Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Bitte nicht stören

"Update your Reality" heißt der Titel der diesjährigen Digital-Life-Design-Konferenz. Die Zukunft der Wirklichkeit liegt hier noch immer in den Händen von Männern in Anzügen, die auf dem Podium nicht streiten wollen. "Isn't the world cool now?" fragt Sean Parker ausgerechnet beim "Disruption Talk".

“Update your Reality” lautete der Titel der Digital-Life-Design-Konferenz, die in dieser Woche in München statt fand. Die Zukunft der Wirklichkeit liegt hier noch immer in den Händen von Männern in Anzügen, die auf dem Podium nicht streiten wollen. “Isn’t the world cool now?” fragt Sean Parker ausgerechnet beim “Disruption Talk”.

Während die Techniker an einem Stand im Vorraum der DLD-Konferen am Sonntagvormittag ein Netzwerkproblem lösen, verhilft man dem wuchtigen, roten Gadget des Burda iLabs mit weniger modernen Technik in die Rolle des süßen Spenders: die Popcornmaschine ist mit keinem Stream synchron, noch nicht einmal die Stromzufuhr gönnt man ihr. Die Maschine steht still, aus einem anderen Raum bringen Kellner das gepuffte Korn in kleinen Körbchen und füllen es in den Glaskasten. Alternde Technik erfordert einen Workaround, ein Update gibt es für sie nicht mehr.

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Die Gastgeber Steffi Czerny und Marcel Reichart proben in der ersten Etage des HVB Forums in München noch ihre Begrüßungsreden. Der große Saal ist in bunte Lichtinstallationen getaucht; rasch wechseln neonpinke, grüne, gelbe, türkisblaue Graphiken und lassen die müden Lider flackern. “Wie ein Eichhörnchen auf Ecstasy” säuselt ein Harald-Schmidt-Spruch in meinem Kopf und das Gefühl verschwindet nur langsam mit der allmählichen Gewöhnung an das Bombardement der Frühlingsfarben. Die Burda-Managerin Steffi Czerny konkurriert mit ihrem Outfit am ersten Tag mit dem Farbfeuerwerk der Bühne: eine bunt gemusterte Bluse, ein schlichter dunkler Rock bis zum Knie, dazu eine grasgrüne Strumpfhose. Disruptive Mode on Stage, das gilt später an diesem Sonntag auch für die Begegnung zwischen Sean Parker, Mitbegründer von Napster, und dem Schriftsteller Paulo Coelho. In den Kommentaren auf Twitter kann man deutlich die Verzückung einiger Teilnehmerinnen herauslesen, die sich über den in Tom Ford gekleideten Parker(“Isn’t the world cool now?”) freuen, denn an schwarzen, schlabbrigen Sakkos sieht man sich müde. Die Provokation des Dialogs, der als “Disruption Talk” angekündigt ist, bleibt bei roten Socken zu Lackstiefeletten.

Disruption im Stil, einen kleinen Clash der Mode kann man am Sonntag auf der Konferenz durchaus beobachten. Bevor der Großteil der Teilnehmer und Teilnehmerinnen eingetroffen ist, wird das modische Bild der DLD durch Jeans und Kapuzenpullover dominiert, den die Helfer und Burda-Angestellten tragen. Es wirkt nerdig, herzlich und mischt sich in das leuchtende Farbkonzept. Kurz bevor das offizielle Programm der Konferenz dann startet, drängelt sich im Vorraum ein monochromes Gewusel aus trauerfarbenen Sakkos, Popcorntüten in der Hand, ein paar Frauen mit teuren Lederhandtaschen, das Barpersonal reicht den Gästen fliederfarbenes Wasser. “Update your Reality” heißt für die meisten Männer auch an einem Sonntag immer noch Anzug – mit der vermeintlich progressiven Note einer “No-Tie-Policy”.

