Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Nicht teuer, aber kompliziert – die Liebe als Statusmeldung

"Wie es um unsere Liebesfähigkeit bestellt ist, kann man bei Facebook beobachten. Da gibt es lauter so genannte Freunde, darunter hundert potentielle Partner, die den aktuellen sofort ersetzen können. Eine lange Warteliste, wie am Flughafen, und wenn es mit einem nicht klappt, checkt man den nächsten ab. Dass Menschen so leicht austauschbar sein sollen, macht mir Angst", sagte der französische Autor Frédéric Beigbeder vor Kurzem in einem Interview. Wenn sich unser Leben ein Stück Weit in die digitale Welt verlagert, bleiben die Liebe, ihr Ende und Gefühle nicht im verlassenen Bett zurück. Es müssen keine expliziten Schilderungen des erotischen Treibens im heimischen Schlafzimmer oder schwülstige Liebesgeständnisse auf der Facebook-Pinnwand sein, die Liebe sucht sich ihren Weg in den Launen, mit denen wir uns durch das Netz klicken.

Let’s face it, it’s a sad situation when we have to resort to keyboards
as a means of making relations.

New Friend Request, Gym Class Heroes

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Damals, da standen die Herren im weichen Gras und sangen sich die Seele aus dem Leib, um von der holden Schönen im Turmzimmer einen Luftkuss zu erbetteln. Distanz schafft Begehren – doch das galante Werben über ein Minnepreislied, eine zotige Pastourelle, moderne Liebeslyrik oder einen Schmachtfetzen aus der Kehle von Julio Iglesias versetzt nicht einmal mehr die ungeküsste Seele eines zwölfjährigen Mädchens in Aufregung. Das Spiel mit dem Augenaufschlag, Zieren und stammelnder Ansprache hat sich gewandelt. Vielleicht ist der Flirt in den weniger fetten Jahren ebenfalls in einen Taillengürtel der Größe XS gezwängt worden, und spannt ungeduldig gegen das Leder. Die Krise der Liebe, die der werte Co-Autor Malte Welding bald in einem Buch vorstellt, steckt dabei nicht nur im Detail der Empfindung, sondern ein Stück weit auch in der Flüchtigkeit des Internets.

“Wie es um unsere Liebesfähigkeit bestellt ist, kann man bei Facebook beobachten. Da gibt es lauter so genannte Freunde, darunter hundert potentielle Partner, die den aktuellen sofort ersetzen können. Eine lange Warteliste, wie am Flughafen, und wenn es mit einem nicht klappt, checkt man den nächsten ab. Dass Menschen so leicht austauschbar sein sollen, macht mir Angst”, sagte der französische Autor Frédéric Beigbeder vor Kurzem in einem Interview mit “der Freitag”.

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Wenn sich unser Leben ein Stück Weit in die digitale Welt verlagert, bleiben die Liebe, ihr Ende und Gefühle nicht im verlassenen Bett zurück. Es müssen keine expliziten Schilderungen des erotischen Treibens im heimischen Schlafzimmer oder schwülstige Liebesgeständnisse auf der Facebook-Pinnwand sein, die Liebe sucht sich ihren Weg in den Launen, mit denen wir uns durch das Netz klicken. Verliebte Menschen erkennt man in der Straßenbahn zur Arbeit an einem Grinsen, das einfach nicht aus dem Gesicht weichen will, auch wenn die BVG streikt und die Bahn aus den Nähten platzt- Liebestrunkene oder verletzte Menschen erkennt man ebenfalls, wenn ihr emotionsgetränktes Tippen durch die sozialen Netzwerke keucht. Meist ist das sehr subtil, und nur für Freunde zu erkennen. Manches mal, wird jedoch direkt in Worten und Glück oder Leid verkündet oder über ein paar andere Häkchen und Klicks in den Profileinstellungen eines sozialen Netzwerkes hinaus auf das Boulevard der Timeline gejagt, auf der die Änderung im Liebeslieben von den digitalen Freunden rezensiert wird.

Das netz-basierte Love-Life-Management nach außen ist eine Form der Kommunikation im Internet, die besondere Aufmerksamkeit im Freundeskreis erzielt. Klatsch ist ein Grundbedürfnis, das von Intellekt nicht kalt gestellt wird. Die Herzblattgeschichten am Sonntag und die Gala beim Hautarzt sättigen das Bedürfnis nach Privatem von der Prominenz nicht, Privates von Freunden ist ein User-Generated-Klatschblatt mit einer beachtlichen Auflage.

