“Doch was für den einen die Diskretion des Glücks bedeutet, kann für den anderen verletzend sein. Ein Nicht-Bekenntnis zur besseren Hälfte im Netz kann als Nicht-Bekenntnis zur Beziehung im Alltag gewertet werden; eine Aufwertung des Beziehungs- status von “in a relationship” zu “married” mag den anderen bedrängen; und was passiert eigentlich, wenn man sich ganz oder vorübergehend trennt?
Ersetzt heutzutage die Löschung des Ex per Mausklick das Hinwegkommen über eine Trennung in Rekordzeit?”
(Liebe ist für alle da, 03/2010)
Die Politik versteht die Vereinfachung von Sachverhalten auf sinnentleerte Metaphern als bürgernah, Eltern und Erzieher verstehen naive Aufklärung als pädagogisch, Liebende und Entliebte auf dem Sprung begreifen die auf die Essenz gekürzte Gefühlsaussage als das Beste für ihr Gegenüber, den simplen Satz als die kleinste Verletzung.
Wenn die Verbraucherschutzministerin eigentlich die Bürgerinnen und Bürger für den Umgang mit den eigenen Daten sensilibisieren müsste (und auf ihre Vorbehalte gegenüber der Vorratsdatenspeicherung hören sollte), verkauft sie ihnen anstatt dessen das Bild vom “digitalen Radiergummi”, das fälschlicherweise suggeriert, die Spuren des Lebens im Netz seien ausradierbar wie eine Bleistiftzeichnung auf einem blanken Blatt Papier. Eltern und Aufklärungsunterricht erklären die Enstehung einer Schwangerschaft mit der romantischen Verklärung, zwei Menschen könnten ein Kind miteinander zeugen, wenn sie sich einander sehr lieb hätten. “Ich liebe dich nicht mehr” oder “es gibt einen anderen Mann” sind die Kurzformeln für das Ende einer Beziehung, auch wenn die Wahrheit immer komplexer ist.
Für die Erkenntnis, dass ein “digitales Radiergummi” für Bilddateien im Netz kein Vergessen bewirken kann, braucht es kein tiefer greifendes technisches Verständnis. Unser Hirn speichert und speichert: nicht nur Bilder, Gesagtes, Geschriebenes, sondern ebenso Emotionen, Sinneswahrnehmungen – und all dies engmaschig vernetzt. Dass immer wieder Menschen sich entscheiden unter psychologischer Anleitung am Vergessen zu arbeiten, erinnert uns daran, dass selbst diese Form des Vergessens nur eine Konstruktion ist; dass vergessen, verdrängen, aus den Augen und dem Sinn verlieren Training, Anstrengung und Zeit bedeutet. Diese Arbeit wiegt schwerer als die Krümel eines Radiergummis und der Druck auf den Löschknopf.
Wenn nun im weiteren Diskurs gefordert wird, das Internet müsse vergessen lernen, zielt diese Erwartungshaltung auf technische Lösungen, die sich von dem Vergessen in unseren Köpfen maßgeblich unterscheiden müssten. Die Dynamik des Netzes jedoch ist der Funktion unseres Hirns sehr nah und zudem untrennbar mit unzähligen Menschen, die denken, Dinge weiterdenken und erinnern, verknüpft. Aus diesem Grund müssen wir uns von dem Gedanken, Daten seien unwiederbringlich löschbar, verabschieden.
Doch der Traum vom digitalen Tintenkiller spricht die Utopie an, die unsere Mütter am Kaffeetisch in die Serviette seufzen: “Wenn ich nur ein Mal die Zeit zurückdrehen könnte, dann”. Dinge ungeschehen machen, das Radiergummi so heftig über das Blatt reiben, so dass es gerade noch ohne Löcher bleibt, aber alles Gesagte, Gedachte, an den Kopf geworfenen und die Kerben im Herzen verblassen – es bleibt ein unerfüllter Wunsch.
