Hier kommt der Strom noch ganz traditionell aus der Steckdose. Und alle Jahre wieder irgendwann im September flattert ein Brief vom regionalen Versorgungsunternehmen mit einem Antwort-Postkärtchen und der Bitte ins Haus, die Zählerstände selber abzulesen, in das Kärtchen einzutragen und selbiges an die Stadtwerke zurückzuschicken. Eigentlich hätte im Vorjahr turnusgemäß mal wieder ein Trupp von Ablesern den Stromkunden auf die Zähler gucken sollen, aber aus irgendwelchen nicht näher ausgeführten „organisatorischen Gründen“ blieb es dann doch beim Selbstablesen. Für die fortschrittlicheren unter den Stromkunden gibt es sogar die Möglichkeit, den Zählerstand in ein Online-Formular des hiesigen Stromanbieters einzutragen. Um mehr Kunden für diese Variante zu begeistern, wurde voriges Jahr sogar ein Gewinnspiel ausgelobt.
Doch wenn es nach den Vorstellungen der Großen Koalition geht, gehört dieses Verfahren bald der Vergangenheit an. Nicht nur Großabnehmer, sondern auch Privathaushalte sollen zum Einbau intelligenter Zähler (auf gut Denglisch: smart meter) verpflichtet werden. Beim Errichten eines Neubaus und umfangreichen Renovierungen von Altbauten ist der digitale Stromzähler heute schon Pflicht. Und im Prinzip hört sich das auch ganz toll an, was die schlauen Zähler im Keller so alles möglich machen sollen. Melden die Messgeräte den aktuellen Verbrauch in den Haushalten permanent an den Anbieter zurück, kann der seine Kapazitäten besser auf den aktuellen Bedarf hin ausrichten. Überhaupt besteht ja eine der Herausforderungen der Energiewende darin, die naturgegebenen Schwankungen bei der Erzeugung von Sonnen- und Windenenergie mit der Lastverteilung auf Verbraucherseite, die sich ja nicht nach dem jeweils verfügbaren Stromaufkommen richtet, zu koordinieren. Dazu muss das gesamte Stromnetz flexibler und intelligenter werden (Stichwort: smart grid) – und um diese geforderte Netzintelligenz bis hin zum Endverbraucher gewährleisten zu können, braucht es angeblich auch die intelligenten Zähler.
Der versprochene Nebeneffekt: Mithilfe der elektronischen Messgeräte soll auch der Stromkunde selber seinen Verbrauch besser kontrollieren und Energie sparen können. Oder die Geräte eben zu nachfrageschwachen Zeiten laufen lassen, in denen grad viel günstiger Strom im Netz ist. In der Praxis dürfte es indes ziemlich schwer werden, mit den schlauen Kästchen im Keller nennenswerte Einsparungen zu erzielen. Das liegt zum einen an den üblichen Tarifmodellen mit ihren geringen Preisunterschieden zwischen Tag- und Nachttarifen. Zum anderen kommt die schlaue Messtechnik auch nicht kostenlos ins Haus. Eine Studie von Ernst & Young im Auftrag der Bundesregierung hat das Thema nüchtern durchgerechnet: Sollten bis 2022 die deutschen Haushalte zu 80 Prozent auf intelligente Zählersysteme umgestellt werden, wären pro Kunde jährliche Kosten von etwa 89 Euro anzusetzen. Durch entsprechende Lastverlagerung könne ein Durchschnittshaushalt aber allenfalls Einsparungen von 10 bis 20 Euro pro Jahr realisieren. Die Kosten der Umstellung seien somit insbesondere für Haushaltskunden mit geringem Jahresverbrauch „unverhältnismäßig hoch“.
