Keine öffentliche Betrachtung von Globalisierung, Einkommensverteilungen oder Ungleichheit, ohne daß der Gini-Koeffizient bemüht wird – trotz allerlei Einschränkungen, die gerne ignoriert werden.
Menschen vergleichen sich gerne miteinander und so ist der Vergleich von Einkommen ein beliebter Sport, wenn auch meistens verdeckt betrieben – über Geld spricht man nicht. Zum Teil nehmen Gehaltsrechner und Rankings einem die leidige Fragerei ab, die es einem ermöglicht, sich in der Gesellschaft einzuordnen. Das nämlich ist wichtig: Studien haben gezeigt, daß die meisten Menschen zuerst ihren Nächsten als Referenzpunkt betrachten und im Zweifelsfall lieber absolut weniger Einkommen akzeptieren als große Divergenzen.
Auf internationalem Niveau beschäftigen sich viele Wissenschaftler mit Fragen der Einkommensverteilung, assistiert von fanatischen Globalisierungsgegnern und gleichermaßen fanatischen Marktliberalen, die die weltweite wirtschaftliche Integration entweder als Ursache aller Übel oder als uneingeschränkten Heilsbringer betrachten. Wie fast aller wissenschaftlicher Fortschritt hat auch dieser Forschungszweig sehr von den Segnungen der Moderne profitiert: mehr Daten und bessere Verarbeitungskapazität. Das Mutter aller Maßzahlen zur Ungleichheit hingegen feiert im nächsten Jahr seinen 100. Geburtstag: der Gini-Koeffizient, und hat er nichts von seiner Bedeutung eingebüßt.
Der Gini-Koeffizient ordnet die Verteilung der Einkommen basierend auf der Lorenzkurve zwischen 0 und 1, wobei 0 totaler Gleichheit entspricht, d.h. alle Bürger haben dasselbe Einkommen. Je näher an eins (oder 0 bis 100, je nach Skalierung) der Koeffizient rückt, desto ungleicher sind Einkommen verteilt, d.h. desto weniger Individuen halten immergrößere Anteile des gesamten Nationaleinkommens. Noch vor einigen Jahrzehnten waren länderübergreifende Vergleiche darauf beschränkt, lediglich das durchschnittliche Einkommen pro Land (BIP zum Beispiel) zu vergleichen. Je nachdem, ob man diese Zahl nach Bevölkerung gewichtet, ist sie noch immer gern genutzte Munition für beide der oben genannten Fraktionen, weil die Kennzahl auf nationaler Ebene beide Ergebnisse hergibt. Behandelt man China wie Luxemburg mit gleichem Gewicht, ist die weltweite Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Gewichtet man die Länder hingegen nach der Bevölkerungszahl, führen die Einkommensverbesserungen in Indien und China dazu, daß die Ungleichheit im weltweiten Mittel gefallen ist.
Im Grunde genommen sind jedoch beide Methoden unzulänglich, weil sie die nationalen Unterschiede nicht berücksichtigen. Dafür jedoch braucht es detaillierte Statistiken auf nationalem Niveau und die hat bei weitem nicht jedes Land. Und selbst dort, wo es sie gibt, sind sie bei weitem nicht immer zuverlässig oder vergleichbar.
Manche Länder vergleichen Einkommen pro Land vor Steuern. Andere nach Steuern. Steuern hingegen und soziale Transferleistungen haben in der Regel erhebliche Umverteilungswirkung, so daß die Vorher-Nachher Frage einen signifikanten Unterschied machen kann. Weshalb die USA (vorher-Erhebung) im Vergleich zu Frankreich (nachher-Erhebung) in der Regel wesentlich schlechter (d.h. ungleicher) abschneidet. Manche Arten von Einkommen lassen sich ohnehin gar nicht monetär erfassen und verzerren den länderübergreifenden Vergleich zusätzlich: Lebensmittelmarken zum Beispiel, Bildungstransfers, oder Subsistenz-Landwirtschaft in ärmeren Ländern. Die Zahl verkompliziert sich weiter, da manche Statistiken auf Umfragen basieren, die ganze Haushalte befragen – andere hingegen Individuen.
