Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Immer wenn ich koche oder Verkabeltes Dummland

Worin es der Autor mit eynem Expertiten und es der Expertite mit eynem ungnädigen Haus=Verwalter fürtrefflich zu thun bekömmet.

Worin es der Autor mit eynem Expertiten
und es der Expertite mit eynem
ungnädigen Haus=Verwalter
fürtrefflich zu thun
bekömmet.

Meine Eltern haben mir beigebracht, dass man an die Tür zu gehen hat, wenn es klingelt. Und tatsächlich ist es nicht ganz einzusehen, wieso man sich im eigenen Haus verstecken sollte. Es ist eine Frage der Dominanz, des Besitzerstolzes, des Selbstbewusstseins, an die Tür zu gehen und zu fragen, was der da draussen will, ohne angekündigt zu sein. Letzthin war es jemand von Kabel Deutschland mit dem Wunsch, meinen Fernsehanschluss durchzumessen. Ich bekomme laufend Werbespam auf Papier von dieser Firma, und fing den Mann nach der reichlich amtlich wirkenden Ankündigung, dass er deshalb in meine Wohnung und nicht etwa an den Kasten im Gang müsse, schon auf der Treppe ab. Ich habe nämlich gar keinen Fernseher. Erst danach machte ich mir mal die Mühe nachzuschauen, was dieses Kabel Deutschland eigentlich ist, das hier aufkreuzt und in meine Wohnung will: Ungefähr so Deutschland wie die Deutsche Bank, ein privates Unternehmen, das TV- und Internetzugänge verkauft. Und, das sei noch gesagt, mit einem Sager “Kein Fernseher? Wo gibt es denn sowas?” in Form seines Vertreters auch noch blöd und pampig zu jenem Zeitpunkt daherkommt, da ich gerade am Kochen bin.

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Ein paar Wochen später klingelte es erneut. Wieder Kabel Deutschland, ob er hereinkommen dürfte. Wieder das gleiche Spiel auf dem Gang: Der Kasten ist unten im Gang, das im Werbespam angedrohte Abklemmen der Leitung mit Bitte um Rückruf bei ihnen ist mir egal, ich habe keinen Fernseher und einen guten Internetprovider, und die Mieter, die es haben, sind in einem anderen Stock und gerade nicht da – und ich koche gerade. Trotzdem wollte er mit mir reden. Irgendwie weiss diese Firma nämlich, dass ich dieses Haus verwalte, und deshalb wolle man reden. Über das Internet.

Auf dem Gang ist dafür genug Platz, am Internet bin ich durchaus interessiert, und der Mann gab sich als Internetexperte besagter Firma aus – das ist gerade so Mode, jeder abgewirtschaftete Student ist heute Internetexperte und klaut Bilder bei Flickr für sein Mashup von Ideen, die er bei Clay Shirky klaut. So weit ist man aber in meiner Heimat noch nicht, da geht es um handfeste Geschäfsinteressen: Momentan rede man nämlich mit den Hausbesitzern dieser kleinen Stadt, ob sie nicht Lust hätten, mit Kabel Deutschland an einem Projekt teilzunehmen. Dabei würde – ich gebe das hier etwas verkürzt und um die Floskeln bereinigt wieder – Kabel Deutschland grandiose Internetzugänge ins Haus legen, und an mir liege es dann, diese Zugänge gegenwärtigen und kommenden Mietern nahe zu bringen. Die Begründung: Menschen brauchten mehr Datenübertragung und bessere und schnellere Verbindungen, gerade bei Video und Musik, und hier biete Kabel Deutschland – und so weiter. Was für mich dabei herausspringen würde, habe ich nicht gefragt, denn ich mag Firmen nicht, die mich wissen lassen, dass sie einiges über mich wissen, ohne dass ich es ihnen gesagt hätte. Manche finden das altmodisch, ich halte das für einen guten Anlass, den Rechtsanwalt loszuschicken.

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Aber nachdem ich noch nicht den Herd entflammt hatte, und der sich der Scamorza besser reiben lässt, wenn er warm ist, plauderten wir noch ein wenig. Ich persönlich machte aus meiner Meinung keinen Hehl, dass die meisten Internetnutzer die Bandbreiten jetzt schon nicht nutzen, er hielt dagegen und erzählte mir viel über das kommende Echtzeitnetz, die nächste Revolution am Horizont, ein Internet, das sich neu erfinde, wenn man nur etwas eingeben würde. Von Gleichzeitigkeit und mehreren Streams, von höherer Auflöung und besserer Interaktion. Wer das nicht habe, drohte er gar, hätte einen Standortnachteil und werde vielleicht abgehängt, wenn er es nicht bieten kann, das sei die unverzichtbare Kommunikation dieses Jahrhunderts, egal ob für Regionen oder Vermieter. Ich dagegen erzählte ihm von den schönen Tagen der New Economy, da die Virtuellen jede reale Wirtschaft für tot erklärt hatten, und wie sehr sie sich in der Durchdringung des realen Lebens mit dem Internet getäuscht hätten. Man dürfe nicht die Internetspezialisten und anderen Suchtkranken mit der Masse der Nutzer verwechseln, die zumeist ein sehr anderes Leben haben.

