Die Geschichte der Rundfunkgebühr ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Bis Mitte der siebziger Jahre war die Radio- und Fernseh-Gebühr in Postämtern zu entrichten. Entsprechend argwöhnten viele Bürger, mit allerlei Technik vollgestopfte Peilwagen der Bundespost würden durch die Wohngebiete patrouillieren, um Schwarzseher aufzuspüren, die ihre Geräte nicht angemeldet hatten. Aber das war natürlich ein modernes Schauermärchen, vergleichbar mit der angeblichen Spinne in der Yuccapalme.
Später, als immer mehr privatwirtschaftlich verantwortete TV-Programme mit ARD und ZDF um die Gunst des Publikums konkurrierten, fragte sich mancher Rundfunk-Teilnehmer: Ich gucke doch nur Sat 1 und RTL plus, wieso muss ich für die Öffentlich-rechtlichen mitbezahlen? Voll ungerecht! Ein findiger Bastler hatte gar am Empfangsteil seines Fernsehapparats so lange herumgelötet, bis damit weder ARD noch ZDF oder gar Dritte Programme zu empfangen waren. Damit glaubte er sich gut gerüstet für ein Gerichtsverfahren gegen die Gebührenpflicht. Doch denkste, die zuständigen Richter erkannten auch unter diesen speziellen Voraussetzungen auf einem Fortbestehen der Zahlungsverpflichtung. In ihrer Urteilsbegründung stellten die Verwaltungsrichter klar, dass es sich bei den Rundfunkgebühren dem Wesen nach nicht um ein Nutzungsentgelt handle, sondern um eine Infrastrukturabgabe.
Den Artikel über diesen Entscheid, den ich seinerzeit aus einer Programmzeitschrift oder einem Verbrauchermagazin ausgeschnitten hatte, habe ich leider bei der Auflösung meiner früheren Bürogemeinschaft mitsamt dem Großteil des Papierarchivs vor über zehn Jahren entsorgt. Mit dem Aktenzeichen jenes Gerichtsstreits kann ich heute also leider auch nicht mehr dienen. Aber diesen einen zentralen Satz aus der Urteilsbegründung mit der Abgrenzung der Infrastrukturabgabe vom Nutzungsentgelt (wie es etwa beim Pay-TV à la Sky erhoben wird) habe ich mir gut gemerkt. Tatsächlich sind spätere Ergänzungen und Erweiterungen der Gebührenpflicht kaum richtig einzuordnen, wenn man sich diesen Unterschied nicht hinreichend klar macht. So spielte es beispielsweise auch für die Ausweitung der Gebührenpflicht auf internetfähige Computer und Smartphones keine Rolle, ob Angebote öffentlich-rechtlicher Sender tatsächlich genutzt werden oder nicht. Ich weiß nicht, in wie vielen Blogdiskussionen ich versucht habe, diesen Sachverhalt geradezurücken. In einschlägigen Foren, in denen meist sehr engagiert, aber nicht immer sonderlich kenntnisreich rumGEZetert wird, habe ich mich erst gar nicht zu Wort gemeldet. Gegen gefühltes „AbGEZockt”-werden und tiefsitzende Abneigung gegen die sogenannte „GEZstapo” ist mit verwaltungsrechtlichen Feinheiten und medienpolitischen Meta-Argumenten schlecht zu argumentieren.
Wie dem auch sei: Mit dem überarbeiteten Rundfunk-Staatsvertrag, der zum 1. Januar 2013 in Kraft tritt, fällt die Kopplung der Rundfunkgebühr an jedweden Gerätebesitz völlig weg. Künftig wird pro Wohneinheit und Betriebsstätte zur Kasse gebeten. Und der mündige Medienbürger versteht plötzlich die Welt nicht mehr: Wie kann das sein? Wie in aller Welt begründet die Tatsache, dass ich nun mal wohne und nicht etwa obdachlos bin, eine Zahlungspflicht für ARD, ZDF & Co.? Nun, zum einen nennt sich die „Gebühr” künftig „Beitrag”. Das klingt nicht nach einem großen Unterschied, stellt aber folgendes deutlicher heraus: Dieser Beitrag ist für die Bereitstellung einer Leistung zu entrichten – und nicht erst für deren tatsächliche Inanspruchnahme. Zum zweiten lehne ich mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster und behaupte: Der Zusammenhang zwischen Wohnung oder dem Unterhalt einer Betriebsstätte und der Rundfunkgebührenpflicht ist relativ willkürlich gewählt. Letztere hätte, wenn es den für die Medienpolitik zuständigen Ministerpräsidenten der Bundesländer praktikabler erschienen wäre, im Prinzip auch an die Sozialversicherungsnummer, an einen RFID-Chip im Personalausweis oder ein anderes beliebiges verwaltungstechnisches Personen- und Körperschaftsmerkmal gekoppelt sein können. Mit der völligen Loslösung der Beitragspflicht von potenzieller Nutzung basierend auf Gerätebesitz ist die Medienpolitik jedenfalls konsequent den Kurs weitergegangen, den das Stichwort „Infrastrukturabgabe” schon in den späten 80er Jahren vorgezeichnet hat. Aber bevor jemand fragt: Dass ich diesen Sachverhalt intellektuell und laienjuristisch ansatzweise durchdrungen habe, heißt nicht, dass ich den jetzt eingeschlagenen Weg der Rundfunkfinanzierung für die beste aller denkbaren Lösungen halte. Die Gebühr in ihrer bisherigen Form gab schon eine dicke Kröte zu schlucken, aber die künftige Beitragsregelung erscheint mir nachgerade kontra-intuitiv (um nicht zu sagen: wie kontrollierter Irrsinn).
