Vieles können wir in Zahlen berechnen, sogar Partnerschaften optimieren – aber am Ende doch nur theoretisch, weil die reale Welt leider nicht in einen Computer passt.
Seit Jahrhunderten entdecken wir immer neue Gesetzmäßigkeiten in Physik, Chemie und Biologie, halten Entdeckungen in Lehrsätzen fest – und in Formeln. In seinem Bestreben, die Welt zu verstehen und sich sozusagen untertan zu machen, bedient sich der Mensch gerne mathematischer Formeln und Methoden auch außerhalb der Mathematik. Trotz Computertechnik stossen die Wissenschaften immer wieder an ihre Grenzen: die Physik in der Quantenmechanik und bei der Frage nach dem Welle-Teilchen-Charakter von Licht, in der Biologie bei der Entschlüsselung von Genen und bei der Ursachenforschung von Krankheiten und anderen Phänomenen.
Trotz dieser Beschränkungen sind die Naturwissenschaften immer noch der Maßstab für andere Wissenschaften und zumindest viele Sozialwissenschaften streben nach Formalisierung und Formelisierung: je mathematischer und methodisch-naturwissenschaftlicher die Forschung daherkommt, desto besser. Viel wird über Vorzüge und Defizite dieser Tendenz gestritten, in den Medien, unter Wissenschaftlern und auch in diesem Salon. Dabei scheint uns der Wunsch nach Berechenbarkeit auch in vielen anderen Dimensionen zu verfolgen – es ist nur zufällig so, daß Physiker ihn uneingeschränkt und kritiklos ausleben können. Andere Wissenschaftler tun es immerhin begrenzt, und in wieder anderen Fällen ist das Scheitern bereits vorprogrammiert. Gerade diese Fälle jedoch sind von herausragendem Unterhaltungswert – besonders dann, wenn es um Beziehungsanbahnung und Beziehungsführung geht.
Jener Kalauer, der zeigt, daß Frauen die Wurzel allen Übels sind, ist ziemlich alt, und war wohl von Anfang an eher scherzhaft gemeint. Die 22-jährige junge Dame hingegen, die online einen Dr. Sommer für Erwachsene befragte, woher sie wisse, ob ein Mann der richtige sei – die hat sicherlich eine ernsthafte Antwort erwartet. Und auch erhalten. Der geschätzte Ex-Kollege nämlich hat sich auch Gedanken über Statistik gemacht. Formal gesehen, muß man bei jedem möglichen Partner abwägen, ob das der Beste ist, was man wird bekommen können, oder ob man (meist unwiderruflich) ablehnt und weitersucht. Das Risiko, mit dem Falschen zusammenzubleiben, steht dem Risiko gegenüber, keinen besseren Match zu finden.
Eine mathematische Lösungsmöglichkeit ist es, die Wahrscheinlichkeit zu maximieren, den wirklich besten Kandidaten zu wählen. Falls die Anzahl der Kandidaten im Vorfeld feststeht, gibt es dafür eine relativ simple Strategie. Mithilfe der Eulerschen Zahl e (Basis des natürlichen Logarithmus) läßt sich diese sogar genau bestimmen. Von den n möglichen Kandidaten im Laufe eines Lebens sollten die ersten r abgelehnt werden, wobei r = n/e (näherungsweise). Hat man dies getan, wählt man von den anschließenden Kandidaten aus der Menge (n-r) denjenigen, der besser ist als der Beste aus der vorangegangenen (abgelehnten) Menge r. Damit wird – mathematisch nachweislich – die Wahrscheinlichkeit für eine optimale Wahl maximiert – sie liegt nämlich bei sagenhaften 37 %.
Die Strategie läßt drei Möglichkeiten zu: zu den nicht so glücklichen 63 % Ausgangswahrscheinlichkeit gehört der Fall, in dem der beste der Kandidaten – nennen wir ihn T wie Trophäe – zu den pauschal abgelehnten Bewerbern aus der Menge r gehört. Die Strategie scheitert auch in dem Fall, in dem der zweitbeste Kandidat sich nicht in der Menge r befindet (ihn brauchen wir als Referenzpunkt innerhalb der pauschal abgelehnten Menge r, um später wirklich den besten Kandidaten auszuwählen). Die Erfolgswahrscheinlichkeit hängt also von der Platzierung des besten und zweitbesten Kandidaten in der Reihe 1…n ab, die Platzierung wiederum ist zufällig, gleich groß für jeden Platz, und damit kann man eine Wahrscheinlichkeitsfunktion formulieren und diese optimieren – und kommt auf knapp 37 % Erfolgswahrscheinlichkeit für die oben skizzierte Strategie.