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Soziale Netzwerke wie Facebook, StudiVZ und Twitter werden nicht nur für das Veröffentlichen von karrieregefährdenden Partyfotos und das Bewirtschaften virtueller Farmen genutzt, sie spielen eine nicht unwesentliche Rolle bei der Anbahnung leidenschaftlicher Affären, der großen Liebe oder dem kalten Ende einer Beziehung. Sie sind die neuen Dating-Sites, die mehr Erfolg versprechen, die auch für Männer nichts kosten und nicht nur den Flirtenden Unterhaltung versprechen. Ändern Menschen in sozialen Netzwerken für andere sichtbar ihren Beziehungsstatus, ist es egal, ob im Kanzleramt eine Briefbombe in der Luft zerpufft, Michael Ballack das Steißbein schmerzt oder Bundespräsident Christian Wulff verkündet, Bayern gehöre zu Deutschland. Wenn in der Facebook-Timeline blinkt: “Benjamin is no longer listed as in a relationship” oder “Mareike has changed her status to it’s complicated” sind die anderen, sklaventreibenden Tabs des Browsers für den Rest des Nachmittags egal. “Der Busen gehört der ganzen Nation” – und die Beziehungsinformation dem ganzen Netzwerk. “Wenn ich meinen Beziehungstatus auf Facebook ändere, löse ich wieder eine Fragelawine aus. Gibts dafür Textbausteine?”, fragte ein Twitternutzer in die Runde. Für die Minuten nach dem Wechsel tragen alle Kommentatoren und “i like that”-Klickerinnen die Bauchbinde, die es ansonsten nur im Privatfernsehen für Damen mit zu viel Make-Up und Fönfrisuren gibt: Society Expertin; schon vor der Beliebheit der Guttenbergs auch in der Spielart des Adelsreporters bekannt.

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Die besondere Lust am Verkünden der Trennungen geht so weit, dass der Daten-Journalist und Informationsdesigner David McCandless, der das Blog “Information is beautiful” schreibt, anhand von Änderungen in Facebook-Status-Updates eine Graphik erstellte, die Hochzeiten von Trennungen visualisiert. An Montagen und vor Weihnachten geben auf Facebook demnach besonders häufig Menschen ihre Trennung bekannt. Wie aussagekräftig so eine Erhebung über menschliches Verhalten ist, fragt man am besten unsere Frau für Zahlen und Statistik:Sophia Amalie Antoinette Infinitesimalia. Denn bedenkt man, dass die Nutzung von Facebook in verschiedenen Zielgruppen stark differiert, die Angabe von Beziehungsstatus wiederum nur von einem Teil der User genutzt wird und Trennungen ohnehin ein komplexer Vorgang sind, der selten an einen Tag gebunden werden kann und bisweilen schon vor der tatsächlichen Trennung im Netz kommuniziert wird (“In der Zeit, in der wir so viel stritten, hat er mich aus seiner Friendlist gelöscht.”), oder erst nach Verarbeitung des Geschehenen für die Freunde im Netz publik gemacht wird – und zudem zunehmend beste Freundinnen oder anderweitig platonisch verbandelte Menschen angeben, miteinander verheiratet zu sein um ein eigentlich leeres Feld zu füllen – wird klar: die Liebe im Netz, ist nicht weniger kompliziert als die Liebe da draußen. It’s complicated wäre für das ganze Leben die richtige Default-Einstellung.

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Frédéric Beigbeder hat Unrecht, wenn er sagt, dass soziale Netzwerke ausschlaggebend für die Instabilität von Beziehungen sind oder gar einen Anstieg promiskuitivens Verhaltens verursachen. Die Möglichkeiten fremdzugehen und eine neue Liebe zu finden lauern in der Stadt, auf dem Land und im Netz. Vielleicht gibt es zu wenige Frauen im Osten der Republik, doch der Duft des fremden Fleisches lockt im Netz nicht mehr als auf dem Oktoberfest oder in der Büroleiterkaste des Bundestages. Die Menge der Menschen, die aufgrund von Facebook mehr Sex haben, dürfte sich die Waage halten mit denen, die aufgrund des zeitverschlingenden Netzes ihr Liebesleben zu den Akten gelegt haben. Wenn Sie online ihr Glück nicht finden, lassen sie ihren Großpudel im Herbstlaub rascheln oder übernehmen Sie den Nachmittagsspaziergang mit dem Neugeborenen der Nachbarin. Hunde und Kinder gelten als Garanten für einen Herbstflirt im Park, der sie über die Weihnachtstage tröstet.

Dies können Sie auch das nächste mal jemandem entgegnen, der behauptet, dass wir ohne das Internet nicht mehr existenzfähig seien. Ohne Hunde, Kinder oder ein Frühstück am Strand mit der Zeitung des Vortages ist das Leben nämlich keines, dessen Erzählungen ich lauschen will.