Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Animation mit Amateuren

Die VZ-Netzwerke schrumpfen in unaufhaltsamem Tempo. Auch die Betonung eines hohen Datenschutzes vermag es nicht, Mitglieder zu halten. Nun versucht die Plattform sexy zu sein – und fordert Nutzerinnen auf, sich auszuziehen.

Die VZ-Netzwerke schrumpfen in unaufhaltsamem Tempo. Auch die Betonung eines hohen Datenschutzes vermag es nicht, Mitglieder zu halten. Nun versucht die Plattform sexy zu sein – und fordert Nutzerinnen auf, sich auszuziehen.

 

Lea muss am Rande der Verzweiflung stehen. Eher noch wurde sie an die Klippe der Selbstaufgabe von den Betreibern der digitalen Verzeichnisse gestoßen: für studiVZ wirbt die junge blonde Frau, deren Fotos so auch in den Modelmappen von Heidi Klums Castingshowzöglingen auftauchen könnten, für eine Abstimmung in dem sozialen Netzwerk für Studenten. Die Mitglieder sollen darüber entscheiden, welches Profilbild die VZ-Mitarbeiterin “Lea” in den kommenden Wochen verwenden soll. Ihre Tätigkeit als Community-Moderatorin der VZ-Netzwerke scheint zahlreiche Fotoshootings miteinzuschließen. Doch das Urteilen der Nutzer über das strahlende Lächeln einer Frau mutet an wie die narzisstischen Fleischbeschau- und Flirtportale wie “Hot or not”, auf denen sich Nutzerinnen und Nutzer gegenseitig Noten für ihre fotografische Selbstdarstellung im Netz geben – und nicht wie ein soziales Netzwerk für Studentinnen und Studenten, das einst als Facebook-Konkurrent gehandelt wurde.

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Nackte Haut und junge Mädchen scheinen ohnehin innerhalb der VZ-Gruppe ein großes Thema zu sein. Eine Sommeraktion um die registrierten Schülerinnen und Studentinnen zur Erweiterung ihrer Fotogalerien zu bewegen, ist die Suche nach der “VZ-Badenixe”: Amateuraufnahmen jugendlicher Bikiniträgerinnen. Hat Facebook mich schon einmal nach einem Bikinifoto von mir gefragt?
Eltern und Lehrer warnen vor Partybildern, doch mit dem Wettbewerb tragen die in Sonne und Wasser badenden Teilnehmerinnen eine kräftigen Datenbank dürftig bekleideter Frauen zusammen. Viele Karrierewege, die einen Bikini-Body fordern, gibt es jedoch nicht. Doch das Netzwerk suggeriert Studentinnen: Wer dazugehören und cool sein möchte, stellt seinen Körper in Mircobikinis zur Schau. Dazu gesellt sich ein weiterer fragwürdiger Aspekt: zwar müssen die Frauen laut Teilnahmebedingungen das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, vielfach sehen sie dennoch aus wie unbeschwerte Teenager. Solche Sammelalben locken bisweilen ein anderes Publikum an, als Bremer Biologiestudenten. In eine ganz ähnliche Richtung geht die Suche nach der “WM Queen”. Auch dieser Fotowettbewerb für Nutzerinnen wirkt eher, als wolle das Netzwerk durch eie Flut von softpornografischen Bildern den Nutzern auch diese Art der virtuellen Bedürfnisbefriedigung anbieten, bevor diese sich auf anderen Portalen Sex in einer anderen Qualität auf die Bildschirme holen.

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Innovation, das bedeutet im Falle der VZ-Netzwerke Animation. Und das Ergebnis dieser Milchmädchenrechnung – sollte der angekündigte Relaunch nur kosmetischer Natur sein – wird immer weniger Mitarbeitern den Mallorcaurlaub finanzieren, wo auch sie ihre Badenixenbeiträge knipsen können. Die Zahlen der AGOF für die Netzwerke verzeichnen harte Verluste für die Angebote, die Google Trends Ergebnisse, die Martin Weigert für netzwertig.com hinzuzog, zeigen sogar einen noch drastischeren Rückgang der Besuchszahlen: “Demnach ist die Zahl der täglichen Unique Visitors bei studiVZ von mehr als drei Millionen im Sommer 2009 auf etwa 175.000 im Juni dieses Jahres zurückgegangen. meinVZ, das sich an alle erwachsenen Nicht-Studenten richtet, erlebte seinen Höhepunkt laut Google-Statistik im April 2010 mit etwas mehr als zwei Millionen Unique Visitors pro Tag. Heute erreicht es etwa 400.000 täglich. schülerVZ fiel von 3,5 Millionen täglichen Uniques Anfang 2009 auf knapp über 300.000 pro Tag im Juni 2011.”

Soll man nun Häme fühlen und an eine gerechte Strafe für das Copycat-Netzwerk glauben? Studi-VZ war zunächst eine deutsche Erfolgsgeschichte, doch die Immatrikulationswelle ist den Betreibern scheinbar so zu Kopf gestiegen, dass sie missachtet haben, dass ihrer Zielgruppe in den Universitäten eingeprügelt wird, sie müssten zu einem Innovationsmotor werden. Dass genau diese Studenten also in einem Netzwerk bleiben, dass ständige Neuerung zugunsten einer Monetarisierung bis in den letzten Winkel aufgibt, ist offenkundgig eine unkluge Annahme gewesen. Anstatt den Weg des “Social Network” zu gehen, sind die VZ-Portale zu “Commercial Networks” umgestaltet worden. Sie zerfasern in unzählige kleine Angebote, die an allen Ecken und Enden auf plumpe Weise versuchen Geld aus den Nutzern zu pressen und an ihnen zu verdienen – ohne dass für diese merkbar wird, dass die Einnahmen in die Zukunft der Plattform investiert würden.

