Bilder der nächtlichen Weltkugel sehen schön aus – und liefern Wissenschaftlern interessante Daten für sozioökonomische Forschung.
Nach dem Film “Apollo 13” wollte ich gerne Astronautin werden. Das schien mir noch aufregender als Pilotin (mein erster Berufswunsch) – und die Aussicht war so schön. Natürlich ist es nicht völlig auszuschließen, daß es die Mondlandungen gar nicht wirklich gab – das Internet mit seinen Verschwörungstheorien kann so aufregend sein! – und Bilder kann man ohnehin manipulieren. Dennoch hat die Raumforschung der Menschheit enorme Wissensfortschritte verschafft, und zwar keineswegs nur in der Astronomie oder Physik.
Eines der wichtigsten interdsiziplinären Projekte in diesem Bereich wurde in den 60ern von den Sicherheitsbehörden der USA ins Leben gerufen. Ursprünglich sollte das Defense Meteorological Satellite Program die US Air Force mit meteorologischen Daten versorgen – heute hingegen sind die Bilder der Satelliten für die öffentliche Forschung zugänglich und werden auch zunehmend in den Sozial- und Umweltwissenschaften genutzt.
Um genauere Informationen über Wolken am Nachthimmel zu erhalten, wurden die Wettersatelliten mit hochsensiblen Lichtmessern ausgestattet. In den 70er Jahren wurden die Daten freigegeben und noch etwas später Unterhalt und Verwaltung an die National Oceanic and Atmospheric Administration abgetreten. Die Idee zur vielfältigen Nutzung der Daten gab es schon früh – allerdings waren die Bilder nur auf Filmstreifen zugänglich, was die Brauchbarkeit einschränkte. Erst mit der digitalen Speicherung in den 90ern setzte eine breitere Nutzung ein, und derzeit sammeln vier Satelliten Bilder für das der NOAA angegliederte Datencenter.
Die Satelliten laufen in einer sonnensynchronen Umlaufbahn um die Erde, und umrunden sie zwei Mal innerhalb von 24 Stunden: einmal tagsüber, einmal nachts. Die Objektive decken einen Landstreifen von 3000 km ab, daher auch der Subtitel “Operational Linescan System”. Die Auflösung im Rohzustand beträgt 0,5 x 0,5 km pro Pixel, daraus werden allerdings umgehend onboard geglättete Durchschnitte mit etwas gröberer Auflösung errechnet. Der Clou sind jedoch nicht die Bilder bei Tage, die mit heutiger Technik noch immer nur sehr mühsam zu interpretieren und analysieren sind. Zu Berühmtheit gekommen ist das Programm mit seinen “night lights” Daten. Die außerordentlich hohe Sensibilität für Licht, die ursprünglich für Wolken im Mondlicht gedacht war, erfaßt nämlich sogar das Licht von Dörfern in den USA, in denen nur 150 Menschen wohnen.
Diese Information wird kombiniert mit diversen geographischen und anderen Daten wie Höhenunterschiede und Mondphase, und dann als ein großes Bild mit einem Datenvolumen von mehr als 1GB zur Erde geschickt. Die weitere Auswertung dort erfordert umfangreiche Berechnungen und Anpassungen. Die Umlaufbahn des Satelliten, die Verzerrungen und Abstände zur Erde für verschiedene Regionen, die sich daraus ergeben, die üblichen Probleme von Projektionen – all das wird von Wissenschaftlern mit Hilfe von Algorithmen und Mathematik korrigiert.
Bei der Auswertung der Lichtquellen ergeben sich faszinierende Bilder – und allerlei Probleme. Zum Beispiel werden auch nichtsystematische oder außerordentliche Lichtquellen wie Waldbrände oder Blitze aufgenommen, die den Informationsgehalt verzerren. Daher werden die Daten in den Sozialwissenschaften häufig in einer bereinigten Variante “stable lights” -Variante verwendet, die aus mehreren Aufnahmen verschiedener Nächte zusammengestellt wurden.