Die Schlammschlacht einer Trennung erspart sich der Großstädter heute, in dem er wie ein Mantra wiederholt “Ich bin überzeugter Single”, und im Rhythmus dieses Refrains sich die schulterschmückenden Neurosen um den Hals wirft. Vor mir in der Schlange an der Theke des Cafés tauschten sich heute morgen zwei ebenfalls Koffeinsüchtige minutenlang über die eigenen Körperfettwerte aus – ein trauriges Zeugnis von dem, was auch bewegen kann, wenn der einzige Halt, dem man noch vertraut, der Griff um den heißen Pappbecher ist. Wenn das Vertrauen in den weißen, weichen Milchschaum größer ist als der kognitive Bund mit einem Menschen, den man ein Stück weit in die eigene unsichere Welt lassen müsste um das Leben mit ihm ein wenig zu teilen, muss man sich immerhin keine Sorgen mehr darum machen, was passiert, wenn man eine Liebesbeziehung nicht nur im Bett, sondern auch miteinander im Netz lebt.
Vielleicht ist die Angst vor dem Beziehungsende heute noch größer als die Angst davor, dass der erste Freund nun ein anderes Mädchen aus der 8. Klasse auf dem Schulhof küsste. Denn mehr als den 20 Meter entfernten Fakt des Kusses sah man damals noch nicht. Und wenn der Scheißkerl endlich vom Gymnasium auf die Realschule wechselte, war zumindest der meiste Schmerz vergessen. Nachdem sich der Schulhof nun aufgespalten in hat nicht nur die beiden liebsten Kaffeehäuser, das Stammrestaurant, die alternativlose Bar am Freitagabend, das gemeinsame Fitnessstudio, das gleiche Antidepressivum und denselben Frisör, teilt man sich nach ein paar Wochen Beziehung meist auch das Parkett einiger Spielräume im Internet: Twitter, Facebook, Xing, ein gemeinsames Blog in einer Zeitungscommunity, und das Foto des Boarder Collies, das man in einer digitalen Hundebörse fand.
Diesen imateriellen Besitz ohne weitere Verletzung zu entwirren, verlangt Fingerspitzengefühl bei der Gütertrennung. Die freundlich automatisierte Facebook-Meldung bei Umstellung des Beziehungsstatus “Christine is no longer listed as in a relationship” ist nur der spröde Anfang. “Sie bekommt Facebook, ich bekomme Twitter”, höre ich bisweilen aus dem Freundeskreis. Doch selbst eine so schwarz-weiß geschnittene Form des Scheidewegs muss nicht bedeuten, dass man von nun an den anderen meiden kann. Denn die meisten sozialen Netzwerke sind keine umzäunte Hüpfburg, von der man nicht auf den anderen Spielplatz blicken kann. Die Informationen geraten nach der Trennung oft zufällig über gemeinsame Kontakte als Mittler an den ehemaligen Partner. Zum anderen begreifen manche User das unter ihrem Namen oder seinem Pseudonym konstruierte Profil als so wichtigen Teil der eigenen Identität, dass eine Aufgabe dieses Pakets aus Daten und Statusupdates nicht in Frage kommt. Zwar löst man die gemeinsame Wohnung auf, im gleichen Netzwerk bleibt man Mitbewohner.
Das bewusste Meiden des anderen ist zudem die reife Variante der Trennung. Dass viele Menschen mit dem Netz ihren Alltag nun im Internet in aller Öffentlichkeit dokumentieren und ihr Bekanntenkreis sich an die vermeintlich wahrhaften Einblicke in die Leben der anderen gewöhnt, fordert bei einem Kontaktabbruch die Entwöhnung ein. Verfügen die sich trennenden Partner nicht über den starken Willen, die digitale Dokumentation des anderen auszublenden, entwickelt sich manchmal sogar im Anschluss an ein Beziehungsende ein Kontrollwahn gegenüber der ehemaligen Liebe. Über die Beobachtung und Interpretation, was nun vom Ex ins Netz getippt wird, puzzelt der zwanghafte Stalker sich ein Bild über die Gefühle und das Fortleben des verlassenen Partners. Auf diese Weise bleibt man gefangen im Unglück der Beziehung – ganz allein, umgeben vom Elend subjektiv verzerrter digitaler Fetzen.
