Wer sagt, er habe noch nie mit seinem Chef im Bett gelegen, der lügt. Unsere Freunde, unsere Online-Freunde, die Nachrichten, die Eltern, die Firma, sie verfolgen uns überall dort, wohin wir unser Telefon mitnehmen. Und wir verfolgen sie, von überall aus. Kurz nach Feierabend sind wir am liebsten online, nur einer von Dreien behauptet, er schalte dann mal ab. Kurz vor dem Einschlafen noch eine Anmerkung vom Chef, nur ganz kurz per Facebook, dann gute Nacht.
Ich könnte diesen Text auch bei Facebook veröffentlichen, das Unternehmen will künftig selbst Beiträge hosten. Wir könnten sogar über Facebook telefonieren; ich lese Ihnen den Text vor und Sie können mir Ihre Kommentare direkt entgegenschleudern. Nachrichten, Chats, Tiervideos, 30 Prozent Rabatt auf Kleider, alles da. Mobil und im Notebook-Browser. Eigentlich könnten wir den Rest des Internets abschaffen und unser Offline-Leben gleich mit.
Facebook will alles alleine machen, Google ja übrigens auch. Und das am liebsten den ganzen Tag, ganz nah bei uns. Arbeitsteilung? Lohnt sich nur, wenn man nicht alles kann. Mit Facebook at Work will Chef Mark Zuckerberg die Arbeitszeit am liebsten ganz erobern – als hätte er das nicht längst. Ein paar Unternehmen sollen die Plattform nun testen. Meine Prognose: Naja.
Bevor ich Zuckerberg meine Arbeit anvertraue, soll er mir erst einmal Frühstück machen. Wenn die App das kann, dann können wir reden.
Jedenfalls, wenn der Toast schmeckt.
Im mobilen Internet werden Firmen in den kommenden Jahren verdammt viel Geld verdienen. Es geht gerade erst los. Doch statt ein möglichst gutes Produkt zu liefern, scheinen viele Plattformen einfach möglichst viele Dienste bieten zu wollen.
Google und Facebook haben einen ziemlichen Vorsprung, was dieses „Alles Können“ angeht. Aber mit der Idee sind sie nicht allein: Alle wollen überall sein. Lieblingssatz von jedem Online-Strategen, den ich kenne: „Wir müssen auf den Homescreen des Smartphones!“ Dabei haben mobile Onliner auf dem Smartphone schon jetzt etwas geschafft, was sich Werbetreibende aller Generationen gewünscht haben: Sie steigen mit uns ins Bett. Danach gemeinsam duschen klappt noch nicht mit jedem Endgerät.
Schlau ist diese Strategie nicht. Denn was die App-Produzenten derzeit anstreben, ist das Gegenteil von Arbeitsteilung. Die hatte der alte Platon mal erfunden und damit in seiner Politeia die Entstehung von Gesellschaften erklärt. Durch unterschiedliche Fähigkeiten und Bedürfnisse wird der Staat erst nötig. Andersrum: Wenn ein IT-Konzern alles kann, sind die anderen Nerds alle überflüssig.
Die App-Produzenten schneiden damit sich ins eigene Fleisch. Geld verdient nämlich nicht, wer alles anbietet. Geld verdient, wer in diesem System möglichst oft angeklickt wird. Und dazu braucht’s dann doch eine gewisse Qualität – und die Konsumenten müssen den Produzenten mögen. Diese Gedanken sind so alt, dass sie schon wieder innovativ sind. Schauen wir in die Theoriegeschichte der Arbeitsorganisation.
Mit einem großen Sprung können wir Platons Idee der Arbeitsteilung auf das Internet übertragen: Wenn ein System alles könnte, bräuchten wir kein anderes mehr. Wir wären versorgt, aber es wäre das Ende der Freiheit. Und wer die Freiheit abschafft, der macht sich verdammt unbeliebt. Das ist das erste Problem.
Denn: Die Apps sammeln Daten. Bündeln wir unsere Internetaktivitäten bei einem Unternehmen, dann weiß dieses Unternehmen alles. Das gefällt den Nutzern nicht; Google und Facebook stehen immer wieder in der Kritik. Die cooleren Netzwerke sind zwar cooler, aber man weiß ja nie, ob die anderen mitkommen. Die Volkswirtschaftslehre spricht von Netzwerkeffekten: Facebook ist stark, weil alle da sind. Sogar der Chef, auch wenn das nur vielleicht eine gute Sache ist.