Für risikoaverse Menschen ist die Strategie jedoch nichts, da die Wahrscheinlichkeit, es richtig zu vermasseln, deutlich größer ist als der Erfolg, zumal in der Regel die Anzahl n ex ante nicht feststeht. Deshalb ist der Sachverhalt auch als Sekretärinnenproblem bekannt – wobei ich bezweifle, daß Firmen oder Personalchefs sich ernsthaft daran orientieren (oder die eingangs genannte junge Dame in Männerentscheidungsnöten).
Die Weisheit der Zahlen beschränkt sich keineswegs nur auf die Beziehungsanbahnungsphase. Auch für später hat die Mathematik inzwischen eine Lösung für das „stable marriage problem” gefunden. Dabei geht es darum, eine Reihe von Partnern aus zwei Gruppen so einander zuzuordnen, daß kein Paar mehr existiert, das gegenseitig lieber miteinander als mit den bestehenden Partnern verbandelt wäre. In dem Falle wären sämtliche Ehen stabil – zumindest im Sinne von Scheidung -, weil sich kein alternatives Paar dauerhaft zusammenfinden würde.Über mögliche Seitensprünge kann man nur mutmaßen.
Den Lösungsalgorithmus für dieses Problem kann man sich so ähnlich wie Speed-Dating vorstellen, wobei nicht jeder seine erste Wahl erfüllt bekommen kann – manche Damen sind vielleicht die erste Präferenz mehrerer Herren – oder umgekehrt. Die Herren machen den Damen ihrer jeweils ersten Wahl einen Antrag, den diese vorläufig annehmen oder ablehnen können. In einer zweiten Runde dürfen die Herren, deren Anträge negativ beschieden wurden, erneut Angebote abgeben – nunmehr für ihre „second-best option”, da die ganz große Liebe bereits abgelehnt hat. Die Damen wiederum können erneut unter ihren Bewerbern denjenigen vorläufig sichern, der ihnen am besten gefällt – auch wenn das bedeutet, daß der vorläufig positiv beschiedene Bewerber der Vorrunde den Platz räumen muß. Nach beliebig vielen Runden – höchstens allerdings sovielen wie es Paare gibt, sind alle Individuen verpartnert und es existiert kein Paar, das sich beidseitig noch verbessern könnte.
Hört sich komplex an, funktioniert aber tatsächlich. Auch wenn in jeder Runde vorläufige Partnerschaften wieder aufgebrochen werden, ist die Anzahl der Runden endlich, denn die Männer können maximal soviele Anträge machen, wie es Damen gibt. Am Ende impliziert das auch, daß alle Frauen vom Markt sind – der letzte ledige Herr kommt irgendwann am Ende seiner Präferenzenliste an und wird damit den Markt gewissermaßen räumen. Außerdem ist das entstandene Ergebnis ganz sicher stabil, denn die Herren arbeiten mit ihren Anträgen ihr eigenes Präferenzenranking ab. Möglicherweise sind viele nicht mit ihrem Wunschpartner (erster Wahl) zusammen, aber zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich verpflichten, sind sie von ihren höher gerankten Wunschpartner bereits abgelehnt worden – keine Chance also, durch Scheidung ein Pärchen noch glücklicher zu machen.
Hinsichtlich der Glücksmaximierung hingegen werden die Herren bevorzugt. Da sie die Initiative ergreifen und aus allen Frauen wählen können – Frauen hingegen nur aus der Menge ihrer Kandidaten – wird ein für die Männer optimaler Zustand erreicht, für die Damen hingegen nicht.
Tatsächlich wird der skizzierte Algorithmus von Gale und Shapley für alle möglichen Matching-Aufgaben verwendet – aber sicher nicht für Heiraten. In den USA zum Beispiel wurden viele Jahre Krankenhäuser und Medizinstudenten einander zugeordnet. Ähnliches gilt auch für Zimmerpartner in Universitäten, oder überhaupt Universitätszulassungen von Studenten. Seinen Namen als „stable marriage algorithm” verdankt er vermutlich weniger der realen Anwendung als der Tatsache, daß auch in dieser mathematischen Anwendung Herren die Initiative ergreifen – aber die Damen die letztendliche Entscheidung treffen. Lediglich die Stabilität stellt sich der wahren Welt nicht ein, nicht einmal mit modernen Supercomputern.