You’re not deep.
You’re not an intellectual.
You’re not an artist.
You’re not a critic.
You’re not a poet.
YOU JUST HAVE INTERNET ACCESS.
Diesen oben stehenden Gedankenfetzen muss ich Ihnen nicht übersetzen. Wenn Sie selbst diese schlichten englischen Vokabeln nicht in ihre Muttersprache übersetzen können, markieren Sie die Zeilen, kopieren Sie diese in ein Textfeld eines beliebigen Übersetzungsservice im Netz und warten Sie auf das Resultat. Das Internet wird Fremdsprachenkenntnisse weitestgehend obsolet machen, es sei denn, sie möchten tatsächlich mit Menschen interagieren. Und betrachten wir Englisch einfach mal nicht als fremde Sprache. In Berlin ist es nahezu unmöglich eine Kita zu finden, in der ihren Sprösslingen die Namen für Bauernhoftiere und Bauklötze nicht auch von einer britischen Erzieherin beigebracht werden. Somit wird das Auslandsjahr im Studium, von dem Berufsberater behaupten, ohne es komme kein Akademiker mehr in einen gut bezahlten Job, hinfällig sein. Das Erasmusjahr, in dem die Leber mehr belastet wird als der Geist beflügelt, müssen Studenten mit Fernweh nun anders verbringen. Seit Freitag heißt es zudem offiziell: You’re not a doktor, Mr. Guttenberg, you just have internet access. Das bloße Abspulen von Wissen ist keine Kunst. Die Sendung “Wer wird Millionär” dürfte ebenfalls bald der Vergangenheit angehören; ihr Spannungsbogen ist von Google zerfressen worden.
Das schier unendliche Wissen und die zusätzlichen Möglichkeiten zu lernen, die das Internet bereit stellt, sind ein Segen für begabte Kinder, Schüler, Studenten, die in ihrem Lernumfeld aufgrund von Vorwissen und einem anderen Lerntempo an Unterforderung leiden. Gleichermaßen könnte über E-Learning auch auf die schwächeren Schüler besser eingegangen werden. Die schnell lernenden Jugendlichen entfernen sie jedoch noch ein Stück weiter von den Angeboten des deutschen Bildungssystems, da Lehre und Lehrer kaum hinterherkommen, sich auf das individuelle Lernen der Schützlinge einzustellen und das digitale Wissen für den Unterricht optimal einzusetzen. Computer, Videospiele und insbesondere das iPad gewöhnen Kinder an eine Art des Kenntniserwerbs, mit dem regulärer Unterricht oftmals nicht mehr konkurrieren kann. Der Philosoph und Chief Technology Officer von IBM Deutschland, Gunter Dueck, kritisierte das deutsche Schul- und Hochschulsystem in seinem Vortrag “Das Internet als Gesellschaftsbetriebssystem” auf der Konferenz re:publica zu Recht (Der Vortrag als Video und Textbeitrag in der FTD). Das Einprügeln von Kurzzeitwissen bis zur nächsten Klausur, Module, die nicht mehr aufeinander aufbauen sondern in der Summe sich nur aufaddieren zu den für den Abschluss notwendigen Creditpoints, die Abwesenheit von Persönlichkeitsbildung im Großteil der Klassenräume und Vorlesungssäle. Die Zukunft der Gesellschaft wird sich aus diesem Bildungssysstem als Grundlage nicht speisen können.
“Der Lehrer muss nun echt Pädagogik können. Das tut weh.”
Die Herausforderung für die Schulen, so sagt es Dueck, müsse ihren Fokus von der reinen Wissensvermittlung verschieben und viel stärker auf Persönlichkeitsbildung setzen. Die Kritik setzt also nicht an dabei, dass Pädagogen den technischen Entwicklungen der digitalen Welt nicht folgen könnten. Vielmehr formuliert der Wandel der Wissensvermittlung die Herausforderung an Lehrkräfte, auf junge Menschen, die in ihrem persönlichen Umfeld nun auf völlig andere Voraussetzungen und Möglichkeiten treffen als noch vor zehn und zwanzig Jahren, neu einzugehen. Es ist nicht das Internet, dass Lehrerinnen und Lehrern Probleme bereitet, es ist unzureichende Schulung in den Eigenschaften, die Dueck für die Fachkräfte – die so genannten “Professionals” – der Zukunft fordert: soziale Gewandheit, emotionale Intelligenz, Managementtalent, Verhandlungsgeschick, Selbstverantwortung, Unternehmer- geist: “Der Lehrer muss nun echt Pädagogik können. Das tut weh.”
Nehmen wir ein paar Beispiele:
Eltern, deren Kind schon vor der Einschulung viel in Büchern und im Netz liest und zahlreiche Fakten hinunterrasseln kann, wird von den Eltern für hochbegabt gehalten. Muss der Lehrer es die erste Klasse überspringen lassen?
Was tun wir mit den Schülern, deren Aufsätze und Referate durch das Hinzuziehen digitaler Quellen den Arbeiten so weit überlegen sind, die sich nur auf das lehrplanmäßig zur Verfügung gestellte Material stützen konnten? Will man hier die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung beschränken, um Chancengleichheit zu etablieren?
Wollen wir uns weiter darüber grämen, dass Musterlösungen und Seminararbeiten im Netz kursieren, so dass Schüler und Studenten den Sinn der erneuten Anfertigung nicht erkennen können? Oder braucht es etwa neue Aufgaben, die junge Menschen wieder mehr fordern als ein kluger Umgang mit Suchmaschinen?
“Wissen Sie im Beruf mehr als ein frisch Gesurfter?”
