Wenn Statistiker gerade nicht der nächsten Finanzkrise ins Leben helfen, machen sie sich nützlich: zum Beispiel im Labor. Testen Medikamente, berechnen Dosierungen für die Beipackblätter. Unter anderem.
Manche Segnungen des Computerzeitalters sind sehr offensichtlich. Für eine Strecke von 350 km möchte die Deutsche Bahn von mir 50 Euro haben (das ist der Vorzugspreis mit Ermässigung, versteht sich), nimmt sich aber dennoch knappe sechs Stunden Zeit, mich zum Ziel zu spedieren. Dank der allgegenwärtigen Vernetzung jedoch kann ich im Internet nachschauen und dort Leute finden, die dieselbe Strecke zum selben Zeitpunkt zurücklegen wollen, allerdings im Gegensatz zu mir ein Auto ihr eigen nennen. Und, sei aus Umweltbewusstsein oder Sparsamkeit, Mitfahrer suchen. Kaum zu glauben, daß das sogar für die Strecke zwischen zwei obskuren, netten Städten mittlerer Größe gilt, aber ja: das Internet macht’s möglich. In der Bahn wie im Auto kann man auf Reisen die üblichen Irren treffen, und mit den Mitfahrern an jenem Wochenende hätte man eine zeitgemäße Version der Canterbury Tales verfassen könnten – an Unterhaltung war also kein Mangel.
Ebenso wenig an Bildung. Mitfahrerin U. nämlich, ihres Zeichens Pharmazeutin in Diensten eines grösseren Pharmakonzerns, berichtete auf Rückfrage des Fahrers von ihrer Arbeit und siehe: wir hatten Gemeinsamkeiten und die 170 km gemeinsame Strecke verflogen nur so, ganz ohne daß der Fahrer den Bleifuss hätte bemühen müssen.
Selbstverständlich war mir schon vorher bekannt, dass manche statistische Methode aus der medizinischen und pharmakologischen Forschung kommt. Methoden der “Survival Analysis” beispielsweise werden in den Wirtschaftswissenschaften genutzt, um die Verweildauer von Personen in bestimmten Gruppen zu bestimmen, seien es nun Dauer der Arbeitslosigkeit nach Training, oder wie lange Firmen sich an bestimmten Märkten halten können. In der medizinischen Forschung hingegen gibt der Name bereits an, was mit der Methode gemessen wird. Dennoch war ich im ersten Moment überrascht von den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, im zweiten dann voller neugieriger Fragen zu den Details der Arbeit der Mitfahrerin. Und dem Nutzen statistischer Methoden in der Pharmakologie. Präziser: der Pharmakometrik und Pharmakokinetik.
Wir sind ja längst über die Zeiten hinaus, wo man mit Amuletten und Hasenpfoten unterm Kissen Dämonen auszutreiben suchte, Medikamente werden intensiv erforscht und getestet, und mit jeder Erweiterung des biologischen, physiologischen und chemischen Erkenntnisstandes können regelmäßige Prozesse und Wirkungsmechanismen bis ins Details identifziert werden. Eigentlich ist es da nur logisch, daß pharmazeutische Daten statistisch verarbeitet werden. Immerhin handelt es sich um systematisch erfasste Daten mit einigermaßen vielen Observationen – folglich kann man damit wunderbar rechnen.
