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Vom Verstehen des Verstandes – was wir alles nicht über Intelligenz wissen

Intelligenz ist erblich, aber nur begrenzt, das Umfeld ist auch wichtig, sie verändert sich mit der Zeit, im Individuum und in ganzen Gesellschaften - kurz: Intelligenz ist ein Thema voller Rätsel.

Intelligenz ist erblich, aber nur begrenzt, das Umfeld ist auch wichtig, sie verändert sich mit der Zeit, im Individuum und in ganzen Gesellschaften – kurz: Intelligenz ist ein Thema voller Rätsel.

Gelegentlich werden mir pädagogische Ambitionen und Fähigkeiten unterstellt – bedauerlicherweise völlig zu Unrecht. Ich hätte wenig Lust, Schülern oder Studenten mit Wissen zu füttern, das ihnen in den meisten Fällen etwa so willkommen sein dürfte wie der Stopfgans die Maismaische – zumal Wissen ja heute meistens kein Selbstzweck mehr ist, sondern nur ein notwendiger Schritt in die berufliche Zukunft. Aus diesem Grund wäre ich auch sicher völlig ungeeignet – wobei manche Geschichten von lehrenden Bekannten durchaus schön klingen. Andere Geschichten wiederum sind eher unterhaltsam.

Jene zum Beispiel von den wiederkehrenden Migrationsbewegungen zwischen Übungsgruppen am Anfang des Semesters. Was anfangs chaotisch aussieht, scheint doch gewissen Prinzipien zu gehorchen, denn am Ende finden sich Studentengruppen häufig nach ihren Fähigkeiten zusammen: die langsamen Studenen bei den geduldigen Dozenten, die smarten Typen hingegen dort, wo das Tempo ambitionierter ist. Volkswirte nennen sowas Selbstselektion, und Selbstselektion ist eines der großen Übel der empirischen Wirtschaftsforschung.

Individuen suchen sich nämlich permanent in alles mögliche selbst hinein: in Schulungsmaßnahmen von Arbeitsamt, in bessere Schulen und Universitäten, in Sportarten und in Lebensstile – angetrieben von irgendwelchen persönlichen Eigenschaften, die sich häufig nicht direkt oder nur schwer messen bzw. erfassen lassen. Intelligenz – oder genauer: die vielen verschiedenen Vorstellungen und Konzepte von Intelligenz – sind eine dieser Eigenschaften. Bei Intelligenz denken die meisten Menschen schnell an den Intelligenzquotienten, und man sollte meinen, daß darüber hinreichend viel bekannt ist –

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das Gegenteil jedoch stimmt. Je mehr man sich in das Thema einliest, desto mehr wird deutlch: wir verstehen nur sehr wenig von unseren Verständnisfähigkeiten. Das Wissen darüber ist ungefähr so vollständig wie ein wahnsinnig vielteiliges Puzzle, wo man ein paar Randstücke, ein paar zusammenpassende Mittelstücke hat, vielleicht auch ein zwei kohärente Ausschnitte. Aber trotzdem das Gesamtbild nicht annähernd erkennen kann.

Zahlreiche Konzepte bevölkern die Intelligenzforschung. Am weitesten verbreitet ist dasjenige von einer Art “Generalintelligenz”, die sich aus verschiedenen eng miteinander zusammenhängenden Komponennten – wie Logik, Verarbeitungsgeschwindigkeit, Gedächtnis, räumliches Denken – zusammensetzt. Dieses “g”, das die allgemeinen kognitiven Fähigkeiten beschreibt, wird durch viele gängige Intelligenztests gemessen – wie zum Beispiel durch den Intelligenzquotienten.

Manches weiß man immerhin über dieses “g”. Es ist über die Gesamtbevölkerung ungefähr normal verteilt, mit einer leichten Häufung am linken, unteren Ende – wegen jener Krankheiten, die die kognitiven Fähigkeiten besonders massiv einschränken. Die Verteilung ist bei Männern weiter als bei Frauen und es gibt einen deutlichen Zusammenhang mit diversen Merkmalen des Lebenserfolgs, wie Einkommen, Status, Karriere.

