Deutschland diskutiert die Frauenquote, um die Männerwelt zu disziplinieren. Ein Blick in die Vergangenheit großer Orchester zeigt: manchmal können Zwangsmaßnahmen hilfreich sein.
Viel wird im Moment diskutiert über die Frauenquote und jeder darf mitmachen. Immerhin haben wir inzwischen einen Verteidigungsminister, der gedient hat, dafür aber eine Familienministeriu ohne Familie (aber das kommt ja bald) und um über die Frauenquote zu reden muss man natürlich keine Frau sein – geschweige denn eine Frau, die im Berufsleben steht.
Eigentlich ist dieses Thema natürlich der Beritt der geschätzten Kollegin, aber da mein Zugang wie so oft ein mathematischer ist, wird sie es mir hoffentlich nachsehen.
Gegner der Frauenquote führen allerlei Argumente ins Feld: Frauen seien eigentlich selber schuld an ihrem mangelnden Aufstieg. Frauen sind zickig, stutenbissig, einander gegenüber unloyal und die wenigen, die es geschafft haben, zeigen wenig Engagement, es anderen leichter zu machen: warum sollten sie auch, wenn sie selbst leiden und verzichten mussten, sollen es andere nicht leichter haben. Frauen wollen mit ihren männlichen Investmentbanking-Kollegen nicht in Stripclubs gehen, rauchen keine Zigarren und können nicht netzwerken – oder kann sich jemand Tupperware- oder Make-up Parties mit Businesskomponente vorstellen? Weiterhin sind Frauen selber schuld, weil sie nun einmal mit Ankunft des ersten Kindes zumeist andere Prioritäten haben oder sich der Leistungsgesellschaft mit rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit frühzeitig entziehen und lieber Marketing-Assistentin bleiben.
Besonders beliebt, gerade unter Frauen, ist die Vermutung, daß qualifizierte Damen ihren Weg schon gehen werden – zur Illustration folgen dann die bewundernswürdigen Ausnahmen: Madeleine Albright (Kinder und Karriere), in neuerer Zeit in Business-Kreisen Ann-Kristin Achleitner, vielleicht ein oder zwei Exempel aus dem direkten Umfeld. Ausserdem, so wird behauptet, kann man oder soll man sowas nicht erzwingen, die Zeit wird es zeigen, und am Ende bringt die Quote nicht viel, wenn es möglicherweise gar nicht genug qualifizierte Anwärterinnen auf die Quotenplätze gibt.
Die wissenschaftliche Forschung zu „gender equality” tut sich nicht leid damit, Beweise in die eine oder andere Richtung zu finden. Vergleiche mit skandinavischen Ländern sind schwierig, weil es so viele kulturelle und soziologische Unterschiede gibt, dazu Faktoren wie Kinderbetreuung – am Ende läßt sich schwer sagen, ob Frauen durch die Quote bessere Chancen hatten oder ob andere Gründe entscheidend waren. Wie so oft, zeichnet sich gute Forschung dadurch aus, daß man eine gute Idee hat – und die hatten Claudia Goldin und Cecilia Rouse vor zehn Jahren und haben es damit in eine der renommiertesten Zeitschriften geschafft.
Orchester galten bis vor wenigen Jahren als mehr oder weniger latent frauenfeindliches Berufsfeld. Harfenistin, Flötistin, Violinistin – ja. Kontrabassistin, Hornistin oder gar Dirigentin – eher nein. Celibidache war bekannt dafür, keine Frauen in seine Meisterkurse aufzunehmen, Karajan fand Frauen in der Küche besser aufgehoben als im Orchester und die erste Frau bei den Wiener Philharmonikern wurde 1997 aufgenommen – als Harfenistin, bezeichnenderweise. Um diesem Mangel abzuhelfen, wurde in den 1970er Jahren das „blind auditioning” eingeführt – also das Vorspiel hinter Sichtschutz. Es war noch nie leicht, eine feste Orchesterstelle zu erlangen und der Weg dahin führt unweigerlich über – meist mehrere – Probespiele vor Orchestermitgliedern und Dirigenten. Hartnäckig halten sich Zweifler, die behaupten, der Sichtschutz bringe nichts und fraglos kann man jede Quote und jede Wand umgehen, wenn nur genug Wille da ist. Trotz aller Ausnahmen und Umwege kann man jedoch vermuten, daß das nicht immer der Fall sein wird, zumal Orchester zum Teil sogar Teppiche auslegen, damit man am Schritt nicht das Geschlecht erkennen möge.
