Mit seiner Kriegserklärung an das Web 2.0 hat der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling ordentlich Sturm gesät im Netz. Versuch einer geographischen Annäherung an einen Antihelden des Internets.
Korschenbroich – mit diesem Ortsnamen ist eigentlich schon fast alles gesagt. Fußballfreunden ist das beschauliche Städtchen zwischen Neuss und Mönchengladbach eventuell als Wohnort von Hans-Hubert („Berti”) Vogts bekannt. Korschenbroich grenzt zudem an Grevenbroich, die Heimat von Hape Kerkelings legendärer Kunstfigur Horst Schlämmer. Und gestehe ichs offen, als ich gestern zum ersten Mal den Namen des CDU-Abgeordneten Ansgar Heveling bewusst hörte, fragte ich mich im ersten Moment, ob das vielleicht auch so eine Kunstfigur aus dem reichhaltigen Fundus von Hape Kerkeling ist. Aber weit gefehlt, der Bundestagsabgeordnete aus Korschenbroich ist echt. Er vertritt den Wahlkreis mit der Schnapszahl 111: Krefeld-Süd, Meerbusch, Kaarst, Korschenbroich und Jüchen. Er ist damit, auch wenn sich einiges in mir gegen diese Feststellung sträubt und ich ihm 2009 meine Stimme nicht gegeben habe, sozusagen mein Volksvertreter.
Mit seiner vielbeachteten Kriegserklärung an die Netzgemeinde hat der Unionspolitiker ein ziemliches Fäkalgewitter heraufbeschworen. Seine Website wurde gehackt, und allerorten wird das Bild gezeichnet von dem tumben Mail-Ausdrucker, von einem ewiggestrigen Betonkopf, der das Internet nicht verstanden hat. Er selber bezeichnet seine rhetorische Breitseite im Nachhinein als einen „prononcierten, feuilletonistisch-überzeichneten Beitrag”, um die „einseitige und beengte Diskussion” über Urheberrechtsfragen aufzubrechen. Belebung der Diskussion ist ja immer gut, aber so ein verbaler Schuss kann auch nach hinten losgehen, wie ein früherer Bürgermeister von Korschenbroich auch schon feststellen musste: Mit Blick auf die Ebbe in der Stadtkasse hatte anno 1986 der damalige Bürgermeister in Etatberatungen verlauten lassen, zur Sanierung des Haushalts „müsse man ein paar reiche Juden erschlagen”. Vorhersehbar, dass der Kommunalpolitiker sich mit diesem flockigen Spruch aus dem Amt katapultierte und seine Stadt bundesweit in Verruf brachte.
Seinen Hut wird Heveling jetzt nicht nehmen müssen wegen seines provokanten (und seien wir ehrlich: ziemlich wirren) Gastbeitrags im Handelsblatt. Er nutze das Internet selbst, so Heveling gegenüber ngz-online, es werde „eine große Zukunft” haben. Aber man tut dem Politiker und seinem Wahlkreis sicher nicht Unrecht mit der Feststellung: Hier vor Ort begreift man das Internet nicht als vordringliche strukturpolitische Aufgabe. Machen wir doch mal eine kleine Rundreise durch den Wahlkreis: Der Krefelder Süden ist stark industriell geprägt und eingekeilt zwischen dem Hafenbecken und dem Schlotbaronat von Bayer in Uerdingen, das neudeutsch-euphemistisch Chempark heißt. Südlich von Krefeld liegt die Verbundgemeinde Meerbusch, sozusagen das Luxus-Schlafzimmer von Düsseldorf, dem Schreibtisch des Ruhrgebiets. Zweithöchste Millionärsdichte im Land und trotz des erheblichen Fluglärms in der Einflugschneise vom Düsseldorfer Flughafen gesalzene Immobilienpreise. Nicht, dass man hier aller Sorgen ledig wäre, aber solange der Opposition im Stadtrat keine radikaleren Maßnahmen einfallen als eine Pferdesteuer, jammert man doch auf sehr hohem Niveau.
