Wie der Prozess im Einzelnen vonstatten ging, dass das Gewusel der Buchstaben-Käferchen auf bedrucktem Papier irgendwann so etwas wie Sinn für mich ergab, weiß ich nicht mehr im Detail zu sagen. Die Initialzündung, es jetzt endlich wissen zu wollen, hatte wohl mein erster Schreibversuch gegeben, als ich mich abmühte, das Autokennzeichen vom VW 1600 Variant meiner Eltern nachzukrakeln. Und nicht lange danach – meine Einschulung lag wohl noch ein, zwei Jahre in der Ferne – begab es sich, dass ich meiner Mutter über die Schulter schaute, wie sie den “Mannheimer Morgen” las. Oben links auf der Seite 2 war ein dicker schwarzer Kasten mit einem weiß gedruckten Wort darin, das meine Aufmerksamkeit erregte. Ich fing an, die Buchstaben zu einem Wort zusammenzusetzen und sagte laut: “Kom-men-ta-re.” Zu sagen, dass meine Mutter baff war, wäre geringfügig untertrieben. Als sie sich wieder gefasst hatte, sprach sie zu mir: “Wenn Du dieses Wort lesen kannst, dann kannst Du auch alles andere lesen.” Und was soll ich sagen, sie hatte recht.
Mir kam diese Episode vor kurzem wieder in den Sinn, als ich darüber nachdachte, was für mich das Besondere bei der Bloggerei ausmacht. Da ist natürlich die Freiheit, mehr oder weniger schreiben zu können, was man will, ohne Vorgaben einer Chefredaktion oder Ressortleitung. Aber das eigentliche Salz in der Suppe sind für mich die Kommentare. Ich selber bin übers Kommentieren zum Bloggen gekommen. Und ich mag den direkten Austausch mit den Lesern, so wie ich als Leser auch die Möglichkeit schätze, dem Autor eines interessanten Beitrags meine Gedanken dazu mitteilen zu können. Kurzum: Wenn es die Kommentarfunktion nicht gäbe, man müsste sie erfinden.
Wobei ich da natürlich gut reden habe: Nicht überall geht es schließlich so gesittet zu wie in den Kommentarspalten meines privaten Blogstübchens oder hier in den Blogs der Zeitung, hinter der bekanntlich immer ein kluger Kopf steckt. Die Diskussionskultur in den Foren von heise.de etwa ist mit den Adjektiven “derbe” und “rustikal” ziemlich zartfühlend umschrieben. Unter Artikeln bei Welt Online findet sich manchmal so viel geballte Dumpfheit, dass man Nackenschmerzen vom vielen Kopfschütteln bekommt. Und über die Lesermeinungen bei Spiegel Online sagt ein befreundeter Blogger: “Wenn ich morgens ohne Kaffee meinen Blutdruck nach oben treiben will, lese ich erstmal eine Runde im Spon-Forum zu Wirtschafts- oder Sozialthemen.” Mit den Berichten über die Atomkatastrophe in Japan sollte der Trick auch funktionieren, da fördern die Senfspenden der Leser nämlich ebenfalls ein interessantes Spektrum an Meinungen zutage. Wer die Deutschen immer noch für ein Volk von technikfeindlichen Hysterikern hält, braucht nur mal ein wenig im Spon-Forum rumzugucken, um seine Vorurteile aufs schönste widerlegt zu sehen:
Der Atomnotstand wird nicht deshalb ausgerufen, weil alle bestrahlt werden, sondern ist eine reine Vorsichtsmassnahme fuer solche Faelle um genau das zu vermeiden. Man kann eher draus lernen, dass nicht sofort alle tot umfallen, bloss weil ein Atomkraftwerk wie uebrigens alles andere auch in Mitleidenschaft gezogen werden. Unfaelle gibts immer wieder mal. Nur Oekos, Gruene glauben gleich immer an epische Katastrophen.