Diese Form des Klammerns kann die andere Person ebenfalls im Verarbeitungsprozess der Trennung stören, sei es nun, dass der ehemalige Partner die Netzexistenz tatsächlich manisch kontrolliert, oder die Person fest daran glaubt, ihre Updates würden vom Expartner gelesen. Eine Kommunikation, die gelöst ist von den mit der Beziehung verknüpften Gefühlen, ist in diesem Falle nicht möglich. Eine rücksichtsvolle Person wird auf Aussagen in Status-Updates, Tweet und Blogpostings verzichten, die den Lesenden verletzten könnten. Oder aber sie schränkt ihre Kommunikation in der Hinsicht ein, dem ehemaligen Lebenspartner zumindest keinen Anlass zu geben, eine erneute Aussprache zu suchen. Das Netz kann auf der weniger empathischen Seite jedoch auch genutzt werden, um dem Verlassenen über die Trennung hinaus weitere Verletzungen zuzufügen, um Wunden offen zu halten und zu demütigen.
Ein “emotionaler Radiergummi” für den digitalen Raum muss her, denkt man bei so vielen hässlichen Fallstricken im Web, die die realen Tränen einer Trennung vervielfachen.
Und schon ist man wieder bei Ratschlägen oder einer Etiquette für die Liebe im Netz, einer Regulierung für das bißchen Gefühl, das durch die Datenbahnen schwappt. “Verliebe dich niemals in einen Mann der twittert.” – “Meide das Netzwerk, in dem deine Freundin aktiv ist.” – “Ein Nerd hat eh keine romantischen Gefühle.” – “Wahre Liebesbriefe gibt es nur auf Papier.” – “Lösch all seine E-Mails, verbrenn all seine Fotos, kapp das digitale Band – zur Not auch mit diesem Radiergummi da.”
Dabei gehorcht das Löschen der Liebe dem Konzept, dessen Anwendung ebenfalls für den Umgang mit den Daten und Dateien geboten ist, bevor ein “digitales Radiergummi” sie mit einem Hieb der Technik ins Jenseits befördern könnte. Der emotionale Radierer heißt “loslassen, vergeben und verzeihen”.
Verständnis, Geduld und menschliche Größe sind Formen der Technik, die es in jedem Jahr neu zu entdecken lohnt.
Ob die Liebe durch das...
Ob die Liebe durch das Internet an Komplexität gewinnt? Vielleicht dann doch eher durch den steten Wandel der gesamten Welt, die Anforderungen des Berufslebens oder eben dem Elend der “Generation Praktikum”, die lange keine fordernde Beschäftigung findet, die sich als Paar kein Nest bauen kann, weil die Löhne mies sind. Viele Kommunikationskanäle für die Liebe gab es schon immer. Sie sprechen ja die Schüler an. Als man noch keine SMS schicken konnte, gab es Zettelchen, die durch die Klasse wanderten. Die Gefahr, dass da jemand mitliest war schon auch recht groß, womit die “Privatheit” nicht erst mit dem Netz ein Thema geworden ist.
<p>Wahrscheinlich..Ich...
Wahrscheinlich..Ich übernehme dich
@Ellia Komplexität muss nicht...
@Ellia Komplexität muss nicht negativ konnotiert sein. Vielleicht lässt sich gerade in z.B. Fernbeziehungen über die Kommunikation übers Netz mehr Nähe herstellen. Die Frage ist, ob das natürliche Maß an Neugierde, Eifersucht und Voyeurismus, mit dem Menschen ausgestattet sind, durch soziale Netzwerke oder allgemein die Selbstdarstellung im Netz nicht noch zusätzlich getriggert wird. Ich habe im meinen beruflichen Umfeld viel mit älteren Menschen zu tun, von denen ich immer wieder mitbekomme, dass sie sich eine E-Mail-Adresse teilen. So wenig kompliziert und mit so viel Vertrauen scheint es auch noch zu gehen.