Eines der erklärten Ziele dieser Reform ist die Vereinfachung der Verwaltung. Allzu große Hoffnungen, dass sich die nicht eben beliebte Gebühreneinzugszentrale (GEZ) künftig schlank macht oder gar in Wohlgefallen auflöst, sollte man sich indes nicht machen. Die lästige Schnüffelei von auf Provisionsbasis arbeitenden Gebührenbeauftragten nach Fernsehern, Computern mit Netzanschluss und Autoradios wird wohl ein Ende haben. Aber Fußtruppen mit Dienstausweis werden auch weiterhin unterwegs sein, wenngleich im Moment nicht so ganz klar ist, was genau künftig ihr Auftrag sein wird. Gleichzeitig dürfte die Datensammelei in der abgeschotteten Inkasso-Trutzburg auf dem WDR-Gelände in Köln-Bocklemünd nie gekannte Dimensionen und Detailtiefen erreichen. Es wird noch lückenloser als bisher erfasst, wer wo (und mit wem) wohnt und Zweitwohnsitze und Ferienwohnungen unterhält. Der Grundsatz „eine Wohnung, ein Beitrag” klingt zunächst simpel, aber spätestens sobald die Frage nach Ermäßigung oder Befreiung von der Beitragspflicht ins Spiel kommt, wird es kompliziert. Sämtliche Änderungen der Lebensumstände, welche die Beitragspflicht tangieren könnten, sind der GEZ mitzuteilen. Realistischerweise ist davon auszugehen, dass die GEZ (die sich in Kürze umbenennen wird in „ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice”) erst mal jedes namentlich erfasste Individuum als Beitragsschuldner betrachtet. Und die Beweislast, falls dem nicht so ist, liegt künftig mehr denn je beim einzelnen Bürger.
Zwar zieht die GEZ auf der Suche nach eventuellen Schwarzsehern schon längst Melderegister und bei Adresshändlern wie der Bertelsmann-Tochtergesellschaft AZ direct gemietete Datensammlungen heran. Aber 2013 und 2014 steht laut einem Bericht der Zeitschrift „Capital” ein großangelegter Abgleich der Datenbestände mit sämtlichen Melderegistern auf der Agenda – ein gigantisches Unterfangen, das an die Volkszählung von Kaiser Augustus im alten Rom erinnert. Wegen dieses Mammutprojekts bleibt es wohl noch einige Jahre offen, ob das neue Beitragsmodell den Anstalten unter dem Strich mehr oder weniger Geld in die Kassen spült.
Noch könnte das schöne, neue Beitragsmodell freilich auf den letzten Metern gestoppt werden. Ein Jurist aus Passau hat vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof Popularklage gegen die neue Rundfunkabgabe erhoben. Der Rundfunkbeitrag sei eine verdeckte Zwecksteuer und somit verfassungswidrig, weil die Länder gar keine Kompetenzen hätten, eine solche Steuer zu erlassen. Desweiteren wittert der Kläger einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz wenn Gerätebesitzer und Nichtgerätebesitzer gleichermaßen zur Rundfunkfinanzierung herangezogen würden. Das wäre gewissermaßen wie eine Kfz-Steuer für Fußgänger. Der Einwand klingt zunächst nicht unplausibel, aber im Lichte der einschlägigen Rechtsprechung der vergangenen Jahrzehnte ist es nicht sonderlich wahrscheinlich, dass diese Klage Erfolg hat. Ich bin kein Jurist, wage aber folgende Prognose: Das Gegenargument der Steuer wird das neue Beitragsmodell nicht kippen. Denn wenn der Beitrag tatsächlich eine Zwecksteuer wäre, würde er ja vom Finanzamt (oder der Kommunalverwaltung) eingezogen. Aber das besorgt die staatsfernere GEZ, ergo kann der Beitrag keine Steuer sein, so einfach ist das. Rundfunk obliegt der Kulturhoheit der Länder, und die erstreckt sich traditionell auch auf die Festlegung eines Rundfunkfinanzierungsmodells. Dabei wird es aus höchstrichterlicher Sicht wahrscheinlich nur ein Nebenschauplatz sein, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abgabepraxis künftig etwas mehr wie eine Steuer gehandhabt wird, aber verwaltungsrechtlich korrekt als Beitrag firmiert. Ausgerechnet das Bayerische Verfassungsgericht wird einen Teufel tun, den Gestaltungsspielraum der Bundesländer in dieser wichtigen Frage übergebührlich einzuschränken. Und falls doch, dann können die zuständigen Ministerpräsidenten immer noch sagen: Es war alles nur ein Missverständnis.