Deus ex Machina

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Wohin mit dem Hass?

Das Projekt hatr.org hat einen kreativen Umgang mit Trollen gefunden: die Website verdient Geld am Sexismus, Rassismus und Hass, den Kommentatoren in Blogs hinterlassen. Auf der Seite gibt es zudem subtile Ratschläge für die Störenfriede.

“Wohin mit dem Hass?” fragt Jochen Diestelmeyer. “Wohin mit den Trollen?” fragen immer wieder die Autorinnen und Autoren von Blogs, das fragen Forenbetreiber, Chatmoderatoren. Wohin mit dem Sexismus, Rassismus. der Homophobie und dem Frauenhass? Auf diese Fragen gibt es nun eine Antwort. Das Projekt hatr.org präsentiert eine neue Möglichkeit mit den Störenfrieden des Netzes umzugehen. Moderieren, Verwarnen, Löschen, Verbannen – das sind zeitraubende und anstrengende Abwehrmaßnahmen für Kommentatoren, die in Diskussionen einfallen um diese zu stören, andere Nutzer zu beleidigen, zu mobben, mit Ausfälligkeiten um Aufmerksamkeit buhlen, die ihre Meinung oder ihre ganz eigene Dummheit mit der Brechstrange als Endpunkt einer Debatte setzen möchten, und wenn es dafür wochenlangen Wiederholung bedarf, ohne auf Argumente anderer einzugehen.

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Hatr.org packt die Trolle am Schlawittchen und zieht sie in ein Rampenlicht gemeinsam mit ihren Artgenossen. Die Plattform zeigt einzelne Trollbeiträge aus feministischen Blogs, die dort zumeist nicht frei geschaltet wurden. Derzeit befindet sich die Website in einer closed-Beta-Phase. Ausgewählte Blogs können ihre Trollkommentare über ein Plugin einreichen. Sie werden dann von der Redaktion geprüft, anonymisiert und veröffentlicht. Den Kontext der Texte und Diskussionen, zu denen die Kommentare verfasst wurden, braucht es zu diesem Zweck nicht. Allein glänzen die oftmals hasserfüllten Texte umso mehr. Denn enttarnt wird durch diese Art der Präsentation besonders ihre Qualität als lupenreine Trollprodukte. Die auf hatr.org veröffentlichten Kommentare könnten so unter vielen Texten stehen: immer richten sie sich mit ähnlicher Argumentation, mit ähnlicher Unverschämtheit, mit ähnlich simplen Gedankengang an die Autorinnen und Autoren, ohne an konstruktivem Austausch interessiert zu sein. Die meisten Beiträge zeugen von haarsträubender Dummheit; einige wenige geben sich immerhin mehr Mühe als Mario Barth. Über Trolle zu lachen kann heilsam sein.

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Die Bloggerin Kathrin Ganz stellte die Website gemeinsam mit der Mädchenmannschaft-Autorin Helga Hansen auf der re:publica-Konferenz in Berlin vor. Die Hamburger Autorin von “I heart digital Life” gründete das Projekt mit weiteren Netzaktivist_innen. Ganz promoviert derzeit über Netzbewegungen. Hatr.org soll sich den “Shitstorms” entgegen stellen, die von Frauen geschriebene Weblogs permanent erfassen. Die Kommentatoren und Trolle, die vornehmlich feministsche und queere Blogs mit frauenfeindlichen und sexistischen Angriffen attackieren, sind gut organisiert. Sie reagieren schnell auf neue Texte und publizistische Angebote, sie sind hartnäckig, sie kommen in Scharen. Auf den meisten feministischen Blogs kann daher nicht mehr frei kommentiert werden. Die Autorinnen lesen alle eingehenden Kommentare, bevor sie sie frei schalten. Viele Beiträge landeten bislang im “Papierkorb”. Mit hatr.org entziehen die Gründer_innen den Trollen nun erstmalig die Grundlage ihrer Behauptung, sie würden zensiert. Ihre Kommentare werden auf dem Präsentierteller für besondere verbale Entgleisungen regelrecht gehätschelt. Nicht nur werden die Beiträge in ihrer ganzen Länge direkt gezeigt, sie können von den Nutzer_innen auf hatr.org zudem noch mit dem “Facepalm” ausgezeichnet werden. Hatr erklärt das so: “Ein Facepalm ist eine deskriptive Bezeichnung für die Gestik, sich die Hand vor das Gesicht zu schlagen. Wenn Du dem Impuls verspürst, genau das beim Lesen eines Kommentars zu tun, ist das ein deutliches Zeichen, dass es an der Zeit ist, einen Facepalm zu verteilen.” Über 400 Facepalms hat der Kommentar, bei dem die meisten Nutzer_innen von hatr.org sich gerne die Hand vor die Stirn geschlagen hätten, oder es tatsächlich taten. Die Leserschaft der Seite wächst beständig.