Medikamente in der Testphase werden hinsichtlich aller möglichen Parameter untersucht: Einwirkungszeit und -dauer, Metabolisierung, Ausscheidung. Dabei kann man erstens Ergebnisse von Tier- oder Laborversuchen heranziehen, um den Verlauf der Medikation von der Einnahme bis zur Ausscheidung festzustellen. Im fortgeschrittenen Stadium werden diese Daten dann auf den Menschen hochgerechnet und mit Daten aus Blutabnahmen von Menschen verglichen. Dann nämlich kann man auch schauen, welche weiteren Einflussfaktoren es gibt, wie zum Beispiel Alter, Ernährung, Vorerkrankungen, Zigaretten- und Alkoholkonsum, und was es da noch so gibt an statistischen Kovariablen von Bedeutung. Systematisch aufbereitet können solche Daten zumindest Grenzen für die möglichen Wirkungsweisen aufzeigen. Sehr nützlich zum Beispiel, dass man mit Hilfe der modernen Rechnertechnik unendlich viel präziser als früher allerlei Rahmendaten bestimmen kann. Welche Zeitspanne vergeht bis zur Aufnahme des Medikaments im Kreislauf, welche bis der Dosierungsspiegel wieder sinkt, wie lange dauert das im Mittelwert, im Mittelwert bei kerngesunden 40-Jaehrigen, bei klapprigen 80-Jaehrigen, und welches sind die extremen Ausreißer am oberen und unteren Rand der Verteilung? Weiterhin kann man – ebenso relevant – von gegebenen Stichroben auch hochrechnen, wie oft bestimmte Ereignisse vorkommen oder, anders ausgedrückt, wie wahrscheinlich das Auftreten bestimmter Ausreisserwerte ist.
Das ist natürlich keine Sicherheit – wie wir von N.N. Taleb erfahren haben, sind Statistiken für selten Ereignisse (also gerade Ausreisser) gänzlich ungeeignet, aber zumindest die Normalfälle lassen sich mit Statistik hervorragend analysieren.
Besonders fasziniert war ich von der „First-in-man” Anwendung, also der Frage der Dosierung von neuen Medikamenten beim erstmaligen Einsatz im Menschen. Früher, so wurde ich belehrt, orientierte man sich vage an den Vorproben an Tieren und in-vitro, also im Reagenzglas, für eine erste grobe Einschätzung einer guten Dosierung. Diese natürlich übertragen – wiederum basierend auf Erfahrungen mit vergleichbaren Inhaltsstoffen – und skaliert für den Menschen.Dabei wurde offenbar in der klinischen Studie mit der gerade noch nebenwirkungsfreien Maximaldosis aus Tierversuchen eingesetzt. Gewissermaßen nach dem Prinzip “Viel hilft viel”. Mittlerweile jedoch hat man sich besonnen und beginnt mit der gerade noch wirkungsfähigen Minimaldosis. Es ist doch ermutigend zu hören, daß sich die Pharmazie in dieser Angelegenheit zum Vorsichtsprinzip hinentwickelt hat, während sich die deutsche Unternehmensbilanzierung und Rechnungslegung davon entfernen.
Bei der Berechnung solcher Erstdosierungen sind Statistik, Modelle und Methoden endlich einmal uneingeschränkt begrüssenswert, erlauben sie doch viel präzisere Schätzungen und Tests im Computer, bevor der Mensch als Versuchskaninchen herhalten muss. Mit bestehenden Daten von Tier- und Laborversuchen lassen sich die Ober- und Untergrenzen für Wirkungsgrade, Nebenwirkungen, gute und schlechte Dosierungen zumindest sehr viel besser eingrenzen und machen damit den Erstversuch am Menschen um Längen sicherer.
Modelle gibt es nämlich nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Pharmazie. Auch dort lassen sich Wirkungszusammenhänge mit allgemeinen Variablen und Gleichungen darstellen, und wennman aus vorangegangenen Studien zuverlässige Schätzungen aller Parameter hat, kann man am Computer Wirkungsverläufe simulieren. Natürlich braucht es dafür Daten, natürlich muß irgendjemand am Anfang als Versuchskaninchen herhalten und hier tun sich moralischen Fässer auf, die ich lieber geschlossen lasse. Immerhin scheint das eine Anwendung des statistischen Teufelszeugs zu sein, die grundsätzlich zu begrüßen ist und die Welt etwas sicherer macht.
