Worin jubilieret wird, dass Google etwas completum ney-arttiges hat!
Google Priority Inbox, das ist der Deus Ex Machina für
Ihre verkorxte Existenz, all die Sie das Internet
zu Hülf nehmen tun, das Daseyn
schäntlich zu verlottern.
Ach, was ist schon Priorität… Schauen Sie, Ende der 80er Jahre gab es noch kein Internet, zumindest keines, das ich genutzt und gekannt hätte. Ich war damals auch keiner der komischen Mathekönner aus der Schule, die ihre Freizeit am C64 verbrachten oder Pacman spielten oder was auch immer damals üblich war. Meine Spielzeuge waren ein Surfbrett, das unter vier Windstärken kläglich absoff, und ein Rennrad. Ich hatte keinen Rechner, aber einen Führerschein und den Kleinbus meiner Mutter, und in den warf ich zu dieser späten Augustzeit das Rennrad, schnallte mein Brett oben drauf, holte einen Freund ab, und dann fuhren wir, Tropi Frutti essend, bis uns sehr schlecht war, an den Gardasee. Wir gingen am Morgen surfen, am Nachmittag radeln und am Abend essen. In meiner Erinnerung war jeden Morgen Sturm, jeden Nachmittag Sonne und jeden Abend Sonnenuntergang über Malcesine. Wenn mal kein Sturm am Morgen und schönes Wetter am Nachmittag war, lasen wir eben. In jenen Tagen habe ich die Autobiographie von Dali gelesen, Cocteaus Kinder des Olymp, und Walter Mehring. Irgendwelche anderen Touristen lasen die Gossenmedien aus der Heimat, aber wir nicht. Es war eine tolle Zeit.
Dann fuhren wir, braungebrannt und zufrieden, über die Brenner Staatsstrasse heim. Am nächsten Morgen griff ich am Frühstückstisch meiner Eltern zur Zeitung und las nach, was in den drei letzten Wochen passiert war: Nichts. Also wirklich nichts. All die lauten, wichtigen, relevanten Themen aus der Zeit vor den Urlaub, Glasnost, WAA, irgendwelche Sager irgendwelcher Politiker, alles war ohne Ergebnis weiter gegangen. Es war immer noch laut, wichtig, relevant, aber ich hatte nichts verpasst. Wenn ich drei Monate in Italien geblieben wäre, hätte ich genauso leicht wieder in den Strom der Nachrichten einsteigen können, mit seinen Aufregern, Thesen, Meinungen und Informationen. Und stets dachte ich mir danach: Die echte Geschwindigkeit meines Lebens, das ist das Funkeln der Gischt auf dem Wasser, das Blitzen der Speichen in der Sonne, das ist relevant für mich, und der Rest, nun ja, ist allenfalls scheinrelevant. Nach den Wochen in Italien brauchte ich lang, um mich wieder an das Tosen der Medien zu gewöhnen.
Seitdem gingen zwei Dekaden weiterer Irrelevanzen ins Land und, Gott sei es gedankt, auch wieder hinaus, aber es kam auch das Internet und entschloss sich zu bleiben. Zudem bildete es Geschwüre aus, als da sind Nachrichtenportale und Email, Facebook und RSS-Feeds, und alles ist dazu angetan, alles jetzt sofort in möglichst knapper Form an den Mann zu bringen. Dauernd tut irgendjemand etwas, bietet eine Sache an, sagt etwas, sei es nun die grosse Scheinrelevanz der Medien, oder die kleine Relevanz der Freunde bei Facebook. Man kann prima einen Tag im Internet vertrödeln, ohne dass einem langweilig werden müsste, die Content Management Systeme sind am Hintereingang immer hungrig und am Vorderausgang stets bereit, neue Informationen zu spucken. Es gibt im Netz immer was zu tun und zu sehen, und alles ist irrelevant. Wenn man Glück hat.
Wenn nicht, fängt man an, diesen Strom an Nachrichten und Infobrocken wichtig zu nehmen. Man verlagert sein Leben in diese Sphäre und wirft den Schlüssel zum Ausgang weg. Das kleine Problem an der Sache: Der Mensch hat nur ein Leben und eine Auffassungsgabe. Die Menschen und Maschinen auf der anderen Seite aber sind so konzipiert, dass sie sich alle um diese Aufmerksamkeit streiten. Da ist dann immer was los, man muss sich nicht mit sich selbst beschäftigen, die anderen liefern schon was: Coole Sprüche bei Twitter, Bitchslapping beim VZ, Likes bei Facebook und Society bei Onlineablegern bekannter Wochenpostillen, und dazu noch Mails von Leuten, die etwas wollen und belegen, dass man noch existiert, mehr als nur die Kohlenstoffhülle, die vom Netz entlang der Timeline zugedröhnt wird. Es ist das Surfen auf der grundrauschenden Gischt, und wenn man sich am Abend fragt, was man den lieben, langen Tag getan hat, steht man schnell noch mal auf und schaut in die Mails, weil man die Frage nicht beantworten will: Scheinrelevantes Getrödel, um nicht nachdenken, entscheiden und handeln zu müssen.
