Es ist zu rapportiren von Beschwerden und Confession, von Conflicten gar religioser Nathur, die entbrennen ob der Vermessung der Welth. Und zu reden sein wird auch von Nägeln, die da wachsen an Fingern und Zehen.
Wenn man über den Zusammenhang zwischen Liebe und dem Internet nachdenkt, dann liegt es nah, die Pornographie als Bedrohung auszumachen.
Auf die Pornographie werden wir bestimmt noch zu sprechen kommen in diesem Rahmen, heute jedoch geht es um die spaltenden Eigenschaften des Netzes. Denn das Internet kann durch seine bloße Existenz ein Beziehungskiller, ein echter Spaltpilz sein.
Von professionellen Internetbefürwortern wird gern darauf verwiesen, jede große neue Technologie sei für den Untergang des Abendlandes gehalten worden. Die Eisenbahn! Das Telefon! Der Fernseher!
Aber erstens sterben Hypochonder auch einmal, also wird doch das Abendland nicht einfach so ewig bestehen, und zweitens hat das Fernsehen nichts anderes verlangt als “Schau mich an!”, das Telefon wollte bloß ein wenig bimmeln, und die Eisenbahn eine rasche Alternative zur Kutsche sein.
Das Internet allerdings verlangt ein Bekenntnis.
Dieser Satz ist natürlich Unsinn, denn das Internet verlangt gar nichts, es einsnullt so vor sich hin, wir allerdings leben in einer Bekenntniskultur. Und da wir gleichzeitig in einer Beschwerdekultur leben, wird jedes noch so schnarchige Thema zu einem kleinen, etwas langweiligen, deshalb aber nicht weniger intensiv geführten Bürgerkrieg.
Nehmen wir Google Street View. Durch das ganze Land, durch jede Gemeinde, durch jedes Paar gar geht der Riss: Wollen wir unser Heim fotografieren lassen?
Man möchte lieber nicht als jemand, der sein Haus nicht gern im Internet sieht, mit jemandem zusammenleben, der mit Begriffen wie „digitale Öffentlichkeit“ um sich wirft. Es ist wenig Platz derzeit für ein entspanntes „Ist mir egal“.
Das gilt für alles, was das Netz angeht. Bloggen oder nicht, Facebook oder nicht, Twitter oder nicht, das kann einem nicht egal sein.
Anatol Stefanowitsch beispielsweise liebt Google. Nun haben wir ja alle mal das Heinemann-Wort „Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau“ gehört, aber kann Ihre Frau Inches in Zentimeter umrechnen, weiß sie, ob es Kisuaheli heißt oder Kiswahili, oder kann sie Sie in Sekundenbruchteilen zu Nacktfotos von Anna Kournikowa führen?
Kann sie nämlich alles nicht, Google aber schon.
Die Abgabe dieses Bekenntnis ist dabei gar nicht so sehr eine Generationenfrage, in meinem Bekanntenkreis sind die Jüngsten am ehesten Internetverweigerer. Der durchschnittliche deutsche Twitternutzer ist 32 Jahre alt und somit beinahe am Ende seiner Pubertät.
Mit 32 wird es langsam wichtig, sich jung zu fühlen, weil man so richtig jung nicht mehr ist.
Jetzt hat die Generation der zwischen 1970 und 1980 Geborenen sich jahrelang daran hochgezogen, die Alten würden halt das Internet nicht verstehen, ihre ganze bahnbrechende Jugendlichkeit war darauf gegründet, im Gegensatz zu den greisen Papierkonsumenten die Tiefe eines Tweets ausloten zu können, da kommen auf einmal die tatsächlich Jungen daher und sagen: „Ich würde gern in Ruhe ein Buch lesen und danach Geschlechtsverkehr haben, kannst du mal deinen Laptop leiser stellen, Opa?“
Für einen Nicht-Twitterer muss es aussehen, als sei gerade von der Zimmerpalme ein Amazonas-Schamane gefallen und praktiziere nun undurchschaubare Ahnenbeschwörungsrituale, wenn ein passionierter Alt-Twitteraner vor seiner zwitschernden Apparatur sitzt und begeistert Links von halbfremden (oder auch lose verbundenen) Menschen klickt.
„Folgst du mir auf Twitter?“, fragte vor einiger Zeit ein erfreulich runder Medienmensch noch vor dem ersten „Hallo“, um sich dann schnaufend einem Wildschweinchen zuzuwenden, als ich es nicht sagen konnte. Die hübschen Kellnerinnen in meinem Lieblingscafé dagegen runzeln ihre aufsehenerregende Stirn (jede mit ihrer eigenen), wenn sie mich beim Facebook-Update erwischen und jedes zarte Fältchen sagt: „Hast du denn kein Leben, Onkel Nicander?“
Gefangen zwischen bekennenden Onlinern und ebenso bekennenden Online-Verweigerern geht es einem wie einem Moslem in Nordirland: Besser Bart ab und mitsaufen, egal, wer einem gerade das Guinness hinhält.
