Auf Facebook will sich der User mit Freunden austauschen. Doch der Netzwerk-Betreiber möchte die Mitglieder mehr zu Markenbotschaftern machen. Ob das Kalkül dahinter aufgeht, ist fraglich.
Mal angenommen, Sie säßen mit ein paar Freunden im Straßencafé und unterhielten sich über dies und das: bisschen Berufliches, die Kinder und Erziehungsfragen, was man am kommenden Wochenende so vorhat. Und ständig unterbricht einer aus der Runde mit Einwürfen wie: „Oh, guckt doch mal, habt Ihr dahinten das Werbeplakat für den Mobilfunkanbieter XY gesehen?”. Oder: „Wow, diese Zeitschriftenanzeige für den neuen Opel Zafira ist ja mal pfiffig gemacht!”
Das käme bei Ihnen eher etwas seltsam rüber, oder? Aber so in etwa stellt sich Facebook die Zukunft der Werbung auf dem Geselligkeitsnetzwerk vor. Wie die US-Zeitschrift „Fast Company” berichtet, entwickelt Facebook eine Reihe neuer Premium-Werbeformen. Diese sind „social per default”, das heißt, sie nehmen standardmäßig darauf Bezug, wenn Freunde des Betrachters diese Marke oder das Produkt schon mal mit einem Klick auf „gefällt mir” gewürdigt haben. Zum anderen beziehen die neuen Werbeformate ihren Inhalt aus Postings der Facebook-Unternehmensseite des Werbekunden und nicht aus Bannern oder anderen herkömmlichen Werbemitteln. „Fast Company” folgert daraus zweierlei, wie Facebook sich wirksamere Werbung vorstellt: Zum einen sollte Werbung mehr auf Inhalte abheben als auf Slogans und Emotionen. Und, was noch wichtiger ist, Werbebotschaften, die von den Facebook-Kontakten gewissermaßen mit unterschrieben werden, dürften höhere Chancen haben, beim Adressaten auch tatsächlich anzukommen: „Wenn die Freunde Ihre Botschaft den Leuten zutragen, werden Sie Gehör finden”, so das Werbeversprechen an die Facebook-Kundschaft. Zwischen 40 und 80 Prozent mehr Wirkung als die herkömmlichen Facebook-Anzeigen sollen die neuen sozialeren Werbeformate bringen. Erste Tests hätten 40 Prozent mehr „Engagement” ergeben (also Klicks auf „gefällt mir”, Kommentare etc.) und bis zu 80 Prozent höhere Erinnerungswerte. Auch erhöhten sich die Kaufabsicht und auch die Kaufwahrscheinlichkeit signifikant, wenn Facebook-Nutzer gesehen hatten, dass Freunde mit einer bestimmten Marke interagierten.
Das werden die Werbekunden gerne hören, zumal unter Marketern ohnehin grad das Zauberwort „earned media” für Enthusiasmus sorgt. Was hat es damit auf sich? Grob gesagt lassen sich drei Kategorien von Werbeleistung unterscheiden: paid media, owned media und earned media. Paid media sind die klassischen Kanäle, die anderswo gekauften TV-Spots, Banner und Anzeigen, owned media sind eigene Websites, firmeneigene Schriften und auf eigenen Channels eingestellten Unternehmensvideos – und earned media ist alles, was vom Rezipienten freiwillig weiterverbreitet wird. Also beispielsweise, wenn jemand den VW-Passat-Werbespot mit dem kleinen Darth Vader bei Facebook mit seinen Freunden teilt oder auf seinem Blog einbindet.
Wobei der Charme von earned media aus Sicht der Werbetreibenden nicht zuletzt darauf beruht, dass diese Medialeistung nicht für teuer Geld eingekauft werden muss wie ein 30-Sekunden-Spot beim Super Bowl oder einer teuren Umschlagsinnenseite im „Stern” oder „Spiegel”. Von Usern gerne aufgegriffene Erfolgsbeispiele wie die Videos von Old-Spice oder die interaktiven Internet-Spots für Tipp-ex wecken die Vorstellung, das Unternehmen könne die Schaltkosten für seine Werbebotschaften enorm reduzieren, man müsse nur die Kundschaft dazu bekommen, sich aktiv mit der Werbebotschaft auseinanderzusetzen. Eine ähnliche Denke steckt auch hinter den neuen, sozial genannten, Werbeformen bei Facebook. Hier soll die Empfehlung oder das „gefällt mir” von Freunden den entscheidenden Mehrwert gegenüber der traditionellen Kundenansprache liefern.
