Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Fotos im Netz: Gib alles!

Die neue Flickr-App will alle unsere Fotos haben, auch die schlechten. Genau wie Googles Picasa, genau wie Apples Photos. Wir müllen das Netz zu. Das werden wir noch bereuen.

Auf meinem Smartphone befinden sich 2341 unsortierte Fotos, 143 Screenshots, 886 Fotos von meinem alten Telefon und dann noch 23 Ordner für irgendwelche Anlässe, darin jeweils 15 bis 231 Bilder. Nur, damit Sie Bescheid wissen. Wie viele haben Sie?

Ich sehe ein: Ich bin ein Foto-Messi. In der Regel fotografiere ich eine Szene drei bis sieben Mal, davon sind dann drei bis sieben Versionen verwackelt und zu absolut nichts zu gebrauchen. Das ist keine Kunst. Das kann wirklich weg.

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Flickr möchte alle diese Bilder nun haben. Nach dem jüngsten Update erinnert die App noch stärker an die normalen Bild-Ansichten in iOS und Android und rät mir beim Start, die Bilder doch gern direkt hochzuladen. Alle.

Warum Sie nun weiterlesen sollten? Weil Flickrs Idee für einen Trend steht, der uns allen das Leben versaut.

Fangen wir an mit den Formalitäten: Flickr gehört zum Yahoo-Konzern und hielt 2011 in seinem Blog fest: „Auf Flickr gehören Eure Fotos Euch“, was nett ist. In der Plattform können wir einstellen, wie die Bilder verwendet werden dürfen. „Ihr als Mitglieder behaltet die Eigentumsrechte an Euren Fotos, die Ihr bei Flickr hochladet“, heißt es da außerdem. Das ist auch nett, aber Quatsch, weil man Eigentum nur an einer Sache erwerben kann und Daten sind keine Sachen. Ich find das auch nicht gut, aber es ist so.

Geistiges Eigentum kann man übrigens überhaupt nicht übertragen. Würde ich jetzt auch keinem raten, die meisten Leute haben wenig genug davon. Wird etwas abgegeben, dann sind das Nutzungsrechte. Dieser Text gehört meinem Geist, FAZnet darf ihn zeigen. Und wenn Instagram und Facebook mit unseren Bildern Werbung machen, dann nur, weil wir ihnen das ausdrücklich erlaubt haben. Haben Sie nicht? Oh, glauben Sie mir: Das haben Sie. Schauen Sie mal in die AGB.

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Aber was will Flickr eigentlich mit dem Schrott? Der erste Menüpunkt der App heißt: Freunde finden (immer eine gute Idee), der zweite: Auto Uploadr (klingt komisch, heißt aber, dass die ohne weiteres Zutun hochgeladrt werden).

Wir sprechen allein in meinem Fall von rund 20 Gigabyte, und das Telefon ist erst sechs Monate alt. 1000 Gigabyte Speicher bietet Flickr mir an. Dagegen ist der Speicherplatz von Picasa gerade zu niedlich: 15 Gigabyte.  Liebe Googles, merkt ihr selbst, ne? Apples iCloud –Fotomediathek speichert 5 Gigabyte. Süß.

Flickrs Idee ist daher gar nicht schlecht: Viel bieten für etwas, das den Nutzern eh noch unheimlich ist. Noch dazu ist der Speicher gratis: Die Nutzer sehen Werbung, so verdient die Plattform ihr Geld. Je mehr Zeit sie also bei Flickr verbringen, desto mehr Geld bekommt Yahoo. Wir werden umerzogen. Dazu, etwas freizügiger mit unseren Daten zu sein.

Es hat mich neulich schon irritiert, wie sehr Facebook und Co. unser ganzes Leben durchdringen wollen. Flickrs Update ist dagegen eigentlich nur Service. Wir bekommen etwas, das ist fein, wir zahlen mit einem Blick auf die Werbung, das kennen wir, und wir zahlen mit unseren Daten, aber nicht so sehr wie bei anderen Plattformen. Dazu kommt: Es sieht geil aus. Echt.

Also alles super?

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Wenigstens darüber nachdenken sollten wir schon. Als ich klein war, ist ja noch nicht so lange her, lagerten unsere Fotos noch in Alben im Arbeitszimmer meiner Mama. Wir holten sie alle paar Monate raus und klebten Bilder ein. Die sah dann: niemand. Naja, manchmal wir, aber das auch eher selten.

Heute gehen wir öffentlicher mit unseren Bildern um – ich finde das schön. Ich sehe das Bier, das eine Freundin gebraut hat, den Sonnenuntergang am Urlaubsort eines Kollegen, die Babyfotos eines Paares, das ich seit acht Monaten nicht mehr getroffen habe, raten Sie mal, warum nicht.

Wir sind aber auch schludriger. Als ich klein war haben wir die Fotos nämlich beim Fotomann ausgewählt. Die schlechten Motive, die verwackelten und unscharfen, doppelten oder belanglosen haben wir gar nicht erst mitgenommen. Unsere Smartphones machen uns zu Sammlern von etwas, das wir gar nicht haben wollen.

Warum genau sollen wir den Kram jetzt ins Netz hochladen? Ungefiltert? Es erleichtert uns die Datensicherung, okay. Doch am Ende, also am Lebensende, also hochgerechnet 327.832 Bilder später, müssten wir das gute Bild in einer großen digitalen Müllhalde suchen. Macht aber keiner.

Das Leben ist zu kurz, um schlechte Bilder zu speichern, sollte man meinen. Meinen die meisten aber nicht, ich ja auch nicht. Wir sind Ressourcenverschwender, sogar im Internet. Alle zwei Jahre verdoppelt sich der Datenverkehr im Netz, grob gerechnet über die vergangenen 25 Jahre. Da passieren eine Menge toller Sachen, aber eben auch viel Schrott. Und für jedes schlechte Bild, das Sie hochladen, stirbt irgendwo kein Moorhuhn, weil die Übertragung zu langsam war. Oder, weil Sie das vielleicht eher beeindruckt: Für jede schlechte App, für jede unsinnige Funktion, mit der Sie ihr Telefon belasten, kommt das nächste Whatsapp-Meme wieder etwas später an.

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Eine Infrastruktur für all diese Daten anzubieten ist teuer – und daran verdienen Konzerne sehr gut. Unser Müll schafft Arbeitsplätze für gut verdienende Menschen. Und theoretisch kann das noch lange so weitergehen, im Gegensatz zum Öl werden uns Speicherplatz und Datenleitungen in nächster Zeit nicht ausgehen.

Aber was haben wir davon? Ein gigantisches digitales Archiv, schlecht verschlagwortet, unsortiert, unkommentiert.

Ich habe das Internet sehr lieb, aber das geht zu weit. Wir müssen sparsamer werden, ordentlicher. Geschichten erzählen, statt Daten zu sammeln. Wie öffentlich ein Jeder sein Tagebuch führen will, sei ihm gern selbst überlassen. So lange es ein Tagebuch ist. Und kein Livestream.