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Anziehen mit Algorithmen

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Google Boutiques soll als persönlicher Einkaufsberater den modischen Geschmack des Kunden erlernen und zielsicher Kleidungsstücke aufspüren, die das Herz des Fashion Victims höher schlagen lassen. Ist Stil nur ein weiterer Algorithmus?

Google Boutiques soll als persönlicher Einkaufsberater den modischen Geschmack des Kunden erlernen und zielsicher Kleidungsstücke aufspüren, die das Herz des Fashion Victims höher schlagen lassen. Ist Stil nur ein weiterer Algorithmus?

Während auf dem Flachbildschirm meines Büros am Rednerpult des CDU-Parteitages eine Dame im Leoparden-Print und matter Dauerwelle über Präimplantationsdiagnostik spricht, flattert eine E-Mail in mein Postfach, deren modisches Anliegen noch dringender ist, als das Treiben in Karlsruhe: “Hilfe! Ich werde in 4 Wochen heiraten und habe noch kein Kleid, ABER eine Vorstellung davon wie es aussehen soll: am liebsten ein Frack mit Rüschen-Details, schwarz, mit halshohem Stehkragen eng oder etwas ausgestellt, mit Pump betonte Schultern aber eng anliegendem Unterarm. Ich habe Dir eine Skizze angehängt. Du weißt doch bestimmt, wo es so etwas gibt oder wer es mir schneidern kann. Ich war im Internet auf allen möglichen Seiten und finde nichts, was nur im Ansatz so aussieht.”

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Die normale Google-Suche hilft Einkaufswilligen bislang nur wenig weiter, wenn sie ein ganz bestimmtes Kleidungsstück vor Augen haben, dass sie online erwerben möchten. Trotz der zahllosen Angeboten im Netz kann das Shopping in E-Boutiquen genauso mühsam sein, wie sich in einer Innenstadt von Geschäft zu Geschäft zu hangeln: das was man sucht, gibt es nirgends. Denn viele Online-Shopping-Sites haben sich aus dem Prinzip des Versandkataloges heraus entwickelt und funktionieren noch in der Gemütlichkeit des gedruckten Angebots: man kann auf Websites, die Mode verkaufen, so lange stöbern und blättern, bis etwas Hübsches ins Auge springt. Das Sortiment ist lose kategorisiert und orientiert sich an Jahreszeiten und Massentrends.

In der Natur der Mode liegt, dass sie vor allem das Auge anspricht und die Beschreibung und Darstellung der Stoffe sich somit auf visuelle Abbildung konzentriert und mit wenig Text auskommt. Detaillierte Recherche über Suchbegriffe führt daher im Bereich der Mode zu wenig befriedigenden Ergebnissen. Doch eine differenzierte textliche Beschreibung von Kleidern würde die Problematik bei der Suche nur unzureichend lösen: modisches Vokabular ist eine Fachsprache, die auf Modeschulen erlernt werden kann. Dem normalen Konsumenten sind die vielen verschiedenen Bezeichnungen für Schnittformen, Farbabstufungen und Stofftypen selten geläufig. Webkataloge für Mode haben daher schon frühzeitig erkannt, dass neben dem Stöbern in Desigern und Produktkategorien die visuelle Suche eine große Rolle spielt. Einfachstes Beispiel ist die Suche über Farbfelder, die der Kunde anklicken kann und somit zum Beispiel auf der Übersichtsseite aller grüner Jacken gelangt, oder auf Produktebene selbst Vorschaubilder ähnlicher Artikel angezeigt bekommt. Auch die soziale Seite des Shoppings im Internet haben viele Online-Shops bereits integriert: angezeigt wird, welche anderen Produkte Käufer des roten Kleids außerdem kauften, welche Artikel die Berater des Unternehmens empfehlen oder aber welche Produkte die Bestseller der letzten Wochen waren. In besonderen großen Online-Shops basieren die Empfehlungen “Das könnte Ihnen auch gefallen” bereits auf dem Such- und Surfverhalten der Nutzer auf der Seite.

