Der Mensch hat die Datenkrake auf den eigenen Körper gehetzt. Mit Gadgets und Apps vermessen wir auf eigene Faust Gesundheit, Schlankheit und Ausdauer. Die Ergebnisse dieser medizinischen Erkundung ergänzen die digitale Selbstdarstellung um einen leibhaftigen Aspekt.
Das einzige, was mich binnen Sekunden zum Schnüren meiner Laufschuhe bringt, ist Meeresrauschen und salzige Luft. Das Joggen schmeckt nur dann nicht nach Arbeit, wenn Pelikane neben dir im Wasser landen, der nächste Läufer noch zwei Meilen entfernt ist und deine kümmerliche Fitness gegen die Gebäudegerippe am Strand von Galveston glänzt, die der Hurrikan Ike dort hinterließ. In Berlin muss ich zunächst den Feinstaub der Torstraße einatmen, die missbilligenden Blicke von Hipstern in Kauf nehmen, die den Style meiner Laufhose für eine Last-Season-Leggings missverstehen, den Herztod von hechelnden Möpsen im Park vorausahnen und junge Väter mit Kinderwagen beim Bergaufsprint überholen. Laufen, das ich in meiner Sauerländer Heimat als eine Tätigkeit im Einklang mit der Kühle des Waldes und Rascheln des Laubs kennengelernt habe, ist in der Großstadt nur ein Schatten seiner selbst.
Trostloser, als in der Mitte Berlins über den Asphalt zu laufen ist nur in einem Fitnessstudio auf dem Band zu turnen oder einen Crosstrainer zu bemühen. Zum einen protestieren die beteiligten Muskelfasern greinend ob der Widernatürlichkeit der Bewegung und der mangelnden Federung, bis zu dem Tag, an dem sich Sehnen und Gewebe an die Maschinen gewöhnt haben und dementsprechend in krude Form geworfen haben. Zum anderen kreuzt bei jedem Lauf unter geschlossenem Dach ein hässliches Bild den Blick nach vorne, was die eigentliche entspannende Wirkung des Laufens torpediert und einen Schnaps zur Beruhigung fordert: die anorektische Athletin, die auch nach drei Stunden niemand vom Stepper zu holen gedenkt, der Anabolikahengst in dem neongrünen Tanktop, der während des Trainings “Date my Mom” auf dem Flatscreen des Studios schaut, die omnipresente Reklame für Proteinshakes in den Geschmacksrichtungen “Madagascar Vanilla” und “Chocolate Chip Strawberry”, die egal mit welcher Flüssigkeit angerührt immer nach Pulver schmecken, zähflüssig im Becher kleben und vermutlich in der Pornoindustrie als Substitut verwandt werden. Fitnessstudios sind seelenlose Orte, die ihr Geld damit verdienen, dass zwei Drittel ihrer zahlenden Mitglieder das Neonlicht und den zelebrierten Narzissmus im komplett verspiegelten Turnsaal schon bald hassen und nach dem ersten Monat nie wieder kommen.
Erste Sportstudios experimentieren daher mit neuen Anreizsystemen, um ihre Kunden über die erste Vetragslaufzeit hinaus an ihr Angebot zu binden: zum Beispiel vergünstigen sie den Tarif, je öfter ein Mitglied zum Training erscheint. David Rowan, Redakteur bei Wired UK, schlug im Rahmen seines Vortrages “Stay healthy: Big data and our bodies” bei der diesjährigen Next Conference vor, dass Trainingsstätten ihre Kundschaft einen hohen Betrag einzahlen lassen sollten, den sie pro absolvierter Sporteinheit wieder auszahlen sollten; und schließlich, um an den durch das Social Web geförderten Zeitgeist der Selbstdarstellung im Wort, Bild und Video anzuknüpfen, mit ihren Klienten folgende Vetrag abzuschließen: Sie lassen sich bei Beginn ihrer Mitgliedschaft in Wäsche von allen Seiten fotografieren und vereinbaren mit ihrem Trainer Ziele bezüglich Gewicht, Körperfett und anderen Fitnessindikatoren. Sollten sie diese innerhalb des vereinbarten Zeitraumes nicht erreichen, veröffentlicht das Studio die Bilder im Internet und verknüpft sie mit dem Facebook-Profil der faulen Vertragspartner.