Vor diesem Hintergrund war es eine bahnbrechende Verbesserung, als zwei Wissenschaftler 1996 die verfügbaren Umfragen genauer auf ihre Vergleichbarkeit untersuchten und, wo möglich, anpassten. Viele beliebte Datensätze wurden verworfen, der verbleibende Rest deckte immerhin noch 108 Länder über die letzten 50 Jahre ab, wenn auch nicht jährlich. Das ist bis heute der Datensatz der Wahl zu länderübergreifenden Ungleichheitsforschung, trotz aller Unzulänglichkeiten. In der Not frißt der Teufel fliegen und der Wissenschaftler arbeitet mit dem, was er bekommen kann.
Auf nationaler Ebene entfallen etliche der oben genannten Probleme, zumal die meisten OECD-Länder zumindest inzwischen ziemlich gute Statistiken erheben und diese auch dank der Segnungen der Computermoderne viel leichter auswerten können als früher. Es bleiben aber immer noch genug Tücken übrig. Fest steht: nach neuesten Erkenntnisse ist die Ungleichheit der Einkommensverteilung in Deutschland in den letzten Jahren gestiegen. Genauer gesagt, verschlechterte sich der deutsche Gini-Koeffizient von 0,27 auf 0,29 von 2001 bis 2005, blieb aber seither konstant. Einkommen sind also heute ungleicher verteilt als vor zehn Jahren. Das Problem ist: diese eine Zahl sagt weder etwas über die Ursachen, noch über die genaue Art der Verschiebung von Wohlstand. Für genauere Informationen müßte man wissen, wie die zugrundeliegende Lorenzkurve geformt ist bzw. wie sie sich im Zeitablauf verändert hat. Ob sich die Mittelschicht weiter von den oberen Quantilen der Oberschicht entfernt hat, oder ob die ganz unteren Gruppen weiter abgehängt wurden – der Gini-Koeffizient gibt immer nur eine Zahl aus. Dem kann man abhelfen, indem genauere Daten erhoben und genauere Angaben gemacht werden. Zum Beispiel: In Deutschland stieg das Einkommen der reichsten 10 % der Haushalte um 2 % an, der ärmsten 10 % der Haushalte hingegen nur um 1,4 %.
Das ist tatsächlich sehr viel aussagekräftiger, sagt aber immer noch nichts über die Ursachen aus. Erhebliche demographische Veränderungen zum Beispiel beeinflussen Einkommensverteilungen, weil mehr Kinder zuerst einmal mehr einkommenlose Köpfe bedeuten, zumal wenn Haushalte (und nicht Individuen) befragt werden. Ähnlich verhält es sich mit Migration: ein Land, das sehr offen für eher unqualifizierteEinwanderer ist, wird automatisch mehr Erwerbstätige in unteren Einkommensklassen haben – folglich mehr Ungleichheit.
Für den oben genannten Trend zu mehr Ungleichheit nennt die OECD auch Gründe: mehr berufstätige Frauen zum Beispiel, die tendenziell öfter Teilzeit arbeiten und tendenziell geringere Löhne erhalten, führen ebenfalls zu mehr Ungleichheit. Umgekehrt führen gestiegene Kapitaleinkommen dazu, daß die Vermögensverteilung mehr Einfluß in der Einkommensverteilung gewinnt, weil die Kapitaleigentümer davon besonders profitieren und dies die Einkommen der ohnehin Besserverdienenden weiter hochtreibt – im Vergleich mit Personen mit wenig Kapitaleinkünften. Das ist übrigens eines der fundamentalen Probleme des Gini-Koeffizienten: über die Ungleichheit von Vermögenspositionen (jenseits der Kapitaleinkünfte) sagt er gar nichts aus. Da könnte man glatt übersehen, daß ein sehr egalitäres Land wie Schweden mit dem sensationell niedrigen Gini-Koeffizienten von 25 keineswegs so überaus gleich ist. Tatsächlich werden 77 % der Aktienvermögen von 5 % der Bevölkerung gehalten.
