Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Im Hamsterrad – Online-Aktivismus brennt aus und bewegt wenig

Die Piratenpartei ist vielleicht nur ein Zusammenschluss von Aktivisten, die sich organisieren wollten und dafür die falsche Form gefunden haben. Auch andere Onlineaktivisten geben erschöpft auf.

Die Piratenpartei liegt in Scherben. Die immer noch junge politische Gemeinschaft ist politisch nicht mehr handlungsfähig, im Netzrauschen fällt sie nur noch über Hashtags auf, hinter denen sich meist ein Gate verbirgt: ein Minieklat oder eine große Dummheit. Die Partei wirkt erratisch, ihr fehlen gemeinsame Werte, eine Strategie, der Wille zu Überleben und Personen, die eine Gemeinschaft zusammenhalten können. An diesem Punkt scheint sich eine frühe These über die Partei zu bestätigen: Sie war und ist vielleicht mehr ein loser Zusammenschluss von Aktivistinnen und Aktivisten, die sich organisieren wollten und dafür die falsche Form gefunden haben. Doch selbst als Aktivisten sind die Piraten nicht erfolgreich, denn auch politischer Aktivismus braucht einen gewissen Grad der Organisation und zu allererst ein Verständnis über die Anliegen der Gruppe und deren Priorisierung. Eine Partei, die für digitalen Aufbruch stehen wollte, aber ihren Mitgliedern über gezieltes Online-Mobbing das Selbstbewusstsein und die Lust auf Politik nimmt, beraubt sich selbst ihrer Grundlage für Glaubwürdigkeit. Sie beherrscht das Spielfeld nicht, was sie politisch gestalten wollte. Die Absurdität der parteiinternen Querelen gipfelten in einem „Warnstreik“ der IT-Abteilung, die aus Unzufriedenheit mit der Arbeit der Partei und dem jüngsten #Bombergate die digitale Infrastruktur der Partei vorübergehend außer Betrieb setzte.

Eine Bestandsaufnahme des Online-Aktivismus in Deutschland fällt zurzeit nicht besser aus. Es ist kaum messbar, was hängen bleibt von Kampagnen auf Twitter und Online-Petitionen. Dem Stillstand in beispielsweise der NSA-Affäre verleiht der Spiegel-Online-Redakteur Christian Stöcker, der seit Monaten den gleichen Tweet wiederholt in die Timelime gibt. „Immer noch wahr“, schreibt er vor den Link, der auf seinen Artikel „Global Surveillance: The Public Must Fight for its Right to Privacy“ führt, der Ende Juni auf Spiegel Online erschien. Die Autorin Anne Roth kritisierte in der vergangenen Woche Petitionsaktivismus am Beispiel der Hebammen, bei dem seit Jahren massenhaft Menschen ihre Unterschrift leisten, weil sie den Berufsstand der Hebammen erhalten wollen, sich jedoch politisch kaum etwas bewegt. Petitionen könnten nur ein erster Schritt sein, so Roth, doch weitergehende Strategien zeichnen sich derzeit nicht ab.

 

Spürbar sind auch für Aktivistinnen und Aktivisten zunächst nicht die Veränderungen, die sie mit anstoßen, sondern vor allem Frust und Anfeindungen. Ein Frust, der sich unter der Großen Koalition ausweiten wird, denn auf die Forderungen von Netzaktivist_innen, die eher im linken Spektrum zu verorten sind, werden in dieser Legislatur keine fortschrittlichen Antworten zu erwarten sein. CDU-Gesundheitsminister Gröhe ist der ‚last man standing’, der sich gegen die Rezeptfreiheit der „Pille danach“ stemmt, obwohl sie in 28 anderen EU-Staaten freigegeben ist und sich WHO und Pro Familia dafür aussprechen. Das gespielte Entsetzen von Regierung über die NSA-Massenüberwachung und das Festhalten an der Vorratsdatenspeicherung wirken schizophren. Online-Aktivist_innen, die sich in Deutschland vor allem zu netzpolitischen und geschlechterdemokratischen Fragen organisiert haben, können von dieser Koalition nicht viel erwarten. Sie müssen aktiv bleiben ­– aber vor allem ihre Strategien überdenken.