In Berlin, in San Francisco, vermutlich auch in Moskau könnte so ein Modell vielleicht tatsächlich funktionieren. Warum auch nicht? Menschen geben sich in Onlinedatingbörsen oder schlicht Plattformen, die das eigene Aussehen vergleichen, Noten für Attraktivität, Sexappeal, Niedlichkeit. Die Bekleidung ist dabei meist spärlich und figurbetont, fotografiert wird im berüchtigten Myspace-Winkel. Was sollte Menschen, im Streben nach einem strafferen Selbst, also davon abhalten sich im kalten Licht eines Fitnesstempels in ihrer Feinrippunterwäsche fotografieren zu lassen, damit sie härter an sich arbeiten? Die Empfehlung der Konfrontation mit dem Speck im Spiegel gibt es schon seit jeher in zahlreichen Diätratgebern: “Fotografieren Sie das Elend ihres Körpers und kleben es an Ihren Kühlschrank. Es wird Sie vor Heißhungerattacken und süßen Sünden bewahren.” Diätpsychologie funktioniert jedoch oft anders. Die erste Zeit klappt es, dann schleichen sich Ausreden ein, die die Schokolade und den Ausfall des Trainings entschuldigen oder euphemistische Einfälle, die Speck und Kurven als gesünder, hübscher und wohliger beschreiben. Willen, Motivation oder externe Triebfedern hat man, oder man scheitert auf dem Weg zu etwas, was man nur halbherzig gewollt hat, weil des Gewissen so etwas flüstert hat oder gesellschaftliche Normen Schlankheit und einen gesunden Lebensstil propagieren. Führt der Genuss letztlich zu mehr Serotoninausstoß und der Partner kneift liebevoll in die Speckröllchen, wird man auch die Publikation von unvorteilhaften Fotos im Web irgendwie verkraften.
Fitnessstudios haben für mich Jahre lang nur unter großem Unwohlsein funktioniert. Denn es ist schon grauenhaft genug, wenn Menschen dich in der U-Bahn fixieren. Wenn Augenpaare beim Training auf deine schweissnasse Stirn und den Körper schauen, mit dem du gerade die Konfrontation suchst, erfährt der Spaß am Sport dadurch keinen Auftrieb. Da das unhöfliche Starren, Baggern und Belästigen in weiten Teilen der Welt als etwas akzeptiert wird, was nicht aufzulösen ist, dass an Orten, an denen Narzissmus gelebt wird auch das Ergötzen am Anblick anderer dazu gehört, haben viele Trainingseinrichtungen abgeschirmte Bereiche für Frauen, in denen sie unbeobachtet Gewichte stemmen können. Die Konjunktur reiner Frauenfitnessclubs belegt zumindest in der physischen Welt das Bedürfnis nach Schutzräumen – in Abgrenzung zur Post-Privacy im Netz, in man sich zeigefreudig gegenüber einer anonymen Masse von Menschen gebärdet.
Wer aufgrund von Klaustrophobie, Misanthropie und dem Bedürfnis nach Anleitung, Motivation und frischer Luft das Massentraining gegen einen Personal Trainer eintauscht, kann auch diesen Menschen nun ersetzen und das Einzeltraining flexibler und wesentlich kostengünstiger gestalten. Programme für mobile Endgeräte, die bei Sport und Ernährung unterstützen, bilden einen kleinen Bereich des wachsenden Markets der “Wireless Health”, der Apps und Communities hervorbringt, die auch von Netzskeptikern als sinnvoll erachtet werden könnten, denn sie könnten unsere Lebensqualität und Gesundheit verbessern.
Im Zuge eines Gesundheitssystems, das versagt und Patienten in Klassen unterteilt, bieten sich hier Chancen, Defizite abzufedern und Menschen umfassender über den Umgang mit Körper und Krankheiten zu bilden. Das Googlen von Symptomen und Onlineapotheken sind damit nicht gemeint. Es sind Anwendungen im Kleinen, wie iPad-Apps, die Kinder im Umgang mit einer Erkrankung schulen, oder große Forschungsprojekte, die Daten ihrer Probanden über Vernetzung sammeln. “Self Tracking” – das individuelle Erheben von persönlichen Daten – bewegt sich im Bereich “Mobile Health” an der Schnittstelle von privater Neugierde und medizinischem Nutzen, jedoch existieren bereits unzählige Anwendungen rezeptfrei für die Nutzung auf zahlreichen Gadgets. Sei es der digitale Zykluskalender, Kalorienrechner oder die Waage mit W-Lan, die wöchentlich ihren Nutzer per E-Mail über sein Gewicht informiert.