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Für graue Kostüme sollte die gleiche Politik gelten wie für die Knoten am Hemdkragen. Nun steht eines davon neben mir, in dem blassen Stoff steckt eine bleiche Frau mit rotblonden Haaren und spricht mich an. Ob ich das erste Mal da sei, fragt sie und ich möchte als ersten Reflex ihr zunächst eine Tüte Popcorn entgegen strecken, so angestrengt ausgemergelt versteckt sie sich in der weißen Bluse ihres Kostüms auf hat ihre halbhohen Pumps so kerzengerade nebeneinander gestellt, wie eine vor der Hostie erstarrte Katholikin. “Solch ein Kostüm trägt eine Frau unter 30 nur als Hommage an ihre verstorbene Tante, passionierte Chefsekretärin in den verrauchten Büros der Sechziger Jahre, oder an der Lust an der eigenen Erniedrigung”, denke ich und beiße mir kurz auf die Zunge. Wie das Mädchen, sie arbeitet tatsächlich im Controlling eines großen Verlages, heißt, habe ich schon wieder vergessen, nachdem sie mir fünf der Männer mit Doktortitel aufgezählt hat, für die sie arbeitet. Dann fährt sie fort, der Doktor Soundso sei auch hier und die Bewegung ihrer schmalen Lippen formt noch ein paar pr-geschmiergelte, tote Sätze über das Unternehmen und den Doktor. Hat sie mich gerade gesiezt? Im nächsten Moment erlöst mich die überschwängliche Umarmung eines Bekannten von der Aufgabe, nun einen charmanten Ausflucht zu formulieren, warum ich nicht weiter plaudern möchte. Ein jeder Versuch diese Frau, die vielleicht ein kurzes Jahr eher als ich das Licht der Welt erblickt hat, ein wenig näher kennenzulernen würde an einer Aussage darüber scheitern, was der Doktor denn für die Vision des Unternehmens hält, in dem sie verschreckt und unterwürfig Exceltabellen zum Rechnen zwingt. Wer so in das Ego seines Vorgesetzten hinein verblasst, muss wohl grau tragen und anämisch sein.

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Am restlichen Tag begegne ich niemanden mehr, der aus der Sicht eines Dritten erzählt, was er tut, denkt und fühlt. Wer der Arbeitgeber, Auftraggeber ist oder wie das eigene Unternehmen heißt, verrät eh das Bauch bedeckende Namensschild, das immerhin die Blicke von den offenen Hemdknöpfen und Ausschnitten lenkt. Doch nicht die Menschen, die ich noch während der Konferenz treffe, sind typisch für die jungen Menschen, die in deutschen Unternehmen ihr Wissen einbringen. Viele deutsche Firmen, Verlage, Agenturen, führen konsequent die Wissensbildung des deutschen Schulsystems fort, das auf auswendig gelerntes Wissen und angepasste Schüler setzt, die Lehrern und Lehrplan keine Widerworte entgegensetzen und ihr eigenes Wissen und ihre Ideen nich an die Dozenten weitergeben. Unternehmen steigern dieses gehorsame Lernen und Leisten zusätzlich mit der Suggestion, eine Verschmelzung mit der Firma und der Glaube an die Vorgesetzten und Vorstände als allwissende Gurus, sei der Schlüssel zu Aufstieg und Zufriedenheit.

Wenn Orientierung an Berufserfahrenen lieber gesehen wird, als eigene Ideen und kritische Fragen, wenn die Vorbilder in den höheren Ebenen des eigenen Unternehmens oder der Branche gesucht werden, ist es keine Überraschung, wie wenig innovativ, wie selbstzentriert und bewahrend deutsche Unternehmen agieren. Sie denken bei Diversity nicht weiter als an die verhasste Frauenquote, doch es mangelt ebenso an vielfältiger Zusammensetzung in der Altersstruktur, der Herkunft, der Ausbildungs- und Lebenswege. Die Motivation junger und neuer Mitarbeiter auf den Erfolg des Unternehmens direkten Einfluss auszuüben und mit zu gestalten, wird rasch ausgehebelt und mit Ignoranz und fehlender Wertschätzung gestraft. Anerkennung ist, wenn als Lohn für die durchgearbeiteten Nächte und Wochenenden die Stelle als Junior-Berater verlängert wird, für das gleiche kümmerliche Gehalt.