Bleibt festzuhalten: der Gini-Koeffizient sagt viel über die Einkommensverteilung in Ländern aus. Aber er sagt auch viel Wissenswertes nicht aus. Das macht ihn nicht überflüssig, er ist das kompakteste Maß, daß die Volkswirtschaftlich für solche Zwecke kennt und ist konzeptionell so einfach, daß auch Journalisten und Politiker sich dazu äußern können. Aber man sollte den Informationsgehalt nicht überbewerten – schon gar nicht, wenn die Interpretation von Journalisten oder Politikern kommt.
Vielen Dank, sehr geehrte...
Vielen Dank, sehr geehrte Sophia für diesen Beitrag. “Die Zahlen lügen nicht!” wird uns ja oft zugerufen, wenn eine Regierung oder das Management ihre Errungenschaften selbst loben. Leider vergessen sie immer den wichtigen zweiten Teil: “… sie schweigen”. Und das ist doch der Kern der ganzen Kennzahlen. Kein Mensch nimmt sich ernsthaft Zeit, sie zu interpretieren. Außer Ihnen, liebe Sophia.
Danke!
Werter Booooster, Zahlen...
Werter Booooster, Zahlen lügen auch nicht- nur die Leute, die damit arbeiten. Was mich betrifft: ich weiß, daß ich nichts weiß, und jeder Beitrag enthüllt mir eine neue Facette meiner prinzipiellen Ahnungslosigkeit.
Gini - aha. Wieder was...
Gini – aha. Wieder was gelernt. Danke!
Verehrte sich stets unwissend...
Verehrte sich stets unwissend Gebende, wie ist es nun in unseren Breiten mit der Diversität der Einkommensbezieher bestellt? Eigent sich ihrer Ansicht nach nicht der Gini nicht wenigsten zum oft bemühten Vergleich zwischen Ost und West (wobei die Altbundesländern anno 2009 mit 0,29 zu 0,27 in Ost ungleicher abschneiden)?
muscat, ist mir stets ein...
muscat, ist mir stets ein Vergnügen.
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Ihr2fel, die Antwort lautet wie so oft: es kommt darauf an. Natürlich sagt der Gini etwas aus über Ungleichheit – ist aber sehr pauschal in seinem Urteil. Ziemlich eindeutig dürfte jedoch sein, daß die höheren Einkommen schneller steigen als die niedrigen, siehe oben. Und das ist dann einwandfrei mehr Ungleichheit.
https://www.oecd.org/document/54/0,3746,de_34968570_35008930_41530998_1_1_1_1,00.html
Dem kann man entgegenhalten, daß relative Armut in Deutschland nicht vergleichbar ist mit relativer Armut in Lateinamerika, aber wir wollen ja nicht dauernd relativieren.
Danke, und ich dachte, im...
Danke, und ich dachte, im Osten wohnen größtenteils nur noch Rentner und Aufstocker, die eine Gleichheit wahrscheinlicher werden lassen. In ihrem Link wird auf die Studie “Mehr Ungleichheit trotz Wachstum” verwiesen. Müsste es statt trotz nicht eher wegen lauten?:) Salute!
Auch von mir, danke für die...
Auch von mir, danke für die Nachhilfe.
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Werden wir jetzt reicher weil wir älter werden, oder versteh’ ich das falsch?
Ihr2fel, es gibt überhaupt...
Ihr2fel, es gibt überhaupt keine deterministische Verbindung zwischen Wachstum und Verteilung – das hat jedes Land am Ende selbst in der Hand.
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minna, ich fürchte, das ist falsch – über Reichtum und Alter sagt der Text gar nichts. Nur darüber, daß tendenziell mehr Kinder mehr Köpfe sind, und sich damit pro-Kopf-Einkommen anders verteilen. Je nach Maßzahl, versteht sich.
Genau werte Sophia, und...
Genau werte Sophia, und deshalb entsteht: Ungleichheit
Auch ich bedanke mich sehr...
