Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Die Glotze guckt zurück

Smarte Fernseher, Set-Top-Boxen und Digital-Recorder sollen das Publikum zuhause vor dem Gerät ausspähen, um passende Werbebotschaften für jede Lebenslage senden zu können. Oder geht es dabei doch um mehr?

Der Televisor war gleichzeitig Empfangs- und Sendegerät. Jedes von Winston verursachte Geräusch, das über ein ganz leises Flüstern hinausging, wurde von ihm registriert. Außerdem konnte Winston, solange er in dem von der Metallplatte beherrschten Sichtfeld blieb, nicht nur gehört, sondern auch gesehen werden. Es bestand natürlich keine Möglichkeit festzustellen, ob man in einem gegebenen Augenblick gerade überwacht wurde.  (aus dem Roman „1984“ von George Orwell)

Als dieser Tage die Meldung die Runde machte, dass neueste TV-Geräte des Herstellers LG permanent sekundengenau aufzeichnen, welche Sendung gesehen wird und wann um- oder ausgeschaltet wird, hielt sich die Überraschung der Fachwelt in Grenzen. Selbst die von einem Techniker und Blogger herausgefundene Tatsache, dass ein sogenanntes smarter TV-Apparat dieses Herstellers versucht, diese Aufzeichnungen unverschlüsselt an den Gerätehersteller in Übersee zu senden, sorgte nicht für einen nennenswerten Aufruhr.

Anders als mit totaler Abstumpfung angesichts immer neuer Horrormeldungen von Überwachungsskandalen, Datenpannen und der schleichenden Erosion jeglicher informationeller Selbstbestimmung ist diese relative Gemütsruhe eigentlich kaum zu erklären. Zugegeben, es ist ja nicht zu erwarten, dass Sondereinsatzkommandos die Bude stürmen, wenn man regimekritische Sendungen guckt. Es geht dem Hersteller nach eigenem Bekunden doch nur darum, dem werten Publikum passgenauer personalisierte Werbebotschaften überbringen zu können, dagegen kann doch keiner was haben, oder?

© FAZ 

Dieses hehre Ziel haben sich auch andere Gerätehersteller auf die Fahnen geschrieben. In den vergangenen Monaten haben diverse Hersteller von TV-Geräten, Set-Top-Boxen und Digital-Rekordern Verfahren patentieren lassen, um mit Hilfe von Kameras, Mikrophonen und Sensoren in die Wohnzimmer zu spitzeln. Der US-Kabelnetzbetreiber Verizon etwa möchte mit Hilfe seines sensorstarrenden Kabeltuners nicht nur feststellen, wie viele Personen vor dem Gerät sitzen, sondern auch, was diese so treiben und wie die Stimmung der Personen im Raum ist. Streite etwa ein Paar vor dem Fernseher, könnte Werbung für eine Eheberatungsstelle eingespielt werden, heißt es in der Patentschrift. Oder wenn es auf der Couch immer zärtlicher zugeht, könnten Commercials für Verhütungsmittel laufen. Und sind Kinder vorm Gerät, wäre gewährleistet, dass keine Werbung für allzu erwachsene Produkte und Dienstleistungen über den Schirm flimmert.

Im Grunde, so der Branchen-Newsletter fiercecable.com, ähnele das System von Panasonic der kontextualen Werbung, wie sie Google basierend auf Textanalysen in Gmail-Benutzerkonten ausspielt. Wobei dieser Vergleich mehr verharmlost als sonstwas, denn Tante Gu horcht und guckt (meines Wissens zumindest) nicht in mein Zimmer, während ich Mails schreibe. Allerdings hat Google TV auch schon Patente angemeldet auf Systeme, die mit Hilfe von Bild- und Tonerkennung feststellen, wie viele Zuschauer vor einem entsprechend ausgerüsteten Gerät sitzen. An diesem Thema tüftelt übrigens auch Microsoft, und in dankenswerter Offenheit begründet der Software-Riese aus Redmond diese Anstrengungen nicht mit dem Versprechen interessanterer, weil personalisierter Werbebotschaften für das Publikum. Vielmehr sorge der eingebaute „License Manager“ dafür, dass nicht mehr Zuschauer einen ausgeliehenen Film gucken oder ein Computerspiel spielen können als es die jeweiligen Ausleihkonditionen und Nutzungsbedingungen erlauben. Einen Bedarf für solche Technik sieht Microsoft bei allen Unternehmen, die audiovisuelle Inhalte befristet (und gegen Entgelt) anbieten, denn wie oft und von wie vielen Personen ein Inhalt konsumiert wird, ist für den Anbieter durchaus tarif- und umsatzrelevant.

