Montags kein Brot, Freitags kein Bier,
Erich, dafür danken wir dir.
„Bist Du nicht sehr einsam, wenn Du so eingeschneit wirst?“, wollte die Anruferin wissen. Sie ist Anruferin, weil sie eigentlich kommen wollte, aber wer schlau ist, bleibt jetzt daheim und lässt andere auf eisglatten Strassen in die Gräben krachen, um nie im winterverzauberten Oberland anzukommen.
Nein, antworte ich und schaue hinaus. Nein, wirklich nicht. Es geht mir gut. Die Vorräte reichen noch drei Tage, die Heizung ist warm, die Katze schläft auf dem Sofa, ich höre Telemann und blättere in der World of Interiors. Das ist Zufriedenheit: In einer warmen Wohnung am Ende des Landes und der Zivilisation sitzen, Telemann hören, hinaus schauen auf den Bergwald und ein Magazin lesen, in dem Briten. Italiener und Franzosen beklagen, dass die Houses, Palazzi und Chateaus eigentlich viel zu gross sind, aber verkleinern kann man sie auch nicht, immerhin sind es historische Bauten, und Bibliotheken und Sammlungen pflegen ohnehin in neue Räume zu wuchern. Ich mag solche Klagen und Sorgen. Es gibt so viel hässliches Elend auf der Welt, von Afghanistan bis zu Altmaiers Tweets, da ist es doch erfreulich, wenn es auch einmal schönes Elend gibt. Zum Beispiel, dass Rokokogemälde für Wände zu klein sind, oder Flügel über den Balkon in den ersten Stock gebracht werden musste. Ein jeder trage seine eigene Last, so ist es gerecht, und so wird auch niemand überfordert.
Denn mit grossen Liegenschaften muss man umgehen können. Arme Leute haben da nichts zu suchen. Oh, bitte, das ist natürlich nicht meine Meinung, und so etwas steht natürlich auch nicht in der World of Interiors, ganz im Gegenteil, dort gibt es auch Arme, aber sie sind anders und werden nicht müde zu erzählen, welche Unsummen so ein Restaurierungsprojekt verschlingt. Manche können sich die Rettung ihrer Liegenschaften auch nur Raum für Raum leisten, erst den Salon, dann die Galerie, dann das Treppenhaus, dann die Deckengemälde – aber solche Arme meine ich nicht. Ich meine schon richtig Arme. Also, das heisst, als arm sollte man sie eigentlich nicht bezeichnen, sozial bedürftig ist auch fies, und irgendwie haben Kollegen das voll drauf, das mit der nicht diskriminierenden Schreibe. Die können wirklich sagen, dass Arme in grossen Wohnungen nichts verloren haben und man ihnen sowieso besser Baracken hinstellt, bei denen an allen Ecken und Enden gespart wird. Und zwar so, dass es weder unten ein Parkettende noch oben eine Deckengemäldeecke gäbe.
Deshalb finde ich diesen Beitrag hier bei allem Grusel auch phantastisch. Gleich zu Beginn erklärt er den Lesern, dass die Wilmersdorfer Witwe mit ihrer riesigen Gründerzeitwohnung eine Klischee ist. Das freut natürlich gleich jeden Sozialneidigen, denn wer ausser Erben, Vermögensverwaltern und Organisatoren mehrmonatiger Weltreisen mag schon solche Witwen? Eben. Niemand. Dann stimmt der Leser also freudig zu, um es dann gleich richtig hinein gerieben zu bekommen: Berliner leben oft in zu grossen Wohnungen, die ihnen zu teuer sind. Steht da wirklich. Die verfügbaren Wohnungen passen weder zum Einkommen noch zum Dasein als Single, also werden zwei Strategien vorgeschlagen: Kleinere Wohnungen und deutlich billigeres Bauen. Maximal 40m² für einen Kleinhaushalt und 1550 Euro Baukosten für den Quadratmeter.