Auch ich bedanke mich sehr für diese mir bis dato gänzlich unbekannten Informationen. Es ist in den Medien ja Alltag, dass mit Zhalen um sich geschmissen wird, die a) kaum jemand kennt und b) zudem nicht erklärt werden. Soll das Kompetenz und Fachkundigkeit ausdrücken ? Mitnichten – damit werden Argumente zur Seite gedrückt.
Diese Unsitte stößt mir immer wieder sauer auf.
Sophia, aber den Chinesen...
Sophia, aber den Chinesen hilft das sehr – im Vergleich.
Ihr2fel, hä? Wachstum hat...
Ihr2fel, hä? Wachstum hat immer distributive Effekte, aber das kann der Staat doch ändern. Wenn die Ungleichheit zunimmt, während Gleichheit gewünscht ist, hat das mit dem Staat zu tun – nicht mit dem Wachstum.
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Raoul, ich glaube, wenn man “irgendwas mit Medien” studiert hat, kann man solche Themen nur mit Mühe durchschauen. Dafür braucht es schon etwas mehr Sachkenntnis. Deswegen bin ich sehr für Journalisten mit Fachstudium. Guter Wissenschaftsjournalismus kann sowas schon leisten. Ich hingegen sammele ja nur ein paar Fakten und stelle diese zur Diskussion, weil ich selbst so wenig weiß.
Vielen Dank für den erneuten...
Vielen Dank für den erneuten Nachweis, mit welcher Vorsicht man statistische Verteilungsaussagen nehmen muss. Diese Vorsicht sollte sich darüber hinaus potenzieren, wenn man aus statistischen Werten politische Forderungen ableitet. Das gilt auch für den gini-Koeffizienten. Denn auch grosse Ungleichgewichte in der Einkommensverteilung sind nicht unbedingt ein gesellschaftliches Problem, solange auch die unteren Einkommensränge klare Zuwächse verzeichnen und keine absolute Armut auftritt. Halt – zurück – man kann diese Auffassung guten Gewissens vetreten, ohne deshalb unsozial oder eine Menschenfeind zu sein :-). Diese Überlegungen werden natürlich weder Journalisten noch Lobbyisten oder Verbandsvertreter daran hindern, sich die neueste Statistik extremstmöglich interpretiert täglich um die Köpfe zu hauen, das Spiel heisst dann fälschlicherweise “politische Meinungsbildung” :-).
Gruss,
Thorsten Haupts
minna: Lies doch mal den...
minna: Lies doch mal den 2.Absatz
https://www.faz.net/s/Rub050436A85B3A4C64819D7E1B05B60928/Doc~E83DBD981E250441691B8BC0BDA4AA6A4~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Sophia, es lebe die Ungleichheit (der Meinungen:). Da das wirtschaftliches System mit dem Politischen verkoppelt ist (wer mag das ernsthaft bestreiten), indem u.a. Gesetzesinitiativen den Rahmen für die Prosperität eines Landes abgesteckt werden, ist es eben von beiderlei Interesse, Gini im Blick zu behalten. Da nützt auch nicht der Versuch der Relativierung.
@Sophia
Da stimme ich dir zu...
@Sophia
Da stimme ich dir zu Sophia. Und dein Licht musst du nicht so unter den Scheffel stellen ;-)
Liebe Sophia Amalie Antoinette...
Liebe Sophia Amalie Antoinette Infinitesimalia
so einfach dass Journalisten drüber schreiben können, kapiert hab ich aber nix;
na ja, macht nichts, ich muss ja nicht alles kapieren;
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dafür erfreue ich mich an Ihren Bildern, danke schön!
Ihr2fel, danke für den Link;...
Ihr2fel, danke für den Link; überall die gleichen Probleme :
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” früher war es leichter voranzukommen” – das denken sicher auch bei uns sehr viele.
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Raoul, ich glaube, wenn man...