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Es ist somit keine allzu verwegene Annahme, dass das Bestreben der Werbewirtschaft, die potenzielle Kundschaft mit deutlich weniger Streuverlusten zu erreichen, nur einer von mehreren Treibern der Entwicklung hin zu smarteren Gerätschaften ist – und womöglich nicht mal der bedeutendste. Grundsätzlich freuen sich Werbeplaner über jeden neuen und erfolgversprechenden Weg, ihre Zielgruppen zu erreichen. Aber die Aussicht, das bewährte Massenmedium könnte komplett zum personalisierten 1:1-Kanal umfunktioniert werden, über den man mühsam jeden einzelnen Kontakt einsammeln muss, ist aus Werberperspektive durchaus zwiespältig. Und wie hat man sich das überhaupt konkret vorzustellen, müssen Nestlé, Procter & Gamble, Unilever und Coca Cola sowie ihre Schaltagenturen dann nicht mehr nur mit den Vermarktungsabteilungen der Fernsehsender über Spotpreise und Buchungskonditionen verhandeln, sondern auch noch mit sämtlichen Herstellern von Fernsehgeräten, Kabelboxen, Digitalrekordern und Spielekonsolen? Google mit seiner reichhaltigen Erfahrung und Marktmacht im Bereich der kontext-gesteuerten Online-Anzeigen darf man einiges zutrauen, aber Gerätehersteller wie Samsung oder Panasonic werden mit ihren Personalisierungsbemühungen nicht unbedingt zu dominanten Playern auf dem Fernsehwerbemarkt der nahen Zukunft werden. Panasonic ist mit heutiger Technik der Nutzererkennung zumindest so weit, Familienmitglieder wiederzuerkennen und das Startmenü mit der Auswahl von Programm -Favoriten und Web-TV-Shows entsprechend anzupassen, je nachdem, wer vor dem Gerät sitzt. Auch ist die Fernbedienung in der Lage, verschiedene Stimmen im Wohnzimmer zu unterscheiden.

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Aber selbst wenn das Gerät erkennen würde, dass da auch ein Hund im Wohnzimmer ist, wäre es noch ein weiter Weg bis dahin, dass in der Werbepause eines Spielfilms dann auch nur noch Werbung für Hundefutter und nicht etwa für Katzen- oder Fischfutter läuft. Das hohe Lied der ach so zielgenauen Werbung hören wir von den Onlinern schon seit Jahren, wir haben schon Daten genug im weltweiten Netz hinterlassen, dass es eigentlich längst bekannt sein müsste, wofür wir zu begeistern sind und wofür nicht. Und da schert sich doch auch kaum einer drum, warum sollte das Personalisieren im Fernsehen, das noch viel mehr als das Internet ein Massenmedium ist, mehr Erfolg versprechen?

Hinzu kommt: Vertrauen in die guten Absichten von Panasonic, LG, Samsung & Co. kann man ja vielleicht haben. Aber Geräte, die ständig nach Hause telefonieren ohne Wissen und explizite Einwilligung des Besitzer, öffnen auch Einfallstore für ungebetene Besucher. Da überlegt man sich vielleicht doch, ob man sich ein strahlungsdichtes Käppi aus Alufolie faltet die Webcams solcher Gerätschaften nicht lieber mit einem Stück Klebeband zuklebt.

Bildnachweis: Screenshots von Youtube und Daily Mail