Die Frage ist: wie soll der Werbekunde den Wert eines „gefällt mir”-Klicks oder eines Retweets bei Twitter veranschlagen? Und läuft die Werbekundschaft mit kommentierbaren Werbeformen nicht Gefahr, auch mit negativen Reaktionen auf ihre Reklame konfrontiert zu werden? Und was das wichtigste ist: Wie viel Raum wollen angemeldete Facebook-Nutzer in Konversationen mit ihren Freunden irgendwelchen Markenbotschaften überhaupt einräumen? Martin Sorell, Chef der weltgrößten Werbeholding WPP, sieht in Facebook großes Potenzial als Kanal für PR und Mundpropaganda. Aber in dem Geselligkeitsmedium Facebook zu penetrant mit Werbebotschaften in die Gespräche zu platzen, könne nach hinten losgehen.
Thomas Koch, der streitbare Experte für Medienauswahl und Werbeplanung aus Düsseldorf, warnt ebenfalls vor der Illusion, die Rezipienten hätten nichts Besseres zu tun, als sich mit Kommerzbotschaften zu vernetzen und ständig den kostenlosen Werbeträger zu spielen: „Wir werden den Konsumenten nie dazu verführen können, sich Tag und Nacht nur noch mit unserer Kommunikation, unseren Botschaften, unseren Claims zu beschäftigen. Sich zu ‚integrieren‘, wie es so schön heißt. In Dialog mit jeder Marke zu treten, die ihm vor die Flinte gerät. Weil die Verbraucher viel lieber untereinander Tier- und Urlaubsfotos und ihr Abendessen auf Facebook austauschen. Außerdem wird die Reaktion der Konsumenten auf User Generated Content und Dialog vermutlich wieder nachlassen, sobald der Neuigkeitseffekt verblasst ist.”
„Telepolis”-Autor Harald Taglinger fühlt sich von Facebooks Werbeoffensive ein wenig erinnert an einen Typen, der einem auf einer netten Party nebenher noch seinen Gebrauchtwagen andrehen will: „Spätestens beim zweiten Versuch am Nachspeisenbuffet wird man ihn einfach ausblenden. Es sei denn, er brüllt so laut über alle Köpfe hinweg, dass man ihn einfach nicht ignorieren kann. Dann drehen sich alle nach ihm um und brüllen gleichzeitig NEIN. Dann weiß er es wenigstens. Verkauft hat er deshalb kein bisschen.” Wie es scheint, ist Facebook dieses Risiko durchaus bewusst: In dem Begleitmaterial zu den neuen Werbeformaten gibt Facebook der Kundschaft den expliziten Rat, über Themen zu reden, die eh grad in der Luft liegen, aktuelle Ereignisse, Nachrichten, Kalendarisches: So habe man beispielsweise festgestellt, dass Werbebotschaften, die am 4. Juli den amerikanischen Unabhängigkeitstag erwähnten, 90 Prozent mehr Engagement in Form von „gefällt mir”-Klicks und anderen Reaktionen erzielt hätten. Um Rezipienten dazu zu bewegen, sich mit einer Markenbotschaft auseinanderzusetzen müsse das werbungtreibende Unternehmen verstehen lernen, was der Zielgruppe wichtig ist. Man müsse genau analysieren, welche Botschaften Resonanz beim Publikum erzeugten und daraus dann die richtigen Schlüsse ziehen.
Aber für die Vorstellung, dass es den Facebook-Nutzern recht schnell auf die Nerven gehen könnte, sich ständig mit Markengedöns zu befassen, ist in diesen hochglänzenden Businessplänen anscheinend kein Platz. Vielleicht bin ich ja ein verschrobener Sonderling, aber wenn von meinen Facebook-Kontakten sich welche berufen fühlten, ständig für Firma A oder Produkt B den Markenbotschafter zu machen, dann wäre das für mich Grund genug, die diplomatischen Beziehungen zu beenden.