Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen,
sagen manche, und ich sage dann immer: Das sind verbiesterte Menschen, mit denen es nicht einmal eine Katze aushält, denn wer eine Katze hat, der arbeitet an Dosen und Verpackungen, damit jemand isst, der meistens nur faul herumliegt und darauf wartet, dass ihm Türen geöffnet werden. Gestern Abend hat mir dann auch ein Mensch in Murlo geholfen, meine Bleibe zu finden, während die Katzen vor dem Ort nichts, aber auch wirklich gar nichts Hilfreiches beizutragen hatten. Wohlgenährt sind sie trotzdem.
Es gibt wirklich bessere Sprüche, wie etwa “In der S-Klasse weint es sich leichter”, was durchaus stimmt, und auch andere Dinge sind der S-Klasse leichter zu bewerkstelligen, aber ich will Ihnen jetzt keine Geschichte über einen lindgrünen W126 aus dem Besitz eines Dresdner-Bank-Chefs und dessen Tochter nach einem Tanzturnier erzählen, denn das geht Sie nämlich gar nichts an und außerdem haben wir ja schon festgestellt, dass es im Kern durchaus richtig ist. Noch richtiger ist aber neue, gestern erst erfundene Spruch “Neben dem SLK lacht es sich leichter”, der mir so eingefallen ist, als ich spontan mit meinem vom winterlichem Salzschmutz verunzierten Auto kurz hinter Siena angehalten habe, mich in die im Vergleich zur Nacht am Tegernsee 25 Grad wärmere Frühlingsluft stellte und spontan an jemand denken musste, der vorgestern etwas Unfreundliches über mich ins Netz schrieb: Vielleicht hat er recht, aber dem Vernehmen nach lebt er in einer WG in Münster, und da möchte ich schon einmal fragen, was einem Rechthaben hilft, wenn man das nach 50 Jahren auf dem Erdenrund nur in einer WG hat, in der vermutlich auch über Marx gesprochen und der Hausdienst genderneutral paritätisch geregelt ist. Er hat also vielleicht Recht und ich habe lachend neben meinem Auto diese Aussicht.
Morgen bekommt er vielleicht nicht nur recht, sondern auch die Nebenkostenabrechung, und ich kann wieder hierher fahren, so ist das auf der Welt. Es gibt vieles, was sich in der S-Klasse leichter tut, es lacht sich leichter neben dem SLK und gearbeitet habe ich auch nicht – nur um am Ende meiner Reise auf jemanden zu treffen, der die Auffassung vertritt, das mache überhaupt nichts, ich sollte Platz nehmen, es ist ihm wirklich egal, ich könnte Slumlord aus Berlin oder Münster sein und von der Miete leben, die andere erwirtschaften, oder von Aktien, oder von was auch immer man weitgehend eigenarbeitsfrei leben kann: Egal. Essen soll ich trotzdem, meint der Koch im Hotel, und bestätigend knistert dazu das aromatische Holz im offenen Kamin. Und so ist es dann auch gekommen. Wenn man davor lange gearbeitet hat, muss man sich an dieses Prinzip des Genusses ohne Leistung erst mal wieder gewöhnen.
Wirklich, das gehört zu den wichtigen sozialen Problemen der Erbengesellschaft, über die in unseren herzlosen Medien viel zu wenig gesprochen wird. Nicht dass Sie jetzt vielleicht denken, ich würde arbeiten, weil ich das aufschreibe: Nichts da, ich habe das gestern und heute ganz langsam begriffen und hätte es meiner Posse, mit der ich hier unterwegs bin, heute zum Gaudium am Tisch erzählt, aber für derartige komplexe Themen der experimentellen Soziologie reicht mein Italienisch nicht aus, und deshalb erzähle ich es Ihnen. Ich habe hier ziemlich lang sehr, sehr viele Kommentare freigeschaltet und beantwortet und Bilder bearbeitet, ja sogar ein paar Teste habe ich geschrieben, die manche lasen und andere nicht verstanden, also, ich habe technisch gesprochen bei der FAZ gearbeitet und langsam geht es jetzt darum, mich wieder erfolgreich ins Erwerbslosenleben einzugliedern. Bei unsereins endet das gemeinhin mit dem hemmungslos überzogenen Studium. Alle um einen herum tun etwas, und wie das so ist in besseren Kreisen, man stellt Konventionen nicht Frage und ehe man es sich versieht, übt man eine Arbeit aus, ohne sich zu fragen: Muss ich das überhaupt oder würde das Familienvermögen nicht leicht reichen? Sie kennen das alle, man gerät in einen Trott und denkt nicht nach, und erst beim Blick zurück stellt man fest: Es wäre auch ganz anders gegangen.
Das habe ich heute verstanden, weil ich mit meiner italienischen Posse von Murlo über Montalcino nach Abbazia Sant’Antimo gefahren bin – nicht etwa auf einer normalen Strasse, sondern auf den staubigen Pisten der L’Eroica. Was mir vorab erzählt wurde, war “Wir radeln rüber nach Montalcino”. Murlo liegt auf einem Hügel. Montalcino liegt auf einem Hügel. Nachträglich habe ich keine Ahnung, wie ich auf die Idee kam, dass es eine 20km lange Hügelkette zwischen diesen Orten geben könnte, aber wirklich, ich hatte so etwas im Gefühl. Andere denken, wer nicht arbeitet, soll nicht essen, ich denke, es gibt eine Hügelkette, es stimmt beides nicht Jedenfalls, nach ein paar Kilometern wurde mir klar, dass wir auf dem Weg zum mörderischen Aufstieg nach Castiglion del Bosco sind. Wir, 20 ziemlich fitte Italiener und ein Deutscher, der von November bis gestern nur einmal auf dem klassischen Rennrad saß, um die Sattelhöhe seines neuen Koga Miyata einzustellen. So rein körperlich waren die letzten Monate schon mal eine gute Vorbereitung auf die Leistungsfreiheitsgesellschaft.