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Das “queerfeministische Trollmonetarisierungsprojekt” ist erst seit dem ersten April diesen Jahres online und verzeichnet schon knapp 10.000 Klicks am Tag. Die Idee dazu entstand im vergangenen Jahr auf dem Gendercamp, einem Barcamp zu Themen aus den Bereichen Feminismus, Queer, Gender und Netzkultur, und ist angelehnt an die amerikanische Website “Monetizing the hate”. Kurz gesagt war hatr.org also die Idee “Scheiße zu Geld” zu machen. Auf der Seite finden sich Bannerwerbung, Spenden gehen über Flattr als Crowdfunding ein. So wird die negative Energie – teils ist diese sogar kriminell, da Kommentare strafrechtlich relevante Inhalte enthalten – in bare Münze umgewandelt. “Uns ist nichts Positiveres zu Trollkommentaren eingefallen, als sie zu monetarisieren. Natürlich ist das auch ein bisschen Provokation gegenüber den Trollen”, sagt Sebastian Vollnhals, Mitgründer von hatr. Die Autorin Nadine Lantzsch ergänzt: “Bei Trollen hat mensch nur zwei Möglichkeiten: ignorieren oder einen kreativen Umgang damit finden. Genau das versuchen wir mit hatr.org, indem wir sie eiskalt monetarisieren und das Geld für emanzipatorische Projekte spenden. Nicht jede_r kann sich Ignoranz leisten, deswegen bieten wir mit hatr.org die Möglichkeit, den Hass aktiv beiseite zu schieben.” Nadine Lantzsch schreibt ihr eigenes Blog “Medienelite” sowie für das bekannte feministische Publizistinnennetzwerk “Mädchenmannschaft”. Erfahrungen mit Anfeindungen hat sie daher reichlich. Die Menge von diskriminierenden Kommentaren übersteigt bei Blogs, die sich mit Genderthemen und Rassismus beschäftigen, das normale Aufkommen von Trollkommentaren anderer Webangeboten deutlich. Morddrohungen und Aufrufe zur Vergewaltigung gehören zur Tagesordnung. Hatr.org kann aus Lantzsch Sicht vor allem zwei Dinge leisten: “Dass Außenstehende einerseits wahrnehmen, mit welchem Müll sich gesellschaftskritische Blogs tagtäglich herumplagen müssen, und Betroffene andererseits sich nicht allein mit dieser Art von Gewalt fühlen.” Die Netzaktivistin bleibt skeptisch, ob hatr.org einen Beitrag dazu leisten könne, Menschen für Sexismus zu sensibilisieren. Sexismus sei kein netzspezifisches Problem, sondern ein Phänomen, von dem wir alltäglich umgeben seien. Daher sei es hatr.org ein erster Schritt gegen Sexismus im Netz, aber sicher keine Lösung: “Was wir brauchen, ist Solidarität. Wir müssen zeigen, dass wir uns Sexismus nicht länger gefallen lassen. Dass wir frei sein wollen und frei ins Internet schreiben können, ohne mit ekelhaften Äußerungen belästigt oder zum Schweigen gebracht zu werden.”

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Am Ende der Projektvorstellung bei der re:publica verteilen Kathrin Ganz und Helga Hansen den Vorläufer von hatr.org als Papierversion: das antifeministische Bingo. Der Bingozettel zeigt Trollkommentare, die sich nicht nur in den Diskussionssträngen von Blogs finden, sondern in vielen Gesprächen um Frauenthemen und Feminismus oft beiläufig fallen. Es lohnt sich, ein paar davon in der Tasche zu haben und den Kugelschreiber in die betreffenden Felder zu bohren, wenn sexistische Phrasen ein Meeting spicken. Auf hatr.org lassen sich nun ganz eigene Kreationen bestaunen. Jüngst veröffentlichten die Betreiber_innen dort sogar ein schlechtes Gedicht aus der Feder eines Sexisten. Das ist nicht nur der falsche Weg, um als Troll um Aufmerksamkeit zu betteln. Kathrin Ganz erzählt lachend, dass das “Google-Orakel” auf der Website den Trollen subtil einen Rat erteilt: die Google Ads werben für Psychologen und Haushaltshilfen.