Deus ex Machina

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Okkupiert die Ehe!

Die Ehe ist out. Wer noch an sie glaubt, ist hoffnungslos romantisch. Junge Paare, die heiraten wollen, gelten als reaktionär. Eine Rettung ihres Rufes könnte die Öffnung der Ehe sein: mehr sprechen über das ganz Private.

Die Ehe ist out. Wer noch an sie glaubt, ist hoffnungslos romantisch. Junge Paare, die heiraten wollen, gelten als reaktionär. Eine Rettung ihres Rufes könnte die Öffnung der Ehe sein: mehr sprechen über das ganz Private.

Wenn der störrische Niedersachse in den kommenden Tage die Okkupation von Bellevue aufgibt, steht eines fest: einen Bundespräsidenten in solch jugendlicher Blüte mit einer noch jüngeren First Lady werden wir so schnell nicht mehr bekommen. Die Pension für jemanden, der im Schloss in Berlin nur Parkettkratzer von Kinderspielzeug und einen Hauch von Hannover hinterlässt, stimmt nachdenklich. Anstand, Autorität, Bescheidenheit, Intellekt, rhetorisches Talent und ein Gespür für die Bürgerin und den Bürger traut man nach dem Fall Wulff nur noch einem senioren Staatsoberhaupt zu. Wulffs Patchworkfamilie an der Spitze des Staates sollte modern erscheinen. Doch ein zweites Mal zu heiraten, das Haar zum Gefallen der Schwiegermutter zu kämmen und den gestochenen Hautschmuck in die Berliner Politbühne zu schmuggeln, ist weder ein Kennzeichen der Zukunft, noch wirkt es jung.

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Junge Menschen empfanden das Präsidentenpaar, dessen Glamourfaktor der Presse eine Marienerscheinung in die Tastatur gebrannt haben muss, schon immer als zu weit von ihren Wertvorstellungen, von ihrem Alltag, von den Fragen ihrer Generationen entfernt. Gleiches gilt für Karl-Theodor zu Guttenberg und seine Frau. Die Werte klafften auseinander, noch bevor der Kredit von der Gemahlin eines väterlichen Freundes oder die mühevoll collagierte Doktorarbeit auf achtzehn Disketten bekannt wurden. Dass Paare des Typs glatt gestriegelter Schwiegersohn mit blondgefärbter Gattin, die sich für Amt und ihn ganz dem Lächeln verschreibt und ihre beruflichen Ambitionen abschreibt, in politischen Kreisen und von Medien als Zeichen eines sich verjüngenden Politikbetriebes gehandelt werden, man sogar sicher meint, sie haben neben Sexappeal auch Appeal für junge Wählerinnen und Wähler, zeigt eines: Politik und Medien sind weit weit weit von der Jugend entfernt. Zu glauben, Wulff (52), Guttenberg (40) oder Philipp Rösler (38) hätten auch nur irgendetwas mit sich jung fühlenden und der Zukunft zugewandten Menschen in Deutschland zu tun, könnten sie repräsentieren und erreichen, zeigt, wie wenig Mühe aufgebracht wird, jüngere, progressiv Denkende zu verstehen und mit ihnen zu sprechen. Generationengerechtigkeit fängt bei der politischen und medialen Abbildung einer Bevölkerung an. Doch anstatt diese Abschottung aufzubrechen, scheint als stets zu pflegendes Handwerk zu gelten, alles das, was neu, und jung und anders, vielleicht zu frech, zu digital, zu modisch ist, gering zu schätzen und lachend zu diffamieren.

