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Julia Schramm: Ein Buchdebakel als Sieg für Bertelsmann

Sie brauchen keinen Hurrikan und keinen Taifun: Was der an Schrecken tun kann, können sich die Piraten selbst antun.

„Wenn die Piraten so krachend scheitern, diskreditiert das die komplette politische Jugend”, schrieb mir vor Kurzem eine Expertin für Parteipolitik, aber meine Grossmutter sagte immer: „Es ist selten ein Schaden, wo kein Nutzen dabei ist”. Und unter diesen Prämissen ist vielleicht auch das Buch der Autorin Julia Schramm zu sehen, die als Beisitzerin im Vorstand der Piratenpartei ist, und beim Bertelsmann-Verlag Knaus im mittelzarten Alter von 27 Jahren ihre Autobiographie veröffentlicht hat. Auf der kommenden Buchmesse wird man auf die Verantwortlichen im Verlag mit dem Finger zeigen und ungeniert lachen, so aberwitzig war der gezahlte Vorschuss, und so atemberaubend die Ausdünstung aus dem „Faselmorast”, um Schramm zu zitieren. Aber neben der belleltristischen Seite ist da auch noch der Aspekt der übergeordneten Firmeninteressen des Medienimperiums. Und so gross der Flop für das Buch sein mag, hat Bertelsmann doch eine lächerlich geringe Summe für einen enormen netzpolitischen Gewinn bezahlt.

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Dazu sollte man das Buch „Klick mich” nicht als gescheiterten Versuch sehen, holprig formulierte Egomanie abzudrucken, sondern so, wie Bücher von Politikern in Zusammenarbeit mit Firmen hin und wieder zu entstehen pflegen: Man denke da beispielsweise an die üppigen Vorschüsse, die Rudolf Scharping seinen eigenen Angaben zu Folge für seine Autobiographie vom PR-Berater Moritz Hunzinger erhalten hat, oder die freundlichen Zuwendung, mit der im Fall des Ex-Bundespräsidenten Wulff ein Filmproduzent ein nettes Interviewbuch gefördert haben soll: Als eine Seitenansammlung, die gar nicht zwingend für das Lesen gedacht ist, sondern der politischen Landschaftspflege und Freundschaft nicht im Wege steht. Wenn sich dann der Politiker, aus übergeordneten Interessen natürlich, zufälligerweise im Sinne des Geldgebers äussert und verhält, ist das eben so.

Frau Schramm hat im Frühjahr dieses Jahres bei ihrem gescheiterten Versuch, Vorsitzende der Partei zu werden oder wenigstens irgendeinen Posten zu ergattern, mehrfach betont, sie werde Parteiamt und das Buch voneinander trennen. Ihre Gegner hatten ihr vorgeworfen, sie würde zeitgleich mit dem Buchvertrag nach Posten streben, um ihren Text besser vermarkten zu können. Sollte diese Trennung wirklich je so geplant gewesen sein, hielt sie nur bis zum Tag der Veröffentlichung: Niemand spricht über die Netzidentitäten der Autorin, es geht allein um die Politikerin. Und damit auch um die Partei und das, wofür sie steht. Und spätestens in dem Moment, in dem das Buch zum freien Download als PDF auftauchte, auch um die Frage, wie führende Parteipolitiker zu den eigenen politischen Forderungen stehen. Der Verlag verlangte im Namen der Autorin die Löschung der Datei, und das Verhängnis nahm seinen Lauf.

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Schon im Vorfeld hatte es Hunderte von negativen Kommentaren bei Twitter gegeben, was vielleicht auch einiges über die generelle Zufriedenheit vieler Piraten mit dem neuen Vorstand aussagt, der die Partei von schwindelerregenden 13% in der Wählergunst auf den Boden von 6% der Tatsachen herabgebracht hat. Verschiedene Mitglieder des Vorstandes gelten als egoman, überfordert und beratungsresistent, und dazu kommen wenig erbauliche Kleinkriege, Berliner gegen Bayern, alte Pressemitarbeiter gegen neue Pressesprecher, ein Putsch im Hinterzimmer der Berliner Fraktion, Durchstechereien an die Presse, Alleingänge und unüberlegte Äusserungen, wie etwa ein wüster Ausfall von Frau Schramm gegen Parteikollegen, die mit einer Klage gegen den Ankauf von Steuer-CDs im Gegensatz zu Frau Schramm auf dem Boden der offiziellen Piratenbeschlussfassung waren. Es war für den inneren Frieden der Partei sicher nicht der beste Moment, um dann noch mit einer Takedown-Aktion als Vorstand zu zeigen, was man vom Markenkern freier und ungehinderter Informationsverbreitung im Netz wirklich hielt.