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Raoul, ich glaube, wenn man “irgendwas mit Medien” studiert hat, kann man solche Themen nur mit Mühe durchschauen. Dafür braucht es schon etwas mehr Sachkenntnis. Deswegen bin ich sehr für Journalisten mit Fachstudium. Guter Wissenschaftsjournalismus kann sowas schon leisten.
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Deutschland hat einen wahnsinnig schlechten Wissenschaftsjournalismus, und da beziehe ich FAZ/FAS und ZEIT ausdrücklich mit ein. Unvergessen wie Dobos und Kümmel ihren Schmarrn über die gesamte erste Feuilletonseite bewerben durften – ohne das auch nur ein kritisches Wort dazu sonst in der FAZ erschienen wäre. Billigeste bait and switch – Technik.
Der Nematodenartikel am Wochenende war auch nicht fehlerfrei, falsche Bezeichnung der b. copulatrix und eine Bursa gibts auch nicht bei allen. UNd das sag ich mit meinem Parasitologenhalbwissen, jemand mit Ahnung (oder auch nur f4cking fünf Minuten Fachbuch nachschlagen) würde wahrscheinlich noch mehr finden.
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Kann man Journalisten eigentlich nicht mal ein bisschen härtere Verträge verpassen? Das heißt, keine Berichterstattung über preliminary studies an vier Ratten und zwei Kulturen mit 100% Krebsheilungsrate, mandatorische Pubmed- und Ploseinführungskurse…… und wer noch nie von Goldacre gehört hat ist TEIL des Problems und bestimmt nicht seine Lösung.
ThorHa, ich danke für die...
ThorHa, ich danke für die treue Leserschaft! Was gerechte Verteilung ist, muß jede Gesellschaft im Diskurs entscheiden – idealerweise.
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Ihr2fel, ich wollte nur sagen: es gibt keinen natürlichen oder selbstverständlichen Zusammenhang zwischen Wachstum und Verteilung – jedenfalls nicht so klar und einfach, wie es manche Parteien gerne hätten. Verteilungseffekte in der Realität sind meistens von Menschenhand.
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Raoul, vielen Dank!
<p>tiberiat, ich sage ja,...
tiberiat, ich sage ja, trivial ist das nicht. Die Feinheiten der Berechnung haben sich mir auch nicht so recht erschlossen, aber vielleicht doch das ein oder andere intuitiv verständlich gemacht zu haben. Wenn man meine Bilder lobt, freut mich das aber fast noch mehr, weil ich nämlich so eine lausige Fotografin bin.
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asper, ich habe durchaus schon großartige Artikel über Wissenschaft gelesen (auch auf Deutsch), die mir naturwissenschaftliche Probleme näher bringen konnten. Aber für kritisches Denken (gerade bei Wirtschaftsfragen) braucht es Fachkompetenz, und die ist sicher nicht so häufig, wie man wünschen würde. Man muß aber auch fragen dürfen: wieviele Biologen möchten den Wissenschaftsjournalist bei FAZ oder ZEIT werden? Andererseits würde ich immer zugestehen, daß der Zeitdruck in den Medien größer geworden ist – zu Lasten der gründlichen Recherche, und des gründlichen Nachdenkens.
Einkommen oder Vermögen,...
Einkommen oder Vermögen, richtig: Darüber stolpern so manche Journalisten immer und immer wieder. Dass die Kapitalerträge- also Erträge aus Aktienanlagen zum Beispiel- beim obersten Zentil eine bedeutende Rolle spielen, wird gerne vergessen. Vielerorten wird nicht einmal mehr unterschieden zwischen Vermögen und Einkommen, obwohl die Grenzen langsam fliessend sind. Der vielgelobte Gini-Koeffizient ist bestenfalls ein Gradmesser oder noch besser: ein Richtwert, aber keineswegs ein genaues Instrument, mit dem sich die wachsende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögenswerten messen liesse. Im Übrigen sollte es in der heutigen Zeit nicht mehr nur um die Ungleichverteilung materieller Ressourcen gehen, sondern auch um die ungleiche Verteilung der Existenz- und Lebensrisiken. Die wachsende Instabilität der Lebensverhältnisse ist mit der Frage nach der ungleichen Verteilung materieller Güter aufs Engste verknüpft.
