Besinnlich hetzen wir durch die Stadt, keine Zeit für Glühwein, es gilt Geschenke zu kaufen. Dabei verschleudern wir aus volkswirtschaftlicher Sicht, eines, nein etliche Vermögen. Oder?
Ich wäre im Moment bereit, Massen vorweihnachtlichen Schnees gegen etwas Glühwein-und-Kerzen-Romantik zu tauschen. Von ersterem gibt es in der Schweiz reichlich – Nikolaus ist bereits vorbei und ich habe immer noch keinen Glühwein getrunken,mir nicht die Füße auf dem Weihnachtsmarkt einfrieren lassen und keine Lebkuchen gegessen. Wenn ich von der Arbeit komme, ist die Hälfte der Stände nämlich bereits geschlossen, leider.
Vorweihnachtsstimmung beschränkt sich auf die heimischen Dekorationsartikel und zunehmend die sorgenvollen Überlegungen von Freunden und Kollegen, wann und was an Geschenken für die Familie noch zu besorgen ist. Ich habe das bereits erledigt und als gute Staatsbürgerin den deutschen Einzelhandel unterstützt – der bislang mit der Geschäftsentwicklung sehr zufrieden scheint. Unterhaltungselektronik steht alle Jahre wieder ganz oben auf der Gewinnerliste. Nach Erwartung der Einzelhändler soll es in diesem Jahr immerhin besser als im Vorjahr laufen und insgesamt werden Umsätze von 76 Mrd. Euro erwartet. Damit könnte man die ein oder andere Bank retten, oder auch ein paar hungernde Kinder in Afrika, aber wir wollen ja jetzt die schöne Stimmung nicht kaputtmachen.
Kaufen wir also ein. Was? Schwierige Frage, vor allem bei entfernteren Bekannten und vor allem wenn man ein Mann ist (habe ich mir sagen lassen). Auf Werbung kann man sich ja heute auch nicht mehr verlassen. Für Frauen kann man ja mit Parfums und Schmuck nicht so viel falsch machen, aber Krawatten und Socken für Männer gehen immer mit dem Ruch von Einfallslosigkeit und Langeweile einher. Bücher sind scheinbar ohnehin unmodern geworden (außer in der Kategorie Unterhaltungselektronik, als Kindle, oder so).
Und dann gibt es noch die Sorte Geschenke, die man bei nächster Gelegenheit weiterverschenkt. Kerzenständer in kubistischen Formen, wo man es doch gemütlich mag. Teevariationen mit Kandiszucker verschwinden rasch wieder aus dem Haushalt eines Kaffeetrinkers. Topflappen, und allerlei „witzige Kleinigkeiten”, bei denen beide Parteien eigentlich denken, sie hätten das Geld lieber sparen sollen oder zusammen dafür essen gehen, statt mit mißratenen Geschenken Konventionen zu erfüllen.
Und tatsächlich: das wäre besser gewesen, weiß der Ökonom. Schenken ist nämlich meistens ineffizient und dazu gibt es sogar Studien. Anfangs dachte ich, der Artikel im „American Economic Review” sei ein Scherz – wurde aber bei der Lektüre eines besseren belehrt.
Volkswirtschaftliche Theorie postuliert, daß im Normalfall jede Person ihre eigenen Präferenzen (vulgo Wünsche) am besten kennt und nur in Ausnahmefällen sehr schlechter Informationslage Dritte die Bedürfnisse anderer Personen besser einschätzen können als diese selbst. Dementsprechend kann jeder seine eigenen Wünsche am effizientesten befriedigen, während bei Geschenken die Wahrscheinlichkeit hoch ist, daß man danebenliegt. Als Ergebnis liegt die Wertschätzung des Beschenkten betreffend das Geschenk unter derjenigen des Geldwertes, das der Schenkende beim Erwerb ausgeben mußte. Hätte der Beschenkte den Geldwert in bar erhalten und gemäß seiner Präferenzen ausgegeben, sein Nutzen wäre höher gewesen.
Die Autoren beschränken sich nicht nur darauf, diesen Grundzusammenhang zu erläutern, sondern testen die Theorie in der Praxis. Die Autoren befragten knapp 150 Studenten der Universität Yale nach ihren letzten Weihnachtsgeschenken und wollten wissen:
Wieviel haben die erhaltenen Geschenke tatsächlich gekostet?
Wieviel wären Ihnen die Geschenke tatsächlich wert, in USD?
Von wem und was wurde geschenkt?