Ideen und Innovation entsteht überall im Unternehmen, so Googles Vizepräsidentin Marissa Mayer in München. Jeder der Angestellten könne 20 Prozent seiner Arbeitszeit auf eigene Projekte verwenden. Etwa die Hälfte der Produkte des Unternehmens entstehen Mayer zufolge aus den persönliche Projekten der Mitarbeiter. Nun wagen Sie einmal dieses Gedankenspiel für beispielsweise die Medienbranche hierzulande – die Kommentare aus den Führungsetagen würden in ihrer Anzahl und ihrer Boshaftigkeit an das Schreckensbild erinnern, das Journalisten gerne von Kommentarthreads im Internet zeichnen. Auf die Frage nach dem kreativen Wert aller Mitarbeiter für ein Unternehmen würden wohl unzählige Aussagen getroffen über die Unbrauchbarkeit von Vorzimmerdamen, die Unzulänglichkeit von Auszubildenden und all den Personen, die zu weit vom Archetypus des eventuell heilsbringenden mittelalten Managers entfernt sind. Die brillianten Ideen gehören den “Chefs”, und wenn er sie nicht hat, kommt eben der nächste.

Dieses Wechselspiel vollzieht sich auf vielen Diskussionsbühnen. Ein paar mittelalte, weiße Männer in Anzügen diskutieren miteinander ohne sich wirklich zu streiten, sie verlassen die Bühne, die nächste Crew kommt. Beim DLD ist das Bühnenprogramm da schon ein wenig gemischter – die Konferenz ist aber auch international ausgerichtet und englischsprachig. Man sagt, selbst konservative Politiker forderten nun die Frauenquote für die deutsche Wirtschaft, da die Abwesenheit der Frauen in Führungsetagen von Gästen aus dem Ausland als blamabel belächelt wird. Für die weiteren Gradmesser von Diversität gilt das gleiche.

Für die Speaker-Liste des DLD hatte Deutschland wieder einmal nur Männer beizusteuern. Mit welchem Label sollte man die attraktiven blonden Ehefrauen Maria Furtwängler und Stephanie zu Guttenberg anders bezeichnen als Alibifrauen und Eye Candy? Die Tatort-Kommissarin Furtwängler hielt bei der Anmoderation des Aenne-Burda-Awards einen kurzen Appell für mehr Frauen in der Wirtschaft, um zwei Sätze später anzumerken, sie müsse ihre Ausführungen nun beenden, ihr Mann schaue schon O-Ton: “grumpy”.

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Als ich am Abend im “Zum Franziskaner” sitze, bedauere ich kurz, dass ich das corporate-getrimmte Geschöpf in dem mausgrauen Garn nicht doch an die Hand genommen habe. Etwa einhundert Frauen und Männer, die tagsüber zwischen den gedeckten Anzügen im HVB Forum umherschwirrten, sprechen hier nicht darüber, für wen sie die Ehre haben zu arbeiten, das gute Geschäftsjahr oder Beförderungen. Sie sprechen über Ideen: die eigenen, die des Gegenüber und vor allem miteinander. „The entire back room of the Zum Franziskaner was solid with start-up CEOs“, schreibt Ben Rooney in seinem Blog für das Wall Street Journal (“DLD Start-Ups Show It Isn’t Just Media That Has Gone Social”), sein steter Begleiter am Vorabend ist ein Block aus Papier. Bei Start-Up-CEOs mag man wieder an weiße, junge Männer denken. Diese Gruppe jedoch unterschied sich von dem Bild deutlich. Ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis, ein dutzend Sprachen, von “just out of college” bis nah ans Renteneintrittsalter, Acne-Jumpsuits, Bärte, Hoodies. Diese Zusammenkunft ist wohl das, was ein Diversity-Manager nur vom Reißbrett kennt. Man kann sich an solch einem Abend leicht in diesen Zustand verlieben, man muss es vielleicht sogar. Kein Ausweg, kein Workaround.

Wer einmal in einem Startup gearbeitet hat, wird nur noch in Unternehmen glücklich, die eine Arbeitskultur bereitstellen, die auf allen Ebenen fordert: sozial, kulturell, intellektuell. Sie muss damit belohnen, dass jede Form der Mitarbeit, jede Idee und jede Stunde fühlbar etwas verändert. Befristete Arbeitsverträge als Hemmnis für junge Leute zu begreifen, die Forderung nach einer Frauenquote als fortschrittliche Diversity-Politik zu begreifen, Fachkräfte als Trendbegriff – das sind Vorstellungen einer Gesellschaft, die keine Denker mehr hervorbringen möchte.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle ist an diesem Abend vielleicht schon in Davos; ein Frühstück mit 36 Topmanagern vorbereiten: “No disruptions, please.” Er hätte in München mehr lernen können als ein paar neue englische Vokabeln.