In Amerika hat die bedrohliche Versuppung in Irrelevanz einen griffigen Namen bekommen: “Facebook Fatigue”, Facebook-Erschöpfung nennt man diese Zustände der Überfüllung mit immer gleichen Nichtigkeiten der Freunde, wunderbar in einem Kurzfilm zusammengefasst. Es ist die Freiheit des Menschen, dorthin zu gehen und sein Dasein im Datenbrei zu vertrödeln, aber vielleicht wünscht er sich auch etwas anderes. Etwas, das ihn einerseits in dieser bequemen Agonie belässt, die alles an ihm vorübertreibt, und dennoch das Gefühl von Relevanz und Struktur erzeugt. Und hier kommt nun die Google Priority Inbox ins Spiel. Das System schaut einem bei der Nutzung von Google Mail auf die Finger, beobachtet das Verhalten, und versucht zu verstehen, was für einen wichtig ist. Im ersten Schritt lernt die Maschine vom Menschen. Im zweiten Schritt simuliert sie ihn. Und im Ergebnis macht sie aus dem Brei der Emailbenachrichtigungen eine stukturierte Relevanzbeurteilung. Eine grandiose Idee: Der Mensch kann weiterhin in seinem Informationssumpf hausen, aber die Maschine sagt ihm, was wichtig ist, was für ihn wichtig ist, für wen er wichtig ist, und in letzter Konsequenz auch: Warum er deshalb eine Relevanz hat. Gewisse Dinge, sagt die Priority Inbox, muss er unbedingt gleich machen. Loslos schnellschnell. Das soll eine Woche Lebenszeit bei Netzmenschen einsparen, sagt Google. Viel wichtiger aber, denke ich: Es gibt dem Leben in der Überflutung wieder eine Art Sinn.
Obendrein gibt es Google auch famose Möglichkeiten, Werbung zu platzieren und genauer auf das Nutzerverhalten abzustimmen, und natürlich auch: Etwas über die Nutzer zu erfahren. Gestatten Sie mir die Bemerkung, kein Mensch mit einem Funken Hirn würde zulassen, dass sich ein anderer eine Weile neben einen setzt, die Mails mitliest und dann Notizen macht, um dann, weiterhin mitlesend, eine Vorauswahl zu treffen. Aber Google verspricht dazu eine Woche Lebenszeit, Effektivität, Leistung, Priorität, und dazu Relevanz. Bedeutung. Wichtigkeit. Die Illusion, aus dem Siff des Onlinetrödelns erhoben zu werden. Jemand zu werden, der noch ein wenig mehr Überflutung erträgt, weil die Maschine für ihn sortiert. Da geht jetzt wieder was. Eine Woche im Leben noch mehr Farmville spielen, Bilder der Kollegen im VZ suchen, und der Gott in der Maschine entsorgt derweilen die unwichtigen Dinge. Auf die Knie und Google um diese Woche danken!
Es ändert natürlich nichts am Problem, dass die Menschen zu viel im Internet zu tun haben, weil sie zu viel im Internet sind. Google nimmt die Junkies nicht von der Nadel, sondern erklärt ihnen, wie sie effektiver Schüsse setzen können. Wie jeder eifersüchtige Gott, der Werbung verkaufen will, muss Google die Menschen abhängig von seinen Diensten machen. Sie müssen das Gefühl haben, dass sie dabei der Gewinner sind, dass es ihnen nutzt, und vor allem: Dass all die Trödelei irgendeinen Zweck hat. Das Onlineleben einen Sinn zeitigt. Googlegott hat kein Jenseits zu bieten, und in den Suchergebnissen für Pr0n ist keine Seele, aber es gibt immerhin eine Woche Lebenszeit im Diesseits und Priorität im eigenen, kleinen Internetkasten. Das ist für einen Gott ziemlich erbärmlich.
Aber jeder Gläubige bekommt den Gott, den er haben möchte.