Deus ex Machina

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Wie niedlich: Ein Nerd!

Mädchen kennen keine Gnade: von ihnen bekommt der Nerd keinen Kuss. Doch dass er zum ungeküssten Dasein verdammt ist, stimmt ebenso wenig, wie dass es den weiblichen Nerd nicht gibt. Ausgerechnet der Film "The Social Network" unterschlägt die Frauen.

Mädchen kennen keine Gnade: von ihnen bekommt der Nerd keinen Kuss, so heißt es. Doch dass er zum ungeküssten Dasein verdammt ist, stimmt ebenso wenig, wie dass es den weiblichen Nerd nicht gibt. Ausgerechnet der Facebook-Film “The Social Network” unterschlägt nun die Frauen.

 

Von seinen fünf Enkelkindern erzog mein Großvater selbstverständlich das einzige Mädchen unter den Sprösslingen zu einem entschlossenen Nerd. Er schenkte mir noch vor der Einschulung das erste Rassekaninchen: einen Zwergrussen, in beiden Öhrchen tätowiert, mit seinem perfekten Schnäuzchenschwung und adlig abgesetzen dunklen Tatzen ein unanfechtbarer Hochsauerlandkreismeister. Fortan durfte er sein Erbgut unter meiner Obhut weitergeben. Das naturwissenschaftliche Interesse auf diese Weise geweckt, folgten auf den Zwergrammler Richard nicht nur seine Nachfolgen, sondern auch andere Kleintiere, darunter mehrere einhundert Mäuse, deren Vermehrungstaktung mir die Farbvererbung in weniger als einem Schuljahr erklären sollte. Bis heute habe ich mein Dasein als Nerd vor meinen Familie geschickt verbergen können. “Das Kind ist in Berlin”, genügt ihr für schlaflose Nächte. Meine Eltern entdecken meine Tweets nicht, in denen ich mich über den Neugewinn aller Adminrechte freue; sie können bis heute mein Blog nicht lesen, da auf dem heimischen PC ein Internet Explorer aus grauer Vorzeit installiert ist; ich trage keine Brille, und esse warme und kalte Pizza nur verkatert oder unter Protest. Ausgerechnet mein Opa verletzte dann eines Tages den Nerd in mir und den meinen: ein Foto meines damaligen Freundes, ein Jurist mit der dunklen Mähne des jungen Dirk von Lowtzow, von dem ich mein gesamtes Wissen über Synth Porn habe, kommentierte er mit der Frage: “Der ist aber nicht für immer, oder?” Der Nerd hat es als Schwiegersohnmaterial in eher konservativen Gefilden nicht leicht.

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Noch weniger leicht hat es jedoch der Nerd, wenn neben seinem hohen Intelligenzquotienten ein respektabler Östrogenwert gemessen werden kann. Denn die weibliche Form des Nerds gleicht einer unentdeckten Tierart, deren geschärften Krallen selbst einer textlichen Annäherung mehr Wagemut abfordern, als der Verleih des iPad an den schulpflichtigen Neffen. Glaubt man den ausschweifend detaillierten Beschreibungen in Medien, ist die Rolle der Frau innerhalb der Nerdkultur lediglich die Demütigung des klugen Jungen, der aus der weiblichen Verachtung den Willen zur geistigen Höchstleistung schöpft: “Es wäre ein Leichtes für [die Mädchen], dem Nerd Glück und Ansehen zu verschaffen, wenn sie nur ein bisschen gnädiger wären in ihren Urteilen. Wenn sie den Mut anerkennen könnten, den der Nerd in sein Aussehen investiert, in all die Adidas-Retro-Turnschuhe und die T-Shirts mit Aufschrift, die seinem Stilwillen zum Trotz bei ihm sofort das Aussehen eines Schlafanzugs annehmen. Aber Gnade ist nicht vorgesehen in der Haltung junger Mädchen, und so verschulden sie eher die weitere Verdammnis des Nerds, dessen Pubertät kaum je in einen einzigen Kuss mündet,” schreibt Doris Kuhn in der Süddeutschen Zeitung. Umso erstaunlicher ist es, dass eine Autorin, die sich in epischer Breite mit dem Phänomen des Nerds als Loser auseinandersetzen kann, den Titel für das eigene Geschlecht jedoch nicht beanspruchen will: “Aus Mädchen übrigens werden keine Nerds, wenn sie ihr Kinderzimmer verlassen. Das liegt vermutlich auch an den Schlafanzügen, denn Mädchen verfolgen ein Konzept der modischen Vielfalt, das auf stete Verwandlung abzielt.”


Das Geek Girl selbst hält von modischer Verwandlung laut Algorithmus der Suchmaschinen hingegen gar nichts: in der Gewichtung des Internets haben sich “Girls with Glasses” und Nerds mit Brüsten jeglicher Körperbedeckung entledigt. Doch der Geschmack dieses google-gesteuerten Ergebnisses muss nicht bitter bleiben, legt doch die Verehrung der Nerd-Mädchens als pornographisches Idol nahe, dass sich die blassen Jungen hinter den Bildschirmen nach einer Partnerin auf Augenhöhe sehnen, nicht nach Silikon-Sex. Ja mehr noch: es legt nahe, dass es die gleichrangige Partnerin des Nerds tatsächlich gibt. Die Leserschaft von Modemagazinen und -Blogs wird Ihnen zudem gerne bestätigen, dass nicht allein das Mädchen, sondern mit zunehmender Popularität auch der junge Mann mit Brille und Köpfchen, eine Behandlung als Sexobjekt erfährt. Der “Geek Chic” als modischer Stil wird besonders oft an attraktiven Jünglingen in Szene gesetzt.