Das über Frau Schramm hereinbrechende Fäkalgewitter war fraglos nicht ein Austausch kandierter Höflichkeiten, und irgendwem – das entsprechende Blog hat kein Impressum – im Umfeld von Frau Schramm mit Zugang zu ihren Email-Konten, vielleicht auch ihr selbst, muss dann der Kragen geplatzt sein. Wenig erbauliche Mails wurden dort eingestellt, teilweise mit mit voller Adresse,Telefonnummer und Identität der Absender, sowohl an den Privataccount als auch an den offiziellen Piratenaccount gerichtet. Für eine Partei, die sich laut Programm voll dem Datenschutz im Internet verschreibt, ein ganz erstaunliches Vorgehen, zumal es technisch kein Problem ist, derartige Mails zu fälschen und unbeteiligte Dritte an den Online-Pranger stellen zu lassen. Erst später am Tag muss jemand begriffen haben, was da an grundlegenden Prinzipienverletzungen im Internet stand. Frau Schramm, die ansonsten gern twittert, dass sie ihre Äusserungen im Internet nachträglich editiert („Post Edit”), hat sich in diesem Fall allerdings nicht geäussert.

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Statt dessen verzichtete sie auch auf einen – inhaltlich angesichts der nicht brutalst möglichen Reaktion ihres Verlages durchaus denkbaren – direkten Dialog mit der für die Partei so wichtigen Basis. Ausser ein paar schnippischen Bemerkungen bei Twitter, die das Klima auch nicht wirklich verbesserten, gab sie den potenziellen Wählern und Parteimitgliedern bei der Süddeutschen Zeitungihre Sicht der Dinge als Opfer eines Angriffs bekannt: „Das ist eine Provokation, es geht nur darum mich vorzuführen, jetzt krakeelt eben wieder der Mob.” Um danach zu erklären, sie lehne nur den „Begriff des geistigen Eigentums” ab, und nicht das Urheberrecht an sich. In der Zeit vor ihrer Wahl hatte sie sich dazu jedoch noch sehr viel negativer („ekelhaft”) geäussert. Die Süddeutsche verpasste ihr für diese Publicityleistung den Titel „Promi-Piratin”, und Schramm zog weiter zur „Welt”, der sie erklärte, sie werde ihr Amt noch bis zum Ende durchziehen, dann die erste Reihe der Piraten verlassen und sich ihrer Promotion widmen. Wenig erstaunlich waren dazu im Netz keine Trauerbekundungen zu finden. Die Rücktrittsforderungen, die sich dann schon eher gehäuft fanden, ignorierte die ehemalige Kandidaten für den Parteivorsitz geflissentlich.

In der Parteispitze sorgten derweil andere Mitglieder der Führung für Ruhe. Im Vorstand hat Frau Schramm wenig Kritik zu befürchten, denn seit den letzten Wahlen dominiert dort eine Gruppe von Menschen, mit denen sie sich bestens versteht: [Aktueller Einschub 11 Uhr: Parteichef Schlömer stoppte die Vorbereitung einer Presseerklärung zum Thema persönlich nach Rücksprache mit Schramm:

Bitte die Arbeiten an einer PM zum Thema "Klick mich" einstellen. Ich werde in jedem Fall ein Veto einlegen.  Ich werde mich - falls Bedarf von Seiten der Öffentlichkeit besteht - mündlich äußern. Ich habe dazu ein mögliches Statement mit Julia abgestimmt. [Einschub Ende]  

Mit dem Beisitzer Klaus Peukert war sie bei der „datenschutzkritischen Spackeria”, für die sie den Ruf „Keine Macht den Datenschützern” kreierte, und der politische Geschäftsführer Johannes Ponader, selbst der Anlass für eine Reihe von Konflikten in der Partei, hatte schon im Vorfeld angekündigt, sich für sie gezielt einzusetzen. Das sah dann so aus:

 

 

Gelebte Meinungsfreiheit im Internet. Oder die Reaktion des Kritikers des geistigen Eigentums, als jemand versucht hat, das PDF bei der Piratenpartei selbst hochzuladen:

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Damit kommt das Buch, das geradezu Vergleiche mit Starautorinnen vom Schlag einer Helene Hegemann oder Bettina Wulff provoziert, bei Amazon aktuell auf den angesichts von Aufmerksamkeit und Erwartung vernichtenden Bestsellerrang 1.603. Den grösseren Schaden hat aber zweifellos die Piratenpartei: Datenmissbrauch, Politikergeschwätz, zweierlei Standards, Verachtung der Wähler und der eigenen Partei, Geschäfte mit dem Amt, Rücksichtslosigkeit gegenüber den politischen Zielen, Klüngelei, Kleben am Sessel, brutalstmögliche Lernresistenz: All das, was Piratenpolitiker den Wählern nicht zu sein versprachen, lässt sich zwei Tage nach Erscheinen des Buches ohne grosse Mühe aufzeigen. 100000 Euro mögen ein Rekordvorschuss sein. Aber es ist als politische Landschaftspflege günstig, wenn man als grosser Medienkonzern verhindern möchte, dass für vier Jahre Vertreter einer Netzgeneration im Bundestag sitzen, und vielleicht sogar mit eintscheiden können, welche Veränderungen im Kerngeschäft der Familie Mohn zu erwarten sind. Bürgerrechte, Abmahnunwesen, Datensicherheit, Urheberrechte, gerechte Bezahlung von Praktikanten, das alles wäre ein Thema geworden, wenn sich die traditionellen Parteien vor den Piraten hätten fürchten müssen.

Dass sie es tun müssen, ist nach diesen Tagen unwahrscheinlicher denn je. Julia Schramm hat in grösster Öffentlichkeit vorgeführt, wie manche Piraten zu den Zielen, Mitgliedern und Wählern der Partei stehen, sie hat den Gegnern jede Munition geliefert, die sie brauchen, und gemessen an der Aufbauleistung, die in der Partei steckt, sind die 100000 für ihre Abdrängung in den Bedeutungslosigkeit bestens investiert. Und auch, wenn es nicht geplant gewesen ist: Besser hätte man das kaum lancieren können. Und dann ist da auch noch die Seite des Knaus-Verlags mit den Terminen der Autorin. Dabei sind zwei Auftritte, die eigentlich das Mitglied des Piratenvorstandes absolviert: Die Debatte über den Weg der Piraten, und als besonderes Schmankerl für Freunde der Ironie, der Online-Gipfel zu “Big Data”. Diese Auftritte werden vom Verlag als Buchtermine beworben – so viel zur Realität der Trennung von der Autorin und der Politikerin:

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Und nach den letzten beiden Tagen versteht man auch, warum der führende Medienkonzern des Kontinents kein Problem damit hat, die öffentlichen Auftritte einer Piratenbeisitzerin zum Urheberrecht zu fördern. Je mehr Schrammauftritte und Äusserungen bei den Kernbereichen der Piratenforderungen, je mehr gedoppelte Moral und Erfahrung im kapitalistischen System, je mehr sichtbare Realpolitik, wie man sie als verärgerter Wähler von den anderen Parteien kennt und ablehnt, desto schlechter die Chancen der Protestpartei der Piraten.

+++ UPDATE 19:00 UHR +++

So liebt man als Verlag seine Autoren und ihre Parteien: Schramm und der Parteichef Schlömer versuchen, das ganze Debakel auf den Verlag abzuwälzen:

"Die Diskussion um die Veröffentlichung des Buches "Klick mich" zeigt in eindrucksvoller Weise die Notwendigkeit auf, über neue Lösungen im Urheberrecht nachzudenken. Die hilflose Agieren des Verlages "Random House" bei der Begegnung von geleakten Versionen im Netz offenbart den Kontrollverlust, den Verlage und Verwerter angesichts der Realien des Informationszeitalters erleiden. Es ist jetzt an der Zeit, über Reformen des Urheberrechts zu diskutieren. Ein besseres Beispiel hätte uns Julia Schramm mit der Veröffentlichung ihres Werkes nicht liefern können."