Marcel, ich meine nach wie...
Marcel, ich meine nach wie vor, daß wir in Europa froh sein können, daß der Staat fast alle existentiellen Risiken irgendwie noch abfedert. Wobei über solche Fragen viel zu wenig diskutiert wird.
Kann das...
Kann das Wissenschaftsvermittlungsproblem auch damit zu tun haben, dass die
Wissenschaftler von der Gesellschaft eine “Bringschuld” einfordern?
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” Ihre Kritik (Neda Kalek) zeigt, dass sie von Wissenschaft nichts mehr verstehen
will.”
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Der ganze Artikel “Ich sitze keinem Politbüro vor” strotzt m.E. vor selbstgefälliger
Arroganz.
Ist jeder verpflichtet...
Ist jeder verpflichtet Wissenschaft zu akzeptieren, so wie sie praktiziert wird?
minna, der Artikel steht hier...
minna, der Artikel steht hier aber nur begrenzt zur Debatte. Und wer Wissenschaft anders will, muß sich dafür einsetzen, oder?
Werte Sophia, Ihre Einwände...
Werte Sophia, Ihre Einwände akzeptiert!
Nur, wenn einem klar ist, daß man auf das Geschehen keinen Einfluß hat –
folgt m.E. immer die gleiche Reaktion – die Masse macht sich schwer.
minna@: Die griechischen...
minna@: Die griechischen Normalos, von den vielen Staatsbediensteten mal abgesehen, an der unteren Grenze ihrer Einkommen angelangt, werden´s zu rühmen wissen wie sie sich Gini-gerecht und unter der Lorenzkurve hindurchducken sollen. Ein´ Raki noch zum letzten Sirtaki.
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So ist er eben der gute Mann.
Plindos, welcher Mann?...
Plindos, welcher Mann?
S. A. A. I.: Der Autor von...
S. A. A. I.: Der Autor von “Ich sitze keinem Politbüro vor” war gemeint. Sorry.
aha, jetzt verstehe ich die...
aha, jetzt verstehe ich die Diskussion hier auch besser. Manchmal bin ich etwas langsam.
Sehr verehrte S. A. A. I.@:...
Sehr verehrte S. A. A. I.@: Falls Sie Ihre Gründlichkeit meinten, OK, Sie hatten recht mit Ihrer Nachfrage. Bezüglich der Kurven, sowie, was deren zugrunde-liegenden Theorien anbelangt, da wird im Nachbarblog bei Herrn Strobl gerade die Welt aus den Angeln gehoben ;-)
Hier ein kleines Linkbonbon, ohne Gewähr, daraus. Das könnte ev. ergänzend zu Ihrer Thematik passen: https://www.deweles.de/files/mathematik.pdf
Es ist interessant, wie man...
Es ist interessant, wie man Vergleichswerte finden kann, bzw. wie schwierig es ist, zu Vergleichswerten zu kommen, die aussagekräftig sind.
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asper, ich habe durchaus...
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asper, ich habe durchaus schon großartige Artikel über Wissenschaft gelesen (auch auf Deutsch), die mir naturwissenschaftliche Probleme näher bringen konnten. Aber für kritisches Denken (gerade bei Wirtschaftsfragen) braucht es Fachkompetenz, und die ist sicher nicht so häufig, wie man wünschen würde. Man muß aber auch fragen dürfen: wieviele Biologen möchten den Wissenschaftsjournalist bei FAZ oder ZEIT werden? Andererseits würde ich immer zugestehen, daß der Zeitdruck in den Medien größer geworden ist – zu Lasten der gründlichen Recherche, und des gründlichen Nachdenkens.