Es geht nichts über eine...
Es geht nichts über eine anssständige Amnesie, da weiß man doch was man hat. Oder?
Das gilt um so mehr, wenn es...
Das gilt um so mehr, wenn es eine Fernbeziehung war und ein grosser Teil des Austauschs auf diesem Weg stattfand. Hoffe, mir passiert das nie.
die welt wird nicht dadurch...
die welt wird nicht dadurch komplexer, dass dinge sichtbarer werden.
@mh Bei den Beziehungsdramen,...
@mh Bei den Beziehungsdramen, die ich kenne, die irgendetwas mit dem Internet ober mit dem Aufdecken einer Untreue durch das Internet zu tun hatten, habe ich das Gefühl, Beziehungen sind heute bisweilen mehr Gefährdungen ausgesetzt. Vielleicht kommt das Netz aber auch nur den Leuten in die Quere, die überfordert sind mit ihrem Doppelleben und dann schneller Fehler machen. Was freilich auch sein mag, ist, dass der Geist der Zeit sich in dieser Hinsicht generell wandelt, und es nun einmal schick ist den Partner öfter mal abzulegen und dies dann auch kund zu tun. Wird der Zensus eigentlich versuchen zu messen, wie viele Menschen in Beziehungen leben, und wie viele als Single?
@Vera Ich hätte mal gerne ein...
@Vera Ich hätte mal gerne ein paar Zahlen zu Jugendlichen. Ich habe als Teenager vorrangig telefoniert, ich denke da gibt es heute eine große Verschiebung in Richtung Text-Messages und Netz. Bei Fernbeziehungen hingegen fiele meine Wahl immer zuerst auf das Telefon, den Klang einer Stimme kann man nicht so schnell ersetzen. Diese Daten liegen dann ja nicht in der eigenen Löschhoheit.
@mh wir sprechen uns noch mal,...
@mh wir sprechen uns noch mal, wenn du einen partner hattest, der jeden kleinen satz, den du ins internet schreibst, auf die goldwaage legt und bis in den irrsinn hinein interpretiert. vielleicht ist das aber auch nicht komplex. sondern lediglich ein guter grund noch einmal genau darüber nachzudenken, was man mit dieser beziehung will.
ohne LIEBE GEHT NICHS...
ohne LIEBE GEHT NICHS MEHR
dann ist der Realismus TOT
Beim Internet ist nur die...
Beim Internet ist nur die Versuchung größer, weil unbeobachtet und ach so leicht zugänglich, das Internet ist da aber nicht wesentlich neu.
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“Blau” von Krzysztof Kieślowski liefert eine traurig schöne Darstellung einer solchen (postmortalen) Trennung aus analoger Zeit.
@Tessa Ich kann mal versuchen,...
@Tessa Ich kann mal versuchen, so etwas rauszukriegen, aber mir geht’s wie Dir: ebenfalls fürher Telefon und jede Menge Krach zuhause wegen der Kosten …
Skype ist bei uns das Mittel der Wahl, das hilft ein bißchen. Ansonsten: Immer noch – Telefon.
@Tessa Die hier...
@Tessa Die hier https://www.shell.de/home/content/deu/aboutshell/our_commitment/shell_youth_study/downloads/ habe ich gerade zur Hand, vielleicht ist was dabei.
@Paulchen "Vergiss mein nicht"...
@Paulchen “Vergiss mein nicht” fiele mir als Film dazu auch noch ein. Der Film greift ja nicht in die Vergangenheit, sondern auf eine “Zukunftstechnologie” zurück.
Beziehungen von Personen...