Die Gesundheitsdiktatur, die Juli Zeh in ihrem Roman „Corpus Delicti“ beschreibt, herrschte bislang nur im Privaten. Sportsucht, Orthorexie, andere Essstörungen oder das gesunde Leben als Fetisch gelangen nun stärker als zuvor über die großen sozialen Netzwerke hinaus aus ihren Nischenforen. Die Mitteilsamkeit über Ernährung, Körperfett und Laufstrecken schlug sich bislang zwar bereits in den Status-Updates in Netzwerken wie Facebook und Twitter nieder, diese Zahlen lassen sich jedoch nun über Apps systematischer in den Wettbewerb werfen. Die “Gamification” des Lebens über mobile Endgeräte lässt den Menschen mit den eigenen Beinen die Highscore setzen. Online-Identitäten verraten nun nicht mehr nur Aussehen, Beziehungsstatus und Eloquenz, sie geben über Daten zur physischen Konstitution weitere Auskünfte.
Die App “RunKeeper” ist eines der prominenten Beispiele für “Self Tracking”-Anwendungen mit eher kompetitivem als medizischen Charakter, wie beispielsweise die Communities “CureTogether” oder “patientslikeme”. Sie ist ein GPS-Tracker, der vor allem von Läufern verwandt wird um Trainingsdaten zu sammeln. Das Programm kann nicht nur die Musik, die während des Joggens gehört wird, an das Lauftempo anpassen, zusätzlich können verschiedene Trainingsprogramme gekauft werden, die virtuell mit anderen Teilnehmern einer Marathonvorbereitung absolviert werden. Wer möchte, kann diese Daten für andere Nutzer sichtbar ins Netz stellen, die Werte nach einem abgeschlossenen Lauf über den Facebook-Account oder die Twitter-Timeline jagen, um sich dort zu messen und Applaus zu ernten. E-Mails gratulieren regelmäßig zu neuen Bestzeiten; ein Ansporn für den Wettbewerb mit sich selbst.
Ich würde gerne einen Drill Instructor in Audio-File-Form hinzu buchen, der mich zur nächsten Höchstleistung brüllt. Der Ansporn einer automatisch generierten E-Mail kommt bei mir nicht an. Der Druck zur Leistung geht derzeit von dem Datum in meinem Kalender aus, an dem der Halbmarathon stattfindet, zu dem ich mich angemeldet habe. Nicht, weil die App aus der Analyse meiner Daten dies für eine gute Idee hielt, sondern weil mein Freund mich fragte. Vor ihm zu bestehen, wird für mich wohl größeren Antrieb bedeuten, als digitaler Lob eines Trainingsprogramm für schnelle Zeiten.
Spürt man die größere Gratifikation nun nach dem Überqueren der Ziellinie im Feld oder beim Blick auf den blinkenden Rekord auf dem Display des Smartphones? Wäre ein magerer Körperfettwert im XING-Profil ein Wettbewerbsvorteil im Arbeitsmarkt? Im Sog der Datenliebe nicht zu verlernen, diese Daten im Körper zu spüren, ist eine Herausforderung. Doch auch daran denkt der digitale Coach, und fragt, während du noch gebannt auf die Laufzeit starrst: “Wie fühlst du dich jetzt?”
Früher sind die Flibustiers...
Früher sind die Flibustiers angelandet um Fieberkranke ihrem Schicksal auf Galveston Island zu überlassen. Heutztage filibustern die Demokraten gegen oder mit den Republikanern im Capitol zu Washnigton, wenn es um mehr IT-Überwachung gehen sollte. Braucht man eigentlich dies ganze electronic-Geraffel auf dem body wirklich?
"Trostloser, als in der Mitte...
“Trostloser, als in der Mitte Berlins über den Asphalt zu laufen”
Selbst schuld. Es gibt durchaus schöne Gegenden in Berlin, in denen man laufen kann, umgeben von Bäumen, Büswchen, Wiesen, weiten Feldern, etc.
Aber vielleicht ganz gut so; ich treff schon genug Jogger bei meinen Spaziergängen an diesen schönen ORten und frag mich imemr: Wohin rennen die alle so eilig, ja: hastig?
