Deus ex Machina

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"Ich weiss ungefähr, wie man das Internet anklickt"

Berlin hat die Fashion Week, München hat den CSU-Netzkongress. Auf der Suche nach Modernität und Jugend wagte nun auch die bayerische Volkspartei einen Vorstoß zur Netzpolitik. Horst Seehofer gab Auskunft über "sein Internet".

Berlin hat die Fashion Week, München hat den CSU-Netzkongress. Auf der Suche nach Modernität und Jugend wagte nun auch die bayerische Volkspartei einen Vorstoß zur Netzpolitik. Horst Seehofer gab Auskunft über “sein Internet”.

“Jetzt sind wir alle gespannt auf dein Internet”, so begrüßt Dorothee Bär den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der auf dem ersten Netzkongress der CSU eine Rede halten soll. Unter dem Titel “Mein Internet” wird er aus der Sicht des Parteivorsitzes den Vorstoß des CSU-Netzrates zur Internetpolitik im Freistaat ergänzen. Die junge Bundestagsabgeordnete Bär hat in die Hanns-Seidel-Stiftung in München eingeladen, um ihrer Partei das frisch erarbeitete Positionspapier zur Netzpolitik vorzustellen. “In Freiheit und Fairness.” prangt auf dem strahlend blauen Büchlein, das die Gäste der Nachmittagsveranstaltung am Eingang erhalten. Doro Bär – unter dieser Kurzform twittert sie auch – treibt das Thema energisch voran. Sie leitet den Netzrat der CSU, in den sie größtenteils unabhängige Experten berufen hat. Der Netzkongress ziert seit seiner Ankündigung als oberster Punkt das Menü der Website der Partei, etwa 300 Interessierte haben am Montagnachmittag die Einladung wahrgenommen. Ein Sicherheitsbeauftragter am Eingang beurteilt die Veranstaltung als so gut gefüllt, dass er die eintreffenden Gäste bittet, ihre Taschen gleich mit den Wintermänteln an der Garderobe abzugeben. Für Handtaschen, für Brezel und für Seehofers Personenschützer ist dann aber doch noch ausreichend Platz.

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Und Raum ist auch für Seehofer selbst, auch wenn er zum Thema des Nachmittags keine Erkenntnis einzubringen hat. Netzpolitik ist in der deutschen Parteienlandschaft noch immer ein Nischenthema, das innerhalb der Parteien keinesfalls als hartes Politikfeld anerkannt wird. Das Leistungsschutzrecht, Netzneutralität und twitternde Politiker passen nicht auf Wahlplakate. Die Netzpolitik sei ein Thema “hoher Komplexität und hoher politischer Priorität angesichts der erheblichen gesellschaftlichen Veränderungen und rasanten technologischen Entwicklung zu Beginn des 21. Jahrhunderts”, schreiben Dorothee Bär und Professor Dirk Heckmann, Mitglied im CSU-Netzrat, im Epilog ihres Positionspapieres. In der Welt der internetfernen Politiker ist die Gestaltung der digitalisierten Gesellschaft jedoch weit hinten auf der Skala der politischen Prioritäten angesiedelt. Hier engagieren sich mehrheitlich junge Politikerinnen und Politiker mit Unterstützung zahlreicher ehrenamtlicher User, die den Implikationen des Netzes für das Zusammenleben von Menschen eine andere Wichtigkeit einräumen: “Ihr werdet euch noch wünschen, wir wären politikverdrossen!” – vom Tweet zum Schlachtruf bleibt dieser Satz weiterhin Selbstverständnis vieler junger Menschen, die sich zu Unrecht als politisch desinteressiert betrachtet sehen und deren politische Anliegen kaum Beachtung finden. Das Internet hat tatsächlich eine Generation, der man gerne vorhält, sie suche in hedonistischen Lebenspraxen vor allem das individuelle Glück ohne Rücksicht auf die Gemeinschaft, neu politisiert. Die politischen Nischenthemen, die junge Menschen im Netz diskutieren, werden an Bedeutung gewinnen; es werden mit der Zeit aber auch mehr und größere Themen werden.

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Horst Seehofer unterstützt an diesem Tag als prominentes Politgewicht die Nische Netzwertiges mit seiner Präsenz und Rede. Er bleibt die komplette Veranstaltung auf seinem Platz in der ersten Reihe neben der kleinen Tribüne. Als die CSU den Netzkongresss vor wenigen Wochen ankündigte, machte der Programmpunkt des Ministerpräsidenten schnell als Running Gag die Runde in den sozialen Netzwerken. “Mein Internet” hieß der Programmpunkt von Seehofer. Doch wie mag das ausschauen, das Internet eines traditionsbewussten Bajuvaren? Es schien zumindest grundverschieden von dem Internet, in dem Dorothee Bär sich bewegt oder der Zukunft des Netzes, die der Vize-Generalsekretärin vorschwebt. Dass die Parteispitzen stets einen Redeplatz auf den eigenen Veranstaltungen sicher haben, ist für die ernsthafte Etablierung vieler Themen ein Problem. Manche Parteivorsitzende lassen sich von ihren Referenten umfassend in die Thematik einweisen oder sie mahnen ihre Redenschreiber, sich besondere Mühe zu geben. Andere denken, ihre Anwesenheit alleine würde der Zusammenkunft ein wenig mehr Glamour verleihen; doch das stimmt höchstens für ein anderes Mitglied der Christsozialen.