Sind die Bilder allerdings erst einmal aufbereitet und korrekt mit geographischen Koordinaten auf Landkarten gemappt, kann man damit aufregende Dinge anstellen. In den letzten Jahren wurden die Daten vor allem verwendet, um nationale Statistiken zu kontrollieren und in der geographischen Dimension besser aufzubereiten. Forschern träumen schon länger von Daten, die es ihnen ermöglichen, Analysen für kleinere geographische Einheiten durchzuführen, also zum Beispiel Kommunen oder Landstriche. Während die großen Industrieländer mittlerweile über hinreichend fortgeschrittene Behördenapparate verfügen, um alle möglichen Daten auf diesem Niveau zu erheben, ist für viele Entwicklungsländer selbst das nationale Bruttoinlandsprodukt nur eine grobe Schätzung. Einerseits fehlt häufig die administrative Kapazität für valide Statistiken, die entsprechende Anzahl von Computern, die zuverlässige Erhebung von Daten, wie auch das Wissen um die entsprechenden Methoden. Erschwerend kommt hinzu, daß sich weite Teile der Wirtschaft auf Schwarzmärkte und Schmuggel zurückziehen, folglich kaum meßbar sind.
In all diesen Fällen können Lichtdaten zur Ergänzung genutzt werden – denn wenn der moderne Mensch aktiv ist, sondert er Licht ab. Kleine Garküchen auf der Straße sind mit Feuer verbunden, Büdchen zum Telefonaufladen in Afrika haben meistens eine Glühbirne (um zu zeigen: hier ist Strom), und je wohlhabender die Menschen und Länder werden, desto mehr Haushalte werden ans Stromnetz angeschlossen.
Es ist nicht ganz einfach, die Daten international vergleichbar zu machen: schon unterschiedliche Techniken in der Verdunkelung oder verschiedene Glühbirnentypen führen zu Differenzen. Darüber hinaus sind die Informationen von Lichtpixeln in sehr dünn besiedelten oder armen Gegenden kaum noch von zufälligem Rauschen in der Bildqualität zu unterscheiden. Es bleibt dennoch ein enormer Informationsgewinn.
Nachdem die Daten bereits genutzt wurden, um Aussagen über die wirtschaftliche Aktivität bzw. das sogenannte “Bruttozellprodukt” für gerasterte Zellen auf der Landkarte zu errechnen, und mit statistisch gewonnen Daten abzugleichen, wurde außerdem eine Art Ungleichheitsindex konstruiert. Für ungleich verteilte Einkommen gibt es den Gini-Index – für ungleich verteiltes Licht nunmehr einen “Night Lights Development Index”. Damit verhält es sich allerdings ein wenig wie mit dem IQ: der Index mißt Licht und implizit eine bestimmte Dimension wirtschaftlicher Entwicklung, die eng korreliert ist mit Elektrifizierung, Armut und wirtschaftlicher Produktivität. Genauer vermögen es auch die Forscher leider nicht einzugrenzen – dafür ist die Statistik noch zu neu.
Allerdings eignen sich die Daten nicht für alles. Die Hoffnung auf völlig neue und vereinfachte Möglichkeiten, Bevölkerungsdichten zu bestimmen, hat sich leider nicht erfüllt. Mehr als 50 % der Weltbevölkerung leben in Städten auf weniger als 3 % der weltweiten Fläche, und Städte breiten sich in manchen Ländern dramatisch aus – es wäre also enorm nützlich gewesen, Bevölkerungsdichten mit Licht genauer zu messen. Bislang jedoch sind die Daten für die dünner besiedelten Gebiete nicht genau und vergleichbar genug. Zwar ist die Lichtsensibilität der Objektive im Weltall so hoch, daß eine 150-Seelen-Gemeinde in den USA sichtbar ist – aber eine vergleichbar große Gemeinde in Afrika eben leider nicht, weil diese viel weniger Licht absondert.
Was ja ebenfalls eine Information über den Zustand unserer Welt ist.