“Also nein”, sagt mein Mitbewohner, “eine Freundin im Internet kennenlernen, das ist nichts für mich.” Mir scheint diese Aussage doch sehr pauschal, da kommt sicher noch eine Erläuterung hinterher, und tatsächlich: “Abgesehen davon, daß mir das irgendwie sonderbar vorkommt – was sollten wir später unseren Kindern erzählen? Daß wir uns auf Website namens OKcupid kennengelernt haben?”
Der fragliche Mitbewohner hat seine aktuelle Freundin tatsächlich einige Wochen später im weitesten Sinne bei der Arbeit kennengelernt, sollte aber vielleicht angesichts neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse seine Präferenzen noch einmal überdenken. Algorithmen bei der Partnersuche stehen schon seit den Anfangstagen dieses Blogs bei mir auf der Themenliste, allerdings fehlten mir immer konkrete und zuverlässige Informationen. Die Online-Partnerschaftsagenturen hüten ihren Matching-Algorithmus nämlich besser als Zerberus den Eingang zum Hades.
Den Wissenschaften ist das Problem schon seit vielen Jahren als “stable marriage problem” bekannt, und eine passende Lösung unter den klaren Bedingungen volkswirtschaftlicher Theorie wurde bereits in den 1960er Jahren unter anderem vom letztjährigen Nobelpreisträger Lloyd Shapley entwickelt. Möchte man zum Beispiel zehn Frauen und zehn Männer miteinander möglichst passend verkuppeln, und jede dieser Personen hat ein klares Ranking, mit wem er oder sie am liebsten, am zweitliebsten, am drittliebsten etc. verheiratet wäre, muß man nur einer Partei die Initiative zuweisen. Angenommen, es gäbe Damenwahl, würde in einem ersten Schritt jede Dame dem Ehemann ihrer Wahl einen Antrag machen, so daß unter Umständen ein Mann auch mehrere Anträge erhält. Er nimmt jedoch nur denjenigen an, der ihm einigermaßen lieb ist, womit das Paar vorerst verlobt ist. In allen weiteren Runden machen die verbliebenen unliierten Damen dem jeweils nächstliebsten Partner einen Antrag. Ist dieser bereits vergeben, kann sich der Mann noch umentscheiden, womit eine neue Dame wieder frei wird, andenfalls wird der Antrag abgelehnt. Früher oder später finden auf diese Art alle einen Partner, wobei natürlich implizit angenommen wird, daß auch der schlechtesmögliche Partner besser ist als kein Partner. Das Ergebnis ist auch insofern stabil, weil ja die antragende Partei ihr gesamtes Ranking vom ersten bis zum letzten Platz durchgearbeitet hat, während die andere Partei das bestmögliche Angebot akzeptiert, das sie bekommen konnte.
Wirklich glücklich wird damit jedoch vor allem die antragende Partei – im obigen Beispiel also die Damen, was man aber natürlich auch ändern könnte. Algorithmen, die auf den oben beschriebenen Abläufen basieren, lassen sich für unzählige andere Märkte anwenden, bei denen Individuen möglichst passend zugeordnet werden müssen: Jobsuchende und Firmen, Handwerker und Kleinanzeigen – aber wenige sind so unterhaltsam wie die Partnersuche im virtuellen Raum. Vermutlich deshalb gab es erste Versuche bereits in den 60er Jahren, als Studenten erstmals versuchten, Partnermatching unter Studenten mit Computeralgorithmen zu optimieren – übrigens immerhin mit einigen Eheschließungen als Ergebnis.
Onlinepartnerbörsen verwenden tatsächlich ähnlich funktionierende Algorithmen, hüten die Details jedoch als Geschäftsgeheimnis – weshalb bis heute unklar ist, ob die Matchingregeln im Internet funktonieren und die dort angebahnten Beziehungen wirklich besser sind. Ein zweites Problem ist der Mangel an Daten: zwar verfügen die Partnerbörsen über Informationen über gematchte Individuen und deren Online-Aktitivitäten, aber der spannende Teil, gewissermaßen das Ergebnis, findet offline statt. Andererseits gibt es auch Umfragen, bei denen Personen zu ihren Beziehungen oder Ehen befragt werden, online wie offline – aber die Beziehugsanbahnung die die Details der Partnerwahl (konkrete Kriterien, alternative Optionen etc.) können dabei nciht erfasst werden.