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Zur Abwesenheit einer klaren Strategie gesellt sich außerdem ein kommunikatives Problem, dass die Verzeichnisse weit hinter ihre internationalen Konkurrenten zurückwirft. Studi-VZ fehlt die Geschichte, die Unternehmen besonders im digitalen Umfeld brauchen, um ihre Angebote nicht nur technisch, sondern auch emotional aufzuladen. Storytelling bindet Nutzer, es bindet sie sogar noch mehr, wenn sie in das Erzählen von Geschichten eingebunden werden. Die Geschichte von Facebook ist in diesem Fall Mark Zuckerberg: Gründer, Marke und Plot in einer einzigen Person zusammengefasst. Im letztem Jahr wurde die Geschichte sogar als Hollywoodfilm verewigt. Holtzbrinck-Manager täuschen sich, wenn sie glauben, dass die VZ-Netzwerke durch die Betonung eines vorbildlichen Datenschutzes bei Nutzern gewinnen könnten. Dafür bekommen sie einen freundlichen Empfang bei Verbraucherministerin Ilse Aigner, ein paar begeisterte Elternbriefe, ein DPA-Zitat. Doch Datenschutz ist ein müdes Feature, verglichen mit Justin Timberlake auf Kinoleinwand. Sogar, dass Mark Zuckerberg jüngst zum am schlechtesten angezogenen Mann des Silicon Valley gekürt wurde, ist immer noch eine Geschichte, die verglichen mit dem maroden Webdesign der VZ-Netzwerke vor Sexappeal strotzt.

In Deutschland bringt man sogar den Namen Hans-Peter Friedrich mit (wenn auch fragwürdigen Ideen) zur Zukunft des Netzes in Verbindung, weit bevor man den Namen Clemes Riedl nennt. Vorausgesetzt, man kann den derzeitigen Chef der Netzwerke namentlich benennen, ehe man die Google-Suche bemüht hat. Im Zuge dieser Recherche findet man dann auch erste Hinweise, warum Riedl selten zitiert wird, wenn es um Web-Visionen geht. Denn wie wenig muss man vom Nutzerverhalten verstanden haben, wenn folgendes als große Idee verkauft wird: “Wir wollen die Telefonnummer für VZ-Nutzer überflüssig machen.” Dass die VZ-Plattformen sich nun “erstmals” öffnen wollten, wie ihr Chef im gleichen Handelsblatt-Interview verriet, kommt vermutlich zu spät. Die vielen abgewanderten Nutzer, die sich nun über andere Wege vernetzen und dabei mutmaßlich auf mehr als ein geschlossenes Angebot setzen werden, bekommen diese Ankündigung nicht mehr mit.

Die Universitäten stehen in diesem Semester aufgrund doppelter Abiturjahrgänge und der Aussetzung der Wehrpflicht vor einem Bewerberansturm – studiVZ wird von den Studentenmassen wenig spüren. Denn Generationenwechsel bedeutet für soziale Netzwerke nicht, dass schlicht eine jüngere Gruppe User in die frei gewordenen Plätze nachrückt und sich mit einem gleich gebliebenen Angebot zufrieden gibt. Heutige Studienanfänger und jeder, der sein erstes oder ein neues soziales Netzwerk betritt, tut dies mit einem größeren Erwartungen an die Nutzungsmöglichkeites des Portals. Mit der Entwicklungsgeschwindigkeit der Nutzer und ihrer Ansprüche Schritt zu halten, ist für große Unternehmen nicht leicht, aber auch nicht unmöglich. Am meisten Aufmerksamkeit und Erfolg versprechen die ganz simplen Dinge: das Like-Button bei Facebook, die Retweet-Funktion bei Twitter, oder sogar einst das Gruscheln bei studiVZ.

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Doch wozu soll man raten, wenn der Schwarm schon so weit voran geschwommen ist? Warum kleben überhaupt noch Nutzer an den hässlichen Pinnwänden? Und was tun sie dort? Ein amerikanisches Netzwerk, dessen Modell sicher kein Beispiel für die VZ-Netzwerke ist, doch daran erinnert , wenn man betrachtet, wie viele junge Frauen dort freiwillig im Bikini posieren, ist seekingarrangement.com sein. Die Dating-Website wird vor allem unter Studentinnen immer populärer und vermittelt “mutually beneficial relationships” an Sugar Daddies, Mommies und Sugar Babies. Amerikanische Studentinnen suchen hier nach Männern, die ihnen gegen Gesellschaft und andere Aspekte, die solch eine arrangierte Bekanntschaft beinhalten kann, finanziell unterstützen um ihre College-Schulden abzubezahlen. Doch das schönste Beispiel für eine profitable Website ist ein Portal, dass Prostitution als eine aufgeklärte Beziehung darstellt, in der die Frau ihren Körper für ein freiwilliges Sponsoring hingibt, sicherlich nicht.

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Vielleicht sucht studiVZ zur Neugestaltung der Seiten bald das schönste Relaunch-Mädchen und das prallste Herbstdekolleté. “»Wir wollen deinen Körper!« klingt ja so viel frischer als »Wir wollen deine Daten!«”, jauchzt der Marketing-Stratege. Das dürfte dann auch zu Frau Aigner durchsickern. Ein bißchen Empörung über den Lookism und Sexismus, der die Einfältigkeit der VZ-Netzwerke übertünchen soll, bereitet dem Trauerspiel hoffentlich ein schnelleres Ende.