Ich werde nie so ein wortgewandter Journalist sein, als dass ich überteuert vermietete Baracken aus Rigips mit Styroporverkleidung auf billigen Flächen einer ehemaligen Sondermülldeponie mit der Panegyrik “Absenkung von Baustandards, um Baukosten zu senken und kleine Einheiten lukrativer zu machen“ loben könnte. Aber letztlich ist as auch egal, denn das ist es, was angesichts des Zustroms von Flüchtlingen aus Bürgerkriegsregionen wie Schwaben, Syrien, Irak und Bayern nach Berlin tatsächlich gefordert wird. Eine Absenkung der Standards und weniger Wohnraum. Für mich – der ich übrigens sehr wohl allein in Wilmersdorferwitwenverhältnissen lebe, nur echte Spätrenaissance statt Gründerzeit – wäre das so, als sagte mir jemand: „Dir geht es zu gut. Check mal Deine Privilegien. Wir haben hier Bedürftige, pass Dich besser mal denen an.“
Ich möchte das nicht. Ich empfände das offen gesagt als Frechheit, und natürlich sagt mir das auch keiner: Ich bin am richtigen Ende der sozialen Nahrungskette. Aber anderen wird das sehr wohl nahegebracht. Da gibt es ein Problem, da ist ein Mangel, da muss man eben weniger Raum auf mehr Leute verteilen. Statt fünf Prozent mehr Mehrwertsteuer zehn Prozent weniger Wohnfläche. Letzthin las ich in der Prantlhausener Zeitung einen Beitrag, man bräuchte heute keine Bücherregale mehr – da liegt es nahe zu sagen: Mieter, du hast ein iPhone und raubkopierte Bücher, die vier Quadratmeter weniger schränken dich nicht ein, du kannst dann auch viel leichter umziehen. Simplifiziere dein Leben, löse den Blick von irdischem Tand, hebe die Augen zu wahren Werten der Gemeinschaft und werde eins im Glauben mit deinen Brüdern und Schwestern, woher sie auch kommen mögen, um das Himmelreich mit seinen Clouds und transzendenten Netzwerke – habe ich Ihnen schon erzählt, dass ich in einem ehemals berüchtigten Jesuitenseminar wohne, einem Bollwerk der Gegenreformation?
Also, für mich wäre das jedenfalls eine grobe Beleidigung des Geistes, aber wenn es Linke gibt, die sich jetzt hinter Merkel scharen, warum sollte es keine Mieter geben, die mit weniger Raum nicht auch zufrieden sind? Es ist schliesslich für eine gute Sache, und man hat gelesen, dass es die Wilmersdorfer Witwe mit der Gründerzeitwohnung gar nicht gibt. Da muss dann eben jeder alternativlos etwas mithelfen und seinen Beitrag leisten, und auch die Planwirtschaft der DDR mit ihrer Platte war deutlich besser als ihr Ruf – dann steigt aus den Trümmern der Gründerzeitwohnung die sozialistische Weltrepublik. Mit der Jugend des deutschen Volkes kann man das machen, die ist noch leicht für die grosse Frage der Zeit zu entflammen: Der Glaube versetzt Berge. Dieser bergeversetzende Glaube muss uns alle erfüllen.
Nur Zyniker vom Tegernsee würden dann sagen, dass die letzten beiden Sätze, so talkshowaktuell sie auch klingen mögen; aus der Sportpalastrede von Goebbels stammen, und der Zuwachs an Wohnraum im alten, demokratischen Westen eines der Kernversprechen des sozialen Aufstiegs war. Offen gesagt kenne ich auch niemanden, der denkt, er sollte sich räumlich verkleinern. In meinem Umfeld geht es immer nur um Zukäufe, und ob es Migration gibt oder nicht, ist vollkommen egal, denn dieses Preissegment ist ohnehin nicht für alle gedacht. Was mich aber an solchen beifallsheischenden Beiträgen der Verkleinerungspropaganda wirklich erstaunt, ist der Unterschied zu Herrn Goebbels: Der wollte im Sportpalast die Plutokraten, die Luxusgeschöpfe, die reichen Drückeberger, die Privilegierten, also Leute wie Sie und mich im eigenen Volk für den Krieg einspannen, der vor allem in seiner sozialen Dimension total werden sollte. Heute geht man ganz selbstverständlich davon aus, dass man für viele Baracken brauchen wird, und Kunden hat, die ohnehin keine andere Wahl haben.
Das alles ist weder mein Wunsch noch meine Erfindung, das fordern andere und dem Volk ist es, mag es scheinen, völlig egal – nur der bei den Grünen unbeliebte Herr Danisch und ich, wir regen uns darüber auf. Ich finde das wirklich ungerecht. So etwas entmutigt die Menschen, wenn sie lesen, dass es für sie nur halb so teuer sein darf. Die Standards sind für sie angeblich zu hoch. Was soll das werden? DDR der späten siebziger Jahre? Wohnpappe? Ist die Ikeasozialisierung schon so weit fortgeschritten?
Gerne würde ich das weiter ausführen, aber leider bin ich zeitlich etwas pressiert: Ich muss noch schnell dem Verkäufer einer Schäferszene aus dem Boucherumfeld – ich habe sie erstanden, weil sie mich an die Malereien in der Villa Pisani erinnert hat – mitteilen, dass er sie auf keinen Fall in die kleine, dumme Stadt an der Donau schicken soll, sondern hierher, weil ich ja am Tegernsee eingeschneit bin, in meiner winzigen Behausung am Ende der Zivilisation, und ausserdem habe ich sogar noch etwas Platz, um das Gemälde aufzuhängen. Danach wird es aber wirklich schwierig. Das ist schon ein Elend, wenn man so wenig Platz hat.