Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Wenn Schlampen wählen

Die zweite Amtszeit hat Barack Obama gewonnen, weil seine Kampagne besonders viele Unterstützerinnen gewann und Frauen durch eigene Aktionen Wählerinnen mobilisierten. Könnte Ähnliches im deutschen Wahlkampf gelingen?

I’m a slut. I vote. So does everyone I sleep with.

Favianna, US-Aktivistin

 

Die zweite Amtszeit hat Barack Obama gewonnen, weil seine Kampagne besonders viele Unterstützerinnen gewann und Frauen durch eigene Aktionen Wählerinnen mobilisierten. Könnte Ähnliches im deutschen Wahlkampf gelingen?

Mit der Amerikanisierung von Wahlkämpfen hat die Kommunikationsforschung die Professionalisierung der politischen Kommunikation in Deutschland beschrieben, in deren Rahmen die Spitzenkandidatinnen von Parteien, Veranstaltungen und Pseudoereignisse sowie Themen immer stärker medial inszeniert und strategisch geplant werden. Die Geschichten, die amerikanischen Wahlkampagnen schreiben haben dabei nicht nur strukturell auf den Wandel von Parteienkommunikation gewirkt, sie haben auch die globalisierte Medienwelt selbst und ihre Teilnehmerinnen in den Bann gezogen, deren Internetnutzung Landesgrenzen schon lange verwischt. Im Duell der Präsidentschaftskandidaten in den Vereinigten Staaten sehen sogar die Menschen anderer Länder, die am Wahltag selbst nicht entscheiden, einen besonderen Reiz; wie ein Boxkampf – gestreckt über mehrere Monate – fesselt die Wahl ein Publikum, das am Ende des Tages einen klaren Gewinner kennt. Rechenspiele um mögliche Koalitionen und darauf folgende Verhandlungen bleiben aus.

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“Wir machen das jetzt so wie Obama”

In der praktischen Umsetzung werden die Modelle der Amerikanisierung von Kampagnen jedoch oft verkürzt. Anstatt Wahlkampftechniken länderspezifischen Gegebenheiten und kulturellen Differenzen anzupassen, brachte der Blick über den Teich in den letzten Wahlkämpfen vor allem eine Menge Buzzwords und kühne Hoffnungen mit, die in politischen Kampagnen in Deutschland nicht greifen konnten. Der Mythos, Barack Obama habe seinen Sieg 2008 vor allem einer erfolgreichen Online-Kampagne zu verdanken gehabt, hält sich noch immer; er hatte jedoch nicht einmal zur Folge, dass digitale Kommunikations- und Mobilisierungsstrategien analysiert und für die deutschen Wählenden weiterentwickelt wurden. Seit nunmehr zehn Jahren wird wie ein Mantra die These wiederholt, das Internet habe sich im Bundestagswahlkampf “zu einer festen Größe entwickelt”, auf die keine politische Akteurin mehr verzichten könne. Der Realitätsabgleich ist an dieser Stelle verzichtbar. Denn die Defizite, die Regierungen und Parteien in ihrem Engagement in der Kommunikation mit Bürgerinnen, in partizipativer Kultur und insbesondere in der Anerkennung des digitalen Gesellschaftswandels aufweisen, lassen den Status einer festen Größe sowie die Unverzichtbarkeit von Onlinemedien nicht erkennen. Noch immer lösen Plädoyers für die Umarmung der zahlreichen Gesprächsmöglichkeiten mit Bürgerinnen in öffentlichen digitalen Räumen verhaltene Reaktionen aus, die diesen wichtigen persönlichen Kontakt als Strafarbeit abqualifizieren oder zu einem freiwilligen Vergnügen für die Jungen und dezent Verrückten.

