(Franz Alt)
Wandelt sich Politik über den Einstieg von Abgeordneten in die Sphäre der 140-Zeichen-Sätze? Im Blätterwald des Feuilletons, in den Timelines von twitternden Abgeordneten, im Grundrauschen sozialer Netzwerke summieren sich Selbstoffenbarungen, Erleuchtungen und Begeisterungsausrufe auf Samtpfoten zu einem Bekenntnisbrei, der das Netz schwammig umarmt. Denn zu einer grundlegend anderen Nutzung des Internets für ein demokratisches Miteinander und zur digitalen Verankerung politischer Kommunikation zwischen Politikern und surfenden Bürgerinnen und Bürgern trägt der Austausch über die Wunderwaffe Twitter nur wenig bei.
Es ist ein schmaler Trupp von Politikerinnen und Politiker in Deutschland, die über Twitter die tatsächliche Vernetzung suchen und versuchen, den Herzschlag von virtuellen Crowds und Communitys zu fühlen. Die das Netz als größere Chance für gesellschaftlichen Wandel sehen, und nicht als einen weiteren Schauplatz um ihre Botschaften sanft unters Volk zu jubeln. Die meisten Twitter-Accounts von Abgeordneten – inbesondere von Mitgliedern des Deutschen Bundestages – sind in der Form, in der die Personen selbst oder Mitarbeiter ihrer Büros sie mit Text versorgen überflüssig, ohne Nutzen, vielleicht sogar rufschädigend.
Menschen, die in sozialen Netzwerken mit Bekannten, Freunden und Feinden kommunizieren, stöbern hier nicht nach Pressemitteilungen, RSS-Feeds und glatt geschliffenen politischen Formeln mit Plastikwörtern. Serendipität ist das Schmuckstück des Spaziergangs im Datendschungel, das die Spannung dort hält und erklärt, warum das Türchen von Twitter seine Nutzerschaft immer wieder zum Log-in einlädt. Kommunikation, die sich an den Tagesordnungen des Bundestages, der Agenda der Leitmedien, den Schwerpunkten eines Parteiprogrammes orientiert, untergräbt die wunderbaren Zufälle, über die man im Verlauf eines Tages im Netz immer wieder stolpert. Zeichnet man im Netz lediglich Abziehbilder des politischen Alltags, programmiert man den eigenen Gesprächsfetzen einen Filter hinein, der sie mit Schwung auf den Müllberg all der Onlinetexte wirft, die nach einstelligen Klickzahlen vergessen sind.
Lautet die Herangehensweise an Twitter und all die anderen Tools des Netzes: die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln – und zwar die Fortsetzung der Politik, so wie sie Zuschauer in Parlamentsdebatten verfolgen können und wie sie lange Zeit inszeniert wurde – so schaffen die Werkzeuge des Internets keinen Kulturwandel in der Politik. Ein erwartungsvolles Publikum aus Wählern, Politikwissenschaftlern und Journalisten, die auf die politische Nutzung des Internets die Hoffnung gesetzt haben, dort Wege auszumachen, die Politisches wieder an die Menschen heranzuführen, die sich vielleicht abgewandt haben, für die Politik in andere Zeichen und andere Sprachen übersetzt werden muss, die andere Möglichkeiten der Mitarbeit und Debattenführung suchen als in Ortsvereinen und im Ausfüllen eines Stimmzettels, müsste die Twitternutzung von Parteirepräsentanten derzeit anders beurteilen, als mit der Glückseligkeit, mit der jeder neue Politiker auf Twitter begrüßt wird.
Die Motivation, als politische Person die eigene Onlinepräsenz auch über einen Twitteraccount zu erweitern, verfolgt mehrere Ziele. Der Microbloggingdienst kann als Verteiler begriffen werden, der Botschaften, Argumente, Programme und Termine weiter verbreiten soll. Teil eines illustren Netzwerkes zu sein, in dem sich hippe, junge, kluge und kritische Netzversteher treffen, dient aber auch der Konstruktion oder Schärfung eines Images. Über das Schwirren durch Timelines und Gesprächsangebote in wenigen Worten soll die Wahrnehmung einer Person umgebaut oder erweitert werden: ein legitimes Vorhaben für jemanden, dessen Amt davon abhängen kann, ob Menschen ihn wählen, Journalisten ihn beschreiben oder die Parteikollegen seine Arbeit bewerten. Ernsthaft genutzt können einzelne Politiker auch Meinungen von Parteimitgliedern und anderen Menschen einholen, die Lust haben über Twitter zu diskutieren, und diese Dialoge als Impulse für ihre Arbeit betrachten.