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Der neue Google-Dienst “Boutiques” trägt die Einkaufsbegleitung über die visuelle Suche und Orientierung an anderen Fashion-Victims nun noch ein Stück weiter. Google Boutiques soll für den Nutzer als sehr persönlicher Einkaufsberater funktionieren, der den Geschmack des Kunden erlernt und darauf basierend Empfehlungen präsentiert. Die Funktionsweise von Google Boutiques beruht auf einer visuellen Suchtechnologie die Ähnlichkeiten in Form, Farben und Muster von Kleidungsstücken erkennen kann. Dies wird ergänzt durch eine hohe Präzisierung der Beschreibung der angebotenen Artikel. Google Boutiques kennt über 500 Begriffe für Schnitte, Farbigkeiten und Muster von Kleidern. Zusätzlich werden die Kleidungsstücke in Stilrichtungen eingeordnet und mit passenden Ergänzungen gepaart. Denkt Boutiques also, die bestimmte Handtasche passt nicht zu dem Kleid, was der Nutzer zuvor betrachtet hat, wird diese Tasche in den Suchergebnissen nicht zu finden sein.

Wie jede andere Suchmaschine ist Google Boutiques jedoch nichts für Unwissende. Damit Google Boutiques seinen Dienst als Personal Shopper antreten kann, muss der Nutzer der Suchmaschine über die Beantwortung eines Fragenkataloges ein Fundament seiner modischer Vorlieben verraten. “Stylizer” nennt Google das Tool. Zunächst werden mehrere dutzend Fotografien von Outfits aus Katalogen oder aber Outfit-Schnapschüsse von Stilikonen und Schauspielerinnen auf dem roten Teppich zur Auswahl gestellt, zu denen Boutiques fragt: “Which is more your Style?” Playmate Kim Kardashian oder Modelmutter Heidi Klum? Keine von beiden? Auch das geht, denn Outfits, die weder mehr noch weniger gefallen, können auch gänzlich übersprungen werden. Zusätzlich dazu können Schnittformen und Farben ausgewählt werden, die man entweder liebt oder hasst. Die Auswertung der präferierten Stilrichtungen spuckt dem Nutzer dann seine modische Vorliebe aus den vordefinierten Optionen aus. Um die Suchergebnisse durch Angaben im “Stylizer” also für die Zukunft sinnvoll eingrenzen zu können, sollte man wissen, was man tatsächlich mag, worin man sich wohlfühlt und über welche Kleider eine Verkäuferin jubeln würde: “Das steht Ihnen ganz ausgezeichnet!”

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Zwar befördert Google Boutiques durch das ihm zum Grunde liegenden Gerüst den Mainstream der Mode und gibt vor die Kunst des eigenen Stils durch Algorithmen in eine Wissenschaft zu überführen, doch räumte das Unternehmen dem Gegenstrom der breiten Trends gleich zu Launch einen prominenten Platz ein. Neben den Kategorien “Celebrity” und “Designer” ist die dritte Kategorie für von Nutzern angelegte Boutiquen “Blogger”. Die Individualisten der Trendsetter wurden von Google mit ins Boot geholt, so dass ihre Leser nicht nur Modetipps aus ihren Blogposts, sondern nun bei Google Boutiques außerdem sehen können, was die Suchmaschine als Stil dieser Blogger interpretiert. Selbstverständlich verwässert der Stil der Blogger auf diese Weise, regt aber die Nutzer auch an, vom simplen Copy-Cat-Verhalten zu einer breiteren Interpretation eines individuellen Kleidungsstils zu gelangen.

Die Entwicklung des Online-Shoppings wird in Zukunft kleinere Geschäfte immer mehr in Bedrängnis bringen. Ich tätige bereit etwa 80 Prozent meines modischen Neuerwerbs über das Internet, denn die Effizienz des Online-Shoppings ist schlicht unschlagbar. Weit nach Ladenschluss kann man aus tausenden von Kleidern, Schuhen und Schals wählen und durch präzise Suchanfragen die Auswahl auf eine verzückende Zusammenstellung von dem eingrenzen, was ich tatsächlich suche. Über Landesgrenzen hinweg kann man bei kleinen, unbekannten Designern einkaufen und Einzelstücke erwerben. Hinzukommt, dass die Preise in E-Shops die Ladenpreise häufig ausstechen und die Rabatte der Sale-Angebote großzügiger bemessen sind. Google Boutiques ist jedoch nur ein kleiner Ausschnitt der Möglichkeiten, die das Netz für Online-Shopper bereit hält und enthält vielfache Schwachstellen, wie zum Beispiel kleine Designer nicht zu kennen und auf den Namen keinen ähnlichen Designer matchen zu können.