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„Und ja, es gibt Frauen, die Nerds ziemlich erotisch finden“, schreibt Thomas Vasek in der brandeins und verschweigt dabei mindestens die Hälfte der Wahrheit. Dass Nerds beider Geschlechter durchaus Kuss und Bett miteinander teilen, sollte nicht nur den Lesern bekannt sein, die versehentlich über Rezensionen der Sexszenen in Sascha Lobos Debütroman “Strohfeuer” stolperten. Das schönste Liebespaar der Nerdkultur entstammt nicht der Blogosphäre, sondern der Serie “Akte X”, die es bereits in den 90er-Jahren vollbrachte, die ausschließiche Zuschreibung des Nerds auf eine männliche Person zu lockern. Fox Mulder und Dana Scully, in ihrer Besessenheit vielleicht die Topnerds der Fernsehgeschichte, haben im Laufe der Staffeln nicht nur das Klischee der romantikfernen Nerds aufgebrochen, sie öffneten zudem den Stereotyp des klassischen Nerds und verliehen ihm Empfindsamkeit abseits des schützenden Bildschirms. Amerikanische Fernsehserien haben den weiblichen Nerd seither in zahlreichen selbstbewussten Spielarten auftreten lassen, wenn gleich das hübsche Antlitz stets im Paket von Intelligenz und Skurrilität enthalten ist.

Doch die Verehrung der fiktionalen Geek Girls hat bislang keinen Widerhall in einer breiten Rezeption der Wirklichkeit gefunden. “The Social Network”, die Verfilmung der Gründungsphase von Facebook, wirft Frauen zurück aus der Rolle der Denkerinnen in das leere Dasein geldgeiler Groupies und Trophäen. Die Salon.com-Autorin Tracy Clark-Flory zitiert in ihrem Bericht über Reaktionen von Programmiererinnen auf den Film eine Kollegin: “Man gewinnt den Eindruck, keine Frau habe jemals eine Zeile Code geschrieben oder in einem High-Tech-Unternehmen gearbeitet.” Laura Thomson, eine hochrangige Softwareentwicklerin des Unternehmes Mozilla, die Clark-Flory für ihren Artikel befragte, widerspricht dieser Darstellung deutlich: “Die Leute in dieser Branche sind aufgeschlossen und die Entwickler, mit denen ich gearbeitet habe waren stets großartig. Solange du deinen Job gut machst, ist es egal ob du ein Mann oder eine Frau bist.” Der Drehbuchautor Aaron Sorkin erklärt die Sichtweise des Films auf Frauen als “Angry Nerd Misogyny”: “I was writing about a very angry and deeply misogynistic group of people. These aren’t the cuddly nerds we made movies about in the 80’s.” Aus den kuscheligen Nerds sind wütende Frauenfeinde geworden. Danah Boyd, eine der einflussreichsten Frauen der amerikanischen Tech-Szene, hat für die Männer, die in “The Social Network” portraitiert werden, eine eigene Definition samt Akronym geschaffen: pswmte – privileged straight white male technology executive. Zu Deutsch: priviligierte, heterosexuelle, weiße, männliche Führungskraft in einem Technologie-Unternehmen.

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Man kennt mittlerweile weitaus mehr Phänotypen des Nerds als den klassischen Computerfreak. Der pswmte jedoch hat sich längst aus dieser Gattung verabschiedet, was als eine Erklärung der Abwesenheit der weiblichen Nerds in “The Social Network” gelten mag. Während in der Nerdkultur die weiblichen Exemplare durchaus akzeptiert und wertgeschätzt sind, ist der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg mittlerweile milliardenschwerer Unternehmer, dessen Verhältnis zu Frauen nun dargestellt wird als das Klischee eines Vorstandbosses. Doch Opa kann aufatmen: der Nerd ist nicht für immer. Zuckerberg ist seiner Existenz als solcher entwachsen. Der Unternehmer ist kein Loser, er ist kein fremdes Wesen mehr – und auch kein bißchen liebenswert. Hingegen gilt all das aber nach wie vor für den tech-verliebten Brillenträger.

Journalisten beäugen den Nerd neugierig und tüpfeln Anerkennung vorsichtig zwischen die Zeilen. Die Nerdkultur ist eine verlockende und unschuldige Parallelgesellschaft voll schüchterner Experten ohne Anspruch auf Koryphäenstatus. Sie lässt sich nahezu gefahrlos im Feuilleton besprechen. Solange der Nerd ein Nerd sein will, stößt er niemanden vom Thron.

Der Nerd ist die Verniedlichung des Intellektuellen. Welch vornehme Seltenheit, dass uns Frauen die Koseform in dieser Sache verwehrt bleibt.