Deus ex Machina

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Zynga und der Zynismus

Man muss das Geschäftsmodell von Zynga nicht mögen. Aber mit der Illusion von virtuellen Gütern passt der Spieleanbieter ideal in eine Epoche der giftigen Wertpapiere, Währungskrisen und Abofallen.

Dem Kollegen Netzoeconomicus zugeschrieben.

In meinem bayerischen Gymnasium hatten wir einen Wirtschaftslehrer, der gleichzeitig ein hohes Tier in der CSU eines naheliegenden Landkreises war. In dieser Region, in der es seit den 50er Jahren der bitteren Armut wirtschaftlich immer nur aufwärts ging, wuchsen naturgemäss die Sozialisten nicht auf Bäumen, und es war nicht gerade ein Plaisier für diesen daheim unwidersprochenen Lehrer, in unserer 11. Klasse einen linken Block vorzufinden. Aber er tat sein möglichstes, uns von den Segnungen der Freien Sozialen Marktwirtschaft zu überzeugen, selbst wenn ein Teil davon bei uns in der Region aus wenig freier Rüstungsproduktion und mitunter auch Ölfirmenbetrug bestand. Er glaubte fest an den gesellschaftlichen Wandel vom Agrarbereich zur Produktion und weiter zur Dienstleistungsgesellschaft. Bei den Produktivitätszuwächsen durch Elektronische Datenverarbeitung und die daraus entstehenden Fortschritte sollten wir uns keine Illusionen machen: Das sei der einzig richtige Weg, wenn wir zu den Gewinnern gehören wollten.

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25 Jahre später hat er zumindest in meine Richtung recht gehabt: Ich arbeite am Rechner und kann mich an ihm rächen, indem ich mich über ihn lustig mache. Wobei, genau genommen tue ich das gar nicht, sondern seine eigene geliebte Marktwirtschaft und die Folgen des Fortschritts lachen über ihn. Banken, Hedge Fonds und Investoren kaufen wie verrückt Boden und Getreide auf, weil sie dem Bauernland mehr als ihren eigenen Finanzprodukten vertrauen, der unbesiegbare Kapitalismus und die Umverteilung haben in eine fundamentale Krise geführt, und gestern ging der Spieleanbieter Zynga an die Börse. Eine Milliarde floss von Anlegern dabei an die Firma, deren Produkte wie Farmville und Mafia Wars den Nutzern die Möglichkeit bieten, nebenbei am Rechner mal etwas Zeit totzschlagen, die in der Dienstleistungsgesellschaft immer mal wieder anfällt. Immerhin: Bei Farmville bekommt man wenigstens virtuell das Land, das die Banken in echt horten.

Der Wirtschaftslehrer von damals lebt nicht mehr, aber ich würde ihn jetzt doch gerne fragen, wie er das so findet: Dass so eine Firma ungefähr so viel wie die Commerzbank wert ist. Und dass wir mit unserer Produktivität so weit sind, dass wir nicht mehr nur Leistungssteigerungen honorieren, wie es der Kapitalismus eigentlich tun sollte, sondern auch krasse Leistungsverschwendung. Bei Zynga kommen ausser kleinen Farmen im Rechner erst mal keine Produkte oder Dienstleistungen heraus, nichts, was auf den ersten Blick irgend einen Wert hätte, im Gegenteil: Die Firma erwirtschaftet für die Firmen der Spieler enorme Verluste.

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Wer pro Monat 16 Stunden Farmville spielt, sei es in der Vorlesung oder im Beruf, tut im Kern auch nichts anderes als zwei Tage Krankfeiern. Man stelle sich vor, ein Arzt würde sich damit brüsten, jedem, der bei ihm eintritt, nach Belieben krank zu schreiben, und mit diesem Geschäftsmodell wollte er an die Börse: Der Aufschrei wäre gross, die Zulassung wäre schnell weg. Zynga wirbt damit, 215 Millionen Spieler weltweit zu haben. Da rauscht der Wirtschaftsblätterwald, da wittert man eine neue Erfolgsgeschichte, das muss man kaufen, die sind Marktführer im Bereich Zeitverschwendung, das gilt allgemein als „Zukunft” – wie gesagt, mich würde interessieren, wie mein alter Wirtschaftslehrer versucht, diesen Börsengang in sein schlichtes Weltbild von Produktion, Leistung, Einkommen und freiem Wettbewerb passt. Keine Rücksicht: Seine Klausuren waren auch voller neoliberaler Fragen, deren Beantwortung nach meinem Rotfront-Gewissen einem freiwilligen Sitzenbleiben gleichgekommen wären.

