Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Für Gerechtigkeit müssen wir von Murlo zu Sant’Antimo gehen

I overloaded and I saw the light, decadence was on my mind.
ZZ Top, Delirious

Es gibt drei Arten von Menschen auf dieser Welt: Die einen sagen, Rache werde in ihrem Hause stets kalt serviert, andere meinen, man sollte sie lieber heiß unter den Gegnern auftischen, und die Dritten nehmen einfach, was sie kriegen können, im Leben wie in der Rache. Das ist dann meistens die Oberschicht und letztes Jahr kam ich gerade aus Italien zurück, als bei Spiegel Online ein ausgesprochen dummer Artikel über die italienischen Radwege und ihre Entwicklung stand. Obwohl es nicht angemessen ist, bei mir in der Crustata-Etage des Lebens mit Blick über die Crete Sienesi

Leute mit Aufmerksamkeit zu adeln, die ihre Texte aus der schieren Notwendigkeit des Knäckebroterwerbs im Hamburger Hafenviertel verfassen, setzte ich mich hin und schrieb einen heißblütigem Text, in denen ich belegte, dass die Autoren weder italienisch übersetzen können, noch wissen, was in Italien wirlich geplant ist.  Ausserdem habe ich “Der Pate” gesehen und weiß, dass man für Gerechtigkeit zu Don Vito gehen muss: Ich ließ mich also dazu herab, diese Autoren bei meinen italienischen Freunden so zu denunzieren, wie Feinde sonst nur meine Texte denunzierten. Meine Freunde hätten nun sagen können, dass sie den Don Salvatore in Hamburg informieren, aber sie hatten einen anderen Vorschlag: Bei Gelegenheit würden sie mich mal etwas herumführen, damit ich wirklich sehe, was man in Italien so alles tut. Und so kam es zum obigen Bild, und zu dem hier kam es auch:

Das ist in Murlo, einem kleinen Ort direkt an zwei phantastischen Radwegen: An den langen und bestens ausgebauten Strecken der L’Eroica, die hier im Herbst vorbei führt, und an der Grand Tour della Val di Merse. Vermutlich gibt es am nördlichen Polarkreis allenfalls Heideradwege, die auch so heissen und aussehen, mit lauter Knäckebrotbäumen und als Spezialität des Landes ein grosses Garnichts und ein Abo von Spiegel Daily dazu – ich weiß es nicht, ich war da noch nie. Hier jedenfalls gibt es eine Grand Tour, Grand! Tour!, liebe Leser, für Räder, und nicht nur das – sondern auch eines jener “alten Gemäuer”, das zu einem Radhotel umgebaut wurde, Es ist ein sehr altes Gemäuer, alle Apartments – ich residiere gerade auf eigene Kosten in üppigen 50m² – tragen die Namen von Radheroen, meines Beispielsweise von Andrew Hampsten, aber es gibt auch “Gino Bartali”, und an den Wänden prangen Bilder von Campagnolonaben und Radheroen. Es gibt im Keller eine Werkstatt und neben dem Empfang schöne Radklassiker. Und jeden Morgen diese Aussicht, hier ist es seit 5 Tagen am Stück sonnig und warm.

Wie ist eigentlich das Wetter in Hamburg so? das möglich? Radfahren hat in Italien, prinzipiell gesprochen den Stellenwert, den es in Deutschland nie haben wird. Während ich also im Hotel Bosco alla Spina Bilder von speziell für uns Freunde des Velozipeds kreierte Nachspeisen zeigen könnte, halbgefrorene schwarze Schokoladenwürfel mit weisser Cremefüllung, die Luxusversion des Nege Schokokusses mit Schaumfüllung, während von hinten das Buchenholzfeuer angenehm knistert – hoppla! –

erreichen mich Nachrichten aus München, dass ein Radverleiher aus Singapur seine Räder meistens wieder einzusammeln gedenkt: Es gab, ich habe des selbst beim Durchqueren der Stadt auf der Hinreise gesehen, zu viele Fälle von Vandalismus, Diebstahl und Beschädigungen. Keine Ahnung, warum selbst Münchner ihren Frust an Rädern auslassen, die im Gegensatz zu Autos keinem wirklich weh tun, und sogar als schlechtes Konzept immer noch besser als das private Auto sein sollten. Es ist aber so. Der Deutsche mag das Rad nicht. Der Italiener achtet es, und er verehrt die Helden, die sich darauf bewegen. Sie kombinieren Weinflaschen und chromglänzende Boliden mit langer Geschichte, weil man das hier kennt und versteht.