Seehofer schlurfte also auf die Bühne und entkräftete die Erwartungen an seinen Beitrag sogleich: Er habe keine Rede vorbereitet, er würde jetzt mal ein paar Dinge sagen, denn: “Zum Internet gehört die Kürze: Klick, Klack.” Die Experten seien schließlich die anderen: “Ich weiss ungefähr, wie man einen Computer einschaltet.” Dass er selbst nicht die Fachkraft des Nachmittags war, war eine weise Einsicht; dennoch kann eine lustlos und monoton vorgetragene Rede den gut gemeinten Charakter einer Veranstaltung erheblich beschädigen. Das Daherplätschern seiner Worte erwies sich ebenso vertrackt wie es oftmals in elektronischen Briefen passiert: Ironie bleibt dem Gesprächspartner meist verschlossen. Ein bis zwei Mal jährlich gehe er ins Netz, so Seehofer in seiner Rede – dass diese Ausführung natürlich ein Witz sei und er täglich das Internet nutze, sich lediglich zwei Mal im Jahr selbst google, musste er zu einem späteren Zeitpunkt auf dem Podium richtig stellen. Er lese Computerzeitschriften, in denen man erfahren könne, wie man Netzsperren umgehe, er kaufe gerne im Internet ein, er sei ein “Wikileaks-Geschädigter” (abermals ein Scherz) – das erfuhr man von dem CSU-Politiker.

So wurde der Titel der Rede “Mein Internet” dem Inhalt sogar gerecht, der Vortragende jedoch nicht seiner Funktion als Parteivorsitzender. Einen einzigen klugen Satz zur Netzpolitik, den Hauch einer Vision – Fehlanzeige. Vielmehr bekräftige er in seiner Einordnung des Expertengremiums des CSU-Netzrates, dass dieser eine milde beratende Rolle haben werde, wenig Einfluss, die Linie der Partei müsse von den Meinungen des Rates aber nicht betroffen sein. Wahre Anerkennung für die Arbeit von Dorothee Bär hätte anders aussehen müssen.

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“Trotz Internet muss für Menschlichkeit Zeit sein”, lautete einer der Schlusssätze von Seehofers Redebeitrag – eine entlarvende Etikettierung der Natur des Netzes, die verriet, dass er der “Interneterklärbärin” nur mit halbem Ohr zugehört hatte; dass der Ministerpräsident das Internet noch immer als einen Parallelwelt betrachtet, ohne die der Bürger in Bayern gut zurecht kommt. Dorothee Bär erläuterte ihrer Partei Aspekte des Netzes so geduldig, anschaulich und humorvoll, dass der Nachmittag für einige der Anwesenden mit Sicherheit neues und nützliches Wissen transportierte. Sie sprach etwa über Privatsphäreneinstellungen auf Facebook, Vorteile, die für Bürgerinnen und Bürger in der Verwaltung durch E-Government entstehen, die Unwirksamkeit von Netzsperren, Herausforderungen für die Bildungspolitik, ja für das Zusammenleben mit Kindern in der eigenen Familie: “Meine 4-jährige Tochter kennt sich mit dem iPad noch nicht so gut aus wie ich, aber besser als ihr Vater.”

Dorothee Bär kennt das Netz aus völlig anderen Perspektiven als ihre Parteikollegin Ilse Aigner (und sie wäre, sollte das Ministeramt in dieser Legislaturperiode frei werden, eine kluge, für die Union vermutlich zu progressive Wahl) , sie nutzt Twitter als Dialoginstrument über Parteigrenzen hinweg, sie spricht präzise an, dass Kinderpornographie im Netz traurigerweise “dokumentiert” werde, benennt es aber im Gegensatz zur Frau ihres Kollegen Guttenberg nicht als “Tatort Internet”.

“Ich freue mich, dass die CSU das Wählerpotenzial von Internetnutzern erkannt hat”, bemerkt ein Mitglied der Chaos-Computer-Clubs in der Diskussion – und in diesem Punkt hat er sicherlich Recht, auch wenn man Frau Bär abnimmt, dass die Netzpolitik ihr Herzensthema ist, und nicht nur Jagd auf eine neue Zielgruppe. Auf dem Kongress sind auch Mitglieder der Piratenpartei anwesend, die sich an der Diskussion beteiligen. Ein älterer Herr flüstert ehrfürchtig: “Die haben bei der Bundestagswahl 800.000 Stimmen geholt. Aus dem Stand! 800.000 Stimmen.”

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Die CSU will nun eine Online-Mitgliedschaft anbieten, in der sich Mitglieder zu einem virtuellen Ortsverband zusammenschließen können. Auf diese Weise soll das politische Engagement unabhängig vom Wohnort ausgeführt werden können. Nicht nur junge Menschen, die umziehen, auch junge Eltern, die sich zu Hause um ihre Kinder kümmern müssen, sollen so weiterhin teilhaben können. Die 32-jährige Bär ist gerade selbst im 8. Monat schwanger und kurz vor dem Mutterschutz. Sie freue sich, wenn die Diskussion nach dem Kongress weitergehe: über Twitter, Facebook, oder “schicken Sie mir eine E-Mail, wenn sie es ganz altmodisch mögen.”

Erst die Frauenquote, nun ein überraschendes Positionspapier zur Netzpolitik, Sitzwürfel und Hollywoodschaukeln in der Hanns-Seidel-Stiftung. Bleibt das Positionspapier nicht nur eine symbolpolitische Geste, dürfte die CSU bald moderner sein als die FDP.