Deus ex Machina

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Exakt neutral – Ohne Frauen bleibt die Netzpolitik blass

Meynet ihr, ihr müsset einander nicht finden zu gestalten ein prächtiges Spiel? Wer hat sich vorgenommen, der Freundschaft zu entkommen, der siehet würdig...

Meynet ihr, ihr müsset einander nicht finden
zu gestalten ein prächtiges Spiel?
Wer hat sich vorgenommen,
der Freundschaft zu entkommen,
der siehet würdig nicht,
der Sonne güldnes Licht.

 

Das Mauerblümchen, zart verwurzelt und hold umworben, steht adrett frisiert in der Augustsonne des Bolzplatzes und wartet auf die Mädchen. Doch die Mädchen kommen nicht. Die Bälle fliegen unbeobachtet ins Netz und sammeln sich verschlafen am Boden des Tores. Ein Abzug mit Wucht, der bei Aufprall das Netz in Spannung versetzt und die Kaninchen am Spielfeldrand aufhorchen ließe, gelingt nicht in dieser altersmüden, einseitig trainierten Mannschaft. Der Platzwart hat neben dem Blümchen gut sichtbar ein Schild platziert: INITIATIVE PRO NETZNEUTRALITÄT. Neben den lauten Majuskeln zuckt das junge Gewächs kurz zusammen und wartet weiter auf den Zuspruch, der als gegenseitiges Schulterklopfen der Ersatzbankaspiranten und Fans von der Tribüne hinüber hallt. Inmitten des Sommerlochs findet nun ein Turnier statt, bei dem vor allem die Unterhaltung eines ausgewählten Publikums im Vordergrund zu stehen scheint. Doch dann, das Spiel trudelt vor dünn besetzten Rängen, fällt einem Beobachter unter den Lücken des Bühnebildes etwas ins Auge: kaum eine Frau hat sich aufgemacht das Spiel zu sehen.
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In der vergangenen Woche gründete sich die Initiative Pro Netzneutralität, auf deren Kampagnenseite über das Eintragen des Namens in ein Webformular Unterstützung für die Initiative ausgesprochen werden kann. Sie spricht sich für eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität aus. Politiker aus den Oppositionsparteien, Wissenschaftler, Netzaktivisten und Blogger bildeten als Erstunterzeichner die Vorhut. Jedoch gesellte sich in die ruhigen Wogen des Sommers keine Überraschung; wie bei so vielen Aktionen, Konferenzen und Binnenbeschreibungen der “Netzszene” finden sich auf der Liste der Gründungsmitglieder, die für die Initiative bürgen, lediglich die Namen derer, die sich als Gesandte des deutschen Internets begreifen. Der Frauenanteil dieses Clans ist kläglich. Unter den 3.000 virtuellen Unterschriften, die am ersten Tag zusammenkamen, fand sich ebenfalls nur eine magere Anzahl weiblicher Unterstützer. Überraschend mager, urteilte der Soziologe Till Westermayer, sei die Netzneutralität doch kein technisches Thema, sondern eine gesellschaftspolitische Frage, die Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht betreffe. Dass unter den 24 Gründungsmitgliedern nur vier Frauen zu finden sind, erklärt hierbei wenn überhaupt nur in einem geringen Maße, warum sich unter den nachfolgenden Unterschreibenden nur etwa 10 Prozent Frauen beteiligten.
Unabhängig von detailliert inhaltlichen Aspekten der Initiative “Pro Netzneutralität”, die gegen ihre Unterzeichnung sprechen mögen, stellt die Beteiligung an der Initiative ein weiteres Beispiel des Mit- und Gegeneinanders der Geschlechter im Netz, dessen Natur eine nähere Betrachtung wert ist.

Das Netz unterbreitet heute zahllose neue Wege der Kommunikation, die Menschen von überall aus der Welt zu vielen Themen zusammenbringen. Doch der Wandel der Kommunikationskultur hat kaum gesellschaftlichen Wandel innerhalb des Netzes mit sich gebracht. Während Frauen und Männer zu nahezu gleichen Teilen an der virtuellen Welt partizipieren, scheint die Geschlechterordnung dennoch hinsichtlich von Anerkennung, Sichtbarkeit und Einfluss auf Debatten sogar noch hinter dem Stand von Gleichstellung in der realen Welt zurückzuliegen. Zwar gilt es sich davon zu verabschieden, dass der Netzdiskurs, der auch von klassischen Medien aufgenommen und zurückgespielt wird, überhaupt annähernd charakterisiert, welche Themen in der digitalen Welt diskutiert werden und darüber hinaus Relevanz entwickeln, dennoch lohnt eine Debatte darüber, warum das Netzgeschehen in Deutschland von Männern repräsentiert wird, und ob dies überhaupt im Sinne dieser sein kann.