So verblieben wir dann auch, er ging weiter zu anderen, die vielleicht netter und unwissender sind, und ich wandte mich dem Scamorza zu. Was mich an der Sache ärgert, sind weniger die Drückermethoden, mit der diese Firma versucht, sich Marktanteile zu sichern. Es ist mehr die Argumentation, die  – vermutlich von oben vorgegebenen – Themen, die angesprochen werden: Denn gerade die Bereiche Echtzeit, Video, Streams und Interaktion sind nach meinem Erleben im Internet (und leider auch mitunter auf dieser Seite) vor allem für extrem aufdringliche Werbeformate nötig. Kein Mensch braucht für einen guten Text mehr als einfachstes DSL, aber wenn unverlangt Videos abgespielt werden, die sich nicht schliessen lassen, ist eine fette Leitung durchaus von Vorteil – für den Provider, der am Anschluss verdient, und den Werbenden, der mit Cookies, Data Mining, nennen wir es ruhig seiner Existenz als Schnüffler Informationen saugt und Datenmengen rüberwuchtet, nach denen keiner verlangt hat.

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Zu dieser Art von Werbung passt auch das Menschenbild und die Vorstellung vom Internet: Als gäbe es nur Nutzer, die noch mehr Reizüberflutung wollen, noch mehr gucken und noch mehr bunte Sachen erleben, als wäre das Internet eine Abspieleinrichtung wie die Glotze, nur mit mehr Programmen und immer verfügbar, ein digitales Eimersaufen auf dem Kabelmalle. Es geht nur darum, dass “mehr” durch das Kabel kommt, nicht um das “besser”. Es geht um die Auflösung und die Geschwindigkeit von Inhalten, nicht um die Inhalte selbst. Gerade dieses so gern beworbene Echtzeitinternet, das ununterbrochen Informationen heranspült, imaginiert sich einen Nutzer, der dauerhaft unterhalten und bespielt werden möchte, der gar kein Interesse an Nachdenken, Reflektion, Austausch oder gar Widerrede hat, der allenfalls noch einen Bewertungsknopf drückt, damit er besser erforschbar und belieferbar wird, und seine Freunde aus dem Netzwerk gleich mit.

Das alles gibt es, ohne Frage. Aber diese Leute haben schon ein dickes Rohr zum Netz. Und die anderen sind eben die, über die das Bonmot sagt: “Realität ist etwas für Leute, die mit dem Internet nicht klarkommen.” Diese Leute stören den eigenen Anspruch der Netzvorreiter als “die Zukunft”; manche erklären sie deshalb zu “Internetausdruckern”, andere gackern in alle ihnen zur Verfügung stehenden Kanäle, wenn irgendeine Marktforschungsklitsche bei der Befragung von Nutzern eines Dienstes festgestellt hat, dass dieser Dienst für sie zu Aufskomagenaue-% wichtig ist – und beim Vertreter von Kabel Deutschland scheinen die anderen, die nicht vom Netz voll Überzeugten gar nicht mehr zu existieren.

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Was eine erstaunliche Attitüde ist, wenn man die Erbärmlichkeit des Vorgehens betrachtet. Ich glaube gern an die Bedeutung des Internets, aber wenn es dergestalt während des Kochens an der Haustür verscheuert werden muss, mit billigen Tricks zwischen Angstmacherei und Visionen, kann es nicht gerade ein Wachstumsmarkt sein. Gäbe es wirklich einen Bedarf für die Datenübertragungsraten, die diese Firma an den Mann bringen wollte, würden die Kunden von selbst kommen. Der Niedergang der Zeitschriften begann mit der Notwendigkeit, solche Drücker für das Überangebot erbärmlicher Inhalte einzusetzen – spätestens, wenn der Mann von Kabel Deutschland einen ferngesteuerten Hubschrauber, ein billiges Reisetaschenset und ein Jahr Spiegel Online und die Welt auf dem iPAD kostenlos anbietet, sollte man sich überlegen, ob Bandbreite wirklich die Lösung des Informationselends des Netzes und der Verlustängste der Aktionäre dieser Firma ist.