Vorausgesetzt natürlich, niemand kommt auf die Idee, teure Studien durch günstige Computersimulationen zu ersetzen, eine gewinnorientierte Verantwortungslosigkeit, die ich niemandem würde unterstellen wollen. Die amerikanische Behörde für Arzneizulassungen nutzt die Verfahren – unter anderem – für ihre Entscheidungen und erste Studien befassen sich mit dem Einfluß der Pharmakometrie auf die Zulassung. Möglicherweise ist es meinen Unzulänglichkeiten auf der fachlichen Ebene geschuldet, aber ich hatte Verständnisschwierigkeiten. Zum Beispiel entzieht sich mir der Sinn von Dosierungsprüfungen auf Basis gerade jener Daten, die der Antragsteller eingereicht hat. Das kann doch wohl nicht gemeint sein? Überhaupt befürchte ich, daß Pharmakologen dieselben Schwierigkeiten haben dürften wie Wirtschaftswissenschaftler, für bestimmte Zusammenhänge die passende funktionale Form zu finden. Es macht einen großen Unterschied, ob in Regressionsanalysen ein linearen oder logistischer Zusammenhänge unterstellt wird – ich hoffe, daß die Pharmakologen sich da besser anstellen als Wirtschaftswissenschaftler. Oder bessere Statistiker haben.
Vielleicht haben ja im Rahmen der Finanzkrise einige gute Statistik-Cracks von amerikanischen Top-Universitäten das Umfeld gewechselt. Obwohl: das wäre vielleicht doch nicht so gut. Mögen sie lieber in den Banken bleiben, da können sie weniger Schaden anrichten. Aber das wird die schöne neue Welt der Zukunft zeigen.
Oh. Dr. Seltsam hat die Sache...
Oh. Dr. Seltsam hat die Sache mit dem Uran gegen die Sache mit dem Rechner eingetauscht. Dann doch lieber Kamillentee und warme Wickel.
Ich bin ja öfter ein bißchen...
Ich bin ja öfter ein bißchen langsam von Begriff: wie meinen?
Im Film "Dr. Seltsam oder wie...
Im Film “Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben” gibt es einen Monolog in dem Dr. Strangelove den Computer einsetzen will, um das Überleben der Amerikaner nach dem Atomkrieg zu steuern.
https://www.youtube.com/watch?v=iesXUFOlWC0&feature=related
Das geht etwas in diese Richtung.
Unvergessen ist auch der...
Unvergessen ist auch der robuste und schmerzlindernde Ansatz, indem der Anästhesist seinem Höhlengefährten gegen Husten die Holzkeule über den Schädel verordnet.
Wohl an, dann lass uns mal schöne neue Welten schauen.
In der Medizin unterscheidet man heute auch in mehreren Ansätzen, die klassische Schulmedizin, alternative Homöodingsda und auch die Seelenheilung nach dem Menschenfreund aus Österreich ist wichtiger geworden.
Bei der Medikation gilt der Ansatz von Paracelsus, nachdem die Dosis das Gift macht.
Ich darf noch mal von mir sprechen, vor ein paar Wochen lag ich mit starkem Husten krank in meinem Bett. Beim Apotheker konnte ich anhand meiner Diagnose (Infektion der oberen Lungenkatarrhe) einige Hilfsmittel zur Genesung erstehen. Zu diesem Zeitpunkt und mit dem schlimmsten schon übern Berg, war ich am Rande froh, dass es dieses mal keine Antibiotika sein brauchten. Meine Medikamente für knapp 12 Euro, eine Tüte Brust Karamellen und ein bitter-scharfer Hustensaft aus Thymianextrakt. Zu dem habe ich mir noch viel trinken und recht wenig Rauchen verordnet. Irgendwann kennt man seinen Körper und weiß was ihm gut tut.
Gesundheit ist die Hauptsache, sagt jeder ein Mal, und man es merkt erst richtig wenn man krank ist.
Hauptsache gesund bleiben, sagt ausgerechnet der, der es am nötigsten hat.
Wohl an, dann lass uns mal an einer schönen gesunden Welt bauen, jeder hat nur eine.
Ich nehme an, dass es im Hinblick für das Gift Übereinstimmung gibt und dass es bei den Zinsen bleibt. Die Medizin lebt und funktioniert auch durch Vertrauen zwischen Arzt und Patienten.