Man muss in der Unternehmensgeschichte nicht lange nach Beispielen suchen, warum diese Entwicklung ein ziemlich schwaches Geschäftsmodell ist. Denken wir an Microsoft. Die wurden immer besser, immer umfassender. Immer fehleranfälliger. Immer arroganter, immer unbeliebter.
Das Unternehmen verpasste so ziemlich jeden Trend – sogar das Internet. Mosaic und Netscape waren die ersten Browser der Masse, aus Netscape wurde später Mozilla. Bill Gates hielt das Netz für einen Hype und zog erst Jahre nach Mosaic und Netscape in den Markt ein.
Zweites Beispiel, Apple. Dieses kleine unwichtige System, mit nichts kompatibel, dafür aber sicher und sehr simpel. Microsoft hatte eine breite Produktpalette, Apple berappelte sich mit ein paar guten Ideen zur Nutzerfreundlichkeit.
Wir lernen aus der Netzgeschichte: Eine zu breite Produktpalette funktioniert nicht. Marktmacht macht dumm. Davon hat weder das Unternehmen etwas, noch die Nutzer.
So spricht für eine Arbeitsteilung auch die Frage nach der Qualität. Adam Smith sieht in der Arbeitsteilung die Grundlage für den Wohlstand der Nationen. Aus Arbeitsteilung resultiert Spezialisierung, aus Spezialisierung entsteht Zeitersparnis – und Zeit ist schließlich Geld – und Wissen. Wer sich auf eine Sache konzentriert, der lernt etwas. Das galt zu Smiths Zeiten für die Produktion von Stecknadeln, es gilt aber auch für dieses Internet. Technischer Fortschritt kommt immer wieder von den kleinen Unternehmen. Microsoft und Facebook selbst sind die besten Beispiele. Too big to fail? Wo sind dann Telefunken , die Titanic, Second Life und die Musikkassette?
Das Problem großer Konzerne ist, dass sie erst immer mehr Leute einstellen, mehr selber machen, um flexibler zu sein und mehr Freiheiten zu bekommen. Das Ergebnis sind schwerfällige Konzerne, deren Mitarbeiter vor innovativen Gedanken erstmal einen Antrag stellen müssen. Glückwunsch.
Auch Nokia hatte auch mal sein eigenes Betriebssystem, Symbian. Es war eine Katastrophe für das Unternehmen. Für die Nutzer übrigens auch, ich weiß, wovon ich schreibe. Heute nutzt Nokia Android oder Windows und ging zwischenzeitlich noch mit einem Notebook baden. Zu langsam, zu teuer, zu schlecht.
Bei Facebook scheint man unterdessen erkannt zu haben, dass eine App für alles auch das beste Smartphone überlastet. Deshalb kommt nun für jede Funktion eine neue App, die ich dann auch noch installieren soll. So kann man Arbeitsteilung wenigstens vortäuschen. Die Zahl der aktiven Nutzer verdoppelte sich binnen weniger Monate auf mehr als 500 Millionen. Die Bewertungen, nunja. Glücklich waren die Nutzer nicht.
Was Facebook seiner Marke antut, schlägt sich bei der jungen Zielgruppe mittlerweile in Zahlen nieder. Das Netzwerk gilt vielen eh nur noch als Alterserscheinung. Die jungen gehen lieber zu Pinterest, hat der GWI ermittelt. Um 97 Prozent wuchs die Zahl der aktiven Nutzer im Jahr 2014. Da wissen sie wenigstens, was sie tun sollen. Sie teilen Inhalte. Die Zahl der aktiven Facebook-Nutzer schrumpfte unterdessen um 9 Prozent. Neun. Es gibt auch Statistiker, die Facebook weiterhin ein Wachstum bescheinigen. Aber kein großes. Snapchat geht es derweil gut (+57 Prozent), der Foto-Community Instagram mit 47 Prozent Wachstum auch.
Diese Apps hatten gemeinsam, dass sie eigentlich nicht viel konnten. Instagram: Bilder. Pinterest: Kleidchen. Twitter: der neueste Quatsch aus dem Internet. Nun soll ich bei Twitter chatten und bei Facebook-Zukauf Instagram Videos drehen und Layouts entwerfen. Wir Nutzer dürfen uns aussuchen, wer unter diesen Teilzeitspezialisten den besten Service bietet. Ich schätze mal: keiner.