Statistisch gesehen werden Frauen älter als Männer, folglich zahlen sie mehr für Kranken- und Rentenversicherungen. Das ist mathematisch korrekt – aber ist es auch gerecht? Oder doch Diskriminierung?
Die Moderne und ihre Reisebegleiterin, die Emanzipation, haben uns Unisex-Strümpfe, Unisex-Parfums und mancherorts sogar Unisex-Toiletten beschert. Unisex-Versicherungen hingegen gibt es noch nicht – aus guten Gründen.
Für Versicherungen existieren zwei altersabhängige Risiken mit zwei verschiedenen Risikoprofilen. Bei Lebensversicherungen muß im Todesfall gezahlt werden – je weniger gestorben wird, desto besser. Im umgekehrten Fall, bei Kranken- oder Rentenversicherungen, entstehen Kosten aus dem Überlebensrisiko – je später gestorben wird, desto schlechter für die Versicherung.
Wir leben in Zeiten, in denen fast jedes Risiko versicherbar ist, vom Hausrat über das Haustier, von der Umweltkatastrophe bis zur Managerhaftung. Fast jede Gefahr läßt sich irgendwohin abschieben. Das funktioniert aus zwei Gründen: erstens legen Versicherungen die Einzahlungen relativ konservativ an – zumindest in Deutschland -, so daß gerade Rentenversicherungen dank Zinseszins wenigstens zum Teil aus Kapitalerträgen finanziert werden können. Zweitens können Versicherungen den Risikopool mischen, so daß auf jeden eingetretenen Fall (=Auszahlungen) auch immer einige nicht eingetretene Fälle kommen, die trotzdem eingezahlt haben. Das Grundprinzip ist jedoch, jeden Fall nach dem Äquivalenzprinzip zu beurteilen: der Beitrag wird so berechnet, daß er kalkulatorisch gerade die zukünftigen – auf- oder abgezinsten – Ausgaben deckt, gewichtet mit dem Risiko der Eintrittswahrscheinlichkeit.
Sieht man von der Schwierigkeit ab, daß die zukünftigen Zinsen in der ferneren Zukunft praktisch unbekannt sind (wiewohl fundamental für die Berechnung), sieht man weiterhin davon ab, daß die Eintrittswahrscheinlichkeiten natürlich ebenfalls nicht mit Sicherheit bekannt sind (sondern aus Vergangenheitsdaten geschätzt werden), ist die Berechnung so simpel, daß man dafür kaum einen Computer benötigen würde. Nicht für eine Einzelperson jedenfalls – für viele tausende Personen hingegen macht ein Computer die Welt sehr viel einfacher und auch komplexe Produkte berechenbar.
Zurück zum Unterschied zwischen Männern und Frauen: Frauen leben länger und sind daher für Versicherungen teurer. Ein deutsches Mädchen hat im Jahre 2010 bei seiner Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 82, 5 Jahren. Vor einem Jahr waren es noch 82,4 Jahre. Für Männer, so scheint es, ist das Leben als Jäger und Sammler (und sei es bei Faceb**k Farmville) auch heute noch beschwerlicher, ihre durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 77,2 Jahren. Über diese fünf Jahre Unterschied ist viel gerätselt worden, die Wahrheit hat – wie so oft – noch niemand herausgefunden.
Fest steht: Das Muster findet sich in den meisten Industrienationen mit vernünftigem Gesundheitswesen. Wo medizinische Versorgung hingegen ein knappes Gut ist, kommen Frauen häufiger zu kurz, und der Fall kehrt sich um. In Japan hingegen werden alle Menschen überhaupt ziemlich alt, und der Unterschied zwischen des Geschlechtern ist sehr gering. Recherchen Ihrer treuen Berichterstatterin in Sachen Mathematik & Kuriositäten haben ergeben, daß es sowohl biologische als auch verhaltensgesteuerte Einflüsse gibt.