In Diskussionen über die Präsenz und Teilhabe von Frauen in Sachfragen, die unmittelbar mit dem Internet verknüpft sind, betritt meist viel zu schnell das Argument die Bühne, Frauen interessierten sich selten für Technik, wenig für Computer, wenig für Politik. Das ist nicht nur zu simpel gedacht. Entgegenhalten muss man dieser Aussage zudem, dass sie versucht Geschlechterklischees zu erhalten und somit kaum in das Argumentationsrepertoire einer progressiven Netzszene gehören sollte, und außerdem, dass wenn die Sprecher dieser Szene passionierte Evangelisten ihres Glaubens sein und somit andere für ihre Haltungen und Ideen gewinnen möchten, es eine schwache Leistung ist, lediglich ein einmütiges, vorrangig gleichgeschlechtliches Umfeld mit dieser Begeisterung anstecken zu können. Frauen nutzen das Internet sowie die dazugehörige Technik mehr und mehr und übertreffen männliche Nutzer bereits in der quantitativen Nutzung von sozialen Netzwerken und weiteren Kommunikationskanälen. Nichts könnte näher liegen, als diese kommunikative Macht auch für netzpolitische Anliegen nutzen zu wollen. Doch von einer Gruppe, mit der mitunter auf privater Ebene, in der Öffentlichkeit des Netzes hingegen kein eifriger Dialog geführt wird, kann nicht erwartet werden, dass die erste Stufe der Einbindung in Gespräche über die Gefolgschaft bei einer Unterschriftenliste führt.

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Doch die Ergründung der Frage, was Frauen wollen, scheint die Gemeinschaft deutscher Internetaktivisten am liebsten im Trial-and-Error-Prinzip anzugehen. Die Tür mit dem Ausspruch zu öffnen: “Dabei sein dürft ihr, wenn ihr wollt” und das explizite Einladen ausgewählter Frauen in Gesprächsrunden, löst das kommunikative Kompatibilitätsproblem zwischen Frauen und Männern nicht auf. Die Damen mittanzen zu lassen im Reigen oder ihnen schweren Herzens den Quotenplatz auf einer Podiumsdiskussion zu reservieren reicht nicht aus, um in einem heterogenen Publikum ein fruchtbares Miteinander zu erzeugen. Genauer gesagt kann das lustlose Platzieren einer wenig geeigneten Quotenfrau das weibliche Interesse an etwas sogar merklich mindern. Auch wenn dies heutzutage ein seltener Fall sein sollte: wenn für ein Thema tatsächlich zunächst nur Männer gewonnen werden können um einen Dialog darüber anzuregen, spricht nichts dagegen, dass Frauen später konstruktiv und in großer Anzahl in diese Gespräche einsteigen werden.
Das Gebaren der Sprecher sowie weitere Eigenheiten der Kommunikation, die beispielsweise die Kampagne zur Netzneutralität begleiten, machen Netzthemen so undurchlässig für eine vielfältige Teilnehmerschaft. Die Kernbotschaften werden durch Selbstdarstellung der Akteure, Hahnenkämpfe und Verwechslung von diskursiven Themen mit Produktwerbung in den Hintergrund gerückt.

Petitionen können ohne prominente Fürsprecher und Erstunterzeichner erfolgreich sein. Den Eindruck, dass die Profilierung der eigenen Person bei den Erstunterzeichnern der Initiative “Pro Netzneutralität” eine Rolle spielte, stützt, dass hier zwei Dutzend Personen vertreten sind, die in ihrer Ikonen- und Repräsentationsfunktion für verschiedene Zielgruppen große Überschneidungen aufweisen. Tritt eine Kampagne mit über 20 verschiedenen Testimonials an die Öffentlichkeit, müsste der kommunikationsstrategische Ansatz bei der Auswahl der Köpfe sein, über sie möglichst unterschiedliche Gruppen und somit schnell eine hohe Anzahl von Menschen zu erreichen. Doch durch das so entstandene wässrige Bild scheint hindurch, dass eine klare Auswahl der Absender einem Gerangel um die vordersten Plätze weichen musste.

