Spätestens im Bundestagswahlkampf 2013 wollen Parteien die Schlacht auch im Internet bestreiten. Entscheidend dafür, Wählerinnen und Wähler für die eigene Politik zu gewinnen, werden dabei keine großen Online-Plattformen sein. Parteien brauchen die lokale Verankerung auch im Netz.
Obama ist immer noch ein Zauberwort, wenn man sich in diesem Winter auch hierzulande unter Wahlkämpfer mischt und das Fleece-Stirnband von den Ohren zieht. Der feste Glaube hält sich, dass was im Netz geschah auf das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in den vereinigten Staaten überwältigend großen Einfluss hatte. Dass man Erfahrungen und Strategien aus dem amerikanischem Raum nahtlos auf eine andere Kultur und ein anderes Wahlsystem anwenden kann. Am 6. November diesen Jahres stellt sich der US-Präsident der Wiederwahl; etwa ein Jahr bevor auch in Deutschland Wahlzettel für den Bundestag gedruckt und von Bürgerinnen und Bürgern bemalt werden dürfen. Die zeitlich enge Abfolge der Wahlen wird abfärben auf die Ideen, Kampagnen, Kommunikationsformen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel will wie Barack Obama erneut gewählt werden. Die Idee des “Change”, die zentrale Idee der US-Demokraten im Wahlkampf 2008, ist dabei das, was Merkel vermeiden, die Oppositionsparteien erreichen wollen.
Wahlkämpfe arbeiten mit wiederkehrenden Motiven. Ähnlich lautende Sätze, die uns in zahlreichen Interviews mit Politikerinnen und Politikern, Kommunikationswissenschaftlern, Beratern aber auch Internetaktivisten in den kommenden zwei Jahren immer wieder begegnen werden, könnten so lauten: “Diese Wahl wird im Netz entschieden.” — “Das Internet gewinnt im Wahlkampf an Bedeutung.” — “Menschen ohne Charisma hilft eben auch das Internet nicht.”
Klar, diese Sprüche sind abgegriffen. 2013 wäre nicht die erste Wahl, der nachgesagt wird, sie würde “im Internet” entschieden. Diese Phrasen, die eine diffuse Hoffnung in Wähleraktivierung durch Online-Kommunikation ausdrücken, sind aber vor allem aufgepumpt mit dünner Luft. Das Netz gibt es nicht. Genau wie der Wähler oder die Wählerin nicht existiert. Man könnte es weiter ausdifferenzieren: nicht einmal alle Frauen, die in ihrer Freizeit gerne Dirndl tragen, setzen am Wahlsonntag ein Kreuz bei der CSU.
In Wahlkampfzeiten steigt die Konzentration von Adrenalin und anderer körpereigenen Drogen in den Blutbahnen der Parteizentralen an. Die dicken und dünnen Felle von möglichen Wählerinnen und Wählern wachsen. Politiker und Politikerinnen dürfen jetzt nur nicht beim Twittern die Nerven verlieren oder ihr Smartphone unter einem Bobbycar im Spielzimmer des eigenen Nachwuchses liegen lassen! Anbetrachts dieser Entwicklungen auf seelischer Ebene lässt sich für politische Kommunikation im Netz eine Faustregel ableiten, die aus dem Yoga stammt: “Es kommt auf die richtige Atemtechnik an.”
Nach drei tiefen Atemzügen zeigt sich die Beschaffenheit der digitalen Welt schon klarer: beim Internet handelt es sich nicht um ein weites Feld, das in seiner gesamten Länge, Breite und Tiefe beackert werden könnte – egal wie gut die Gäule sind und wie viele Esel man noch hinzu kauft. Zur Entspannung, und somit zur wieder steigenden Aufmerksamkeit, Vernunft und einem echten Lächeln, von Wahlkämpfenden, den zugehörigen Zugpferden und Internetnutzerinnen und -nutzern, trägt also zunächst bei, aufzugeben, politische Online-Kommunikation als “Rollout” über das gesamte große Netz zu planen.