Fetzenliteratur, durch die aber ein, zwei, drei viele Fetzen Gemeinschaft entstehen. Neue Parteien, die experimentieren und Politikmüde beatmen. Formen der Partnerschaft abseits der heteronormativen Matrix, in denen Menschen heute leben wollen. Doch Normen existieren urplötzlich auch dafür, wie sehr junge Paare von Traditionen abweichen müssen, um als authentisch und zeitgemäß gelten zu können. Dass junge Menschen auch in der Liebe nur alles falsch machen können – mal sind sie promiskuitiv, mal Spätzünder, Gebärstreikende oder naiv romantisch – zeigten die Reaktionen in der vergangenen Woche auf die Verlobung von Julia Schramm und Fabio Reinhardt, beide aktiv in der Piratenpartei in Berlin. Die Vorlage eines anderen Parteimitglieds, der eine Eheschließung als rückständig kritisierte und damit anmaßte, diese Form des partnerschaftlichen Bekenntnisses passe nicht zu einer Partei des digitalen Zeitalters, griffen zahlreiche Medien, aber auch (Netz-)Bekannte der Verlobten auf, um die persönliche Entscheidung zweier Menschen mit ihren Wertungen der Ehe gegeneinander laufen zu lassen. Auch wurde die Kritik geäußert, eine Verlobung seie zu privat, als darüber in sozialen Netzwerken öffentlich zu schreiben.

Die Ehe hat mittlerweile einen vergleichbar schlechten Ruf wie die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover. Der Begriff lockt bei jüngeren Menschen selten die Assoziation Liebe hervor. Eher ist die Ehe ein Symbol geworden für eine erstarrte Gesellschaft, die Geschlechtergerechtigkeit nicht ernsthaft will, in der die Kita den Kindern schadet, in der Zweisamkeit sich auf das von ihr bereitete Abendessen und das gemeinsame Betrachten der Goldlocken von Thomas Gottschalk beschränkt. Wer rehabilitiert nun die Ehe?

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Die Annäherung junger Paare an Traditionen ihrer Elterngeneration umgehend durch die Abwertung der Entscheidung für die Ehe im Keim zu ersticken, tut weder der Ehe selbst, noch der Generationenverständigung etwas Gutes. Letztgenannter tut es vor allem nicht gut, dass entspanntes Beobachten und die Freude an den kommenden Generationen eingetauscht wurde gegen ein ständiges Ergründen, aufgrund welcher Traumata, Fehler in der Erziehung und missratener Lebenswege junge Leute zu ihren Entscheidungen kommen.

Die ZEIT nutze ihr satirisches Format “Berliner Bühne” für eine besonders reaktionäre Abwertung der Verlobung, die das Piratenpaar über Twitter bekannt gab. Wie auch in anderen Kommentaren amüsiert sich der Autor über den günstigen Kaufpreis des Ringes, als könne er damit dessen tatsächlichen, also seinen ideellen Wert messen. Seit wann lieben Reiche aufrichtiger? Ja, sollen junge Menschen für den Kauf des Verlobungsringes und der Hochzeit einen Kredit aufnehmen? Bekämen sie überhaupt einen? Signalisieren Diamanten Respekt vor der Würde der Ehe?
Schließlich skizziert der Autor ein Modell der Ehe, das unweigerlich zur Reproduktion und zur Scheidung führt: man könne in dieser Hinsicht “von den Dinausauriern der politischen Klasse lernen”. Ein Neudenken der Ehe ist undenkbar.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Ehe fest in konservativer Hand: ihre rechtliche Stellung privilegiert allein heterosexuelle Paare, sie verschafft besonders dann hohe Steuervorteile, wenn einer der Partner gering oder gar nicht verdient. Zum anderen wird sie medial überhöht und manifestiert dort unrealistische Erwartungen und Rollenmodelle, die den Mann zum Ritter und die Frau zur Prinzessin verdonnern. Das Phänomen der Adelshochzeiten zählt dazu, oder die nackten Zahlen: in Deutschland geht man von durchschnittlichen Kosten von 10.000 Euro pro Hochzeit aus, laut der Condé Nast Bridal Group liegen diese Kosten in den USA bereits bei 28.000 Dollar. In Deutschland schätzt man die Ausgaben für Hochzeiten auf 1,8 Millarden jährlich, in den Staaten setzt die Industrie in jedem Jahr etwa 160 Milliarden Dollar um. Das große Geldausgeben kommt jedoch meist erst nach der Hochzeit, lebt man die traditionelle Ehe nach ihrer sozialen Konstruktion. So müssen Ehepaare wie die Wulffs ein Eigenheim erwerben, für dessen Kauf ein Kredit benötigt wird, um den Erwartungen an die Ehe gerecht zu werden. Der heteronormative Druck der Versorger zu sein, lastet auch auf Männern.