Dies sind nur einige wenige Beispiele, die unterstreichen, dass das Internet als unerschöpfliches Archiv die Art und Weise in der wir Wissen weitergeben, massiv verändert und unser Bild davon, was “Lernen” bedeutet, sich dringend wandeln muss. “Was können Sie einem Menschen noch sagen, der zwei Stunden gesurft hat?”, fragte Dueck im April die Konferenzteilnehmer der re:publica. Was kann ein Lehrer Schülern noch erzählen, die sich tatsächlich für ein Thema begeistern, und es im Netz gründlich recherchiert haben?
“Sie müssen jetzt etwas wollen, und zwar nicht für sich selbst und das Internet!”
Die Digitalisierung der Welt fordere neue Berufe. Automatisierung, kluge Software und der einfache Zugang zu Fachwissen werden bisherige Fachkräfte in vielen Arbeitsbereichen verdrängen und neue, besser ausgebildete Personen für die komplexen Sachverhalte fordern – so skizziert Dueck die Zukunft der Arbeitswelt. Eine Aufgabe der “Generation Digital” also sei es, neue Berufe zu ergreifen. Diese Berufe eng verdrahtet mit technologischem Fortschritt zu sehen, ist jedoch das, wovor Gunter Dueck die Digital Natives warnt. “Sie müssen jetzt etwas wollen, und zwar nicht für sich selbst und das Internet!”, forderte Dueck die Zuhörer seine re:publica-Vortrages auf: “Fangen Sie nicht mit 3.0 an!” Berufe, den Bürger, die Gesellschaft neu zu erfinden erfordert Engagement vor allem im Bereich der Bildung und der Politik. Die Neugestaltung des Bildungssystems ist sogar eine explizit politische Aufgabe. Die “Digitale Spaltung”, deren Graben sich nicht vorrangig zwischen jung und alt, oder Early und Late Adoptern schlägt, sondern besonders hartnäckig Menschen mit guten sozioökonomischen Voraussetzungen von einkommens- und bildungsschwachen Menschen trennt und ihre Chancen weiter auseinander treibt, muss im Zusammenspiel von Bildung und Politik überwunden werden.
Erst heute forderte der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) eine bessere Ausrüstung und Schulung von Pädagogen. “Die Lehrer sind keine Technikverweigerer, aber veraltete oder schlecht gepflegte Geräte und fehlende didaktische Konzepte machen ihnen das Leben schwer”, sagte BITKOM-Präsident Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer bei der Vorstellung der Studie in Berlin. “Die große Mehrheit der Lehrer will mit digitalen Medien arbeiten, weil sie davon überzeugt sind, dass sie den Unterricht besser machen”, so Scheer weiter. 79 Prozent der befragten Lehrkräfte sagten, dass ihre Schüler schneller lernen, wenn sie im Unterricht mit Computer und Internet arbeiten. Drei Viertel beobachten, dass die Schüler durch den Medieneinsatz motivierter sind. 77 Prozent der Lehrer berichten, dass sie durch PC und Internet individueller auf die einzelnen Schüler eingehen können.
Doch über technische Ausstattung von Bildungseinrichtungen ist es nicht getan. Das Lehrpersonal muss geschult werden. Umfassend. Das muss große pädagogische Konzepte bedeuten, die Lehrern und Dozenten mehr vermitteln als Medienkompetenz, sondern sie in die Gesellschaftsdebatte um die Chancen des Internets einbinden und mit ihren Schülern weiterführen lassen. In der Ausbildung der jungen und der alten Menschen müssen neue Berufsbilder entstehen, das Ansehen der Erziehungsberufe muss steigen und aufgewertet werden, der Lehrerberuf demographisch vielfältig besetzt sein und Quereinsteiger als Ausbilder mit einbinden. Können die Vorbilder, die Kinder in Schulen und ihren Familien erleben, mithalten mit den in Medien präsentierten Rollenbildern? Wie sollen Schüler auf eine berufliche Zukunft allein durch Menschen vorbereitet werden, die seit jeher zwischen Schulhof und Schreibtisch pendeln? Durch zweiwöchige Schulpraktika?
Bildung ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen. Dass die Medien- und die politische Agenda es so unzureichend öffentlich aufgreift, spiegelt wohl wieder, wie individualistisch die Auffassung von Chancen und Lebensgestaltung in breiten Teilen der Bevölkerung geprägt ist.
Chancengleichheit wird jedoch nicht über eine flächendeckende Computerausstattung in Klassenräumen erreicht werden. Bildungsgerechtigkeit ist vor allem eine sozialpolitische Aufgabe – weltweit. Die Bundesregierung beantwortet die Herausforderung in Deutschland mit “Bildungsgutscheinen” für Kinder aus sozialschwachen Familien, die für Kinder in etwa so förderlich sein dürften, wie ihre lächerliche Bezeichnung klingt und wie wenig warm Ursula von der Leyen in ihren Mitteilungen zu diesem Projektchen lächelt. Was Hartz IV für Familien und Kinder neben vielen anderen Dingen nicht vorsieht, sind Computer und ein Internetanschluss. Der Zugang zu Information und Kommunikation über das Internet ist schon jetzt grundlegen für Bildungsgerechtigkeit, auch wenn man argumentieren mag, dass diese Einschränkung weitaus weniger schwer wiegen dürfte, als die weiteren Auswirkungen von Armut.
Gunter Duecks Aufruf nach politischem Engagement muss jedoch weiter reichen als an die Jungen und Junggebliebenen, die “Generation Digital”. Sein Aufruf muss ein Appell an die Zivilgesellschaft sein: Wir müssen jetzt etwas wollen, und zwar nicht für uns selbst!
Die Professionals, die Menschen, mit ausgebildeter Persönlichkeit, von denen Dueck spricht, sollten nämlich vor allem eine soziale Kompetenz besitzen: sie sollten weit über den Tellerrand der persönlichen Zufriedenheit hinaus schauen können.