Der wissenschaftliche Zugang zu dieser Frage ist nicht trivial, die Autorinnen haben sich intensiv mit den Gegebenheiten und Umständen befasst, das Datenmaterial aus elf Orchestern mit etlichen tausend Bewerbern statistisch aufbereitet, aus den Namen aufs Geschlecht geschlossen (mit Hilfe koreanischer und japanischer Berater bei asiatischen Bewerbern), die Auswahlrunden sortiert, Ausnahmen berücksichtigt und dann geschaut, ob Frauen mit Sichtschutz erfolgreicher waren als ohne. In den 1970er Jahren begannen die Orchester, zunehmend den Sichtschutz einzuführen, vor allem in den Vorrunden, seltener in den Finalrunden. Gleichzeitig stieg der Anteil der weiblichen Bewerberinnen von 33 % vor 1980 auf 39 % danach.
Schaut man sich rein deskriptive Statistiken an – also Durchschnitte vor und nach Einführung eines Sichtschutzes, kommt man überraschenderweise zu der Erkenntnis, daß Frauen in Vorspielen mit Sichtschutz im Durchschnitt schlechter abschnitten. Aber Moment! Jetzt keine voreiligen Schlüsse. Möglicherweise rechneten sich besonders Frauen durch die veränderten Bedingungen bessere Chancen aus, man könnte auch sagen: wurden schwächere oder schüchterne Kandidatinnen ermutigt, es trotzdem zu probieren. Das würde bedeuten, daß die Gruppe der weiblichen Bewerber im Durchschnitt möglicherweise größer aber vom Können her schlechter war als vor Einführung des Sichtschutz.
Die Qualität der Bewerber läßt sich natürlich zwanzig Jahre später nicht mehr nachvollziehen – wohl aber die wiederholte Teilnahme. Tatasächlich finden sich im Pool der Vorspielenden genug Personen, die an mehr als einem Vorspiel bei mehr als einem Orchester teilnahmen – immerhin 24 %, und damit kann man die Ergebnisse korrigieren. Schränkt man die Datenbasis der Stichprobe auf jene Musiker ein, die mehrfach an Vorspielen teilnahmen und zwar „blind” wie auch „non-blind” auditions, kann man die empirische Methode so anpassen, daß zeitkonstanten Faktoren pro Individuum berücksichtigt werden (genannt „invidual fixed effects“). Darunter fällt auch das Können eines einzelnen Musikers, und wenn dieser eingerechnet wird, tritt der erwartete Effekt klar hervor: Frauen hatten mit Sichtschutz deutlich bessere Chancen, genommen zu werden, als ohne. Die Autorinnen kommen zu dem Ergebnis, daß Frauen mit Screen eine 10 bis 30 % höhere Wahrscheinlichkeit hatten, eine Runde weiterzukommen.
Auch im Gesamtbild geben die Daten Anhaltspunkte, daß die veränderten Startbedingungen Frauen den Erfolg erleichtert haben. Allerdings nur, wenn es keine Zwischenrunde gab – denn bei den Zwischenrunden sind die Ergebnisse bestenfalls ambivalent zu nennen. Diesen Effekt kann man leider nicht wegdiskutieren, und für weitere Berechnungen reichen die Daten nicht aus, da am Ende ohnehin die Wahrscheinlichkeit, eine solche Stelle in einem Orchester zu bekommen, bei gerade mal 3 % lag. Vergleichbar also mit der Chance, als Durchschnitts-BWLerin irgendwann DAX-Vorstandsmitglied zu werden.
Wie so oft begrenzen die statistischen Möglichkeiten den Wissensdurst des Forschers und eindeutige, absolut wasserdichte Wahrheiten sind nicht im Angebot. Dennoch kann man die Ergebnisse als Indizienbeweis werten: dafür, daß es eine Tendenz zur Diskriminierung weiblicher Musiker in amerikanischen Orchestern gegeben hat. Und dies durch die Einführung von „blind auditions” gemildert wurde, so daß Frauen bessere Chancen hatten.
Natürlich kann man argumentieren, daß sich die Zeiten geändert haben, daß es längst keine Diskriminierung mehr gibt. Möglicherweise aber ist es auch einfach Zeit für ein paar radikalen Maßnahmen, um eine Gesellschaft mit Beharrungstendenzen zum Umdenken zu zwingen. Karajan und Mehta jedenfalls würde heute wohl nicht mehr dafür plädieren, daß Frauen an den Herd gehören und nicht ans Instrument.