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Das “g” ist außerdem mit der Gehinrgröße korreliert, aber ob die Gehirngröße Menschen schlau macht, oder ob schlaue Menschen größere Gehirn entwickeln, weiß man schon nicht mehr. Nicht einmal über den medizinisch-biologischen Wirkungsmechanismus weiß man genaueres – im Gegenteil. Es gibt auch eine Krankheit, bei der abnormal große Gehirne mit besonders geringen kognitiven Fähigkeiten einhergehen.

Immerhin: ein Teil davon ist erblich – so zwischen 30 % und 80 %, ja nach Studie und Alter. Während nämlich in frühen Jahren nur ein kleiner Teil der Intelligenz von Kindern durch die Intelligenz ihrer Eltern (oder anderer Verwandter) zu erklären ist, wächst dieser im Laufe des Lebens. Erklärungen für diese Entwicklung: ebenfalls begrenzt – eine davon geht davon aus, daß Individuen sich im Laufe der Zeit genau das Umfeld suchen, bei dem ihre ererbten Talente besonders gefördert werden – so daß der relative Einfluß des Erbes auf die Gesamtintelligenz mit der Zeit stärker wird. Neuere Studien zeigen außerdem, daß der Einfluß von Genetik auch vom sozioökonomischen Umfeld abhängt: die Intelligenz von Kindern aus wohlhabenden Familien ist stärker durch die Verwandtschaft / genetische Herkunft geprägt als jene von Kindern aus armen Familien – hier spielt das Umfeld eine größere Rolle.

Da jedoch Genetik und Umfeld miteinander interagieren, muß auch dies kein kausaler Zusammenhang sein. Gar nicht zu reden von all den Faktoren, die Eltern üblicherweise ihren Kindern mit den Genen vermachen: Ernährung, Verhalten, Werte… sehr viele Faktoren, die man berücksichtigen muß. Deswegen sind Studien mit Zwillingen oder Adoptivkindern besonders beliebt, denn dort läßt sich zumindest ein Teil der Parallelität von Genen und Umfeld ausschließen – nicht jedoch die spätere Interaktion im Laufe des Erwachsenwerdens.

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Und wer diese Unsicherheiten als Anlaß nehmen möchte, wieder einmal auf die Methoden der empirischen Wohlfahrtsforschung einzuschlagen: die Naturiwissenschaften sind kaum schlauer in dieser Sache. Ungefähr 300 unserer Gene sind bekannt für ihren Zusammenhang mit besonders begrenzter Intelligenz – kein einziges hingegen konnte bisher eindeutig als verantwortlich für normale Ausprägungen von Intelligenz gemacht werden. Auch die Formulierung biologischer Modelle zur Erklärung kognitiver Fähigkeiten lässt noch auf sich warten. Selbst sogenannte “imaging studies”, bei denen Bilder vom Gehirn mit Aktivitäten in Verbindung gebracht werden, haben bisher noch nicht den ganz großen Wissensprung gebracht.

Die Liste der offenen Rätsel hingegen ist lang: Warum sind Menschen mit höherer Intelligenz im Durchschnitt gesünder und leben länger? Warum wurden die Menschen in westlichen Ländern im Laufe des 19. Jahrhunderts im Durchschnitt deutlich intelligenter? Warum gibt es – eindeutig meßbare – geschlechtsspezifische Unterschiede? Und: darf man solchen Problemen, bei denen gruppenspezifische Grundeigenschaften bestimmt werden sollen, überhaupt nachgehen – weil sie die prinzipielle Gleichheit der Menschen infrage stellen? Oder betritt man damit die abschüssige Ebene von Diskriminierung und Rassismus?

Viele Fragen, wenig Antworten, aber wenn wir weiter alle immer intelligenter werden, finden wir ja vielleicht irgendwann doch etwas mehr heraus. Das übrigens ist dann der Unterschied zwischen “fluider Intelligenz” (Kapazität) und “kristallisierter Intelligenz” (Wissen).