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Also bei der FAZ zähle ich zwei Biologen in der Wissenschaftsredaktion, müsste doch reichen? Das Zeitargument sslae ich durchaus für den kleinen Infotext am Rande gelten, den sich morgens eh keiner genau durchliest und dann auch noch mit zu wenig Kaffee im Blut (sagt Churnalism den Anwesenden was? https://en.wikipedia.org/wiki/Churnalism ), aber nicht für Artikel wie den erwähnten vom Sonntag, die über mehrere Seiten gehen, sich intensiv mit einem Thema auseinander setzen und den Ansrpuch haben, dem Leser hier ein Produkt zu liefern, für das er durchaus einiges an Zeit und Geld opfert.
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Es ist halt einfach so, dass obwohl ich nur ein kleiner räudiger Student bin und mein Wissen in vielen Bereichen allerhöchstens oberflächlich ist, mir trotzdem in vielen Artikeln Fehler auffalen, die erstens von mangelnder Fachkunde zeugen, was man je nach (Spezial)thema vielleicht noch entschuldigen kann, zweitens von völliger Ahnungslosigkeit über wissenschaftlichen Vorgehen, Alltag und Denkweise. Gerade letzteres ist absolut nicht damit zu entschuldigen, dass ein Journalist nicht genug Zeit und Musse besitzt!
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ich habe durchaus schon großartige Artikel über Wissenschaft gelesen (auch auf Deutsch), die mir naturwissenschaftliche Probleme näher bringen konnten.
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Da stimme ich Ihnen vollkommen zu und bitte verstehen Sie das auch nicht als Kritik an Ihren Artikeln, von Gini ahtte ich bisher keinerlei Ahnung, danke also…. und vielleicht ist es auch einfach auch etwas zu viel Korintenkackereih auf meiner Seite ;)
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So kommt man eigentlich direkt zur Debatte: Sollten wir die Wissenschaftskommunikation den Journalisten überlassen?
Plindos, so hoch wie der...
Plindos, so hoch wie der Nachbar möchte ich meine Ansprüche gar nicht stecken, auch wenn er in vielen Punkt sicher recht hat.
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Sammelmappe, dazu müßte man zuerst festlegen, was überhaupt vergleichbar ist. Sind kleine Differenzen (vor/nach Steuern) noch läßlich? Oder die von Haushalten und Individuen? Oder, oder oder…
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Asper, im Idealfall mischt man sich in Kommunikation immer ein. Was den Wissenschaftsjournalismus betrifft: als nicht-Naturwissenschaftlerin kann ich mir da keine Meinung erlauben, mir fällt es aber manchmal in Wirtschaftstexten diverser Medien auf, daß das wenig eigenes, kritisches Denken drinsteckt – darauf bezog sich mein Kommentar vor allem.
@asper:
Den räudigen...
@asper:
Den räudigen Studentenstatus lange hinter mir kann ich Ihre Beobachtung nur bestätigen. Als Leser von ausschliesslich “Qualitäts”medien misstraue ich unzwischen jeder (!) Faktenbehauptung – und wo es mich interessiert, versuche ich nach bestem Vermögen, den Wahrheitsgehalt zu bestimmen. Was dabei nach häufig gerade mal 10 Minuten Recherche herauskommt, hat meinen Kinderglauben an die Professionalität von Journalismus nachhaltig beschädigt …
Geht es um Themen, bei denen ich mich wirklich auskenne, bin ich beim Lesen von Artikeln (faz, ZEIT …) wahlweise von Lachkrämpfen geschüttelt oder dem Weinen nahe. Und dabei geht es nicht um die letzte Nachkommastelle einer Jahreszahl, sondern um grundsätzliche, wirklich krasse Fehler im grundsätzlichen Verständnis der methoden und Prozesse ebenso, wie um schlichtes, leicht behebbares Unwissen.
Zugespitzt formuliert – die traditionellen Medien verdanken ihren schleichenden Niedergang nicht der “kostenlos” Mentalität des Netzes. Sondern dem Öffentlichwerden ihres professionellen Versagens – nämlich mittels Recherche, Faktensammlung, Einordnung und Zusammenhangherstellung einen Mehrwert gegenüber reiner Information zu liefern. Wobei häufig genug nicht einmal die reine Information stimmt, weil sie durch Weglassen und Zuspitzen erheblich verfälscht wird. Oder in dpa Meldungen schlicht falsch ist und ebenso unkritisch wie unüberprüft abgeschrieben wird.
