Letztes Jahr an dieser Stelle: warum Geschenke wohlfahrtsmindernd sind. Dieses Jahr: warum das möglicherweise doch nicht richtig war.
Quer durch die Medienlandschaft kann man dieses Jahr vom volkswirtschaftlichen Wohlfahrtsverlust lesen, den der Wirtschaftswissenschaftler Joel Waldfogel in seinem aktuellen Buch ausbreitet. Wir hier haben schon vor einem Jahr über dieses Thema diskutiert – und klopfen uns bei dieser Gelegenheit für unsere Weitsicht kollektiv gegenseitig auf die Schultern.
Wenn es um Geschenke geht, argumentiert Waldfogel strikt ökonomisch: ein jeder wisse für sich selbst am besten, was er sich wünsche. Die Geschenke anderer stiften damit in der Regel weniger Nutzen als erreichbar gewesen wäre, hätten die Beschenkten einfach den finanziellen Gegenwert des Geschenks in ein Objekt ihrer Wahl investiert. Nebenbei stellt sich außerdem heraus, daß Geldgeschenke besonders von Personen vermacht werden, bei denen das Risiko des Fehlgeschenks besonders groß ist. Am Ende wagt der Ökonom die Quantifzierung: befragt nach dem individuellen finanziellen Wert des Geschenks (im Vergleich mit dem Marktwert, zu dem es erworben wurde) liegen Geschenke im Durchschnitt 20 % darunter.
Der durchschnittliche Deutsche hat in den vergangenen Tagen 241 Euro für Weihnachtsgeschenke ausgegeben, Socken und Krawatten, Küchenmaschinen und Multifunktionsdrucker, insgesamt lag bundesweit der Gegenwert von 14 Milliarden Euro unter deutschen Bäumen. Neueste Umfragen zeigen außerdem: ein großer Teil davon wird wenig wertgeschätzt, wenn auch mit fallender Tendenz – Geschenke im Wert von 700 Millionen würden wir am liebsten umtauschen, wenn wir könnten.
Das ist ein noch größerer Wohlfahrtsverlust als von Waldfogel geschätzt, da hilft auch die Freude des Einzelhandels über das jährliche Weihnachtsgeschäft nichts mehr. Während sich dieses Jahr alle auf Waldfogels “Deadweight loss of Christmas” stürzen, soll hier die andere Seite der Medaille zu ihrem Recht kommen. Tatsächlich gibt es reichlich Forschung rund ums Schenken. In archaischen Gesellschaften gab es ganz egoistische Gründe dafür, Geschenke zu machen: erstens konnte man mit Überschüssen (an Gejagtem und Gesammelten) ohnehin nicht viel anderes anfangen, zweitens zahlte sich diese Art von Geschenken bei Reziprozität irgendwann aus. In Handelsbeziehungen waren Geschenke ein wichtiger Faktor, um gute Beziehungen zu etablieren und Kreditwürdigkeit zu signalisieren, auch wenn das heute Korruption heißt und verboten ist, zumindest für manche Menschen.
Neben allerlei abstrakten, theoretischen Konzepten (bis hin zu Modellen mit einem beschränkten Set an Emotionen, z.B. Beschämung und Überraschung angesichts unerwartet teurer Geschenke), wurden Motivation und Gründe für allerlei Geschenke genauer untersucht. Zudem wurden Studien analog zu Waldfogels Forschung durchgeführt, um die von ihm aufgstellte Hypothese zu falsifizieren.
Natürlich ist an der theoretischen Annahme, daß die meisten Menschen ihre eigenen Präferenzen selbst am besten befriedigen können, gar nicht so falsch. Bereits die oben erwähnten 700 Millionen Euro Fehlkäufe legen beredtes Zeugnis davon ab. Dennoch sind allerlei Umstände denkbar, unter denen Geschenke sehr viel Nutzen stiften können. Geschenke aus dem Ausland bedeuten oft Gegenstände, die hier gar nicht zu haben wären und damit außerhalb der eigenen Reichweite liegen. Bei Geschenken der jüngeren Generation an die Eltern kann der technische Fortschritt helfen: jüngere Personen haben dank des Internets häufig wesentlich geringere Suchkosten um zum Beispiel das beste Modell, oder die beste Qualität finden zu können.