Auf 100 weibliche Embryos entfallen 120 bis 130 männliche, aber es werden nur fünf Jungen mehr als Mädchen geboren. Schon in den ersten neun Monaten schmilzt ein klarer Startvorteil rapide zusammen und diese Entwicklung setzt sich weiter fort. Männer leben ungesünder, erleiden häufiger Unfälle und sind ja auch – bekanntlich – überhaupt sorgloser im Umgang mit ihrer Gesundheit. Bemerkenswerterweise wurde die Erkenntnis, daß der Lebensstil wesentlichen Einfluß auf die Lebenserwartung hat, experimentell bestätigt. In Studien in Klöstern bei Nonnen und Mönchen, denen man (seinerzeit) einen gleichermaßen gemäßigten und gesunden Lebensstil unterstellte, verschwand die Differenz in der Lebenserwartung nämlich beinahe.
Bei Otto und Anne Normalverbraucher hingegen bleiben erstaunliche fünf Jahre Unterschied, jedes Jahr und jede Generation aufs Neue, wie das Statistische Bundesamt mit seinen Sterbetafeln berichten kann. Sterbetafeln werden jährlich auf Basis des Mikrozensus ermittelt, und geben Aufschluß darüber, wie hoch die Sterbe- und respektive Überlebenswahrscheinlichkeit in jedem Alter ist. Die Sterbetafeln des Bundesamtes sind jedoch eine Sache. Die Sterbetafeln der Versicherungen eine andere.
Für eine 45-jährige Frau liegt zum Beispiel die Lebenserwartung bei weiteren 38,51 Jahren und die Sterbewahrscheinlichkeit bei 0,00135 Prozent. Das sind natürlich gute Neuigkeiten. Die Versicherungen hingegen skalieren ihre Sterbetafeln anders, und vor allem rechnen sie Sicherheitszuschläge drauf – in welche Richtung, hängt von der Versicherungsart ab. Bei Lebensversicherungen (also Sterberisiko als Kostenfaktor) wird die Sterbewahrscheinlichkeit in mehreren Schritten nach oben korrigiert, und am Ende werden Beiträge mit einer Sterbewahrscheinlichkeit von 0,00152 Prozent berechnet. Einen so kleinen Unterschied in der vierten Nachkommastelle könnte man für unwesentlich halten. Auf viele tausende Versicherte hochgerechnet hingegen ergeben auch kleine Nachkommastellen einen Unterschied. Versicherungen benutzen übrigens auch unterschiedliche Sterbetafeln für Raucher und Nichtraucher.
Vor allem ist es jedoch unabweisbar ein erheblicher Unterschied, ob eine Versicherung für Frauen fünf Jahre länger Krankheitskosten oder Renten bezahlt, oder nicht. Diskriminierung hin oder her, diese Diskriminierung hat einen Grund: schon eine geringe Rente von 500 Euro im Monat addiert sich über fünf Jahre auf 30.000 Euro, das hochgerechnet auf 250.000 Frauen sind 7,5 Milliarden Euro. Die muß man erst mal haben, oder genauer: als Versicherung eingenommen haben, bevor man sie wieder auszahlen kann.
Man muß das nicht gerecht finden, keineswegs, solche Unterschiede sind ja auch nur obskure Zahlen, von obskuren Großrechnern und noch obskureren Modellen errechnet. Irgendwann demnächst wird der Europäische Gerichtshof darüber entscheiden, ob unterschiedliche Beiträge für Frauen und Männer der EU-Richtlinie 2004/113/EG zur “Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen” zuwider laufen. Manche Fälle sind bereits geregelt: Riester-Renten zum Beispiel (die ja von einem ähnlichen Risikoprofil bestimmt werden) müssen mit einheitlichen Tarifen angeboten werden, was de facto höhere Tarife für Männer bedeutet, und allenfalls geringfügig geringere Tarife für Frauen. Wer hier wen in welchem Maße quersubventioniert, läßt sich nur schwer sagen. Noch delikater wird die Frage nach Risikoprofilen, wenn man beginnt, über den statistischen Zusammenhang zwischen Einkommen und Lebenserwartung nachzudenken: es gibt nämlich eine klare Korrelation zwischen hohen Einkommen und hohem Alter. Aber das sagt natürlich noch nichts über die Kausalität, und daher möchte niemand dieses heiße Eisen anfassen.
Bis zum Urteil von allerhöchster Stelle kann man sich als Frau immerhin damit trösten, daß Autoversicherungen günstiger sind: Frauen machen nämlich weniger Autounfälle als Männer.