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Liebende brauchen die Ehe nicht für jahrelanges Glück oder den Bund bis ans Ende des Lebens. Doch dass Rituale verworfen werden, weil niemand sie aus ihrer Trägheit lösen möchte, wäre schade. Selbst dass Ehepaare wieder getrennten Weges gehen und sich erneut vermählen ist nahezu als Wesensmerkmal der Ehe akzeptiert. Warum auch nicht? So schreibt die Germanistin Hannelore Schlaffer in “Die intellektuelle Ehe” über den “wahren Charakter” der modernen Ehe, sie sei “wesentlich Experiment, und Experimente sind abschließbar und wiederholbar”.

Zur Rehabilitierung der Ehe als wieder vertrauensvolle Form sich zu einem Partner zu bekennen, muss sie radikal neu gedacht werden. Ihre Öffnung für Menschen jedweder sexuellen Orientierung, eine steuerliche Neugestaltung, Familienverträge für Konstellationen des Zusammenlebens die auf Fürsorge und Freundschaft basieren, und nicht auf Liebe oder Verwandtschaft, sind Voraussetzungen dafür. Vor allem aber muss sich ändern, wie über die Ehe gesprochen wird, wie sie vorgelebt wird und wie sie Medien darstellen.

Öffentlich verhandelt werden Eheanbahnungen, die Trauung, der Ehebruch und die Trennung. Schlüsselmomente sind diese Stationen der Partnerschaft nicht. Darüber, was Partnerschaften und Ehen ausmacht, wie sie zwischen Beginn und Bruch gelebt werden, sprechen, schreiben, filmen wir zu wenig.

Welche Paarbeziehungen finden heute noch abseits des Boulevards Beachtung? Welche Paare trauen sich in die Öffentlichkeit? Die journalistische Erörterung von Zweisamkeit beschränkt sich auf Phrasen, die starke PartnerInnen hinter erfolgreichen Menschen vermutet. Die Kunst erforscht sie in der Fiktion. Dass ein Paar auch Vorbild sein kann, und nicht nur Einzelne, scheint vergessen.

In der Politik, in der man als Einzelkämpfer das eigene Ego heiraten muss, scheinen Paare besondere Verunsicherung auszulösen. Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine wohl durchaus mehr als zwei Piraten, die eine Hochzeit planen. Man sollte meinen Parteien, besonders digital verwurzelte, seien solch winzigen Fetzen Post-Privacy gewachsen. Hannelore Schlaffer vermisst die Idee der Post-Privacy – wenn auch nicht im Wortlaut – schon in ihrer Betrachtung der Beziehung von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre: “Umso verwunderlicher ist es, dass Sartre und Beauvoir für ein Leben, das so entschieden wie keines zuvor dem Konzept vom Intellektualität und Freiheit folgte, nicht das öffentliche Bekenntnis wagten und es der Nachwelt überließen, die Wahrheit aus posthumen Dokumenten zu rekonstruieren.”

“Erst ein Adjektiv klärt, um welche Art von Verhältnis es sich handelt: um eine partnerschaftliche, kameradschaftliche, eine konventionelle, eine moderne oder eben eine intellektuelle Ehe?”, schreibt Schlaffer über die Ehe heute. Die Ehe kann also durchaus flexibel und selbst für junge Menschen, Feministinnen und Piraten ein Modell sein, vorausgesetzt, sie wird wieder und nicht mehr einseitig besprochen. Sich nicht nur trauen, sondern sich auch trauen über die Ehe zu sprechen. In dem zu beginnenden Diskurs könnte gerade jetzt auch die Frage gestellt werden, warum ein Staat, zu dessen Aufgaben es zählt Geschlechtergerechtigkeit umzusetzen, sich noch nicht vom Konzept der First Lady verabschiedet hat.