Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Mein Körper gehört mir

Braucht es das Internet und mobile Apps, um sportlich auf Touren zu kommen? Eine gemäßigte Gegenrede zum Blogbeitrag von Teresa Maria Bücker.

Nach eingehender Gewissenserforschung kam ich im vorigen Sommer um eine Selbsterkenntnis nicht herum: Marco, mach Dir nichts vor, auch Du bist ein M.A.M.I.L.! Dieses vom BBC-Reporter Dominic Casciani geprägte Kürzel steht für „middle aged man in lycra” und bezeichnet Männer um die 40, die sich in enge Radlerkluft zwängen und auf schnittigen Rennrädern die nähere und weitere Umgebung unsicher machen. Nicht, dass ich von einem ultraleichten und 6.000 Euro teuren Carbon-Rennhobel träume, mir die Beine rasiere oder Ambitionen hege, den legendären Mont Ventoux zu bezwingen. Aber ansonsten erkenne ich mich in manchem wieder, was der BBC-Mann beschreibt. Der MAMIL ist sehr empfänglich ist für den Ruf der Berge, regelmäßig zieht es ihn mit Macht in höhere Gefilde. Für Bergzeitfahren auf meinem Niveau genügt freilich die Vollrather Höhe (eine begrünte Abraumhalde vom Tagebau Garzweiler) oder das Bergische östlich von Düsseldorf. Aber auch im niederrheinischen Flachland lässt sich wacker strampeln. Was an herausfordernden Höhenmetern fehlt, macht der Wind wett, der meist aus West weht. Einige Kilometer gegen Windstärke 4-5 anzutreten ist vom Trainingseffekt her fast so gut wie ein Anstieg im Mittelgebirge.

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Aber alles in allem geht es mir nicht um Schinderei, sondern um Spaß an der Freud. Die Bewegung an der frischen Luft tut gut, und ich habe zudem einige überflüssige Kilos in der Körpermitte eingebüßt, seit ich mich regelmäßig aufs Rad schwinge. Nicht verschweigen will ich auch, dass das Internet für diese Form des Freizeitsports durchaus wertvolle Unterstützung bietet. Da sind die einschlägigen Foren, in denen kundig gefachsimpelt wird, etwa über das Für und Wider von kompakteren Kettenblättern und andere Technikfragen: Was passt an Teilen unterschiedlicher Hersteller zusammen und was nicht, wie ermittle ich die passende Rahmengröße und so weiter. Das bekannte Internetauktionshaus mit den vier bunten Buchstaben hält einen schier unerschöpflicher Fundus an Ausrüstung und Ersatzteilen vor. Wo Google Maps für die Tourenplanung zu ungenau wird, sieht man vielleicht mit Velomap klarer, ob der Weg auch für die schmalen Rennradreifen taugt oder doch eher was für grobstolliges Mountainbike-Profil ist. Man kann sich online Trainingspartner in der Region suchen oder Gruppen für gemeinsame Ausfahrten.

Kurzum: Im Unterschied zu den frühen Neunzigern, als ich schon mal einen Anlauf mit der Rennradlerei gestartet hatte, fühle ich mich heute dank des Internets umfassender informiert und auch nicht mehr so alleine mit meinem Hobby und den dazugehörigen Fragen. Und jetzt kommt das große Aber: Ich bin kein Gadget-Freak. Ich habe zwar für alle Falle das Handy dabei, aber ich fahre ohne Navi und GPS. Am Lenker klemmt ein kleiner Bordcomputer, aber wesentlich mehr als momentane Geschwindigkeit und gefahrene Zeit wird da nicht erfasst. Obwohl, erfasst womöglich schon, aber um da mehr zu erfahren müsste ich mich weiter durch das Bedienmenü fummeln, und das Zwei-Tasten-Interface mit Set und Mute habe ich schon bei Funkweckern immer gehasst. Ja, ich bin sogar so nachlässig und unverantwortlich, dass ich da draußen rumradle ohne permanente Pulsmessung.

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Vor diesem Hintergrund hat mich der Beitrag meiner geschätzten Kollegin Teresa über den Körper mit Datenschnittstelle und Gesundheits-Apps doch gereizt, eine Gegenposition zu vertreten. Wobei ich streng genommen gar nichts dagegen habe, dass Mitmenschen ihre sportliche Leistung datentechnisch erfassen und für weitere Auswertungen verfügbar machen. Soll sich doch jeder seine Leistungskurven und Fitnessgraphen zeichnen lassen wie er lustig ist, meinetwegen auch in Korrelation mit der Mondphase oder dem Hormonzyklus. Von mir aus auch immer rein damit ins Internet, da ist ja noch Platz. Glaubt man den Vordenkern der neuen Nerdreligionen, dann haben wir gewissermaßen die Pflicht, alle Informationen über uns zur Verfügung zu stellen, denn wir wissen ja nicht, wie sich der Fortschritt in den kommenden Jahren entwickelt, und dereinst helfen unsere Daten womöglich, Krebs zu heilen oder was auch immer. Und selbst wer das bezweifelt, kann sich doch an dem guten Gefühl erfreuen, dass seine Datenerhebungen die Trainingseffizienz erhöhen, der Gesundheitsvorsorge dienen oder was auch immer.

Was also ist mein Problem damit? Es ist kein Problem, aber ich sage auch ganz offen: Ich brauche das alles nicht. Meinen Spaß an der Radfahrerei würde es nicht nachhaltig erhöhen, wenn ich mir dazu noch irgendwelche Datensammel-Verpflichtungen in Form von irgendwelchen Apps ans Bein binden würde. Was ich viel nötiger hätte, wäre manchmal ein Teamkollege, der mit ein paar vollen Trinkflaschen und ein paar Powerriegeln von hinten angeradelt kommt und mir wie Jan Ullrichs Mannschaftskamerad Udo Bölts zur rechten Zeit den richtigen Motivationsspruch reindrückt – wie zum Beispiel: „Quäl Dich, Du Sau!”

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Diese essentiellen Zutaten können Smartphones, Ipods und Ipads oder was man sonst an Gadgets da draußen mit sich herumschleppen mag, in absehbarer Zeit nicht liefern. Und ich gehöre, was die Radfahrerei angeht, auch nicht zu der Sorte von Technikfreaks, die sich dank der Informationstechnologie überhaupt erst in der Lage fühlen, ihr Potenzial auszuschöpfen. Treten muss man auf dem Rad schon selber, auf den Anstieg helfen einem auch keine Follower und mentale Exoskelette hinauf. Sascha Lobo beschreibt in seiner aktuellen Kolumne auf Spiegel Online das Konzept des Technium – die Technik als eine Art Meta-Organismus, die uns Anwender benutzt, um in immer neue Bereiche vorzudringen. Eine Sichtweise, die durchaus einiges für sich hat, auch wenn sie konsequent weitergedacht darauf hinaus liefe, dass die Technik ein neuartiger Parasit ist, der sich uns als Wirtstiere und Überträger ausgeguckt hat. Wir wären inzwischen alle schon zu Cyborgs geworden, zu Mischwesen aus Mensch und Maschine. Und spontan denke ich, ja, mit Klickpedalen zu fahren, das hat schon bisschen was von Mensch-Maschine, wenn auch mehr so im analogen und unvirtuellen Sinne. Überdies beruhige ich mich damit, dass das Technium, das Kybernetikum oder wie auch immer man die pervasiv-parasitäre IT-Metatechnik nennen mag, im Moment zumindest nicht viel zu melden hat auf meinem Rennrad. Die Knopfbatterie von meinem Fahrradcomputer ist nämlich alle.