Wo beginnt Aktivismus?

In den zahlreichen Möglichkeiten sich im Netz zu artikulieren und aktiv zu werden, sind zudem die Grenzen verwischt zwischen Meinungsäußerungen, Debatten und Aktivismus. Ist eine Person, die einen Tweet mit einer politischen Forderung ins Netz tippt, bereits Aktivist? Rauben inflationär eingesetzte Instrumente wie digitale Petitionen dem Aktivismus eine politische Ernsthaftigkeit? Zudem stellt sich die Frage, inwieweit Menschen die Selbstbezeichnung des Aktivisten wählen, und inwieweit Fremdzuschreibungen als Aktivist auch Delegitimierung bedeuten, damit Personen abgegrenzt werden können von anderen politischen Akteuren, Autoren, Experten und Wissenschaftlern. Ist eine Soziologin, die sich über Twitter in gesellschaftliche Debatten einmischt, schon eine Aktivistin? Wertet sie ihr politischer Einsatz auf, oder diskreditiert ihr Engagement ihre wissenschaftliche Expertinnenstellung?

Das Time-Magazin wählte 2011 „The Protester“ zur Person des Jahres. Die Auszeichnung ging in diesem Jahr nicht an einen einzelnen Menschen, sondern an politische Bewegungen, an viele. An die Menschen, die auf der Straße für ihre Rechte und gegen Missstände demonstrierten: Sie trugen den Arabischen Frühling in die ganze Welt, sie okkupierten die Wall Street, marschierten gegen Atomkraftwerke, für digitale Bürgerrechte mit der „Freiheit statt Angst“-Demonstration. Anfang 2012 wurde Europa von großen Protesten gegen ACTA überrascht, die „Slutwalks“ holten Menschen auf die Straßen, die ihre Stimmen gegen sexualisierte Gewalt und Sexismus erheben wollten. Der #aufschrei-Protest blieb hingegen in sozialen Netzwerken und journalistischen Medien. Auseinandersetzung und Engagement fanden vorrangig virtuell statt.

 

Im Dialog mit Menschen, die zu einer Zeit ihr politisches Engagement begonnen, als es noch keine Möglichkeiten zur digitalen Vernetzung und Publikation gab, höre ich oft abschätzige Sichtweisen auf Online-Aktivismus, Zweifel an seiner Wirksamkeit und Unverständnis für die Motivation, sich genau hier – in den Weiten des Internets – zu engagieren. Dass es weniger junge Menschen auf die Straßen zieht oder in Parteien, wird als politisches Desinteresse interpretiert. Doch Aktivismus im Netz ist nicht gleichzusetzen mit „Aktivismus light“.  Dieses Verständnis macht den Fehler, die Welt in eine analoge und eine digitale Erfahrungswelt zu unterteilen: Physische Orte, an denen Menschen auf dem Boden der Tatsachen stehen, und virtuelle Orte, an denen alles gleich weniger Gewicht hat. Diese starke Trennung wird jedoch vorrangig von Menschen aufrecht erhalten, die erst in einer späten Lebensphase Kontakt mit digitalen Medien hatten und die Selbstverständlichkeit, mit der sich digitale Kommunikation in den Alltag integrieren lässt, nicht sehen wollen oder ihr Leben auch ohne Zugang zum Internet organisieren können. Dass darüber eine Abwertung der Lebensweisen mit dem Netz geschieht, ist schade, da diese Sichtweise vor allem Offenheit vermissen lässt.  Generationendialog, an dessen Anfang die Abwertung der jeweils anderen Lebensweisen stehen, kann nur schwer gelingen.