Beziehungen von Personen zwecks eventueller (Liebes-)vereinigung über die Internetdatenbahnen aufbauen wollen hat ja etwas mit rein kalter Aleatorik zu tun. Es wäre doch interessant aus einer gewissen Distanz, meinetwegen aus der Sicht eines Ethnologen gemeinsam mit einem Soziologen und einem Biologen (ha, deus ex machina), die Folgen der Anbahnung zu dokumentieren. Im Gegensatz zu einer solchen, die meinetwegen durch eine triviale Tanzstundenbekanntschaft entstanden ist. Bei letzterer spielen auch sofort, neben den vermeintlich bewußten, seelisch, geistigen Aspekten, durchaus haptische, optische, olphaktorische Reize unmittelbar eine Rolle. Sofern nicht gestört durch chemische Einwirkungen wie z. B. der Pille.
Kulturgeschichtlich hatten die Initiationsriten unserer Vorfahren das Verfahren immens erleichtert. Die stammesgeschichtlich verankerten Verhaltensweisen der Geschlechter samt tradierter und stützender Tabus, z. B. denen der Religion, kollidieren in der “Moderne” mit der kruden Wirklichkeit der technischen Prothesen bei diesem Tanz, in dem der Versuch darin gipfelt während des zentralen Augenblicks des Kennenlernens die Dinge so zu sehen wie sind. Diese sind aber dem trügerischen Schein der scheinbaren Objektivität unterworfen, weil subjektiv beurteilt.
Meine Sätze umfassen natürlich nicht die Kompexität der Situation, sind lediglich der Versuch das ziemlich sicher “vorprogrammierte” Scheitern vieler “Beziehungskisten”
aufzuzeigen, zumal solcher die im Medium des IN das Heil suchen.
Das Internet: Buffet für...
Das Internet: Buffet für Singles, Bühne von Eitelkeiten und Sammelsurium an verkorksten Selbstzweiflern, verletzten Liebenden und allerlei Befindlichkeiten. Unprätentiös, lakonisch, zum Lachen und zum Weinen. Ein Sex 2.0 Roman, ein Erlebnisbericht aus der wunderbaren „Alles kann, nichts muss Welt“.
@lyleke haben Sie das gelesen...
@lyleke haben Sie das gelesen und möchten berichten?
@Plindos Das ist eine sehr...
@Plindos Das ist eine sehr schöne Idee. Ich werde mal schauen, ob es zumindest schon Beziehungsforschung zu Partnerschaften gibt, die ihren Ursprung im Netz gefunden haben. Laut Werbung der Partnerbörsen müssten das ja unzählige sein. Auch spannend: wer sucht eigentlich im Netz nach der Liebe. Für Don Alphonso vielleicht ein Thema, dass Partnerbörsen wie elitepartner.de ja viel mehr noch als zu versuchen *Liebe* zu vermitteln, sehr darauf bedacht sind, dass Gemeinschaften innerhalb einer Schicht gefunden werden.
Nur dem Fetischisten will das...
Nur dem Fetischisten will das möglich erscheinen
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Oder auch. die Suche nach der reinen Form – Hafiz-Tolstoi-Gorki
und die Schönheit als Allegorie
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Gorki erinnert sich an ein Gespräch mit Tolstoi, wo dieser den Gorki vom Glauben zu überzeugen suchte:
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„Ein jeder liebt – die Allerbeste, aber das ist dann schon Glaube!“ Und weiter: „Sie sprechen von Schönheit! Aber was heißt Schönheit? Die höchste und vollkommenste ist – Gott!“
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Und Gorki, der „nie an Gott“ glaubte, dachte bei sich: „Dieser Mann ist gottähnlich!“ (Maxim Gorki, Wie ich schreibe, Literarische Portraits, Aufsätze, Reden und Briefe, Winkler Dünndruck-Ausgabe, S. 93/94).
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Für Gorki ist der Glaube eine Kunstrichtung, als solche reine Form. Schon in eines Hafiz’ („Hafiz – die Homoerotik…., https://blog.herold-binsack.eu/?page_id=17/pdf) Welt will uns wahre Liebe als reine Form erscheinen – als das sich wechselseitig zur Allegorie Erhebende. Auch bei Hafiz ist es nicht möglich zu erkennen, wovon/von wem/von was er gerade spricht: dem Geliebten Wesen, dem Wein aus der Hand des Geliebten – dem Weinschenken, dem Gotte, dem er sich gerade als solcher anbietet, bzw. dessen Kelch er sich würdig zu erweisen hätte (wenn wir das ins christliche übersetzen wollten).