Werden die Bundestagswahlen 2013 im Internet gewonnen? – Schon die Formulierung dieser Frage birgt Stolpersteine in sich, denn im Internet geschieht grundsätzlich gar nichts – jedoch über all die verschiedenen Kanäle, Orte, Verbindungen und Beziehungen, die Menschen zur Kommunikation nutzen. Über die Bekanntmachung, Erläuterung, Verteidigung politischer Positionen in digitalen Formen kann Meinungsbildung geschehen und Wahlentscheidungen der Weg geebnet werden. Dies verlangt zunächst, dass sich dort Menschen engagieren und miteinander austauschen. Menschen, die wissen wo sie die Zielgruppen ihrer Kampagnen treffen können, Menschen, die wissen welche Möglichkeiten die Onlinekommunikation für politische Diskurse bietet, Menschen, die das Zusammenspiel von Online-Aktivismus und Engagement vor Ort verstehen und so Mobilisierung organisieren können. Kurzum “people who know their social media shit”, wie Laura Olin, Strategieberaterin für soziale Netzwerke in der Obama-Kampagne 2012, die Menschen charakterisierte, die sie für das Team auswählte, das verantwortlich für die Onlinepräsenzen des Präsidenten war. Einen weiteren kulturellen Unterschied zur politischen Beratung auf höchster Ebene brachte die 31-jährige Olin ebenfalls prägnant zum Ausdruck: They “put a lot of trust in us, that we knew what we were doing, and to follow our gut, they just need to be brave enough to just let people who know their shit do what they do”. Vertrauen, Experimentierfreude, Intuition – diese Dinge sind neben wissenschaftlicher Politikberatung unverzichtbar. Von Menschen, die in Kommunikationsabteilungen in Deutschland arbeiten, hört man hingegen immer wieder von Freigabeprozessen für einzelne Tweets und übersteigerter Angst vor dem Kontrollverlust, weil Vertrauen und ein entspannter Umgang mit dem Netz fehlen.

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Digital Change

In Unternehmen, in Organisationen und Parteien geht es derzeit um mehr als lediglich neue Wege der digitalen Kommunikation zu etablieren, es geht um Kulturwandel. Unternehmensberaterinnen würden von Change Management sprechen, ganz neu dabei der Begriff “Digital Change”. Wolfgang Blau, Chefredakteur von Zeit Online, formulierte vor Kurzem über Twitter den Gedanken: “And: sooner than later, it will be unthinkable to even run a printed newspaper or a tv-station without having profound online experience.” Über die 140 Zeichen hinaus könnte man seinen Tweet sehr gut ergänzen: Früher oder später wird es undenkbar sein, einen Wahlkampf zu leiten, ohne über profunde Kenntnis der Onlinekommunikation zu verfügen. Dabei gehen die Anforderungen an die Erfahrungen weit über die reine Kommunikation in Onlinemedien hinaus, denn nicht nur das Nutzungsverhalten von Medien hat sich gewandelt. Digitaler Wandel hat die Erwartungen von Bürgerinnen an politische Prozesse grundlegend verändert.

Im Umgang mit sozialen Medien, aber auch mit den unterschiedlichen Zielgruppen, die in der politischen Kommunikation angesprochen werden sollen, offenbart sich an dieser Stelle als Herausforderung ebenso wie als wirkliche Chance: denn das richtige Gespür und den Ton für die Kommunikation in sozialen Netzwerken, ein umfassendes Verständnis für die unterschiedlichen Belange unterschiedlicher Menschen – all das kann man weder studieren noch in der kurzen Zeit eines Wahlkampfes erlernen. Man kann diese Dinge ebenso nicht durch langjährige Beratungserfahrung, der ein anderer Zeitgeist zugrunde liegt, kompensieren. Wahlkämpfe, die erfolgreich sein wollen und auf die Ansprache einer Vielzahl und Vielfalt von Menschen angewiesen sind, müssen diese Diversität daher in ihren Teams abbilden. Diese Teams können dann Ausgangspunkt sein, um zahlreiche Unterstützende zu gewinnen, die im Rahmen einer Kampagne die passende Ansprache für Zielgruppen weiter mit entwickeln und umsetzen können. They not only know their social media shit, they know their supporters.

Ein Diversity-Ansatz der dieses Ziel verfolgt, etabliert gemischte Teams in allen Bereichen einer Organisation. Geschlechtervielfalt, eine demografische Durchmischung und unterschiedliche kulturelle Blickwinkel müssen auch in den Entscheidungsebenen vertreten sein, nicht nur bei Praktikantinnen und freiwillig Helfenden.