Virtuelle Kämpfe mit Folgen

Als Mensch, der mit Zugang zum Internet aufgewachsen ist, gibt es für mich die Trennung zwischen online und offline nicht mehr. Somit betritt eine Aktivistin keine separate Sphäre, wenn sie als Ort für ihre Aktivitäten digitale Medien auswählt. Gesellschaftliches Engagement im Internet ist real: Es bedeutet Aufwand und Anstrengung, die zusätzlich zu anderen Tätigkeiten anfallen. Online-Aktivismus in Vollzeit gibt es selten. Für ihn bleibt Zeit nach dem Tag im Büro, nach Vorlesungen, nach dem das Kind ins Bett gebracht ist.

Weiterhin erleben Menschen auch digitale Reaktionen unmittelbar, sie bewirken Gefühle. Seien es nun Erfolgserlebnisse, vermisste Wertschätzung oder gewaltsame Übergriffe ­– all das, was Aktivist_innen im Zuge ihres Engagements im Netz erfahren, ist echt und wirkt auf sie ein. “Stell dich nicht so an, es sind nur Kommentare”, mag für manchen funktionieren, für andere sind sie schmerzhaft. Eine digitale Öffentlichkeit, aus der Handlungsmöglichkeiten erwachsen können, muss anerkennen, dass auch virtuelle Verletzungen real sind und Menschen schaden.
Der Raum für Reaktionen ist zudem theoretisch größer als der Raum in der physischen Welt. Sie sind schriftlich fixiert, indiziert für Suchmaschinen, sie finden im Lebensraum statt, in dem außerdem Kommunikation mit Familie und Freunden sowie berufliche Aktivitäten stattfinden. Demonstration und Gegendemonstration haben im Netz kein klares Ende. Online-Aktivismus wird für viele, die sich entscheiden mitzumachen, zum Hamsterrad.

Communitys müssen lernfähig sein

Über das Netz können Menschen heute länderübergreifend, mehrsprachig und rund um die Uhr in Teilöffentlichkeiten organisieren und austauschen. Die neuen Netzwerke vergrößern das Potenzial für soziale Bewegungen. Gruppierungen bilden sich nicht nur entlang von Interessen, sondern finden ihren Ursprung ebenfalls in den spezifischen Kommunikationsmustern sozialer Netzwerke. Über das Hashtag #aufschrei entstand beispielsweise eine neue Community von Menschen, die heute als abgrenzbare Gruppe nicht mehr zu verorten ist. Das Hashtag brachte sie als temporäre, lose vernetzte und doch wirkungsvolle Gruppe zusammen. Die Erfahrungen, die Beteiligte hier gemacht haben, sind unterschiedlich ausgefallen. Ob Nutzer_innen etwa, die sich im Zuge der Sexismus-Debatte einen Twitter-Account anlegten, um ihre Geschichten zu teilen, heute noch aktiv sind oder inwieweit sie nun dauerhaft politisch engagiert sind, könnte Ansatz für weitere Forschung sein. Auch ob eine virtuelle Community, wenn sie doch Gemeinschaft mit Gleichgesinnten schafft, ein durchweg positives Phänomen ist, muss untersucht werden. Wirken digitale Communities für ihre Mitglieder emanzipatorisch? Können sie die geschützten Orte sein, die Aktivist_innen brauchen? Treten sie in Austausch mit anderen Gemeinschaften? Bilden sie Ausschlüsse? Sorgen sie für ein Mehr an öffentlicher Meinungsbildung?  Unterdrücken sie einander? Bewirken sie kritisches Denken, Innovation oder Konformität? Wachsen sie zu stabilen Gruppen heran, die dauerhaft Einfluss nehmen können oder wollen? Eine wichtige Unterstützung für Onlineaktivist_innen könnte aus diesem Grund in wissenschaftlichen Arbeiten zu politischen Engagement im Netz sein. Sie brauchen diese Perspektiven von außen.