Die Geschichte wird auch nicht schöner, wenn man sich das Geschäftsmodell von Zynga anschaut: Sowohl der Erwerb von virtuellen Gegenständen als auch das Aufladen der Spielerenergie kann Geld kosten. Dabei ist „Erwerb” natürlich relativ; die erworbenen Leistungen bleiben bei Zynga und sind eher ein Anspruch, Software im Dauerabo zu nutzen. Man zahlt, besitzt aber nicht, und in meiner Schulzeit hätte man vermutlich gesagt, das sei sittenwidrig und nicht das Verhalten eines ehrlichen Kaufmanns. Wie bescheuert muss man eigentlich… Warum man es dennoch tut, liegt oft an den Communities, in denen man es tut: Dort ist Zynga ein Angebot, die Freunde machen es auch, zeigen sich gegenseitig ihre Gebäude, Farmen und Gangeinflussbereiche, und wer dabei sein will, muss eben zahlen. Soziale Gruppendynamik wäre ein hübsches Wort für den Aktienprospekt gewesen, böse Zungen sagen auch: Gruppenzwang, Abhängigkeit, Spielsucht. Die besonders viel zahlenden Dauerspieler sind es dann auch, für die Zynga ein spezielles, nicht öffentlich vertratschtes System für noch mehr virtuelles Kaufen auflegt: „Platinum Purchase Program” nennt sich diese Direktgeldleitung von Spieler zu Firma, die in der Spielewelt die besten Vorteile bringt.

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Schön ist das alles nicht, aber wer sich heute in der Wirtschaft umschaut, findet durchaus Entsprechungen: Unsere aktuelle Finanzkrise begann bei Papieren, die manche erst reich und danach viele arm machten, als diese CDOs und CDS plötzlich ihre Irrealität aufzeigten, und die Staaten für die Banken und diese virtuellen Ansprüche, unter Umständen einen Profit zu machen, einspringen mussten. Besitzer von Lehman-Zertifikaten mussten erfahren, dass sie keine Aktien besassen, sondern nur Wettscheine auf Kursentwicklungen. Sogar Anlagen wie offene Immobilienfonds können geschlossen werden, und dann bleibt dem Anteilseigner erst mal nur die Hoffnung, dass alles wieder gut wird: Bis dahin sind seine Ansprüche gegen den Fonds auch nicht viel realer als der eines Spielers gegenüber Zynga auf sein in Cityville aufgebautes Immobilienimperium. Und letztlich ist Wert auch nur das, was Menschen darin sehen: Zynga ist da nur die konsequente Weiterentwicklung vom Tauschhandel über das Gold und Bargeld zur Kreditkarte. Die Realität des Besitzes schwindet. Und Zynga hat die perfekte Antwort darauf.

Und, ironischerweise, schafft damit einen Wert: Einen Börsenwert für sich selbst. Ob die Käufer der Aktien mehr haben als eine schöne Hoffnung auf zukünftige Gewinne, wird sich noch zeigen müssen: Andere, die ähnliche Ideen hatten, sind mittlerweile schon wieder vom Markt verschwunden, wie etwa die börsennotierte Firma hinter der Moorhuhnjagd, oder das in Korea extrem erfolgreiche, in Deutschland aber gescheiterte Cyworld. Das Schicksal von Zynga ist eng mit Facebook verknüpft, und möglicherweise gibt es auch so etwas wie natürliche Grenzen der Zeitverschwendung, gerade unter dem Eindruck einer schweren Rezession. Dann wird sich vielleicht auch zeigen, was den Abhängigen lieber ist: Ihre schönen Äcker und Scheunen in Farmville oder doch vielleicht ein Stück Fleisch und Brot. Der Mensch macht unter Druck ganz extreme Sachen; ausgeschlossen ist es nicht, dass er sogar einmal den Rechner ausschaltet und sich anderen Dingen zuwendet. Sicher, Ackerbau und Architektur sind in der Realität nicht ganz so leicht wie im Internet – aber Hunger und Kälte lassen sich auf Dauer auch mit Internet negieren, und so schlimm waren die 50er Jahre in Buxheim oder Kösching auch nicht. Die haben anständige Lehrer hervorgebracht, die ich, wenn ich ein Interview mit dem Chef von Zynga lese, nachgerade sympathisch und liebenswert finde.

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Und vielleicht bekommt Zynga irgendwann den gesellschaftlichen Druck, den inzwischen auch die Tabakindustrie, die Komasaufanbieter, die Callcenterabzocker und die Anrufgewinnspielbetreiber bekommen haben. Sogar ein ehemaliger Gigant der Zeitverschwendung wie StudiVZ ist gefallen. Und das Mitleid mit den Profiteuren bei Zynga ist bei mir – und wäre wohl auch bei meinem im Grunde sehr anständigen Wirtschaftslehrer – nicht recht viel grösser als mit dem Schicksal eines Geschäftspartners von Pablo Escobar. Wer davon lebt, anderen Nichts für Geld zu verkaufen, sollte sich auch nicht wundern, wenn er selbst Geld für Nichts geben muss.