Erwartungsgemäß stellt sich heraus, daß im Durchschnitt tatsächlich eine Lücke zwischen dem tatsächlichen und dem subjektiven Wert klafft und zwar je nach Perspektive zwischen 60 und 120 USD bei einem Geschenkwert von etwa 500 USD. Dies entspricht einer rechnerischen Wohlfahrtsverlust von zwischen 10 und 16 % – entstanden aus der suboptimalen Auswahl der Geschenke. Die weitergehende Analyse zeigt außerdem, daß die Verlustquote bei entfernten Verwandten (Onkeln, Tanten, Großeltern) größer ist als bei Eltern, Geschwistern und engen Freunden. Weiterhin – der Mensch ist doch rational! – daß gerade die entfernten Verwandten mit größerer Wahrscheinlichkeit Bargeld schenken, so daß die Ineffizienz verschwindet. Obwohl Geldgeschenke ja oftmals als etwas lieblos gelten.
Weiterhin ist die Verschwendungsquote mit fast 25 % besonders hoch bei eher günstigen Geschenken bis 50 USD, und sinkt mit steigendem Wert der Geschenke auf etwa 10 %. Ganz klar, hier schlagen die Nebeneffekte übereilter Einkäufe aus Schuldgefühl und Verpflichtung zu Buche, während bei teureren Geschenken mehr Sorgfalt waltet.
Zugegebenermaßen kann man die Validität der Ergebnisse anzweifeln. 150 Observationen sind nicht viel und Bachelor-Studenten in Yale nicht gerade repräsentativ (zumal 40 von ihnen familiäre Jahreseinkommen von fast 150.000 USD angaben). Dennoch zeigen die Daten, daß der Wohlfahrtsverlust in anderen Einkommensklassen innerhalb der Studentengruppe ähnlich hoch sind. Überträgt man die Ergebnisse auf Deutschland, stehen wir also im Begriff , von 73 Mrd. Euro der Weihnachtshausse 7 Mrd. völlig sinnlos zu verschleudern. Für Kerzenständer, Duftmischungen , handgeschnitzte Holzfiguren und Socken und Krawatten, die der Beschenkte eigentlich gar nicht haben möchte.
Die Studie krankt natürlich an einem der Grundprobleme der Volkswirtschaft: der rationale Mensch hat nach Adam Smith eine Nutzenfunktion, die ausschließlich das egoistische Eigeninteresse berücksichtigt. Andere Werte, wie Altruismus, Loyalität und gesellschaftliche Verantwortung lassen sich in Nutzenfunktionen nicht systematisch berücksichtigen, weil sie allzu individuell sind. Selbiges gilt für die Freude am Schenken und Beschenktwerden. An Gefühle läßt sich nun einmal kein monetäres Preisschild hängen, ebensowenig wie an die irrationalen menschlichen Beweggründe. Gute Geschenke haben oft die Eigenschaft, daß sie nicht unbedingt notwendig sind und man sie daher nie selbst kaufen würde – sie aber dennoch Freude machen, gerade weil sie ein Luxus sind, den man sich selbst nicht leisten würde. Auch dies eine typische Nutzenkomponente, die sich der Messung entzieht.
Erfreulicherweise gibt es auch zu dieser Sichtweise passende Studien, die eine völlig andere Interpretation vorschlagen. Geschenke – und zwar gerade nicht- monetäre Geschenke – sind ein Signal der Zuneigung und sollen demonstrieren, wie gut man den Beschenkten kennt und wieviele Gedanken man sich gemacht hat. Experimente im Auktions-Design zeigen zum Beispiel, daß die Geschenke von den glücklichen Empfängern zu 120-130 % über ihrem monetären Wert geschätzt werden – wegen der emotionalen Komponente.
Was lernen wir also daraus, wenn man den eigenen Kopf und gesunden Menschenverstand zu den wissenschaftlichen Studien hinzubemüht? Geschenke aus Verlegenheit, Verpflichtungsgefühlen oder gesellschaftlicher Konvention, die lieblos und in Eile gekauft werden, sind vermutlich tatsächlich Geldverschwendung – letzten Endes läßt sich von Kerzenständern ohnehin niemand täuschen über den Grad der gegenseitigen Zuneigung. Die gesparte Zeit sollte man dann in Geschenke investieren, die mit Liebe und Nachdenklichkeit ausgesucht werden.
Würden wir es alle so halten, es gäbe eine doppelte soziale Dividende: erstens wäre man die üblen Höflichkeitsgeschenke los, weniger Wohlfahrtsverlust, und man spart sich die Strategien zum Weiterverschenken. Zweitens würden wir in den ernst gemeinten Geschenken vielleicht tatsächlich öfter die Wünsche des anderen treffen, oder sogar übertreffen – und damit die Wohlfahrt über den monetären Wert hinaus steigern. Das wären dann mal effiziente Weihnachten.