Wie würden sonst Menschen sich jemanden anvertrauen, der mit einer Schlange an seinem Hirtenstab daher kommt. Wenn es so einfach wird, dann könnten neben dem vorstehenden, zur Wegbereitung, auch wieder die Aufklärung und Bildung zur Selbsthilfe dienen.
Eine Frage ist glaub ich auch, wie wohl die Mehrzahl der Menschheit gestärkt und gern vereinbarte Aufschlaghonorare erbringt. Im Gegensatz für medizinische Dienste eingeschlossen deren Absicherung, wohl ohne eine gesetzliche Krankenkasse oder gar PKV, die gibt es ja für, bzw. in einer real existierenden Marktwirtschaft gar nicht.
Die Suche nach Analogien aus Medizin und Wirtschaft ist wirklich sehr spannend. An dieser Stelle mein Applaus für diesen geglückten Beitrag.
Werte Sophia, trügt mich mein...
Werte Sophia, trügt mich mein Gefühl, oder geht es bei den Statistikern derzeit
ziehmlich “hoch her”?
Ich stehe ja auf dem...
Ich stehe ja auf dem Standpunkt, daß jede Plauderei zulässig ist und es kein off-topic gibt, aber es ist doch interessant, welche Verbindungen zum Teil von den Beiträgen aus gezogen werden.
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Der blaue Theodor, mit Computern wird heute so einiges gesteuert, Dr. Strangelove hätte vermutlich seine helle Freude.
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Konstantin, an natürliche Wirkstoffe kann man sehr wohl glauben, zumal der willkürliche Einsatz von Antibiotike den unschönen Nebeneffekt weitreichender Resistenzen bei den Erregern hat. Homöopathie ist eine andere Sache, denen würden ein paar Statistiker vielleicht gar nicht schaden.
Liebe Minna, meinen Sie hier...
Liebe Minna, meinen Sie hier im Blog? Oder in der Realität? Ich bin heute ganz, ganz schlecht im auffassen von Subtexten…
... in der Realität. Habe...
… in der Realität. Habe mich beim Lesen Ihres Beitrages daran erinnert, daß
Eurostat sich außerstande sieht das griechische Staatsdefizit zu berechnen
und auch hierzulande schlägt dem Finanzminister Mißtrauen entgegen. Da
kommt man halt ins Grübeln. Sorry!
Nun ja, es ist selbst im...
Nun ja, es ist selbst im besten Falle immer schwierig, Daten zu bewerten – wenn die Datenqualität zu wünschen übrig läßt, umso mehr.
Das ist aber, glaube ich, zum Teil der Struktur der EU geschuldet: trotz aller Vereinheitlichung von Datenstandards und Buchungsregeln gibt es Unmengen nationaler Eigenheiten – damit kämpfen ja auch Unternehmen immer wieder. Das muß nicht böswillige Fälschung sein – eröffnet aber Spielräume.
Nein, an Fälschung glaube ich...
Nein, an Fälschung glaube ich auch nicht, eher an Spielräume.
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Als Laie hat man in der Bewertung solcher Vorgänge enorme Schwierigkeiten.
Da hofft man letztlich doch immer die wissenschaftlich betriebene Statistik sei
mit Erbsenzählen vergleichbar und erst das Blogthema Pharmakometrik, da
versagt die eigene Vorstellungskraft gänzlich oder willig.
Dank Ihr Beispiele ist mir klar, daß ich selbst bei einer entsprechenden Ausbildung für diese Tätigkeit nicht geeignet wäre – mich würden die “Ausreisser” magisch anziehen.
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Aber spaßeshalber darf man sich im Fall der Griechen ja mal vorstellen, wie die
armen ein Defizit beseitigen sollen, daß sich nicht berechnen läßt.
Minna, auch wenn das nicht das...
Minna, auch wenn das nicht das Thema ist, aber ich kann nur zustimmen, was die Freude an der Griechen (und anderer Leute) Kreativität betrifft. Defizite einfach irgendwohin zu buchen, bis hin zu Krankenhäusern, um sie nicht mehr berücksichtigen zu müssen, das begeistert mich.
