Die Jahreszeiten sind eine wunderbare Sache, man kann sich nämlich bei jeder einzelnen zweimal freuen: wenn eine Saison kommt, und wenn sie wieder geht. Inzwischen allerdings wäre es höchste Zeit, daß der Sommer ernsthaft beginnt. Sehnsüchtig warte ich darauf, wieder Röcke und Sandalen tragen zu können, in der Sonne draußen sitzen zu können und morgens Vögel zu hören. Grundsätzlich wäre auch ein Urlaub in wärmeren Ländern ein reizvoller Ersatz, um die nächsten Wochen zu überbrücken – allerdings birgt die Sonne Gefahren jenseits von Ozon und Hautkrebs, die mir bislang nicht bewußt waren: Hitze nämlich macht aggressiv. Das ist so trivial, daß es vielfältigen Eingang in die Alltagssprache und Sprichwörter gefunden hat. Ich erinnere mich an ein besonders schönes Beispiel aus einem älteren historischen Roman, in welchem der Satz stand: “und die Zornesflamme stach ihm ins Hirn”.
Diese Erkennntnis erklärt manches Klischee, nicht zuletzt das von den heißblütigern, temperamentvollen Südeuropäern – und ist inzwischen in der sozialwissenschaftlichen Forschung in mehrerer Hinsicht eine weitgehend etablierte Tatsache. Bereits frühe Studien konnten in wärmeren Regionen tendenziell höhere Kriminalitätsraten feststellen, ebenso wie für die wämeren Monate im Vergleich mit kälteren. Das allerdings wäre ebensogut mit dem Sozialverhalten der Menschen zu erklären gewesen: wenn das Wetter netter ist, verbringt man mehr Zeit draußen, und wo mehr Menschen im öffentlichen Raum aufeinandertreffen, steigt das Risiko für Konflikte. Bemerkenswerterweise zeigen Studien auch, daß Personen, die öfter ausgehen, ein signifikant höheres Risiko haben, überfallen zu werden – was keine diskrkiminierende Anschuldigung sein soll, sondern schlicht und einfach eine statistische Tatsache ist.
Erst seit intensive Datensammelbemühungen und fortgschrittene, rechenintensive statistische Methoden auch kompliziertere Untersuchungen ermöglichen, läßt sich ein mit ziemlicher Sicherheit kausaler Zusammenhang etablieren, der auch dann vorhanden ist, wenn man das Sozialverhalten und die räumlichen Umstände menschlicher Interaktion mitberücksichtigt. Davon abgesehen gibt es ein Vielzahl verwandter Untersuchungen, die sich mit dem Zusammenhang zwischen Aggressivität und Hitze befassen und zu ähnlichen Ergebnisse kommen – manche durchaus skurriler Art.
Eine Studie von 1991 zum Beispiel untersuchte die Häufigkeit, mit der Sportler in Spielen der amerikanischen Baseballiga von gegnerischen Bällen getroffen wurden. Die Wissenschaftler sammelten die notwendigen Daten (nicht nur zu aggressiven Aussetzern, sondern auch andere relevante Spielinformationen und die Auslastung des Stadiums etc.) aus Zeitungsartikeln für die Jahre 1986-1988, sowie die Höchsttemperatur am Spieltag. Die Ergebnisse zeigen, daß an heißen Tagen die Wahrscheinlichkeit für derart mutwillig aggressives Spielerverhalten tatsächlich deutlich größer ist.
Eine andere Studie aus den 80er Jahren wiederum versuchte, Daten zum Zusammenhang zwischen Hitze und Aggression systematisch neu zu generieren – wobei das experimentelle Design geradezu gemein war. Amerikanische Forscher konstruierten einen Unannehmlichkeitsindex für das Wetter, und führten dann an klimatisch unterschiedlichen Tagen ein Feldexperiment durch, bei dem Autofahrer an vielbefahrenen Kreuzungen bei grüner Ampel mutwillig einfach stehenblieben – während gleichzeitig die Frequenz und Lärmentwicklung von hupenden anderen Autofahrern als Maß für deren Aggressionslevel aufgrund der Provokation aufgezeichnet wurde. Tatsächlich wurde an heißen Tagen sehr viel mehr gehupt als an kühlen. An der geringen Verbreitung von Klimaanlagen allein kann es vermutlich nicht gelegen haben, denn das wurde berücksichtigt: Vermittels der heruntergekurbelten Fenster, die ebenfalls beobachtet wurden.