Westlich von Meerbusch erstreckt sich Kaarst, eine ziemlich unspektakuläre Gebietskörperschaft mit diversen für den Niederrhein typischen Ansammlungen von roten Backsteinhäusern mit ein paar Gewerbegebieten und Rübenäckern drumherum. Korschenbroich liefert ein ähnliches Bild, aufgelockert von zwei Schlössern im Ortsteil Liedberg und an der Stadtgrenze zu Mönchengladbach. Hier wird im Stadtrat übrigens derzeit die nachgerade revolutionäre Idee ventiliert, ob man auf die vielen Windräder in der Landschaft nicht eine Steuer erheben könnte.
Zu guter Letzt ist da noch die Stadt Jüchen, deren südliche Stadtteile Garzweiler, Otzenrath, Spenrath, Holz und Priesterrath allesamt im gigantischen Erdloch des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler I und II verschwunden sind. Im Wikipedia-Eintrag zu Jüchen findet sich nicht einmal ein eigener Stichpunkt zu Wirtschaft, und im Unterschied zum benachbarten Grevenbroich, das sich mit seinen gewaltigen Kohlekraftwerken und Windanlagen als „Hauptstadt der Energie” vermarktet, fehlt es Jüchen völlig an eigenständigem Profil als Wirtschaftsstandort.
Man kann also davon ausgehen, dass Internet-Themen nicht unbedingt ganz oben auf der Liste der Anliegen stehen, die dem Bundestagsmitglied Heveling aus seinem Wahlkreis angetragen werden. Beim Thema Netz steht ihm womöglich das Stromnetz und die Frage näher, wie man die Gigawatt aus der Braunkohleverstromung mit den vielen Windrädern in der Landschaft optimal verschaltet bekommt. Und natürlich lebt man nördlich der Garzweiler-Mondlandschaft nicht hinter dem Mond, man ist auf Facebook präsent, wie sich das heutzutage gehört. Aber die entscheidenderen Social Networks sind hier immer noch die Schützenvereine, Karnevalsgesellschaften und Kirchen-Gemeinderäte.
Vor diesem Hintergrund ist es zumindest ansatzweise zu verstehen, wie der Politiker Heveling das Netz als Gegensatz zu einer relativ heilen und überschaubaren analogen Welt begreifen kann. Hier das reale Leben mit seiner traditionellen Ordnung der Dinge, dort die Anarchie und Unüberschaubarkeit, der gefühlt rechtsfreie Raum, in dem die persönlichen Beziehungsgeflechte und die gelernten do’s and don‘ts nicht mehr den verbindlichen Maßstab für alle liefern. Hier im Rhein-Kreis ist nicht nur die Erinnerung an die letzten beiden Weltkriege präsent, sondern auch diverse Relikte der französischen Besatzung, etwa die Reste von Napoleons ehrgeizigen Nordkanal-Projekt, das riesige Hoffnungen weckte, dann aber schlagartig fallengelassen wurde, als die politische Großwetterlage sich änderte und die Niederlande ebenfalls unter napoleonische Herrschaft geriet. Damit war die Notwendigkeit hinfällig, die Holländer von der Rheinschifffahrt abzuschneiden. Viele Orts- und Straßennamen (Brabanter Heerstraße) tragen Erinnerungen an weiter zurückliegende Kriege, und an diese kollektive Erinnerung appelliert Heveling mit seinem Horrorgemälde, in dem „nach dem Abzug der digitalen Horden und des Schlachtennebels nur noch die ruinenhaften Stümpfe unserer Gesellschaft in die Sonne recken und wir auf die verbrannte Erde unserer Kultur schauen müssen”.
Das mag man zu Recht für überzogen, alarmistisch oder gar apokalyptisch halten. Aber – das möchte ich einigen Mitgliedern der Netzgemeinde an dieser Stelle noch ins Gebetbuch schreiben – um diese Horrorvision zu widerlegen, war der Hack von Hevelings Homepage das denkbar schlechteste Mittel. Denn im Zweifelsfall wird ihn das noch in der Auffassung bestärken, dass man mit diesen Piraten, Hackern, Tauschbörsianern und anderem Netz-Gelichter mal ordentlich Schlitten fahren müsste.