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Interessieren würde mich der Zeitpunkt, an dem sie gemerkt haben, dass sowieso niemand genauer nachprüft. Oder der Moment, an dem sie die Kontrolle über ihre Buchungen verloren haben. Allerdings ist das weniger eine statistische Frage, eher eine historische oder soziologische.
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Und noch schöner: ob die Griechen Insolvenz anmelden, oder die Iren oder wir oder alle: es wird uns auch danach noch geben.
ilnonno, ja find ich auch...
ilnonno, ja find ich auch bewundernswert und nachher sind wir alle im Plus. Man träumt doch gerne.
Hi ilnonno.,
wuerde vermuten,...
Hi ilnonno.,
wuerde vermuten, sie haben die Chancen, die in der EG-Mitgliedschaft stecken, sofort erkannt – und genutzt. Toericht waeren sie in meinen Augen gewesen, wenn sie es nicht gemacht haetten; solche Chancen bieten sich nicht alle Tage.
Dass man das Defizit nicht ermitteln kann, glaube ich nicht. Warum soll eine Institution wie Eurostat, die Aus- und Einfuhr jedes Stecknadelkopfes erfasst, nicht in der Lage, die dortigen Staatseinnahmen und – ausgaben zu ermitteln; wuerde selber mit den Personalkosten anfangen.
MfG
G.S.
minna, ich glaube schon, daß...
minna, ich glaube schon, daß Personen, die Bewertungsspielräume ausnutzen, bewußt ist, wann sie nicht mehr im Sinne des Erfinders handeln und von grau zu schwarz wechseln. Das dürfte auch für die Griechen gelten.
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ilnonno, daran kann man natürlich Freude haben, aber in einem Solidarverband wie der EU finde ich es eigentlich unanständig. Aber doch, Kreativität ist was großartiges. Ich habe mich tagelang gefreut als ich vor einiger Zeit in einem Hochinflationsland eine Regel entdeckte, die den Unternehmen jährlich eine Aufwertung ihrer Immobilin in proportionaler Größe erlaubte.
G. Schoenbauer, man kann sich...
G. Schoenbauer, man kann sich schon über Konventionen streiten: was angemessen ist und was nicht als nationaler Spielraum. Ich finde es nicht völlig unglaubwürdig, was Eurostat sagt: man kann das schon nachprüfen – aber es braucht unendlich mehr Zeit, wenn man die Datenbasis erst kontrollieren muß. Wie im Fall der Griechen.
Werter G. Schoenbauer, ich...
Werter G. Schoenbauer, ich hätte einen Vorschlag zu machen:
Die deutschen Personalkostensparer sollten sich mit denen von der Zunft
“Deutschland stirbt aus” mal an einen Tisch setzen.
Sophia, mir will scheinen bei den Statistikern geht es nicht nur hoch her, sondern
auch richtig spannend und Personal intensiv ( Datenkontrolle).
Ob man die EU als Solidargemeinschaft sieht oder für einen Zweckverband hält,
unterliegt womöglich auch den nationalen Eigenheiten.
Der Statistikteil von...
Der Statistikteil von Arzneimittelstudien ist eine recht zuverlässige Sache. Zunächst wird im Prüfplan vor Beginn der Studie genau festgelegt, welche Parameter wie erfaßt und mit welchen Methoden sie später ausgewertet werden Der Studienbericht nach Auswertung legt die relevanten Daten komplett offen, so daß jeder Experte die Ergebnisse nachprüfen kann. Die forschenden Arzneimittelhersteller (die Konkurrenten) haben solche Experten, die Zulassungsbehörden und die akademischen Institute. Die finden eventuelle Qualitätsmängel ziemlich sicher. Die statistische Signifkanz von Beobachtungen liegt dann zweifelsfrei fest. Diskutiert wird dann über schwer quantifizierbare Aspekte wie die Nutzen-Risiko-Abwägung sowie eventuell über erkennbare Trends (beispielsweise in einer für die Signifikanz zu kleinen Untergruppe der Studienteilnehmer), die eventuell das Design weiterer Studien beeinflussen. Im Vergleich zur Wirtschaftswissenschaft hat die Pharmazeutik den Vorteil, daß letztlich nur das Experiment zählt und nicht Modelle, die allenfalls Hinweise für die Gestaltung der Experimente geben.
minna, ich bin ja das Naivchen...
minna, ich bin ja das Naivchen vom Dienst und finde: jede Gemeinschaft sollte solidarisch sein. Man darf ja noch träumen.
