Direkt nach Modeln ist der begehrteste Beruf aller Deutschen zwischen zehn und vierzig: Kabelschleppen beim WDR. Denn wenn man erst einmal ein Bein drin hat, dann ist man ganz nah am Nirwana der deutschen Geisteselite, dem Job, aus dem die Träume sind: Was mit Medien. Natürlich kommt man zum WDR nur, wenn man vorher bei der Zeit eine zeitlang am Kopierer stand und bei der Zeit am Kopierer stehen darf man nur, wenn die Mutter mit dem Leiter der Prekariatsabteilung im Kindergarten war. Oder aber man hat vorher beim SWR Toiletten geschrubbt, eine leicht zu erlangende Tätigkeit, hat man zuvor Tassen gespült beim Mitteldeutschen Rundfunk. Oder der Vater hat einst Skat gekloppt mit dem Leiter der Aufnahmeleitung, dann kann man auch auf das Drogenbesorgen für die Redakteure des Likalblättchens verzichten. Es ist nicht leicht, zu den begehrten Fernsehsendern zu kommen, nicht einmal umsonst und das, obwohl es nicht ganz wenige Umsonststellen gibt im TV. Ralf Becker, Geschäftsführer des Medienconsultingunternehmens Mediarise, erläutert im Gespräch mit Meedia.de, dass „fast jeder vierte Mitarbeiter (…) Praktikant, Volontär oder freier Mitarbeiter“ sei. Freier Mitarbeiter heißt übrigens: frei von Rechten und guter Bezahlung.
Eine ganze Branche lebt von freiwilliger Umsonstarbeit – wäre das nicht auch ein Konzept für die Autoindustrie? Früher brauchte man für Sklaven noch Fußketten und Aufseher, heute reichen Motivational Speeches und die Möglichkeit, den Chef zu duzen. In meiner Kindheit waren Medien nicht verheißungsvoll, Fernsehen nicht besonders glamourös. Zwar gab es Showmaster, Showgirls und Showtreppen, aber alles sah aus, als sei es vom Bundesamt für Unterhaltung und Freizeitvergnügen konzipiert, vom Unterausschuss Bewegtbild vertagt und von der Arbeitsbrigade Frohes Schaffen schließlich zehn Jahre zu spät umgesetzt worden. Wir hatten ja nichts, nur die Spex. Und die haben wir nie verstanden.
Was macht also die Medien so verführerisch? Geld kann es nicht sein. Es ist die ungeheure Identifikation mit der Tätigkeit, der niemals enden wollende Spaß. Denn Spaß und Identifikation, das sind in einer unterfinanzierten Zeit die neue Leitwährungen. Geldfluss wird zum Ausnahmefall.
Erstaunlich klassisch geht es bei Textprovider zu, der Agentur, die für das Portal Einkaufswelt von T-Online tausend fingierte Nutzerkommentare verfasst hat.
Dort wird eine Leistung (Zitat aus der Unternehmensdarstellung von Textprovider: „Die Texte müssen nach einem bestimmten Leitfaden (Briefing) erstellt werden, welches Sie in der ersten Mail erhalten. Sie sollen beispielsweise eine bestimmte Länge aufweisen (…) oder eine gewisse Anzahl von Keywords beinhalten. Diese Keywords werden von unseren Kunden vorgegeben und entsprechen in der Regel den Suchbegriffen, die Suchende im Internet in das Suchfeld bei Suchmaschinen (z.B.: Google) eingeben.“) gegen Geld getauscht (Zitat: „Wie ist das mit der Bezahlung?– Geld gegen Vorlage“). Echtes Geld! Gegen Worte! Viel Geld wird es nicht sein, aber dafür ist immerhin die Berufsbezeichnung der Keywordauflister: Texter und Lektoren. Warum nicht gleich Großsschriftsteller und intellektueller Vorreiter?
Der Trend zur bargeldlosen Berufsarbeit hat durch das Web 2.0 einen gewaltigen Schub erhalten. Für zwei Jahre hat mein Freund K. bei einem Online-Magazin gearbeitet. Sein Chef hatte einen Messias-Komplex und beherrschte den Tom Sawyer-Trick. Tom Sawyer macht seinen Freunden weis, er mache die Arbeit an dem Zaun, den seine Tante Polly ihn zur Strafe streichen lässt, mit großer Freude. Am Ende hat er einen gut erhaltenen „Drachen, eine tote Ratte, zwölf Murmeln, eine blaue Glasscherbe zum Durchsehen und vieles mehr.“ Alles Reichtümer, die seine Freunde ihm überlassen haben für das Privileg, den Zaun streichen zu dürfen.
K. war unwahrscheinlich stolz, für dieses Magazin zu arbeiten. „Ich bin Teil einer Medienrevolution“, sagte er damals. Das einzig Revolutionäre an dem Magazin war, dass allein der Chef daran verdiente.
K. tüftelte tagein tagaus an der Seite und wurde mit einem Bürostuhl belohnt. Er schrieb kleine Artikel und bekam Applaus, manchmal gab es auch ein High Five. Die Zahl der Klicks war sein Lohn, die freundlichen Kommentare sein Brot.
Dann fiel im irgendwann auf, dass man Kommentare nicht essen kann und er fragte Tom Sawyer, ob er nicht einen Anteil an den Werbeeinnahmen haben könne. „Immer geht es nur ums Geld“, seufzte Tom und schaute auf seine iPhones. Dann rechnete er Karsten aus, dass der Point of Even noch nicht erreicht sei, es aber nur noch eine Frage der Zeit wäre, bis sie Spiegel Online überholt hätten. Und ob er nicht einen Riesenspaß hätte. „Du bist doch vorher auch zurecht gekommen, nimm doch jetzt die blöde Kohle nicht so wichtig, Dicker.“
Was Tom Sawyer im Kleinen machte, betreibt Arianna Huffington im großen Stil. Für ihr Blog Huffington Post schreiben über 3000 Blogger. Umsonst. Aus Enthusiasmus. Tretmühlen werden zu Jahrmarktsattraktionen. Autoren schreiben angeblich schlechter, wenn sie bezahlt werden. Allerdings vermieten Vermieter auch nachweislich schlechter, wenn sie nicht bezahlt werden. Ein ganz normaler Deal zwischen Online-Magazin und Autor sieht heute so aus: Ein Sponsor zahlt Hotel- und Reisekosten zu einem Ereignis, das Online-Magazin verlost die Möglichkeit, das Ereignis journalistisch zu begleiten, der Autor bewirbt sich öffentlich in den Kommentaren und wenn er Glück hat, dann darf er zu dem Ereignis fahren und darüber berichten. So sind alle glücklich: Der Magazinbetreiber bekommt kostenlose Artikel, der Sponsor gilt als Samariter und der Autor kann reisen, umsonst übernachten und auch noch da sein, wo er hinwill.
Die Artikel sind bei dieser Entstehungsgeschichte natürlich irgendwo zwischen so-la-la und unlesbar, aber mit etwas Suchmaschinenoptimierung kommen sowieso 50% der früher sogenannten Leser über Google, sehen, dass sie hier nicht das finden, was sie suchen und verschwinden wieder. Macht nichts, auch sie sind ein Klick. Geld fließt bei dieser Arbeitsweise natürlich nur zum Betreiber, aber Geld wird eben auch völlig überbewertet.
Vielleicht haben wir den Pyramidenbau ganz und gar falsch gesehen. Wahrscheinlich waren das keine Sklaven, die da die Steinquader transportierten. Das waren Bauern, die es einfach wunderbar fanden, an etwas Großem mitzuwirken.