 

Der Frust, den Aktivist_innen erleben, setzt an mehreren Stellen an: Ihre Forderungen zielen eher auf große gesellschaftliche Veränderungsprozesse ab, die Zeit brauchen. Kurzfristige Erfolge lassen sich kaum messen. Zudem fehlt es oft an Wissen und Zeit, um den anfänglichen Aktivismus zu einer tatsächlichen sozialen Bewegung oder politischen Arbeit auszubauen. Infrastruktur, Geld, verlässlichen Netzwerke und damit Wertschätzung sind unzureichend vorhanden. Aktivist_innen sollten daher ihre Erfolge füreinander und auch öffentlich messbar und sichtbar zu machen, um die Bewegungen trotz aller Heterogenität innerlich zu festigen. Dann kann sie auch nach außen hin Einfluss gewinnen. Des Weiteren müssen Wege gefunden werden, die Vorteile der losen Netzwerke mit den Erfahrungen funktionierender politischer Arbeit zu kombinieren, was  insbesondere durch Erfahrungsaustausch mit anderen Gruppen und älteren Generationen gelingen könnte.

Burnout der Aktivisten

Digitale Aktionsformen wie #aufschrei und #schauhin haben auch schmerzhafte Seiten von Aktivismus gezeigt. Eine Person, die öffentlich agiert wird angreifbar. Öffentlichkeit wird im Netz auch unter Pseudonymen hergestellt, sie schützen nicht vor Angriffen. Dabei gewinnen Hassattacken und Drohungen über das Internet leicht ein Ausmaß, das mit Alltagserfahrungen nicht vergleichbar ist und die Betroffenen unvorbereitet trifft – ohne Schutzschild und Strategie die Erfahrungen zu verarbeiten. Gerade in Onlinebewegungen, die nur lose organisiert sind, gibt es kaum etablierte Sicherheitsnetze oder Gruppen, die sich in jedem Fall solidarisieren und Hilfe leisten. Mit Pech steht eine Person allein im Shitstorm.

Netzaktivist_innen berichten jedoch nicht nur von Hassmails,  sondern auch von Vergewaltigungs- und Mordandrohungen. Diese Anfeindungen und die psychische Gewalt wegstecken zu können, hängt meist von ganz persönlichen Ressourcen ab. Die Aussichten auf erfolgreiche Strafverfolgung sind gering, die entstandenen seelischen Verletzungen bleiben. Dass Gewalterfahrungen und Ausgrenzung im Internet die Vielstimmigkeit und Gleichberechtigung einer demokratischen Öffentlichkeit effektiv verhindern, unterstreicht, wie wichtig es ist, eine gesellschaftliche Sensibilisierung für virtuelle Gewalt zu erreichen und juristisch wirksame Umgangsweisen damit zu finden. Internetfreiheit bedeutet mehr als die Freiheit von Überwachung und Zensur.

Die Spontanität und Offenheit, von der Online-Aktivismus zunächst profitiert, stellt sich als Hürde heraus, wenn es darum geht, geschützte Räume und verlässliche Beziehungen zu schaffen. Wie jedes politische Engagement erfordert Online-Aktivismus einen hohen Zeiteinsatz, der seelisch und körperlich anstrengend sein kann. Aktivismus birgt das Risiko, sich zu verausgaben und schließlich erschöpft oder krank zu sein. Aktivist_innen sprechen dann vom Activist oder Feminist Burnout. Die Identifikation als Aktivistin oder Politikerin bei den Piraten kann insbesondere unter Druck zerbrechlich und damit dauerhaft nur schwierig aufrecht zu erhalten sein. Nutzer_innen unterbrechen oder beenden ihr Engagement: Accounts in sozialen Netzwerken und Blogs verschwinden. Die Revolution frisst ihre Kinder oder: In der digitalen Revolution löschen sich ihre virtuellen Kämpfer_innen selbst. Das ist auch das Schicksal der Piratenpartei.