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Marvin, ich glaube sofort, daß das statistisch solide gemacht wird. Aber der blinde Glaube an Statistik ist manchmal beängstigend. Es gibt einen Unterschied zwischen statistischer Signifikanz und realer Signifikanz. Einen sehr großen sogar.
Werte Sophia, Sie haben einige...
Werte Sophia, Sie haben einige Fragen aufgeworfen mit denen sich die
Statistiker herumplagen, ich will sie nicht ausführen, eine Antwort wäre
in meinem Fall Perlen vor die Säue geworfen.
Mein Liebling ist die Bevölkerungsstatistik – die kommt so schön einfach daher.
Trotzdem bereitet sie mir Schluckbeschwerden, die ich nicht recht benennen
kann. Eine Überzeugung habe ich aber gewonnen – Prozentrechnen das können
sie.
Meine Frage: Ist dieses Prozente von Prozenten, von Prozenten der Präsentation
fürs Publikum geschuldet, oder ein wesentlicher Bestandteil statistischen Denkens.
Liebe minna, ich bin in diesem...
Liebe minna, ich bin in diesem Forum bisher noch keinen Säuen begegnet. Davon abgesehen: ich bin ja kein Statistiker, aber Prozente sind schon wichtig. Das Konzept ist so charmant, weil es von Einheiten, Maßzahlen und konkreten Größen abstrahiert, übertragbar und vergleichbar ist. Änderungsraten sind einfach interessanter und aussagekräftiger als absolute Größen.
Liebe Sophia,
recht haben Sie,...
Liebe Sophia,
recht haben Sie, wenn Sie den sehr großen Unterschied statistisch vs. real betonen. Aber:
Sie dürfen den Statistikern schon trauen – sie kennen den Unterschied zwischen statistischer Signifikanz und realer Relevanz (das ist der korrekte terminus technicus) sehr wohl. Ein Arzneimittel gegen Bluthochdruck kann in einem wohldefinierten (!) Patientenkollektiv von Hypertonikern den mittleren Blutdruck um 2 mmHg signifikant senken. Signifikant bedeutet hier, dass dieses Ergebnis mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zufallsbedingt ist. Relevant ist eine so geringe Senkung des mittleren Blutdrucks allerdings nicht – einem Arzneimittel mit einer derart geringen Wirksamkeit würde seitens der Behörden die Zulassung versagt.
Um die “Logik der Signifikanz im Lichte der Relevanz” zu verstehen, bedarf es einer einsemestrischen Grundvorlelung über Statistische Modellierung. Und um die wiederum zu verstehen, bedarf es mathematischer Kenntnisse, über die
“Otto Normaldenker” nicht verfügt. Kann es sein, dass Ihr Beängstigsein in diesem Defizit begründet ist? Ich nehme mal an, Sie genießen ein Flugreise,
weil Sie der Flugzeugtechnik, der Erfahrung des Piloten und dem Organisationstalent der Fluglotsen blind vertrauen, ohne zu verstehen, was alles in Ihrem sicheren Flug van A nach B steckt. Oder sind Sie da auch beängstigt? Dann wird es schwierig, Sie von Ihren Ängsten zu befreien.
Lieber woodworm46, es ist sehr...
Lieber woodworm46, es ist sehr tröstlich zu hören, daß Statistiker in der Pharmakometrie diese grundlegende Unterscheidung verinnerlicht haben. In anderen Disziplinen ist das mitnichten immer der Fall – und spätestens bei jenen Lesern, die mit Halbwissen die Ergebnisse lesen und weiterverarbeiten, verschwimmen die Grenzen. Da glauben dann wissenschaftliche Referenten, daß ein Koeffizient in einer Schätzung zu vernachlässigen ist, nur weil die Sternchen fehlen, auch wenn es sich einfach nur um einen Datensatz mit hohem Grundrauschen handelt.
