Deus ex Machina

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Das moderne Leben: Gedichte im XING-Postfach

Frauen sind auf Internet-Konferenzen so selten wie der sibirische Tiger, denn ihr Fell scheint interessanter als ihr Knurren. Für eine gemeinsame Sprache braucht es jedoch nicht mehr Wissen über Technik, sondern einen Crash-Kurs in modernem Leben.

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Frauen sind auf Internet-Konferenzen so selten wie der sibirische Tiger, denn ihr Fell scheint interessanter als ihr Knurren. Für eine gemeinsame Sprache braucht es jedoch nicht mehr Wissen über Technik, sondern einen Crash-Kurs in modernem Leben.

Typisch Barcamp! Dort auf den Fotos vom Wochenende steht zwischen den bärtigen Kapuzenpulloverträgern ein langhaariger Nerd – komplett in schwarz. Doch dieser Nerd – für den auch die hübsch gegenderte Form “der Nerd” bleiben muss – ist eben kein blasser Rollenspieler, der sich für ein Wochenende im Namen der Netzpolitik hinter seinem Bildschirm hinein in das pralle Konferenzleben gewagt hat. Dieser Nerd bin ich. Meinen Teint nennt man bei rothaarigen Frauen “vornehme Blässe”, BILD-Kolumnist Franz Josef Wagner schreibt über den Wikileaks-Gründer Julian Assange weniger schmeichelhaft: “Julians Gesicht ist bleich. Es hat die Farbe des Nichtlebenden. In der Computerwelt scheint keine Sonne.” Hätte Julian meine unzähligen Sommersprossen auf den Wangen, hätte Franz Josef Wagner vielleicht einen Vergleich in Richtung Hexenverbrennung gewagt, wer weiß das schon.

Damit ich Männern wie Wager oder Assange auf der ersten Ebene der Augenhöhe begegne, trage ich zu der schwarzen Seidenhose ziemlich hohe Absätze. Solche Schuhe trage ich fast nur noch, seitdem ich nahezu ausschließlich mit Männern zusammenarbeite, die väterliche Gefühle für mich hegen. Zehn Zentimeter ersetzen ein paar Jahre Berufserfahrung, auch Männer auf der Karriereleiter wissen das: die ganz Kleinen kommen ganz selten ganz oben an. Oder sie verlieren die Haare dabei. Meine Mähne glänzt dank Macadamia-Spülung; auf den strengen Karriere-Knoten am Hinterkopf verzichte ich, ich lache zu gerne. Ganz schwarz also, vom Schneeregen zerzaust und gutgelaunt falle ich dennoch auf diesem netzpolitischen Barcamp ein wenig aus der Reihe. Mein Aussehen kostet mich im Bad morgens zehn Minuten. Mein Tag beginnt vermutlich sehr ähnlich wie der von den Männern, die ebenfalls noch vor oder während des ersten Kaffees den ersten Tweet verschicken (ein Zeichen für Internetsucht, wie man in dieser Woche in der Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft lernen durfte). Dennoch beginnt mein Morgen wieder einmal unter völlig anderen Voraussetzungen.

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In der Welt von Kristina Schröder, Alice Schwarzer und der CSU kommt eine Frau wie ich sie bin nicht vor. Die meisten Frauen kommen in diesen Wertewelten nicht vor. Wie zauberhaft, dass sie unsere Sprachrohre sein sollen. Ich bin Feministin, seitdem ich als 5-Jährige feststellte, dass in der katholischen Kirche, die meine Kindheit prägte, Frauen nicht gleichberechtigt und außerdem Symbol für das Sündhafte sind. Ich bin außer an den Tagen, an denen ich nur drei Minuten Zeit vor dem Kleiderschrank habe, ein Fashionvictim (das Internet hat das verschärft, natürlich), lese jedoch noch mehr politische Blogs als Modeblogs. Ich werde mein Kind nicht trilingual, aber mindestens in einer Programmiersprache erziehen und die Filtersoftware einzig auf BILD.de ausrichten. Ich arbeite fast ausschließlich und sehr gerne mit Männern zusammen, auch über ihnen; ich kann gemäß meiner Autorinnen-Natur viel trinken – auch nach dem Bikram Yoga – und lasse mir durchaus in den Mantel helfen. Ich mag keine Blumen, aber Bärte, und gutes Essen nur ein klein bißchen weniger als guten Sex. Ich kann mir nichts besseres vorstellen, als diese Frau zu sein. Aber ich muss vor lauter Freude darüber nicht gegenüber Sexismus abstumpfen. Nicht gegenüber Diskriminierung. Und nicht gegenüber Dummheit.