Ob das die Regierenden davon abhält, die Sache trotzdem durchzupeitschen, darf bezweifelt werden. Der Spiegel hatte Ende November berichtet, die Bundesregierung plane, die Modernisierung der Messtechnik über eine Zwangsumlage für alle strombeziehenden Haushalte finanzieren zu lassen. Das Dementi der damals amtierenden Umwelt- und Wirtschaftsminister kam prompt, ließ aber jede Menge Interpretationsspielräume offen, wie sich die künftige (also jetzt amtierende) Regierung zu diesem Thema verhalten könne. Die EU-Zielvorgabe, bis 2022 vier Fünftel aller Haushalte mit einem smarten Zähler samt Echtzeit-Verbrauchsübertragung auszustatten, ist weiterhin in Kraft.
Das nicht sonderlich technikkritische Online-Magazin „Telepolis“ sieht die Smart-Meter-Offensive denn auch in erster Linie als Versuch von Industrie und Versorgungsunternehmen, die Kosten für die Netzumrüstung zum flexibleren Smart Grid auf die Privathaushalte abzuwälzen: „Da weder die Netzbetreiber, noch die Stromhändler, noch die Industrie sich für eine Kostenübernahme begeistern können, muss jetzt der Privatkunde ran“, schreibt Christoph Jehle. Würden die Infrastrukturkosten auf die Industrie umgelegt, müssten die Unternehmen diese bei ihrer Preiskalkulation berücksichtigen. Im Inland träfe es also mehr oder weniger mittelbar wieder die Endkunden. Und bevor jetzt jemand mit dem Totschlagargument kommt, das wäre mal wieder eine typisch deutsche Diskussion: Die Kosten-Nutzen-Frage der intelligenten Zähler stellt sich genauso auch in Texas und Kalifornien, wie das Wall Street Journal zu berichten weiß.
Aber tatsächlich hat das Thema auch brisante Datenschutz-Implikationen, und da haben wir einen weiteren Grund dafür, dass sich die Begeisterung über die intelligente Messtechnik hierzulande in überschaubaren Grenzen hält. Ein Forscherteam der FH Münster hat Datenströme von Smart Metern einmal genauer analysiert und anhand gerätespezifischer Stromverbrauchskurven eine unglaubliche Fülle von Erkenntnissen gewonnen: So konnte exakt nachvollzogen werden, wann Bewohner Kühlschrank, Herd, Wasserkocher, Durchlauferhitzer, Toaster, Lampen, Waschmaschine und Fernseher benutzt haben. Es ließ sich sogar feststellen, welcher Film über den Fernsehbildschirm flimmerte.
Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern haben daher bereits 2012 einen Leitfaden für datenschutzgerechtes Smart Metering vorgelegt. Da wird beispielsweise gefordert, die Ableseintervalle sollten so groß sein, dass Rückschlüsse auf das Nutzerverhalten nicht möglich sind. Überhaupt sollten Informationen zum Stromverbrauch möglichst ohne Personenbezug – also pseudo- oder anonymisiert – an möglichst wenige Stellen übermittelt werden und auch zeitnah wieder gelöscht werden. Stromkunden müssten die Möglichkeit haben, Daten korrigieren zu lassen, erkennen zu können, wenn auf das Gerät zugegriffen wird und den Zugriff unterbinden zu können. Hält man sich indes vor Augen, dass in der oben genannten Ernst & Young-Studie der Verkauf von Nutzerdaten an interessierte Dritte als Möglichkeit angepriesen wird, die Finanzierungslücke bei der Umrüstung zu schließen, scheint es nicht allzu wahrscheinlich, dass diese Maximalforderungen auch so durchsetzbar sind.
Und wo bleibt das Positive? Ja, weiß der Geier, wo das bleibt. Ah, hier findet sich was: In Österreich hat der Nationalrat den Bedenken der Datenschützer Rechnung getragen: Der mit den neuen Geräten möglichen Ablesung im Viertelstundentakt muss der Stromkunde explizit zustimmen. Und noch besser: Es gibt keine Smart-Meter-Pflicht – wer den neuen Zähler nicht will, bekommt ihn also auch nicht installiert. Anders als hierzulande, wo die Innovation mit der Brechstange durchgedrückt werden soll, kann es dort der Markt richten, dass sich das bessere Angebot durchsetzt. Felix Austria…