Radfahrer sind Eroici, die nicht verschwitzt den normalen Hotelgast in der Lobby stören, und man bereitet ihnen hübsche Räume nach ihren Bedürfnissen. Es ist alles eine Frage des Zugangs zum Menschen: In Bosco della Spina ist der Radfreund der Gipfel der Schöpfung, in Deutschland ist der Dieselfahrer auf einer Stufe mit dem Giftmörder. Hier kommt sicher viel Feinstaub aus dem aromatischen Bucheholzfeuer – am nächsten Morgen ist die Lunge dennoch so rein wie die Luft über der Toskana.

Wir setzen uns also aufs Rad – ich habe inzwischen ein Neues gekauft, nachdem das alte Rad nicht reparierbar ist, ehrlich, ich habe alles versucht, es musste sein, es hat überhaupt nichts mit Habgier zu tun, fragen Sie Don Vito, er ist ein Mann von Ehre! – wir setzen uns also aufs Rad und fahren etwas durch die Landschaft. Wir finden hier:

Ausgezeichnete Beschilderungen, die einen sogar wissen lassen, dass man die nebenan liegende Etruskersiedlung am besten zu Fuss erreicht.

Exzellente Erklärungen auf Italienisch und Englisch, wie der Weg aussieht, und was man bedenken sollte.

Traumhafte Ausblicke vom Etruskermuseum, zu dem ein anderes Schild weist. Ich mein, das ist Italien. Wenn Italien neben Rädern noch einen historisch bedingten Fetisch hat, dann sind es Schilder.

Die Wege hier mögen kurvig und steil sein, manchmal hat man auf den Routen eine schöne Aussicht, und manchmal einen Tunnel aus Bäumen.

Aber es kommt garantiert irgendwann ein Schild, das auch Orientierungslose sicher nach Hause bringt. Es gibt zum Beispiel im Altmühltal oder auf dem Bayerisch-Tirolerischen Radweg ebenfalls eine gute Beschilderung. Aber hier steht an jeder Kirche, an jedem Kastell und jeder alten Mühle, was sie ist, wer sie gebaut hat und warum sie wichtig war.

Die Italiener verstehen sich auf die Künste, das Radfahren weitgehend autofrei zu machen, und dem Radler Gelegenheit zu bieten, auch zu verweilen. Man muss nur die Augen offen halten. Das alles gehört zusammen. Nicht erst seit gestern: Das Auto wurde in Italien nie so dominant wie in Deutschland. Trotz der Hügel und Anstiege: Das Land hat Raum für das Radvolk. Radler sind keine verkehrstechnischen Störenfriede, sondern geschätzte Gäste. Die Denkweise ist hier nicht: Wir müssen Radfahrern auch etwas bieten. Die Denkweise ist: Wir geben den Radfahrern, was sie wollen. Über diesen Erkenntnisprozess sind wir übrigens schon an Montalcino vorbei gefahren, hinunter nach Sant’Antimo. Dort gibt es das berühmte Kloster.

Und eine berühmte Radsammlung.

Die Colnagos, die Tommasinis, die hängen hier nur so rum, es ist fast so voll wie bei mir auf dem Speicher.

Ich könnte hier oben als Radsammler, Antialkoholiker und Vegetarier ewig verweilen, denn ich mag Räder, und unten, wenn man die Treppe hinunter geht, gibt es Alkohol und Fleisch.

Ich bin da unten also etwas deplaziert, mit meinem Wasser und mit meinem Pecorino, und manche werden mich für so irre halten, wie ein deutscher Vertriebler in seinem Kombi mich am Jaufenpass hält – aber ich war tatsächlich in einem der besten Weingüter der Welt, Ciacci Piccolomini d’Aragona.

Einer der besten Winzer der Welt hätte mir eingeschenkt

und den Schinken gereicht, während über mir die alten Räder der toskanischen Heroen baumelten.

Ich lehnte ab.

Denn irgendeine Tugend muss man ja haben, und zum Ausgleich für mein Karma – das Regenwürmerdasein ist besser als sein Ruf! – habe ich die Tischrunde damit unterhalten, dass in Hamburg Leute leben, die glauben, in Italien wären die Radrouten in einem schlechten Zustand. Lautes Gelächter erfüllte den Saal, Gläser wurden nachgefüllt, und danach gingen wir noch in den Weinkeller, und feierten das gute Leben, das man eben kennen muss, um es leben zu können, hier im warmen Herzen der Toskana.

Wo der Thymian blüht.

Und man immer noch einen Kilometer fahren will.

201 Kilometer wären es von hier aus noch nach Rom, zwei Tagesetappen mit Umwegen über Orvieto und Assisi. Dorthin fahre ich dann im Mai mit der Mille Miglia – nicht mehr hier bei der FAZ, aber Sie als Leser sind dann herzlich eingeladen, mich und die Stützen der Gesellschaft am neuen Ort zu begleiten.