In jeder eheähnlichen Gemeinschaft gibt es vermutlich Gespräche wie das, von dem ich heute Teil gewesen bin.
Ich suche eine Nagelschere und frage mich dabei halblaut, warum Nägel eigentlich immerzu wachsen. Meine Freundin, die seltsamerweise immer weiß, wo Objekte sich befinden (obwohl sie sie angeblich vorher gar nicht abfotografiert) – wahrscheinlich versteckt sie sie vorher, um dann mit triumphaler Geste sagen zu können: „Hier!“ – reicht mir die Schere und sagt natürlich: „Hier!“
Da sie ja alles weiß, frage ich sie gleich, warum denn dann Zähne, die einer ähnlichen Belastung wie Nägel ausgesetzt sind, nicht ebenso ständig nachwachsen, worauf sie nicht etwa antwortet, sondern beschwichtigend sagt, dass es doch ein gutes Zeichen sei, das beständige Wachstum der Nägel.
„Für was denn bitte das?“, frage ich und sie sagt: „Dafür, dass du nicht tot bist.“
Sehen Sie.
Genau dafür macht man das doch mit der Liebe. Damit man am hellen Tag daran erinnert wird, dass das Einzige, was einen von einer Leiche unterscheidet, das Wachstum der Nägel ist.
Beziehungen sind immer, in jedem Aggregatzustand, mit Vorsicht zu genießen, wenn Sie von Zeit zu Zeit Kontakt mit Menschen haben, dann wissen Sie das vermutlich. Es ist von daher anzuraten, mit einem Menschen des gleichen Bekenntnis zusammen zu wohnen. Und damit meine ich natürlich: Halten Sie sich als eingefleischter Linux-Nutzer unbedingt von den Appleleuten fern. Achso: Machen Sie ja sowieso schon.
Auf der Schaubühne wird übrigens gerade für das Stück „Wie Herr von S. einmal keinen Sex hatte wegen Google Street View“ geprobt, aber das nur nebenbei.
Google weiß von mir mehr als meine Mutter jemals hätte wissen wollen. Und selbst ein gläubiger Katholik wird sich fragen, ob Google nicht vielleicht noch ein wenig mehr weiß als Gott, denn Gott ist bestimmt etwas unordentlich, sonst wären ihm ja nicht Nacktmulle passiert. Bei Google aber sitzen Nerds hinter mächtigen Maschinen, und Nerds sind gerne mal etwas obsessiv und Maschinen ja nun einmal definitionsgemäß auch.
(Natürlich gibt es Notwehrmaßnahmen, beispielsweise TrackMeNot. Wenn man Firefox benutzt und darauf TrackMeNot installiert, wird Google mit zufälligen, unverfänglichen Suchanfragen gefüttert, damit der Nutzer so seine Spuren verwischen kann.
Das Problem ist klar: Selbst wenn in meinem Suchprotokoll Dutzende Anfragen zu Shampoos, Bodenreinigern, Zahnpasten, Sportveranstaltungen und Klausurtagungen der evangelischen Pfadfindergruppe Schöneberg zu finden sind, sticht dann eben doch die Frage „Wie bastele ich eine Atombombe aus alten Röntgengeräten?“ ins Auge.)
Kein Wunder, dass die Leute da Angst bekommen, sie fürchten sich ja schließlich auch vor Zigarettenrauch auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Womit wir bei der anderen Komponente unser Kultur wären: der Beschwerde.
Wäre meine Katze mit Intelligenz gesegnet, dann würde sie dauernd Widerspruchsverfahren einleiten, beispielsweise gegen geschlossene Türen. Widerspruchsverfahren sind die Panzerfaust des kleinen Mannes, mit ihm bewaffnet begibt er sich in asymmetrische Konflikte.
So kann er Flughäfen verzögern und Brücken und Olympische Spiele, aber wie das eben so ist in asymmetrischen Konflikten: Er geht dabei auch drauf, denn das ganze Rechthaben, die Anwaltskosten, die Vereinsabende mit anderen Rechthabern, das Warten, die Anfechtungsklage, die besseren Anwälte der Gegenseite, der Wechsel des Anwalts: all das steigert den Blutdruck. Gäbe es sie, käme eine Studie der Universität Mainz zu dem Ergebnis, dass Menschen, die Widerspruchsverfahren einleiten, neun Jahre kürzer leben als solche, die häufig mit den Schultern zucken.
Ich bekenne mich hiermit dazu, hundert Jahre alt werden zu wollen und beschwere mich bei jedem, der das durch Raufhändel und Scheingefechte zu verhindern sucht, per Formbrief. Achten Sie auf Ihren Briefkasten.