In der pharmazeutischen...
In der pharmazeutischen Forschung geht das Relevanzdenken sogar noch weiter. Selbst eine deutliche Verbesserung von Parametern führt nicht unbedingt zur Zulassung, wenn nicht gleichzeitig ein signifikanter und relevanter Vorteil für die Patienten (gegenüber der Vergleichsgruppe) nachgewiesen wurde (längeres Überleben, weniger Events wie Schlaganfall und Herzinfarkt, höhere Lebensqualität…).
Liebe Sophia,
sogar der Umgang...
Liebe Sophia,
sogar der Umgang mit Risiken bei LeserInnen mit Vollwissen ist ein Phänomen.
Der “Schaden des Tabaks” ist Grundwissen, die Risiken der Pille für Frauen ist eine längliche Liste im Beipackzettel, und das Risiko, eine höchst gefährliche Thombose zu bekommen ist bei rauchenden Pilleneinnehmerinnen um ein Vielfaches erhöht gegenüber nicht rauchenden Pilleneinnehmerinnen. Trotzdem gehen Frauen diese Risiken ein (die für Sie äußerst beängstigend sein müssen), weil sie – ganz ohne Statistikkenntnisse – das Risiko zu erkranken “wegdenken”. Der kurzfristige Effekt des Rauchens und/oder der Pille ist eben wichtiger als ein Krankheitsereignis in nebulöser Zukunft. Und das wiederum beängstigt die Statistiker, die sich vorkommen wie der nicht gehörte Rufer in der Wüste.
mapar, das ist ja auch gut so...
mapar, das ist ja auch gut so – bedenkt man, wieviel teurer neue Präparate häufig sind und daß es um Menschenleben geht.
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woodworm46, der menschliche Verstand eignet sich nicht für das Denken in marginalen Größen und konditionalen Wahrscheinlichkeiten – siehe Taleb. Normale Frauen sind keine Leser mit Vollwissen, sondern umgekehrt gilt: Statistiker haben sich eine schwer zu erlernende Denke mühsam antrainiert. Meine ich.
" ...sondern umgekehrt gilt:...
” …sondern umgekehrt gilt: Statistiker haben sich eine schwer zu erlernde Denke
mühsam antrainiert.”
Werte Sophia, danke für diese Feststellung. Die Hoffnung das eigene schwer
Erlernte zum Maßstab zu erheben, treibt so viele, je schwieriger es fiel.
Dann müßte es N.N. Taleb...
Dann müßte es N.N. Taleb (entgegen seiner Darstellung) aber außerordentlich schwer gefallen sein.
Sorry, war wohl zu knapp.
Wem...
Sorry, war wohl zu knapp.
Wem es leicht fällt, wundert sich eher und kann sich Fragen stellen, die den
Erkenntnisgewinn für sein Fach befördern und neue Maßstäbe setzen.
Im anderen Fall bleibt m.E. der Erkenntnisgewinn auf der Strecke .
Zweite Möglichkeit: ich habe Sie falsch verstanden.
Dritte Möglichkeit: ich hatte...
Dritte Möglichkeit: ich hatte Sie falsch verstanden. Ich meinte, verstanden zu haben, daß jene, die ihr Wissen besonders vor sich hertragen, möglicherweise besonders hart darum kämpfen mußten. Daher der Bezug zu Taleb.
Und natürlich: wer Mühe hat, eine Ableitung zu bestimmen, wird kaum jemals den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erringen… . Da ist es gut, daß es geborene Genies gibt, für den Fortschritt.
@Sophia
"Und natürlich: wer...
@Sophia
“Und natürlich: wer Mühe hat, eine Ableitung zu bestimmen, wird kaum jemals den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erringen… . ”
Wer weiß. W. Heisenberg hat die Mathematik hinter seiner Matrizenmechanik eigenem Bekunden nach nicht verstanden. Quantenmechanik ist eine “sehr statistische” Angelegenheit. Den Nobelpreis hat er trotzdem bekommen. Aber ableiten, das konnte er bestimmt.