Der Begriff “Wahlkampf” zieht unzählige weitere Kriegsanalogien nach sich. Um ihre Botschaften durch digitale Bahnen zu spülen hat die CSU sich eine “Einsatzzentrale” gegönnt, die in Parteikreisen auch “Internet-War-Room” genannt wird. Im Kampagnenzeiten zieht man gedanklich in die Schlacht und tummelt sich in Schützengräben. Die blauen und blutigen Augen, die das Heer davon trägt sind allemal vom Taktieren am Bildschirm gerötet. Unersetzlich für den Wohlfühlfaktor im kommunikativen Gefecht ist auch ein Hauptquartier und seine digitale Entsprechung: die Wahlkampfplattform. Häufig wirken die speziellen Websites von Parteien, die wenige Monate vor der eigentlichen Wahl neu gestaltet oder neu gelauncht werden, wie ein Großangriff auf den Rest des Internets. Diese Konzeption beruht auf der bereits skizzierten Falschannahme, das Netz und seine Einwohnerschaft könnten in Gänze erobert werden, wenn man sie möglichst breit überrollt und mit Botschaften befeuert. Der Versuch jedoch, eine Parteienplattform so zu gestalten, dass sie zum einen die inhaltlichen Interessen von Nutzerinnen und Nutzern abdeckt, zum anderen die unterschiedlichen Präferenzen hinsichtlich von Informationsverhalten, Diskussionsbereitschaft und die Erstellung eigener Inhalte berücksichtigt, kann nur scheitern. Der Wahlkampf, der es schafft, Internetnutzerinnen und -nutzer zu erreichen, sie zu engagieren und vielleicht zu überzeugen, wird auf mehr als einer Plattform stattfinden. Auch auf mehr als den fünf großen.
Es ist romantisch bis naiv, davon auszugehen, dass User bereitwillig ihre seit Jahren ausstaffierten virtuellen Wohnzimmern verlassen und in neue virtuelle Räume, die in Parteifarben gestrichen sind, umziehen. Es ist aber vor allem eine bequeme Sichtweise auf politische Kommunikation.
Wer “bei den Menschen” sein möchte, damit er hören, sehen, fühlen kann, was sie bewegt oder wütend macht, muss nicht nur am Wahlstand in der Fußgängerzone auf sie zugehen. Das Netz – so prall gefüllt mit richtigem Leben wie jede Eckkneipe – funktioniert auf gleiche Weise. Ohne lokale Verankerung in einer großen digitalen Welt fehlt Parteien im Internet die Basis. Die Kommunikationsstrukturen lassen sich in der Virtualität jedoch nicht entlang von Parteistrukturen nachbauen. Lokale Verankerung meint nicht, dass jeder Ortsverein einer Partei eine eigene Website, einen Twitter-Account, ein Flickr-Album, einen Youtube-Kanal hat. Orte des Netzes zu kennen meint tatsächlich, dort auch zu wohnen und sich dort selbstverständlich zu bewegen. Besucher zu sein reicht nicht. Doch nun zu glauben, eine Partei müsse nun nur ein kleines Haus in jedem sozialen Netzwerk beziehen, indem sich User tummeln, ist wenig erfolgsversprechend. Die verlockenden Meldungen, der amerikanische Präsident sei nun auch bei Tumblr, sein Team postet Fotos auf Instagram, täuschen nur allzu schnell darüber hinweg, dass politische Kommunikation als One-Man-Show eine Einbahnstraße ist, und amerikanische Kampagnen keinesfalls so angelegt sind.
Die besten Partys sind nun einmal solche, bei denen Menschen sich kennen und einander etwas zu sagen haben. Freibier und Schnittchen hinterlassen nur einen gewöhnlichen Kater. Um zu verstehen, wann Kommunikation mit Menschen im Internet zu den Effekten führt, die man mit ihr bewirken will, reicht es, sich an Gespräche mit Menschen zu erinnern, in denen eben dies statt gefunden hat. Diese Gespräche finden seltener zwischen Personen statt, die einander völlig fremd sind. Meistens handelt es sich um persönliche Gespräche, zu zweit oder im kleinen Kreis, zwischen Menschen, die ein gemeinsames Thema haben, die einander zuhören, verstehen, Ideen weiterentwickeln.
Was daraus abzuleiten ist für politische Kommunikation und politische Arbeit, für Wahlkampagnen auf Papier und dem platten Land, aber vor allem für Orte im Netz, liegt auf der Hand. Die Antworten liegen auf den Händen vieler. Eine teure Website und ein 50-köpfiges Wahlkampfteam sind neben all diesen Antworten ein kleines gallisches Dorf ohne Zaubertrank.