Um letzte Zweifel an der Validität solcher Beobachtungen in freier Wildbahn auszuräumen, gibt es auch Experimente unter kontrollierten Bedingungen im Labor. Bei Trainingseinsätzen von Polizisten mit simulierten Einbrüchen empfanden niederländische Polizisten den Einbrecher als bedrohlicher und reagierten entsprechend häufiger mit Waffengebrauch, wenn die Räumlichkeiten aufgeheizt waren, als bei angenehmen Temperaturen.
Unklar sind – wie so oft – die genauen Mechanismen. Möglicherweise wird große Hitze als Streßfaktor wahrgenommen, und Menschen unter Stress reagieren aggressiver. Möglicherweise allerdings wird auch das Unwohlsein aufgrund der Hitze anderen Personen zugeschrieben, die dann die Aggression zu spüren bekommen. Die Psychologie bietet verschiedene Mechanismen zur Erklärung an, aber eine definitive Meinung scheint es nicht zu geben.
Relevant ist das für die Bewohner von Indudstrieländern, die daraus lernen könnten, zum Beispiel Strafanstalten, Busse oder Bahnen besser zu klimatisieren, um Konflikte einzudämmen. Dramatischer jedoch sind die Folgen für Entwicklungsländer, deren häufige Konflikte damit ebenfalls in gewissem Umfang erklärt werde könnten – mit düsteren Aussichten in Zeiten der Klimaerwärmung.
Daß das Wetter in Entwicklungsländern einen unheiligen Zusammenhang mit Konflikten und Kriegshandlungen aufweist, ist schon länger bekannt – nicht zuletzt allerdings, weil die Regenzeit Straßen in Schlammlöcher verwandelt, und Krieg ohne Transport nun einmal schwierig ist. Verstärkt wird der Einfluß des Wetters über wirtschaftliche Faktoren, weil die Landwirtschaft eine größere Rolle spielt, und damit familiäre Einkommen direkt vom Wetter abhängen. Solche mehrdimensionalen Abhängigkeiten machen es schwierig, den Einfluß des Klimas auf Konflikte zu quantifizieren, aber die fraglichen Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, daß die Klimaerwärmung zukünftig auch zu vermehrten Konflikten und mehr Toten in Entwicklungsländern, vor allem in Afrika führen wird.
Darüber hinaus macht Hitze nicht nur aggressiv – sie macht auch faul. Eigentlich wissen wir das alle, und auch die Kolonialherren der Jahrhundertwende hätten während ihrer ausgiebigen Siestas, befächert von kleinen Punkawallahs oder schwarzen Hausboys, darauf kommen können, daß die unziviliserten Eingeborenen nicht aus reiner Bequemlichkeit oder charakterlichen Defiziten weniger produktiv waren, sondern aus guten klimatischen Gründen – aber für diese Einsicht bedurfte es offenbar ebenfalls moderner Forschung.
Auch in Industrieländern nämlich zeigt sich, daß die Menschen bei großer Hitze weniger arbeiten, und zwar umso weniger, je direkter sie der Hitze ausgesetzt sind, also nicht in klimatisierten Büros hocken, sondern zum Beispiel auf einer Baustelle schleppen – was ja wiederum sehr viel eher den typischen Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern entspricht. So trivial dieser Erkenntnisse scheinen mögen besteht eben doch ein großer Unterschied zwischen der subjektiven Intuition bzw. eigenem Erleben und der objektiven Beobachtung in einer Studie, die deutlich breitere Gültigkeit beanspruchen kann. Welche politischen (oder unternehmerischen) Schlußfolgerungen man jedoch daraus zieht, steht auf einem anderen Blatt. Kühlere Büros bei staatlichen Überwachungseinrichtungen, Polizei und Drohnenpiloten wären jedenfalls keine schlechten Ideen, wie man in den letzten Wochen erleben musste.