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Was die Online-Angebote für Mode aber neben vielen Vorteilen und bestehende Serviceleistungen nicht leisten können, ist das Wissen was es über Mode braucht, um etwas bestellen, was sogleich zum Lieblingsstück wird und nicht zurückgeschickzt werden muss. Mit einem großen modisches Wissen, dass sich aus Erfahrung speist, ist Online-Shoppen so sicher wie der Kauf in einem Geschäft. Denn kennt man Stoffe, die man in einer stark vergrößerten Zoomansicht unschwer erkennen und somit fühlen kann, sieht man in einem Laufsteg-Video des Produktes, wie es sich in Bewegung verhält, kennt man die unterschiedlichen Ausprägungen von Konfektionsgrößen bei bestimmten Designern, wird die Bestellung nicht enttäuschen. So ein Wissen kann man auch als normaler Konsument, der nicht in der Modebranche tätig ist, im Vorbeigehen erwerben, so wie man Hunderassen, Bundesligaprofis und DDR-Romane zu Kenntnis nimmt und zum Abruf bereit abspeichert.

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Doch dieses Wissen ist immer noch komplexer gestaltet, als Suchmaschinen es erfassen können. Denn selbst eine visuelle Suche kann die bestehenden Algorithmen nicht zu einem gewachsenen Verständnis eines Sachgebietes erweitern, und wird für meine Freundin, die einen gerüschten Frack für Frauen sucht, oder mir, der nicht einfällt, welcher Rasse der große graue Hund mit dem treuen Blick angehört, nur wenig weiterhelfen. Mit Google Boutiques hat das Unternehmen ein nettes Spielzeug geschaffen, das für Fashion-Victims auf der Suche nach sehr speziellen Stücken nur Langeweile bereit hält: denn die Weiterentwicklung von Stil und das Wissen darüber und Gefühl dafür, was zueinander passt in die Hände einer Suchmaschine zu legen, verdreht das Kernelement der Mode ins Gegenteil. Regeln zu brechen, ist das erste Gesetz für Erfolge in der Haute Couture. Algorithmen sind auf diesem Laufsteg schlicht out.


14 Lesermeinungen

  1. p.s. der dame haben wir...
    p.s. der dame haben wir natürlich in kürze ein hochzeitskleid nach wunsch finden können. nicht über google boutiques, sondern durch kurzes nachdenken, wer so etwas denn schneidern würde.

  2. muscat sagt:

    Meinten Sie vielleicht einen...
    Meinten Sie vielleicht einen Weimaraner?
    https://de.wikipedia.org/wiki/Weimaraner
    .
    Schön, wenn mal jemand darüber spricht, was Google alles NICHT kann.

  3. Vroni sagt:

    Was interessieren mich...
    Was interessieren mich Rüschen? :-)
    “… denn die Weiterentwicklung von Stil und das Wissen darüber und Gefühl dafür, was zueinander passt in die Hände einer Suchmaschine zu legen, verdreht das Kernelement der Mode ins Gegenteil. Regeln zu brechen, ist das erste Gesetz für Erfolge in der Haute Couture. Algorithmen sind auf diesem Laufsteg schlicht out.”
    .
    Viel schlimmer – und das eigentlich Manko des Internets insgesamts – ist, das Innovationen kaum alleinigst über das Internet verkauft werden könne. Warum? gGanz einfach: Begriffe und Ideen, die man noch nicht kennt, gibt der Suchende auch nicht ins Suchfenster ein.
    .
    Konsequenz: Google, ach jegliche Suchmaschine, auch Wolfram Alpha, hat Grenzen. Innovationen, diese Wirtschafts- und Gesellschaftstreiber egal welcher Art, müssen anders an den Mann, an die Frau, an interessierte Firmen gebracht werden. Hilft kein so guter Algorithmus. Pech für die Online-Marketing-Gurus.

  4. muscat, genau, den weimaraner...
    muscat, genau, den weimaraner meinte ich. immerhin gibt hendrik m. broder sich nun jeden sonntagabend in der ard größte mühe, den foxterrier als neuen trendhund zu etablieren.

  5. Neu hier sagt:

    Verehrte Freifrau von...
    Verehrte Freifrau von Ávila,
    der Dresscode der Arbeitsministerin findet sich in der Süddeutschen 20.11.10, Seite V2/1.