Individuelles Fachwissen kann ebenfalls hilfreich sein, zum Beispiel wenn ausgewiesene Experten ein bestimmtes Buch oder eine bestimmte Musikaufnahme schenken, auf die der Beschenkte niemals gekommen wäre. Dies wären jene seltenen Fälle, wo der großzügige Spender mehr über die individuellen Präferenzen des Beschenkten weiß als dieser selbst. Noch mehr in diese Argumentationsrichtung gehen Geschenke, für die sich die Wertschätzung erst im Laufe der Zeit entwickelt, zum Beispiel bei guten Alkoholika oder klassischer Musik. Abschließend gibt es noch den Fall, wo der Beschenkte sich das fragliche Gut selbst niemals gegönnt hätte – sei es wegen der Kosten, aus schlechtem Gewissen, oder Sparsamkeit. Das können Luxusgüter per se sein, oder auch einfach Alltagsgegenstände in erheblich besserer Qualität, wie zum Beispiel Designermode. Wissenschaftler tun sich mit derart rational motivierten Geschenkbewertungsstrategien leichter, aber natürlich sind sie trotz allem nicht blind für die weniger rationalen Verhaltensweisen: am allerwichtigsten ist immer noch der emotionale Wert von Geschenken. Da kann auch die dreihundertste Krawatte noch ein wertvolles Geschenk deutlich über den monetären Wert hinaus sein, ebenso das krakelige Bild von Kinderhand für die Großeltern.
Auch wenn diese Art der Wertbeimessung methodisch schwieriger zu fassen ist: sichtbar ist sie sehr wohl. Der ursprüngliche Aufsatz von Waldfogel 1993 zog seinerzeit eine Vielzahl von Kommentaren nach sich, in der andere Wissenschaftler das Gegenteil zu zeigen versuchten. Solnick und Hemenway befragten ihrerseits ihre Studenten – allerdings keine indoktrinierten und voreingenommenen Volkswirte – sowie (als Ergänzung) Passanten an Bahnstationen. Diese sollten eine Reihe von Geschenken nennen und bewerten. Die entscheidende Frage war kompliziert gestellt, aber das Ergebnis eindeutig: mit und ohne Extremwerte bewertete etwa die Hälfte der Befragten das Geschenk über seinem monetären Wert, nur 30 % unterhalb desselben. Weiterhin wurden Geschenke auf Verabredung und Absprache weniger wertgeschätzt als Überraschungen, besonderer Wert wurde hingegen Geschenken beigemessen, bei denen der Gebende sich tiefere Gedanken gemacht hatte.
Bestätigt wird diese Tendenz von einer weiteren Studie von Shogren und List, bei der – ebenfalls für eine begrenzte Stichprobe von gut 200 Personen – die individuellen Preise (inklusive sentimentalem Wert) durch Auktionsverfahren ermittelt wurden. Erneut bestätigte sich, daß Individuen Geschenke offenbar deutlich über ihrem monetären Wert einschätzen und tatsächlich sogar zusätzliche Wohlfahrt im Rahmen von 20-30 % ihres finanziellen Werts schaffen – auch wenn diese Werte nicht im Bruttosozialprodukt auftauchen.
Die konkreten Probleme experimenteller Methodik der genannten Studien zu diskutieren – wie es Waldfogel und seine Kollegen tun, der interessierte Leser folge bitte den Links – würden den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Allerdings ist die Debatte noch keineswegs beendet, und ich bin optimistisch, auch nächstes Jahr hier den neuesten Stand der Wissenschaft referieren zu können.
Bis dahin wissen wir ohnehin alle, die Wahrheit lautet “es kommt darauf an”. Den bei einem Wichtelspiel gewonnen überdimensionalen Kaugummi-Lolli hätte ich wirklich nicht haben müssen. Den bestickten Kulturbeutel meiner Eltern hingegen liebe ich nicht nur, weil ich ihn gebrauchen kann (Eltern wissen sowas), sondern auch, weil er von meinen Liebsten kommt. Und die schönsten und besten Geschenke im Leben liegen ohnehin nicht unterm Baum.