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Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass Sie sich den Wirtschaftswissenschaftlern vage feindlich gesinnt gegenüber sehen. Ist das so?
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Es wird heutzutage deshalb so oft gefordert, dass die Kinder mehr und bessere Mathematikkenntnisse erwerben, weil überall Mathematik drinsteckt. Auch, wenn man das gar nicht sieht. Statistiker sind auch Mathematiker und es gibt gute und weniger gute in jeder Wissenschaft. Insgesamt aber zu wenige. Mathematik, auch die höhere, sollte in Zukunft genauso wichtig sein wie Lesen, Schreiben und die Erkenntnis, dass die Nazis Irre waren.
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Allerdings, wie hier schon erwähnt wurde, hat Statistik verschiedene Funktionen. In der Naturwissenschaft meist zur reinen Analyse und Darstellung der Ergebnisse eines Experimentes. In der VWL, in der man weniger experimentiert, zur Entwicklung eines Bildes eines Teiles unserer Gesellschaft. Sie würden sich vielleicht wundern, wenn Sie sehen könnten, wie hart die Statistik-Ausbildung für Studenten der Sozialwissenschaften ist. Aber alle Kunst nutzt nichts, wenn kein Material da ist.
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Wie sähe Michelangelos David aus, hätte es niemals einen so schönen, großen Marmorblock gegeben? Vermutlich gäbe es keinen David. Wie soll Eurostat bekannt geben, wie hoch das Periodendefizit der Griechen ist, wenn dafür keine Daten vorliegen? Als Deutsche können wir uns das vielleicht nicht vorstellen: in Griechenland haben Kommunen keine aussagekräftige Buchführung für ihre Ausgaben betrieben. Geld kam, Geld ging – mehr nicht. Jeder, der dafür den Elan besitzt, kann bei Eurostat nach Regionalstatistiken suchen und wird die Lücken zunächst beängstigend finden. Dann kommt Statistik ins Spiel und man erstellt z.B. Regressionsmodelle, um fehlende Werte zu schätzen. Mit denen rechnet man weiter. Ganz platt gesagt: 0,95*0,95=0,9025 – Unsicherheit vergrößert sich, Fehlerpotentiale schleppt man mit im Laufe der Rechnungen. Aber was ist die Alternative? Nichts tun? Will das jemand? Ich habe mich darüber schon mehrmals ausgelassen in diesem Forum. Das ist kein Fischen nach Mitleid, sondern Werben um Akzeptanz.
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Außerdem ist Statistik gar nicht so schwer. Man darf nur nicht an einen Lehrer geraten, der einem zu Beginn ständig beweisen muss, wie falsch man mit seinen Intuitionen liegen kann. Das fördert Frust, aber nicht die Lernbereitschaft. Wenn man aber selbst ein wenig Statistik macht, kann man sich damit sehr schnell anfreunden.
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Mein Güte. So viel Text. Ich höre besser mal auf. Gute Nacht!
"...Werben um Akzeptanz." Das...
“…Werben um Akzeptanz.” Das halte ich aufgrund meiner Erfahrungen (Statistik)für sehr schwierig. Mein Eindruck: Es wird als Verengung der Möglichkeiten verstanden.
Und zum reinen Datenlieferanten mag man sich auch nicht reduzieren lassen.
D_Diel, meine Skepsis...
D_Diel, meine Skepsis gegenüber manchen Aspekten der Wirtschafts rührt aus meinem Studium und meiner Berufserfahrung – ehrlich erworben, könnte man sagen. Ich stimme Ihnen aber zu, daß Menschen mehr Mathematik verstehen sollten (dafür schreibe ich hier ja Woche für Woche) und daß man mit dem Rechnen muß, was man hat. Dabei aber die Grenzen dessen nicht vergessen, was man hat (siehe “Fehler mitschleppen”).
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minna, es ist ein ehrenhaftes Bemühen, das Werben um Akzeptanz, wenn auch nicht immer von Erfolg gekrönt.