Aber obwohl ich Ihnen mein gesammeltes Leid verschweige, war es hier in den Hügeln der Toskana doch eine gute Einführung in dieses gemütliche Dasein ohne allzu viel Stress: Kein Internet, kein Mobiltelefon, nur Staub und Schotter und klare Luft mit Aussicht. Ich würde lügen, behauptete ich, ich sei wie ein Adler hochgeflogen – nur bergab bin ich gefahren wie ein abstürzendes, tiefgefrorenes Suppenhuhn – aber irgendwann ist man oben. Die Lungen pfeifen, und irgendwer kam auf die grandiose Idee, beim Frühstück nach 4 Monaten Vanillehugel- und Tortendiät jetzt doch einmal konsequent zu fasten: Das war ich, und das hatte ein unangenehmes Brennen in den Beinmuskeln zur Folge. Aber: Man ist oben und sieht, was man schon an Höhenmetern erreicht hat.
Und dann überkommt einen das innere Gefühl mit aller Macht, dass es reicht, wirklich, und dass das, was an Rampen und Geröll noch vor einem liegt, gar nicht mehr sein muss. Es gab sogar einen Besenwagen, ich hätte jederzeit einsteigen können. Aber in diesem kurzen Moment ist man kein staubbedeckter Jammerlappen, sondern ein Sehender und Verstehender: Man erkennt, dass man wirklich etwas getan hat, das einen mit Hochachtung erfüllt. Niemand braucht da noch Höherachtung, es reicht, man hat getan, was man konnte, und damit wäre es dann eigentlich auch gut. Mehr muss überhaupt nicht sein. Da vorne wartet keine Herausforderung mit besserer Aussicht mehr, es ist da ganz nett, und man kann hier wirklich verweilen und auch anderen beim Schieben zuschauen. Auch das ist eine Beschäftigung: Unbezahlt und in diesem Moment, da die Beine nicht mehr wollen, auch unbezahlbar. Geld ist gar nicht so wichtig.
Denn mit dem Selbstwertgefühl steigt auch die Geringschätzung kommender Verpflichtungen. Wer bin ich denn, denkt man sich, dass ich herumschubsen lassen müsste, wenn ich selbst hier hoch komme. Ich bin da, wo ich hingehöre, dies ist mein Platz oben, und das kann mir hier und auch sonst im Leben niemand nehmen. Es ist gut, wie es ist, besser muss es nicht zwingend werden. Andere nehmen vielleicht jetzt den Lift zu höheren Posten und müssen sich artig verhalten, ich kann hier zur Flasche greifen und gierig in mich hineinschütten, ohne Rücksicht auf andere. Niemand hat eine Erwartung an mich. Niemand möchte, dass ich anderer Leute Vorstellungen umsetze. Und heute morgen ging eine prächtige Sonne über der Toskana auf und küsste mich liebevoll. Ich glaube, das ist das Denken, die Erkenntnis, die man allen vermitteln muss, die arbeiten, ohne dass es finanziell nötig wäre. Vielleicht war auch einfach nur zu wenig Sauerstoff in meinem Hirn, weil die Lungen so pfiffen, aber da oben, da schien mir das alles sehr logisch, richtig und auch sozial angemessen.
Erst danach bin ich weiter gefahren, und im weiteren Verlauf war ich gar nicht einmal der Langsamste. Ich hielt gut mit und sagte einer aus meiner Posse, dass ich ab Anfang April viel Zeit und mich gerade dazu entschlossen hätte, mich bei der L’Eroica Nova mit Profibeteiligung anzumelden, bei der auch die Zeit gemessen wird. Wie bei jedem Entzug gibt es auch Rückfälle, das ist mir schon bewusst, aber nicht nur kann man in der S-Klasse vieles besser vollbringen, man kann in der Toskana Leistung auch wie ein Hobby aussehen lassen. Hauptsache, man bricht bewusst die Regeln und lässt es sein, bevor es einen selbst zerbricht, und verlässt sich auf das, was man dank der Geburt hat – ich verstehe gar nicht, warum sich da manche so aufregen, was kann denn unsereins dafür, damit wird man geboren, das sucht sich keiner aus. Wir sollten das nutzen. Dann kommen schon die Köche und sagen einem, dass es richtig so ist, und außerdem ist man barock und lebenslustig auch attraktiv – nicht weil man besser schreibt, man fuchselt weiterhin auch nur schnell etwas herunter, aber es gibt auf dieser Welt ohnehin zu viele Zielstrebige, die Chef anstelle des Chefs werden wollen. Für einen wie mich kommen bei dieser Nichtkonkurrenz dann schon die Alternativen, sie liegen auf dem Weg herum. Aber ich will eigentlich nur lachend neben dem Auto in der Toskana und zufrieden mit dem Erreichten oben in Castiglion del Bosco stehen. Begrenzte Geister brauchen begrenzte Ziele, ist meine Devise, und ich bin fest überzeugt, dass meine vorösterliche Arbeitsentsagung dauerhaft erfolgreich ist.
Dem Mario habe ich aber vor dem Kloster trotzdem mit Kette rechts gezeigt, was ein echter Deutscher am Berg zu leisten vermag, selbst wenn er danach wie ein nasser Sack vom Rad fällt weil einfach so überholen lasse ich mi