Ganz zu Beginn des ungeheuerlichen Prism-Skandals, den jetzt manche zu einem Snowden-Skandal umbiegen wollten, erzählte der nach HongKong geflohene Regimekritiker Informant, wie sich die CIA nach seinem Erlebnis Zugang zum Schweizer Bankwesen verschafft haben soll: Da wurde ein Bankmitarbeiter mit Alkohol abgefüllt, ans Steuer seines Autos gesetzt, von der Polizei erwischt und dann gefügig gemacht, mit dem Geheimdienst zusammenzuarbeiten. Die CIA ist zwar nicht die in Amerika ebenfalls recht hart durchgreifende Steuerfahndung, aber die eine Diensthand wäscht eben nun mal gern die andere, und so ist man in der Schweiz gerade ein wenig besser auf Snowden zu sprechen, als in dem Vasallenstaat, in dem ich hier gerade nahe der Grenze zur Schweiz in das Neuland schreibe, in dem meine und Ihre, liebe Leser, Grundrechte von sog. Partnern und den angeschlossenen sozialen Diensten mit Füssen getreten werden.
Soziale Dienste, die zum Glück ja nicht alles wissen: Ich zum Beispiel fand es ja schon immer lustig, dass die entsprechenden Portale im Rotlichtbereich damit werben, man sollte ihre Medienangebote mit Hilfe sozialer Netzwerke zu verbreiten. Wer, dachte ich mir, ist so irre, seine gerade betrachteten MILFs und Teens ernsthaft den Freunden bei Facebook und Google Plus mitzuteilen? Und das in einer Welt, in der alle ihre Mitgliedschaft bei Singleseiten eher verschweigen, weil man nur ungern über die Schattenseiten des Singledaseins spricht. In dieser verklemmten Gesellschaft kenne ich nur eine Handvoll – zumeist eher unansehnlicher – Berliner, die mit Polyamorie oder ihrem Profil bei Sklavenseiten hausieren gehen, es gibt ein paar Bordelle mit Twitteraccounts, der Rest macht bei Nacht, so liest man bisweilen Schätzungen, die Hälfte drei Viertel des Datenvolumens des Netzes mit nicht jugendfreien Filmchen aus, und schweigt darüber. Sogar Partnerschaftseiten sind sagenhaft prüde; man erfährt viel über Musikgeschmack und Karriere, aber so gut wie nichts über sexuelle Vorlieben (wobei ich raten würde: Finger weg von LeserInnen neuer deutscher Literatur und amerikanischer Bestseller).
Nun aber dürfen wir lesen, dass die sog. Partner des britischen Geheimdienstes mit Hilfe ebenso britischer Telcos in unsere Überseeglasfasernetze schauen, und das kleine Problem ist nun, dass unsere zuweisbaren IPs in Deutschland sind, und die ausliefernden Server oft, sehr oft in den USA. Vielleicht sind die Briten ja so prüde, dass sie wegschauen, wenn ein dickes Datenpaket der einschlägigen Angebote kommt. Aber vielleicht haben sie auch eine Datenbank, in der steht, wie viele Gigabyte von welchem Sexserver an welche Stelle geht. Wenn die nationale Sicherheit und die Suche nach Terroristen den Amerikanern befiehlt, chinesische Unis zu hacken, wenn die Briten Internetcafes aufstellen, um Russen bei internationalen Konferenzen auszuforschen, wäre ich zumindest überhaupt nicht überrascht, wenn sie auch wüssten, wann in welchem Büro was gesehen wurde. Pornographie ist ja nicht verschlüsselt und erlaubt mit den Tags auch eine einfache Zuordnung.
Nun wäre es vermutlich nicht ganz einfach, mit solchen Daten einen Freigeist wie mich unter Druck zu setzen, der aus seiner perversen Neigung zur Patristik einerseits und Literatur der Aufklärung andererseits nie einen Hehl gemacht hat, und der mehrere Gigabyte nackter Frauen aus der Zeit vor 1800 auf seiner Festplatte und Quadratmeter davon in Öl auf Leinwand an den Wänden hat. Aber wie es der Teufel haben will, hat man hier bei uns im schönen Oberbayern gerade einen konservativen Bürgermeister beim Anfertigen von Spannerbildern erwischt, womit seine Karriere vorbei ist. Und die öffentliche Moral neigt nicht gerade zum Differenzieren, wenn es um sexuelle Neigungen geht. Es ist natürlich im Gegensatz dazu meistens kein Verbrechen, Pornographie als solche zu betrachten. Aber wenn bei der NSA schon das Ansurfen von unbeliebten Medienseiten zu Verdächtigungen führt, muss man sich vor Augen halten: Auch das Wissen, was ein Politiker die letzte Woche so geschaut hat, kann in den Augen der argwöhnischen Wähler verheerende Folgen haben. Vor diesem Hintergrund sollten sich gerade Konservative und Freunde traditioneller Werte vielleicht überlegen, ob sie weiterhin so leichtfertig darüber reden wollen, dass die Gerechten natürlich nichts zu verbergen hätten.