Bei der Überschrift hab ich API erstmal in Wiki eingegeben und bekam siebzehn Erklärungen, davon vier, die zutreffen könnten. Worum geht’s? Wird’s im weiteren Text des Artikels erläutert? muss ich also tatsächlich weiterlesen? Ich werd’s mir noch überlegen. Ich hab’ ja Zeit. Mach ja kein Jogging, eher Gemütlichsitzend.
Lieber Klaus,
natürlich gibt...
Lieber Klaus,
natürlich gibt es in Berlin ein paar schöne Orte, um zu Laufen. Bis ich von meiner Haustür aus dort angekommen bin, kann ich den Asphalt jedoch nicht umgehen. Das Vergnügen keine anderen Jogger zu treffen hat man ebenfalls nur, wenn man zu unchristlichen Zeiten laufen geht.
In diesem Kontext würde ich API frei als “Schnittstelle” übersetzen.
Einen gemütlichen Samstag wünsch ich!
im deutschen heißt es "eine...
im deutschen heißt es “eine API”, nicht ein api
Wer in Mitte oder Prenzlauer...
Wer in Mitte oder Prenzlauer Berg joggt muss Knie aus Edelstahl haben – oder Schwabe sein. Das ist im Osten Berlins das Synonym für die Spinner aus dem Westen – einschließlich Sauerland, die hier gentrifizieren. Die Steigerung davon ist “Prenzl-Schwabe”.
Verehrte Teresa, einfach...
Verehrte Teresa, einfach genial! Irgendwie lebt meine Idee einer lifetimewatch auf, die ich schon vor langer Zeit nach Erscheinen der ersten Pulsfrequenzuhren hatte. Diese wurden technisch immer ausgefeilter, fast bishin zur durch das screen laufende Banane bei zuviel anärober Fahrweise. Nun, damals gabs noch keine smartphones und so sollte das oben Beschriebene konsequenterweise das lifetimeextend app einfordern – Credo: Gesund lebt länger – , damit der digitale coach fragen kann: Wie alt willst du noch werden.
CC an apple.
Guter Beitrag! Insbesondere...
Guter Beitrag! Insbesondere die Beschreibung über die Jogging-Lust in der Einsamkeit im Unterschied zu Laufbandtraining usw. ist sehr gelungen.
(und natürlich gibt es in Berlin auch ruhige Ecken, aber kaum in Mitte und wer hat schon Zeit und Lust täglich nach Dahlem rauszufahren)
Ich denke, man kann die neuen Apps und die Einsamkeit jedoch auch gut verbinden. Ich stelle meine Daten nicht ins Netz und brauche sie nur für mich. Natürlich könnte ich mit Stoppuhr und Karte selbst ausmessen, wann ich für einen 10 km Lauf bereit bin, aber wozu wenn das entsprechende App es viel schneller und sicherer bietet? Natürlich kann ich mir jeden Monat per Kalender mit kleinen Kreuzchen ausrechnen, wann das nächste Mal meine Tage kommen und ich nicht unbedingt einen Strandtag einplanen muss oder ein halber Marathon eben vielleicht nicht so passend sein wird. Dann drücke ich einfach auf das App und habe alle vergangenen und zukünftigen Daten ziemlich genau vorliegen.
Das alles ist für mich keine zusätzliche Motivation, sondern eine ganz persönliche Entlastung und weder steigert das noch mindert das meine Lust am einsamen Laufen… das ist tatsächlich das beste an der ganzen Sache.
Ich weiß nicht, dank der...
Ich weiß nicht, dank der Fitnessstudies und der Verdichtung von Langeweile pro Fitnessstudie-Gerät habe ich zu meinem lieblingssport gefunden: Liegefahrrad fahren und dabei Zeitung lesen. Das hat auch nichts mit Narzissmus zu tun, eher mit visueller Privatisierung im Fitness-Studie, was dann auch irgendwo eine gegenläufige kulturelle Praxis zum Abcheck-image ist. Besser wäre es natürlich gleich in Stadtbüchereien Liegefahrräder aufzustellen, da liefe dann auch nicht immer sehr laut ein Potpurri aus buntem ghetto-pop. allerdings hat das iPhone ja auch eine ebook-bibliothek. Gibt es eine Liegefahrrad-App?