Ausserdem sollte man mal Realitaet vernuenftig ordnen. Ob jemand dadurch umkommt, weil durch Erdbeben Windanlagen umfallen (was erheblich wahrscheinlicher ist, weil es davon massenweise mehr gibt), oder Solarpanels auf dem Kopf landen (ebenfalls mit jeder einzelnen Zunahme wahrscheinlicher), ein Wasser-Energiegewinnung Ueberlaeufe Doerfer ueberfluten oder in einer brennenden Firma fuer Alternative Techniken nicht mehr rechtzeitig rauskommt, nimmt sich nichts. (…)
Vom Mainstream abweichende Auffassungen, wie sie hier zum Ausdruck kommen, sind vielleicht gewöhnungsbedürftig, ein ernstes Problem stellen sie nicht dar. Die eigentliche Gefahr für die Diskussionskultur im Netz sind die vergleichsweise wenigen, dafür aber umso nervigeren Störer und Provokateure (der Kenner nennt sie “Trolle”), denen es nur ums Aufmischen geht und nicht um Meinungsaustausch. Alan Posener schrieb dazu in der Welt am Sonntag: Das Internet erlaube nicht nur jedem Journalisten und Amateurjournalisten, seine Meinung sofort zu veröffentlichen – es erlaube auch jedem Nutzer, ihm dafür rhetorisch sofort in die Fresse zu hauen. “Ob es sich um die bislang schweigende Mehrheit handelt oder nur um ein paar Tausend Querulanten – oder ob die Querulanten dieser Welt die eigentlichen Sprecher der schweigenden Mehrheit sind: Wer kann das sagen? Sie sind da.” Man müsse mit ihnen rechnen, so Posener.
Bei stern.de sickerte vor einiger Zeit die Größenordnung durch, etwa zwei Prozent aller Kommentatoren seien dieser Trollfraktion zuzurechnen. Das klingt nicht nach viel, aber wenn diese wenigen Störer sehr proaktiv und intensiv nerven, leidet das ganze redaktionelle Angebot. Und so wussten sich die Verantwortlichen bei stern.de vor über einem Jahr nicht mehr anders zu helfen, als die Kommentare ganz abzuschalten.
Aber wo die Not ist, wächst das Rettende auch. Just für solche Problemfälle verspricht Facebook seit Anfang des Monats eine einfache und smarte Lösung: ein externes Kommentar-Managment für Websitebetreiber. Zu den ersten Kunden zählt das reichweitenstarke US-Technikblog Techcrunch – und hier in Deutschland setzt neuerdings stern.de auf die Senfspende via Facebook. Der alerte Web-2.0-Berater Thomas Knüwer sieht in dem Facebook-Funktionsbaustein für externe Websites die Lösung für das Kommentarproblem, mehr noch: die Rettung. Aber um welchen Preis? Anonyme, respektive pseudonyme Kommentare sind nicht völlig unmöglich gemacht, aber die Hürde liegt verdammt hoch. Nun, man kann auf dem Standpunkt stehen, dass den Websites mit Facebook-Kommentariat da nicht viel entgeht. Dem ärgsten Gepöbel dürfte jedenfalls ein Riegel vorgeschoben sein. Und was aus Sicht von gewinnorientieren Medienunternehmen nicht minder wichtig ist: Die implementierte Facebook-Senfspende redaktionell zu beaufsichtigen erfordert sehr viel weniger Arbeitszeit und Personal – das freut auch den Controller.
Trotzdem – ein schales Gefühl bleibt zurück. Oder um meinen eigenen Kommentar im Blog von Thomas Knüwer zu zitieren: “Auf mich macht diese Maßnahme, das Kommentar-Handling gewissermaßen zu Facebook auszulagern, einen ziemlich defensiven Eindruck, (…) und eine wirklich starke Online-Marke müsste sich nicht ohne Not in Abhängigkeiten von Facebook begeben.” Zumal das Social Network auch kein wirksames Bollwerk gegen Borniertheit und Blödheit bildet, wie man dieser bedrückenden Sammlung von Updates und Kommentaren entnehmen kann.
Und da ist noch etwas: Mir persönlich würde wirklich enorm was fehlen ohne das bunte Völkchen, das sich hier unter allerlei Phantasienamen tummelt, ich nenne jetzt mal stellvertretend und ohne Anspruch auf Vollständigkeit Vroni, gelegentlich, ThorHa, anderl, specialmarke, devin08 und all die vielen anderen, mit denen es sich hier so gut und trefflich plaudern lässt. Die Vorstellung, faz.net könnte diese illustre Runde sprengen mit dem Zwang, dass sich die Leute übers Facebook-Konto anmelden müssen zum Kommentieren, wäre nachgerade grauenerregend. Ein Online-Angebot, das auf sich hält, sollte das Kommentar-Management nicht an Facebook oder ein anderes Social Network auslagern, sondern sich selber angemessen darum kümmern. Das heißt ja nicht, dass man – um es mit dem Bonmot der Bloggerin Sannie von elfengleich.de zu sagen – jedes dahergelaufene Kommentatoren-Arschloch dreilagig abwischen müsste. Aber ein gewisser Grundrespekt vor der Meinung des anderen sollte nach meinem Dafürhalten nicht davon abhängen, ob der Kommentar von Erwin Mustermann geschrieben wurde oder von gunxmürfl1458. Wie sagte man schon im Mittelalter: “Eines Mannes Rede und keines Mannes Rede, man soll sie billig hören beede.”