Denn es gibt einen Gegensatz zwischen dem, was man nicht zu verbergen gezwungen ist, und dem, was nicht zu verbergen dennoch schadet. Die Einschätzung des USA-Regimes State Departments ihrer nachgeordneten Handlanger in den Vasallenstaaten ist sicher ehrlich und nicht falsch gewesen, aber sobald sie als „Wikileaks“-Affäre bekannt wurden, war die Reaktion eher unerfreulich. Die NSA und das Schnüffeln unserer britischen Partner muss man sich wie ein umgekehrtes Wikileaks vorstellen, wo jedoch nur an diejenigen geleakt wird, die etwas damit anfangen können. Und die dann sagen könnten: Wir müssen wissen, welche Sexualpraktik der Abgeordnete Soundso bevorzugt, denn dann können wir Agentin X ansetzen und wenn die dann erfährt, welche Geschäfte mit den Russen und ihrem Erdgas geplant sind, dient das unserer nationalen Sicherheit. In einer Welt, in der gezielt ein Kinderpornographielink auf Rechner gespielt wird, und Informanten von Steuerhinterziehung prominenter Angehöriger der Oberschicht als gefährliche Verrückte weggesperrt werden, sollte so etwas zumindest nicht überraschen.
Deshalb wäre es in der aktuellen Debatte, die gerade in Europa tobt, vielleicht etwas kurz gedacht, nur bekannten amerikanischen Internetfirmen wegen ihrer Verstrickung in Europa zu drohen, die lediglich wissen, welche Bücher wir kaufen, wo wir uns einloggen und mit wem wir über Gregor von Nazianz und Fragonard sprechen. Sicher, ein freies Europagoogle, das sich an die Gesetze und das Grundgesetz hält, und nicht von einem bei der Aufklärung von Polizeiversagen beim Naziterror versagenden Innenminister verwässert und von den Briten ausgeforscht wird, wäre schön. Aber wenn man konsequent wäre, müsste man zuerst auch alle delikaten Bereiche entsprechend schützen, die wirklich privat bleiben sollten. E-Uporn statt Youporn.
Oder andere sexuelle Vorlieben entwickeln. Oder eigene Server aufbauen. Oder auf Bücher zurückgreifen. Oder zur Überzeugung gelangen, dass Sex doof ist, und Kirchenväter lesen. Und wenn das alles, wie so vieles andere, nicht praktikabel ist?
Dann muss man eben dafür sorgen, dass man sich so etwas nicht mehr als Vasallenstaat gefallen lassen muss, und von Neuland hohnspricht, wenn daneben ein Heuchler in die Kameras grinst und die Standardlüge der nationalen Sicherheit bringt, über die sich selbst das Regime der Chinesen zurecht empören kann, und die auch Amerikaner mittlerweile ablehnen. Das wäre der wirklich harte Weg: Diesen angeblichen Partnern verdeutlichen, dass sie nach den Gesetzen unseres Landes illegale Handlungen begehen, dazu kein Recht haben, und dass man wie Hong Kong gewillt ist, die eigenen Bürger zu schützen – denn dafür sind Staaten nun mal da. Denn das Kernproblem ist, dass man sich in der Totalüberwachung die Überlegung sparen kann, ob man etwas zu verbergen hat. Es ist nichts verborgen, und alles kann verwendet werden. Man muss es nur richtig aufbereiten. Irgendetwas wird sich immer finden, ganz ohne Waterboardimg, man muss es nur konstruieren, um den anderen damit nach der Genfer Methode zu erpressen und ruinieren.Vor der Willkür von Behörden im Ausland, die keine Mitarbeiterzahlen und Budgets angeben, und für die Geheimgerichte alles abnicken, als wären es Wackeldackel aus einem Volkswagen, und angesichts des Generalverdachts sind wir alle nackt und rechtlos. Wir Internetnutzer und PronoausdembayerischenRokokoOnlinesteller schon.
Aber nicht die Afghanen, die heute einen Anschlag auf den Präsidentenpalast in Kabul und die CIA-Zentrale verübt haben, im Jahre 11 des angeblich für die nationale Sicherheit gewonnenen War on Terror, in dem jeder überwacht werden darf und niemand darüber reden soll, denn es geht ja um die nationale Sicherheit. Oder wenigstens um die Profite von Barcley.
HINWEIS:
Wenn es hier bei den Kommentaren manchmal ruckelt, ist es nicht die NSA, sondern Javascript – und dagegen gibt es auch ein spezielles Kommentarblog.