„Es gibt drei Sorten von Menschen:die einen lernen nie aus ihren Fehlern,
die zweiten dagegen schon und die dritten, die Ganzschlauen,
lernen aus den Fehlern anderer.”
Zitat: ein Oberschlauer
Im Magazin einer der todgeweihten Print-Informationsträger für den nur wöchentlich an Hintergründen interessierten Bildungsbürger las ich ein Porträt über die digitale Seelenstripperin Julia Schramm. Eigentlich interessiert Julia Schramm nicht mehr. Ihr Skandalpotential hat sich erschöpft, kein Wunder: sie ist eben auch nur eine medial Normalsterbliche und keine ehemalige Bundespräsidentengattin. (Von der ich auch im Neuen Jahr übrigens noch viel erwarte: eine Liaison mit einem degenerierten Fürsten vielleicht, weil Status hier nicht aberkannt werden kann; dass sie auf den Trichter noch nicht gekommen ist, wundert mich, aber das kann ja noch kommen.)
In dem Porträt über Julia Schramm also ging es, natürlich, um die Leidensfähigkeit einer jungen Frau, die in der Öffentlichkeit weder Geschick noch Besserwissertum bewiesen hat, und zur Zielscheibe allgemeiner Schmähung wurde; wie einer dieser schaurigen Clowns auf dem Rummelplatz, der seinen Kopf durch ein Loch steckt, damit man von vorne Torten auf ihn werfen kann. Wen wundert, dass daran alle Spaß haben? Vom Menschen war doch nun wirklich nicht viel besseres zu erwarten.
Ich las also mit halbem Interesse über Täter und Opfer bei Shit-/Bullshitstorms, bis ich in der letzten Spalte dann etwas fand, dass ich für diagnosewürdig halte.
Folgende Situation wurde beschrieben: Julia Schramm verkündete über Twitter ihre Hochzeit, woraufhin ein Piratenkollege kommentierte, dass er Heiraten reaktionär fände. Umso schlimmer, befand der Artikel weiter, müsste Julia Schramms Mann nun auch noch mit diesem Partei-Freund einen Schreibtisch teilen. Womit in dem Artikel die Bemerkung über das reaktionäre Wesen einer Ehe in all jene Schmähungen eingereiht wurde, die Julia Schramm sonst ertragen musste.
Meine Reaktion: Na und? Er hat doch nur seine Meinung geäußert. Wo liegt das Problem? Seit wann müssen die Werte des einen ebenso für den nächsten gelten? Wir sind doch tolerant.
Kann es nicht sogar als rücksichtsvoll bewertet werden, wenn man annimmt, dass der Freund sich bei der persönlichen Verkündung für sie gefreut hat, Umarmung, Prosecco? Weil er den schönen persönlichen Moment nicht kaputt machen wollte, selbst wenn er für das Konzept Ehe nur Spott übrig hat? Dann aber, in seiner Beschäftigung als Weltkommentator, doch seine Meinung äußern wollte?
Oder darf man dann als Betroffene deswegen beleidigt sein? Es als Mißbilligung des eigenen Handelns verstehen und daraus Konsequenzen ziehen?
Wie unabhängig voneinander funktioneren diese beiden Kommunikationswege wirklich?
Ziehen wir die Sache mal von der anderen Seite auf:
Ich habe eine Freundin, die ihr Blog schreibt wie ein Tagebuch. Niemals würde sie allerdings verraten, unter welchem Pseudonym sie das tut oder wie ihr Blog heißt. Keiner darf das wissen. Als gehe niemanden etwas an, was sie zwar im Internet veröffentlicht, aber nicht mit ihrem realen Umfeld teilt.
Gewiss, ich sehe die Vorteile, wenn Reflektion nicht bloß im Dateiordner verschwindet, sondern wahrgenommen wird. Und das nicht wie im analogen Leben, in dem man fremde Urteile in direkter Konfrontation aushalten müsste. Oder, was vielleicht noch schlimmer, gar auf Desinteresse stößt und in den Strudel schwindender Spürbarkeit gerät. Stattdessen wendet man sich lieber den Internetfreunde zu, deren mögliche Negativurteile in der abgegrenzten Blogwelt wirken und sonst nirgends. Das Risiko ist außerdem begrenzt, weil Leser und Austauschpartner sich daraus ergeben, dass sie ähnliche Gedanken haben; sonst würden sie den Aufwand nicht betreiben, das Blog zu lesen und zu kommentieren. So entsteht ein Konkon für Gleichgsinnte ähnlich einer Schutzhöhle. Fair enough, wenn da nicht ein „aber” wäre, das langfristig zum Konflikt anschwillen muss.
Im analogen Leben tut es das alsbald. Braucht man sich nur vorzustellen was passiert, wenn man vor Person A eine Meinung vertritt, und vor Person B eine andere, fortfolgend. Irgendwann schütteln Person A-Z nur noch den Kopf über so viel Widersprüchlichkeit. Geschieht dasselbe mit einem Urteil über einen beiderseitigen Bekannten, explodiert das Fass noch schneller. Das kennt jeder, das geht nie gut.
Nun könnten die digitalen Nasen sagen, dass genau dort der Unterschied zwischen der virtuellen und der realen Welt liegt: dass sich die Gesprächspartner eben nicht kennen, demnach nicht austauschen und, bleiben wir realistisch, am Ende gegen den konfus Kommunizierenden wenden werden. Das klingt zu gut, um wahr zu sein: Man könnte also jede Geschichte so erzählen, wie sie nur einem selbst gut passt. Was für ein Eldorado des konsequenzlosen Laberns! Ein Garten Eden der Selbstgerechtigkeit und aus den Blumen fliesst Nektar mit dem Impfstoff: Absolution.
Aber, das nun als meine These: soweit sind wir in unserer multiplen Persönlichkeitsausbildung noch nicht. Trotz aller Funktionalisierung in koexistenten Rollenbilder vom Vorstandsvorsitzenden bis zum Hundekackaeinsammler. Am Ende jedes Gesprächs, gleich welches Medium, steht das Ich, das mit seinen Aussagen versöhnt sein muss. Denn je weiter sie voneinder abweichen, desto verwirrender die Einschnitte ins Ich, – das niemals aufgeben darf, seine Sektoren unter einen Persönlichkeitsschirm zu vereinbaren.
Wer das übergeht, kann sich schonmal die Megapackung Bachblüten bestellen.
Bis auch das nicht mehr hilft.
Uaaaahhh.