Solange es keine Daten gibt, die sowohl den Matchingprozess als auch das Endergebnis abbilden, muß man sich mit dem behelfen, was es gibt, und so arbeiten Forscher schon seit einigen Jahren mit Datensätzen, die von den Partnerbörsen zur Verfügung gestellt werden. Vorteil dabei ist, daß man theoretische Hypothesen zu Matchingprozessen unter Menschen relativ gut testen kann, weil die Informationen außerordentlich vollständig sind: sowohl bezüglich der grundsätzlichen Präferenzen, als auch bezüglich der Eigenschaften, die Personen von sich preisgeben. Hinzu kommt, daß ein störender Faktor im Internet zumindest teilweise ausgeschaltet wird: die beobachtbaren Partnerwahlentscheidungen werden sowohl von ausdrücklichen Präferenzen wie auch den Gegebenheiten des Alltags bestimmt. im realen Leben begegnen sich zum Beispiel Handwerker und Akademiker sehr viel seltener – nicht aufgrund individueller Präferenzen, sondern weil das Alltagsleben nun mal meistens so ist, vor allem im urbanen Umfeld. Das mag sich nach Haarspalterei anhören, ist aber doch eigentlich ein fundamentaler Unterschied, der im Internet, bei der unendlich größeren und diverseren Auswahl an Partnern eine weniger große Rolle spielt, und das freut den Wissenschaftler. Noch mehr gefreut haben sich Wissenschaftler, daß viele theoretische Hpyothesen zur Partnerwahl mit solchen Daten bestätigt werden konnten.
Von wenigen akademischen, dafür aber ganz praktischem Interesse ist hingegen die Frage, ob solche Beziehungen den nun besser oder schlechter sind. In den USA werden inzwischen mehr als ein Drittel aller Hochzeiten zwischen Partnern geschlossen, die sich im Internet kennengelernt haben (wobei das auch Facebook und die gesamte Vielzahl an Partnerbörse beinhaltet, ebenso wie auch Blogs). In einer größeren Studie wurde kürzlich eine repräsentative Auswahl an amerikanischen Bürgern, die zwischen 2005 und 2012 geheiratet hatten, zu ihrem Beziehungsleben befragt. Bei den Befragten war die Scheidungsrate im Durchschnitt bei Personen niedriger, die ihren Partner online kennengelernt hatten, und Partner in bestehenden Ehen waren in ihrer Beziehung auch zufriedener als die Vergleichsgruppe derer, die sich offline kennengelernt hatten. Allerdings hielten auch Ehen vom Typ “high-school sweetheart”, also zwischen Partnern, die sich bereits sehr lange kennen, länger als z. B. Ehen zwischen Arbeitskollegen.
Wohlgemerkt: es handelt sich natürlich nicht um kausale Zusammenhänge. Personen, die das Internet fürs Sozialleben nutzen, sind im Durchschnitt gebildeter, häufiger in Vollzeit berufstätig, sind prinzipiell eher bereit, Informationen von sich selbst preiszugeben, die oben erwähnte größere Auswahl an potentiellen Partnern mit weniger Alltagsbeschränkungen – all das kann sowohl zu einem besseren Match als auch einer besseren Beziehungsführung führen, ganz unabhängig von der Optimierung durch Algorithmen. Zwar wurden die direkten Effekte von Bildung und Berufstätigkeit bei der Analyse berechnet, aber die indirekten, damit verbundenen Faktoren natürlich nicht – ganz abgesehen von anderen potentiellen Charaktereigenschaften, die sowohl die Nutzung des Internets als auch die Zufriedenheit im Leben beeinflussen.
Ein Schelm auch, wer Böses beim Auftraggeber denkt: der nämlich ist eines der bekanntesten amerikanischen Onlinedatingportale in den USA, die beteiligten Forscher der Universität Chicago im Nebenob Berater besagter Firma (oder ihr sonstwie verbunden) – wobei man der Firma zugute halten muß, daß die Daten wenigstens online verfügbar sind.