Wenn Schlampen wählen

Wenn die amerikanischen Wahlen in der Vergangenheit die deutschen Parteizentralen dazu angespornt haben, ihre Onlineansprache zu verbessern, ist die Lehre aus diesem Jahr, sich Frauen und Minoritäten zuzuwenden. Denn es gelang der Kampagne, diese Gruppen besonders zu mobilisieren. Der so genannte “Gender Gap” lag nach dem Auszählen aller Stimmen bei 18 Prozentpunkten – ein Rekordwert (2008: 12 Prozentpunkte). Vor allem aber stimmten “Women of color” für den Präsidenten, weiße Frauen wählten mehrheitlich den republikanischen Kandidaten Mitt Romney. Das inhaltliche Programm der Demokraten sprach Frauen dabei mit explizit feministischen Themen an, die laut Umfragen für die Wählerinnen in großen Teilen wahlentscheidend waren. Dazu zählten zum einen gesundheitspolitische Themen wie der Zugang zu Verhütungsmitteln, Krebsvorsorge, das Recht auf Abtreibung, aber auch Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigung, die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und wirtschaftliche Themen wie die gleiche Bezahlung der Geschlechter. Amerikanische Aktivistinnen unterstützten die Kampagnen für Obama und gegen Romney auch online vehement und sichtbar. Nachdem der konservative Radiomoderator Rush Limbaugh Frauen, die forderten, dass Verhütung über die Krankenversicherung gedeckt sein sollte, öffentlich als “Schlampen” und “Prostituierte” bezeichnete, schlossen Frauen sich zu Kampagnen wie der Aktion “Rock The Slut Vote” zusammen. Die Beteiligung an der Informations-und Überzeugungsarbeit gedieh dabei weit über bereits vernetzte feministische Aktivistinnen hinaus, denn es gelang herauszuarbeiten, welch gravierenden Unterschiede und direkte Betroffenheit der “War on Women” für nahezu alle Frauen mit sich gebracht hätte, wäre Mitt Romney zum Präsidenten gewählt worden.  

Weiterlesen: Feminists for the win

Postermotive der Künstlerin und Aktivistin Favianna Rodriguez

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“If you think this election won’t affect you and your life – think again

Mögliche Frauenthemen, die Ähnliches bewirken könnten, sind in der politischen Kommunikation der Parteien in Deutschland bislang nicht sichtbar. Die Frage um eine Geschlechterquote für Aufsichtsräte und Vorstände besitzt ebenso wie die Bereitstellung von einer ausreichenden Anzahl an Kinderbetreuungsplätzen dieses Potenzial nicht. Denn die Quote betrifft zu wenige Frauen und ist für die Lebensrealität der allermeisten Wählerinnen wenig relevant. Betreuungsgeld und Kitas sind zwar Empörungsthemen, das Fehlen von Betreuungsangeboten betrifft jedoch unmittelbar nur Familien mit kleinen Kindern und spricht Frauen zudem vorrangig als Mütter an. Medien berichteten über Umfragewerte, die abgefragt hatten, wie hoch der Anteil von Wählerinnen sei, die mit dem SPD-Kandidaten Peer Steinbrück Abendessen gehen würden. Doch wer das politische Begehren von Frauen im Rahmen von Mutterschaft, beruflichem Aufstieg und netten Gesprächen im Kerzenschein verortet, bewegt sich trostlos am Boden eines tiefen Tellers – weit entfernt von all den konkreten Anliegen verschiedener Frauengruppen oder feministischer Aktivistinnen.

Die Zielgruppen, egal welchen Geschlechts und mit welchen Gemeinsamkeiten, werden sich finden, wenn man sich auf die Suche nach den politischen Herausforderungen macht, die für Menschen in ihrem Alltagsleben und Zukunftsplänen wirklich bedeutsam sind. Wechselstimmung und Zuspruch werden Parteien und politische Akteurinnen nur dann gewinnen können, wenn sie erklären können, warum für die verschiedenen Bürgerinnen nicht egal ist, ob, und welche Partei sie wählen. Die Frage – und präzise Antworten darauf, ob es überhaupt eine Rolle spielt zu wählen, wird bei den Bundestagswahlen 2013 entscheidender sein denn je. Für viele der Frauen, die Obama wählten, besaß das Recht auf Abtreibung genau diese Relevanz. Eine Frau, die schon einmal ungewollt schwanger war oder für sich keine Möglichkeit sah, ihr Kind auszutragen, weiß darum, wie grundlegend lebensverändernd die Verwehrung des Eingriffs für sie gewesen wäre. Erst in diesem Monat starb in Irland die Inderin Savita Halappanawar, weil Ärztinnen sich weigerten ihre stockende Fehlgeburt mit einer Abtreibung zu beenden. Dieses grundlegende medizinische Recht ist nur ein Beispiel der Signifikanz einer politischen Wahl, das sich ähnlich in unzähligen anderen Bereichen findet. Darüber Wissen und Gespür zu erwerben, was diese Dinge sind, die Wählerinnen die nicht egal, sondern unumstößlich wichtig sind, ist keine einfache Aufgabe. Lösbar ist sie allemal.