  6. Asper sagt:

    Ein sehr schöner Beitrag,...
    Ein sehr schöner Beitrag, vielen Dank.
    Darf man fragen, um was für ein Buch es sich in Bild eins und vier handelt? Ein deutsch-englisches Modewörterbuch?
    (Und sind das etwa alle Kragenarten? Das wäre doch etwas unvollständig…)

  7. colorcraze sagt:

    Danke für den Artikel, das...
    Danke für den Artikel, das war jetzt mal interessant, Google Boutiques kannte ich noch nicht, das scheint ein Ansatz zu sein, der zumindest nicht ganz so quälend ist wie das Katalogeblättern. Aber ansonsten stimme ich Vroni zu: woher erfährt man DAS NEUE? Und zwar das Neue, das einen auch interessiert, und nicht der Babbelsenf, dens sonst noch gibt? Dasselbe Problem habe ich mit Amazon und Artverwandtem: wenn ich einigermaßen weiß, welches Buch ich suche – prima Sache. Aber wehe, ich will einfach ein bißchen stöbern und gucken, was es denn so gibt, und mich anregen lassen. Gruselig, zum Davonlaufen. Da wird dann mein Auge leicht feucht, wenn ich an die Bücherhöhlen denke, die es vor 20 Jahren noch gab. – Nein, Kleider kaufe ich nach wie vor ausschließlich im Laden. Ich will es befühlen vorher, denn ich gehe sehr stark nach dem Material.

  8. @Asper Das Büchlein ist von...
    @Asper Das Büchlein ist von Reclam: Wörterbuch der Mode: Deutsch – Englisch – Französisch

  9. tiberiat sagt:

    Den Spruch "wo lassen Sie...
    Den Spruch “wo lassen Sie denken” hielt ich immer für nett,
    mit zunehmender Vergoogleung aber mehr und mehr bedrohlich.
    .
    Was Frau und Mode betrifft bin ich zuversichtlich, das versteht ein Computer nie;
    und wenn, dann haben wir eine neue Kreatur; eine, die über den Mann hinausreicht.

  10. Inge sagt:

    was versteht denn ein...
    was versteht denn ein Computer? der ist ja Lichtjahre hinter realen Erkenntnissen und bis die alle eingespeist sind … erleben Sies lieber in Jetztzeit

  11. tiberiat sagt:

    @ Inge
    je suis...

    @ Inge
    je suis d’accord!
    Überhaupt die einzige Möglichkeit zu erleben; nicht gestern, nicht morgen.
    Chapeau.

  12. "Ich tätige bereit etwa 80...
    “Ich tätige bereit etwa 80 Prozent meines modischen Neuerwerbs über das Internet” – wie das?
    Als Mann hat man den Herrenausstatter, die Amazonwühltische, und es gibt noch paar Designer-outlets und Webshops für “Outdoor”, oder für bedruckte/prollige Saisonbekleidung in Türsteher- oder Schläger-Design. Aber sonst? Da hat Google bisher nicht viel ausgespuckt.

  13. @Herrenabteilung Die...
    @Herrenabteilung Die Möglichkeiten sind recht zahllos, auch für die Herren. In Deutschland ist das ein wenig eingeschränkter, Sie können aber problemlos in Onlineshops aus dem europäischen oder us-amerikanischen Raum bestellen. Die brauchen auch nicht viel länger, als die deutsche Post.

  14. Ich habe schon Tage damit...
    Ich habe schon Tage damit zubracht, mir hunderte! von gleichförmig scheußlichen Winterjacken oder Hosen im Netz anzusehen, und landete immer wieder bei oben beschriebenen Geschäften. Aber der Tip mit dem Ausland klingt vielversprechend. Gibt es denn nicht auch eine Art portal dafür? Das Google-Angebot richtet sich ja auch (zunächst?) an die Damenwelt. Und betrachtet man die Dimensionierungen einer durchschnittlichen Herren-, bzw. Damenabteilung in einem durchschnittlichen “echten” Bekleidungs-Geschäft, wundert einen das auch nicht. Manche der Herren nehmen ja selbst dorthin noch ihre Angetraute, oder Mutti, mit, um sich bezüglich des dortigen schmalen Angebots modisch “beraten” zu lassen. So empfindet man dann auch wenig Freude beim Einkauf, mit einem solchen Drumherum. Und die teuren Designerläden sind oft auch nur das, teuer, aber kaum geschmackvoller. Von Jack-Wolfskin-Jacken bekomme ich inzwischen Aggressionen, wenn ich ihre massenweisen Träger überall erblicke. Und das nicht mal nur wegen der bekannten Tatzen-Logo-Affäre, es ist diese achtlos in Kauf genommene Hässlichkeit und Uniformität, die mich dabei so verstört. Allein deshalb lieber online.

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