Gruss,
Thorsten Haupts
@S.A.A.I: danke für die...
@S.A.A.I: danke für die Vorstellung des Gini-Koeffizienten, man hört davon ja öfter, deswegen ist es gut, wenn mal aufgeführt wird, was der überhaupt erfaßt und was nicht. Was mir daran auffällt: man kann sich gut irgendwelche Kennzahlen aussuchen und ihren Verlauf über die Zeit betrachten, da sieht man schon einiges, aber es sind halt immer nur Zahlenreihen, und die für das Verständnis eigentlich wichtigen Dinge wie Ursache, Wirkung, Zusammenhang, “was passiert in welchem Ausmaß wem”, die mit dem reinen Zahlenwerk eigentlich einhergehen sollten, fallen doch ziemlich hinten runter. Es ist schon in Ordnung, Zahlen zu erheben bzw. Kenngrößenreihen über die Jahre zu haben, weshalb man an einmal festgelegten Kennzahlen nicht zwischendurch die Erhebungsart ändern sollte, so daß sie vergleichbar bleiben, aber man darf nicht zum Zahlenfetischisten werden, so daß man sich den Blick in die Welt damit verstellt. – Was Marcel anspricht, die Unsicherheit der zukünftigen Entwicklung, und dazu die Erwartung, daß in Zukunft nicht viel zu gewinnen ist, sorgt mE derzeit weit mehr für Druck als irgendwelche Einkommensungleichheiten.
danke schön, wieder etwas...
danke schön, wieder etwas gelernt.
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in etwa vergleichbar mit den meldungen über die zunehmende kinderarmut.
als ob arme kinder reiche eltern hätten. so kann man davon ablenken, dass arme kinder in armem familen zu finden sind. wobei hier verschiedene gestaltungen möglich sind, zunächst die schon lange bekannten kinderreichen soziaolhilfeempfänger und ihr gegenpol, die einzelerziehenden sozialhilfeempfänger. vom eigentlichen problem, ob die zahl der working poor families zugenommen hat, kein wort. das käme auch nicht gut an bei der jundschaft, da kommt griechenland-bashing doch viel besser, das hat sogar schon frau dr. bundeskanzler gemerkt (nichts neues unter der sonne, was wird die frau doktor, als sie noch im blauhemd agitierte, nicht alles gegen die polnische wirtschaft mitsamt der faulen solidarnosc dort geagitpropt haben, gelernt ist eben gelernt).
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der vergleich von einkommen ist dort nebelkerze, wo er von der frage nach dem vermögen ablenkt. und der frage nach der besteuerung von vermögen, dessen bewertung so kompliziert und ungerecht ist, dass man in dieser berliner republik auf die erhebung der vermögensteuer verzichtet (man beachte den feinen unterschied: das vermögensteuergesetz ist weiter gültig, es wird nur vorläufig – also bis zu einer verfassungsgeritsfesten neuregelung, das kann dauern – nicht angewandt). übrigens profitieren davon nicht so sehr die superreichen – die könnten sichs auf jeden fall richten – als vielmehr der sog. mittelstand, gemeint sind hier gewerbetreibende, freiberufler und landwirte, weil diese betriebe nur schwer und damit ungerecht zu bewerten sind. überhaupt, landwirte, das klassische beispiel für bezieher geringer einkünfte mit grossem vermögen.
ThorHa, manchmal würde ich...
ThorHa, manchmal würde ich mir in den traditionellen Medien auch mehr sachliche Information wünschen, und mehr Erläuterung. Andererseits hat man ja in Zeiten des Internets genug Alternativen.
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colorcraze, immer gerne.
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auch-einer, Landwirte haben es ja auch beim Erben schwer, ebenso wie oftmals Mittelständler. Andererseits haben die immerhin noch eine passable Lobby, siehe die Subventionsdebatte.