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Nicht das Versmaß, nicht der Stil als Form, sondern die Strenge des zu Sagenden ist alles entscheidend. Tolstois Suche nach dem einzig richtigen Sprachgebrauch, ja sein „krankhaft“ erscheinen wollendes „Sprachgefühl“ (Gorki) gleicht eines van Goghs wahnhaften Kampfes mit der Kraft der Farbe. David gegen Goliath – will es scheinen. Und wo der eine die Farbe voll des Zornes wie Siegellack aufdrückt, spricht der andere, der Tolstoi, wie ein Bauer, wenn er nach dem einzig möglichen Sprachgebrauch zwecks Erfassung der Wahrheit fiebert. Ungeniert, doch rätselhaft.
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Wo zu seiner Transzendenz dem Menschen die Allegorie als einzige Möglichkeit aufscheint, da wird die Liebe, im Moment ihres Erblickens, in die Allegorie gekleidet, in ihr Gott geschaut. Nur der der Gott schaut, vermag zu lieben. Ist doch Gott die Schönheit schlechthin.
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„Gottähnlich“, vielleicht hätte Gorki auch schreiben sollen „Gott ähnlich“. Denn so sieht e r , der „Ungläubige“, der Agnostiker, seinen Tolstoi. Einem Gotte ähnlich, den er sonst nämlich nicht zu schauen vermag. Nur wenn er Tolstoi sieht, ihn hört, glaubt er den Gott zu sehen. Bekommt er eine Vorstellung erst von ihm. Er benutzt Tolstoi – als Medium, so wie dieser ihn – als Botschafter.
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Eine derartige Sinnlichkeit hat nur der, der seine Sinne überanstrengt, diese dehnt, bis sie so transparent wirken, dass sie ins Übersinnliche reichen – über-sinnlich wirken. Ein Gefühl hindurch lassen, das dem dichten Geist normal nicht eignet.
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Tolstoi und Gorki waren sich in diesem Punkt nahe. Tolstoi, der Aristokrat, wurde bei Gorki zum Bauer und Gorki, der Intellektuelle, war der Aristokrat. Das Medium, das Tolstoi gebrauchte, denn seine Botschaft war eine aristokratische. Der Bauer in Russland war zuletzt der Fetisch des Aristokraten. So sehr ausgebeutet, ja ausgelaugt, gestreckt gewissermaßen, dass er am Ende dem Ausbeuter als Messias erschien. Ihm als das Objekt seiner Liebe vorkam. Als der speziell für ihn Geopferte. Die Offenbarung Gottes. Die Terroristen aus den Reihen der „Volkstümler“ waren gewendete Aristokraten. Sich selbst geißelnde Terroristen. Fetischistisch Entrückte. Wahre Schönheit schauen wollend, die Derbheit des Gequälten solchermaßen süchtig vergötternd. Tolstoi als das entrückte Medium der Aristokratie, das durch die Stimme des Agnostikers, dem Intellektuellen, den Bauern zu bannen sucht.
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Ans Kreuz geschlagen, ein zweites Mal, der Bauer. Denn bangt doch der Aristokrat ob dessen Wiedergeburt.
Aber so wenig, wie der Bauer auf ewig ans Kreuz geschlagen sein kann, kann man Liebe bannen, indem man sie “löscht”. Nur dem Fetischisten will das möglich erscheinen.
Glückliche Beziehungen sind...
Glückliche Beziehungen sind schon ohne die Anbahnung durch das Internet herausfordernd genug. Andererseits möchte ich nicht ausschließen, dass sich das ein oder andere “passgenaue” Paar auch dort schon gefunden hat.
LG