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Ein dickes Fell bedeutet nicht gleichsam Abstumpfung und das Einstellen von Kritik. Auf einer der ersten Fachkonferenzen zu Internetdingen, auf die ich als Referentin eingeladen war, diskutierte ich mit anderen Gästen im Rahmer einer Podiumsdiskussion. Dort trug ich sogar einen Hosenanzug, obwohl ich in kleidsameren Sachen als in diesem unsäglich unvorteilhaften, viel zu breit stillschweigend akzeptierte Dresscode für Frauen in Verantwortung, viel freier und provokanter vortragen kann. Das Ausmaß der sexistischen Kommentare bekam ich erst später mit, da ich mit denken und sprechen beschäftigt war, das Publikum war jedoch weniger mit denken beschäftigt, als die Twitter-Wall mit Inhalten zu befüllen, die weniger mit den vorgetragenen Inhalten, als mit meinem Äußerem zu tun hatten. Was passieren muss, damit in einem beruflichen Umfeld studierte, mehr oder wenig gut bezahlte, erwachsene, vermutlich sogar mit Frauen liierte Männer anfangen, die Wortbeiträge einer Frau mit Kommentaren zu versehen, die jegliche der zuvor genannten Attribute widerlegen und einzig allein den Schluss zu lassen, dass diesen Männern nur ein einziges Wort gerecht wird: strunzdumm, ist mir ein Rätsel. Aber es passiert. Und dieses Verhalten ist kein Problem der Twitterwall, denn dieser Müll wird in der analogen Welt genau so produziert, wo die Protagonisten männlich dominierter Berufe fleissig daran arbeiten, den Widerspuch ihrer Kolleginnen gegenüber Machotum zu ermatten. Ein halb witziges, halb wahres: “Wir haben dich nur eingestellt, weil du gut aussiehst.” Die Auswahl der hübschesten Praktikantinnen im Beisein anderer Frauen. Das Einstellen und Befördern vom Zwillingen der Vorgesetzen. Das Ignorieren, dass rein männliche Rednerlisten einen Kongress nicht beleben. Die Angst vor der Quote, das Verstecken hinter der Ausrede: “Frauen sollen sich melden, wenn sie mitspielen wollen.” Den meisten dieser Dinge stehe ich in der Hinsicht schmerzfrei gegenüber, dass sie mich selbst nicht mehr treffen, da ich Dummheit gegenüber mir selbst nicht verletztend empfinde. Dummheit ist langweilig.

Vergleichbar langweilig sind die Flirtversuche, die auf Tech-Konferenzen ein elendes Dasein fristen. Obgleich ich den Großteil meiner Woche unter Männern verbringe, 80 Prozent der Telefonnummern in meinem Firmen-Smartphone zu männlichen Vornamen gehören – die Affären herausgerechnet – heißt das nicht, dass meine Welt außerhalb von Büros und Messehallen unter akutem Testosteronmangel leidet. Meinen Freund versetzte meine Barcamp-Begeisterung anfänglich in Sorge; er hatte Angst, ich könnte dort einen Mann kennenlernen. Zur Beruhigung las ich ihm, Lyriker, sehr oft Gedichte vor, die mir Männer, laut Selbstauskunft Social-Media-Experte, über das Business-Netzwerk Xing schickten, nachdem ich auf einer Konferenz keinen Kaffee mit ihnen trinken wollte. Gedichte. Oder anderweitig Frivoles. 

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Nicht nur mir wäre geholfen, wenn sich endlich mehr Frauen am Buffet von Medienkonferenzen träfen oder auf zugehörige Panels eingeladen würden, und mir mein Frausein erst am Abend auffiele, da vielleicht die Füße schmerzten. Ausgeglichene Geschlechterverhältnisse, nicht durch die Messe-Hostessen, führen für sowohl die Damen als auch die Herren zu mehr Wohlbefinden, vielleicht sogar zu mehr Flirtkompetenz. Es geht also nicht nur um die belächelten Emanzen, die magere Frauenanteile bemängeln, auch Männer profitieren. Sie profitieren sehr viel mehr als von der etwaig erhaschten Telefonnummer. Sie profitieren vor allem davon, dass all die fähigen Frauen nicht mehr verächtlich auf ihr schütteres Haar und schmalen Horizont schauen, sondern auch mit ihnen zusammenarbeiten möchten, und nicht mehr nur mit den Männern, denen schon immer zuerst wichtig war, was eine Frau im Kopf hat.

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Niedrige weibliche Bewerberzahlen für Führungspositionen, müssen nicht bedeuten, dass Frauen nicht führen wollen. Sie wollen es nicht in diesem Unternehmen. Es bräuchte keine Frauenquote, gäbe es einen Aktionsplan für den Abbau von Dummheit und den engstirnigen Vorstellungen, wie eine Frau, wie ein Mann zu sein hat, vor allem im Beruf. Sehr klug hat das Katharina Borchert, mittlerweile Geschäftsführerin von Spiegel Online, vor Jahren schon in ihrem Blogeintrag “Von der Freiheit Frau zu sein” auf den Punkt gebracht: “Ich sehe nicht ein, warum wir uns von der intellektuellen Kurzsichtigkeit anderer Menschen in unserem Leben einschränken lassen sollten. Ich will mit Geschlechterrollen und -klischees ganz nach Belieben spielen, die Vorzüge meiner Weiblichkeit schamlos ausnutzen und trotzdem in einer Diskussion über das Zuwanderungsgesetz ernst genommen werden. Kurz: Ich will alles sein dürfen, was ich sein kann. Und wer da nicht mitkommt, dem kann ich nur ganz dringend einen Crash-Kurs in modernem Leben empfehlen.” Diese Sätze darf sich jeder notieren, egal ob schlecht rasiert oder zu stark geschminkt.

Den Link zu dem gesamten Text, aus dem dieses Zitat stammt, hat mir ein Mann geschickt, den ich im Internet, auf einem Barcamp, oder irgendwo anders kennengelernt habe, wo es viele Gadgets, aber wenig Frauen gab. Feminismus steht jedem Mann. Mir steht sein Kapuzenpullover.