschön“ beleidigen. Ich sage offen, dass ich Magersüchtige zuerst einmal nicht schön finde. Dass ich keinen Respekt für erheblich zu viel Fett habe. Dann gehen meine Gedanken erst noch zu Angehörigen, die sich unverdient mit den Folgen herumschlagen müssen, und mitunter für ihre Fürsorge das Getuschel der anderen und den Zorn, die Wunden und das Blut der Kranken abbekommen.

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Ich habe in diesem unschönen Sommer meine Lust an Sigmund Freud verloren, und war heilfroh, dass mich meine Abiturnoten nicht mal ansatzweise in die Nähe eines Psychologiestudiums brachten. Geholfen haben mir nicht Adler und Jung, sondern Evelyn Waughs „Wiedersehen mit Brideshead“. Man stumpft deshalb nicht ab, man wird kein Zyniker – man lässt sich nur nicht mehr so leicht vereinnahmen, man bringt keine seitenlangen Wutpredigten mehr zu Eltern, denen damit das Leben zur Hölle gemacht wird, man spielt nicht mehr mit und man hilft nur, wenn es sinnvoll ist. Sinnvoll ist keine Acceptance-Bewegung, man löst Probleme nicht mit Überidentifikation und Bestätigung eines Zustandes, der alle schwer belastet.

In dem Fall der Hetzjagd, der der Grund für diesen Beitrag ist, gibt es gegen die Autorn Ronja von  Rönne im Netz so ein wutentbranntes Pamphlet wie jene, die damals mein Freund schrieb. Heute wird es an das Internet gerichtet, und verbreitet wird es von jungen Frauen, von denen einige mit ihren psychischen Problemen recht offen umgehen. Die Welle im Netz, die offen dargestellte Erkrankung soll allen weh tun – wie schon die Blockempfehlung, mit der die gleiche Dame auffällig wurde, und die sich auch zuerst gegen eine empfindsame Frau richtete. Die suchen sich zum Niederkreischen und zum Vorzeigen ihrer Verletzungen oft die Schwachen und Gefühlvollen aus. Sie haben oft ein Gespür für wunde Punkte. Diese Empfindlichkeit habe ich mit viel Haut auf dem Asphalt vor dem Biergarten abgeschabt. Ich denke da nur „Die armen Eltern“. Und dann bekämpfe ich den Wunsch, noch etwas ganz anderes zu sagen. Das machen sehr viele Betroffene so. Zähne zusammen beissen. Bloss nicht das Trauma verschlimmern. Das Problem in sich reinfressen und sich anstecken lassen. Schlucken, nicht wütend werden, sich lieber motional zerreiben lassen, weil sie das Unbegreifliche verstehen wollen. Man möchte schreien. Schlitzerin und vieles mehr. Man tut es nicht.

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Und das Verständnis hat leider dazu geführt, dass da draussen um so lauter vorgeführt wird, wie die aktuelle Sommermode der Viertellebenskrisen aussieht und ich hier lieber das Rezept für die bei uns erfundene Bayerisch Creme verlinke. Es wird mit Gewalt und Nachruck an einen herangetragen, und sie wollen. dass man es mitbekommt. Aber zu wissen, was einem gut tut und was nicht, gehört zum Altwerden dazu. Es sich heraussuchen zu können, gehört zu den Privilegien. Es, wenn es sich anbietet, brutal benennen zu können, wie es ist, gehört zum Charakter. Natürlich mögen erzürnte Marginalisierte es nicht, wenn man mit ihnen nicht über Laurie Penny debattiert, und statt dessen mit „psychisch labile Schlitzerinnen“ die Sache auf das Kernproblem zurückführt. Dieses unfassbare Glück, den ganzen Albtraum diesmal nicht etragen zu müssen, sondern einfach verjagen zu können. Dann regen sie sich furchtbar über einen auf, man kann sich den vorhergehenden Streit um die Deutungshoheit ihrer Krankheit sparen und ohne Internetanbindung in den Biergarten gehen. Da werden nur die dampfenden Gänse aufgeschnitten und heute ist Mittwoch – da gibt es für empfindsame Leute wie mich auch ein veganes Gericht.

Das war alles übrigens Anno 1987 , damals hat noch die CSU-Majestät Franz Josef regiert, ein nicht sonderlich kunstsinniger Mann. Zwei Jahre darauf ist die Mauer gefallen, Berlin wurde hip und ich müsste fast mal fragen, ob es hier bei uns überhaupt noch eine geschlossene Abteilung gibt.