Ein sachliches Anliegen, so passioniert man auch dessen Bekanntmachung vorantreiben möchte, ist kein Produkt, das in dieser Manier beworben werden sollte. Die inhaltliche Auseinandersetzung der Kampagne verliert sich in einem “Höher, Schneller, Weiter”: in kurzen Abständen wiederholte Werbetweets, das Verkünden des Durchbrechens jeder Tausendermarke mit einem “Hip, Hip, Hurra!”, die unklare Verwendung der Unterschriften, deren quantitative Steigerung dennoch oberstes Ziel zu sein scheint. Frauen lieben Zahlen; sie reagieren durchaus auf Werbung – doch nicht, wenn die “Toten Hosen” die Botschaft in ihre Ohren brüllen:

Wenn du mich wirklich haben willst,
greif doch einfach zu.
Ich weiß genau, du denkst an mich,
ich lass dir keine Ruh.
Ich bin die Lottozahl,
die dir fehlt zu deinem Glück.
Ich gehör zu dir und du zu mir,
warum nimmst du mich nicht mit?
Mich kann man kaufen
und es gibt mich im Sonderangebot,
ja ich bin käuflich und zwar täglich,
rund um die Uhr.
Also kauf MICH!

Frauen geben nachweislich online mehr Geld aus als Männer. Doch genau hier ist vor die Empfänglichkeit für klassische Produktwerbung das “Social Shopping” getreten. Für das Erwecken anderer Bedürfnisse und Handlungen in der virtuellen Welt müssen werbende Worte den Kommunikationsverhalten sozialer Netzwerke folgen. Die Aufforderung, sich zu einer vorgegebenen Haltung gegenüber eines netzpolitischen Anliegens zu bekennen, beinhaltet keine interaktiven Elemente und stößt somit bei Frauen, die sogar den digitalen Einkauf in ein soziales Erlebnis gemünzt haben, auf wenig Resonanz.

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Für die Weitergabe der Kampagne unter Frauen kommt weiterhin erschwerend hinzu, dass die netzpolitische Debatte vorrangig von Personen geführt wird, die sich zwar ein Experten-Image erarbeitet haben, sie durch die einseitige Betonung ihrer Interessensgebiete und Lebensinhalte keine ganzheitliche Figur ergeben. Das aber genau braucht es, um vertrauenswürdig zu wirken, Identifikationsfläche zu bieten und vor allem zu suggerieren: “Ich werde mich im Gegenzug auch für Anliegen abseits der Netzpolitik einsetzen. Ich interessiere mich für mehr als eure Stimme.” Ein Austausch mit dem weiblichen Netzgeschehen, der Frauen und Männer zusammenführt und themenübergreifend agiert, ist bislang kaum vorhanden.

Das Netz der Frauen jedoch anhand von Parametern einer männlichen Community zu messen, beinhaltet wenig Einsicht in die Funktion und Fähigkeiten des weiblichen Webs. Die Blogcharts werden gerne dazu herangezogen zu belegen, Frauen seien weniger gut untereinander vernetzt. Doch die Anzahl von Verlinkungen zwischen Blogs bildet eben nur ein unmittelbar messbares Beziehungsgeflecht in der Öffentlichkeit des Netzes ab – viele andere nicht. Dass Frauen jedoch in entscheidenden Anliegen bestens miteinander und über die Grenzen ihres Geschlechts hinaus vernetzt sind, und außerdem bereit mit ihrem Namen für eine politische Sachfrage zu stehen, zeigt der Erfolg der Petition des Deutschen Hebammenverbandes. 186.356 Unterstützerinnen und Unterstützer, davon 105.386 elektronische und 80.970 schriftliche Zeichnungen, stellten die durchschlagende Kampagnenfähigkeit des weiblichen Netzes unter Beweis und machten sie zur bislang erfolgreichste Petition beim deutschen Bundestag. Mit prominenten Erstunterzeichnern haben die Hebammen nicht geworben. 

Die Initiative “Pro Netzneutralität” hat derzeit knapp über 8.000 Unterzeichner. Die Wortführer dieser Gruppe gelten als junge, kluge und offene Vordenker – da mag man kaum glauben, dass sie das Potenzial, das ein Zusammenschluss mit Frauen und anderen bislang nicht erschlossenen Gruppen von Mitstreitern bietet, für die Netzpolitik bislang nicht zu nutzen wissen.