Ein politischer Entscheider wirkt über Twitter besser erreichbar, tatsächlich ansprechbar, in vielen Fällen ist er es sogar. Doch um einen Unterschied zu machen, muss die Nutzung von Twitter und anderen sozialen Netzwerken, in denen Politikerinnen und Politiker virtuelle Bürgersprechstunden abhalten, ihr Verhalten ändern. Soziale Medien müssen die Art und Weise verändern, wie Politik gemacht wird, sie müssen wirken auf Beteiligung, Sprache und Inhalte.
Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck traf mit seiner Kritik an der Scheinpolitik von konservativen Twitterern wortwörtlich ins Schwarze, in der er kritisierte, dass diese innerhalb der Twitternutzerschaft vorgäben „Digitale Avantgarde“ zu sein, dem jedoch gegenüber stünde, dass ihre Parteien nichts für die Freiheit des Netzes täten. „Es grenzt an schizophrene Züge, “offline”, also im Bundestag, die Grundrechte im Internet abzuschaffen und “online” dann so zu tun, als sei man everybodys Darling der Netz-Community“, so Volker Beck. Daraufhin folgte ein Streit unter den betroffenen Personen, so polemisch, so abstoßend, so diffus, so inhalts- und ergebnislos, dass diese öffentliche Debatte an diesem neuen Ort an der Art von Politik anknüpfte, die schon seit Jahren und Jahrzehnten politischen Frust produziert. Ist diese Art von Politik stärker, als die Hoffnung, die eine digitale Gesellschaft in das Netz legt?
Die Euphorie um den twitternden Peter Altmaier wird sich legen. Jede Partei, die Angst vor die Freiheit des Internets stellt, und deren netzpolitische Ausrichtung unter den Meinungsführern in den politisierten (und wachsenden) Nischen des Netzes auf Ablehnung und Unverständnis stößt, hat Probleme ihre Themen darüber hinaus im Netz zu platzieren und weiterzuentwickeln. Nur eine Netzpolitik, die die Freiheit des Netzes stärken will und Kommunikation im Netz als Chance begreift, kann wiederum die Chancen ergreifen, über mehr Onlinepartizipation für Bürgerinnen und Bürger eine neue Art von Politik zu machen, die politikinteressierte Menschen zu politisch aktiven Menschen macht und die demokratische Prozesse stärkt. Genau das ist möglich für sehr viele Themen, die Politik verhandelt. Netzpolitik ist dabei nur ein kleiner Anfang.
Politikerinnen und Politiker, ihre Berater, Parteimitglieder, die Menschen, die über soziale Medien den Kontakt zu ihnen suchen – sie alle sollten sich Gedanken machen und voneinander abfordern, wie digitale Netzwerke zusätzlich zu anderen politischen Werkzeugen genutzt werden könnten. Wie sie die Art miteinander zu reden und zu arbeiten grundlegend verändern könnten. Die eingespielte Form der Politik hier lediglich zu spiegeln, führt zu nicht mehr als Beschäftigungstherapie, die sich im Nu entlarvt, und zu Frustration.
Die digitale Generation verstehen zu wollen, heißt nicht nur zu verstehen, wo und wie sie kommuniziert. Wer sagt, dass digitale Kommunikation ihn selbst verändere, muss daraus weitere Schlussfolgerungen ziehen als weiter zu twittern, zu bloggen oder Videoclips ins Netz zu stellen. Die digitale Gesellschaft verstehen zu wollen, heißt auch, für sie Politik und Gesellschaft verändern zu wollen. Es heißt auch, Offline und Online zu einer Welt zusammenführen zu wollen und nicht Gräben zwischen Generationen, Gruppen und Communitys zu vertiefen. Die digitale Kluft ist eine gesellschaftliche Spaltung, die auch Themen wie Integration, Generationengerechtigkeit und Bildungschancen betrifft. Twitter und andere virtuelle Orte als Schauplatz für Politainment zu betrachten, wird diesen Aufgaben nicht gerecht.
Ein paar Blogs, ein paar Likes, ein paar Kommentare machen noch keinen Wahlkampf. Sie machen noch keine Politik. Und was verändern sie wirklich? Das Netz und die Nutzer werden bleiben. Wer formuliert nun, wie Politik in zehn, in zwanzig oder in dreißig Jahren aussehen könnte? Und wie Gesellschaft? Wer schreibt dazu den ersten Tweet?
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Die Autorin arbeitet für die Redaktion von spd.de im Willy-Brandt-Haus. Ihre Twitter- und Google+ Accounts nutzt sie privat und beruflich.