Deus ex Machina

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Über Gott und die WWWelt

Die AfD, die Piraten, ihr Twitter und die Lügenpresse

Natürlich kann man die Piraten nicht mit der AfD vergleichen.

Aber gewisse Ähnlichkeiten bei der Entwicklung und bei den internen Konflikten sind nicht zu bestreiten. Beide Parteien traten mit einem wichtigen und aktuellen Thema an, und boten bei Netzpolitik und Währungspolitik einen völlig anderen Standpunkt als ihre etablierten Gegner. Danach beschäftigten sie sich mit der Ausformung eines umfassenden Programms und daher zwangsweise auch mit all den Spinnern, die in ihre Reihen eintreten und ihre Vorstellungen verwirklichen wollten.

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Wo sich die Piraten einen bizarrfeministischen Flügel einfingen, der auf den Parteitagen gern das Programm mit Unterstrichen verhunzt hätte, tummeln sich bei der AfD bald Lebensschützer und andere Vorgestrige, die Abtreibung rigoros verbieten wollten. Wo bei den Piraten unter Einfluss von Johannes Ponader das Bedingungslose Grundeinkommen und damit der radikale Umbau des Sozialstaates ins Programm gehoben wurde, träumte man bei der AfD von der Förderung der einzig richtigen Familienpolitik und der Ausrichtung der Staatsausgaben an alte Werte. Wo die Piraten von den Linksextremen, vornehmlich aus den Kreisen der antideutschen Antifa infiltriert wurden, tauchten bei der AfD die ewig Unzufriedenen aus dem Umfeld rechtsradikaler Parteien auf. Manche prominente Piraten dankten Bomber Harris für die Zerstörung Dresdens und manche prominente AfDler gingen bei Pegida mit.

Und intern bekämpfte man sich natürlich überall auf das Schärfste. Amerikatreue, die für Westanbindung stehen, treffen in der AfD auf Leute, die gern eine Allianz mit Putin hätten – die Piraten kennen das zur Genüge, denn sie hatten ihre eigenen Gruppierungen, die aussenpolitisch alles vom radikalen Pazifismus bis zur Abschaffung von Staaten und Herrschaft propagierten. Die Spannbreite bei der Migrationspolitik geht bei beiden Parteien vom liberaler Zuwanderungsregelung bis in die jeweils extremste Ecke des politischen Spektrums. Ein feindseliges Verhalten gegenüber kritischen Medien ist ebenso normal wie das Durchstechen von strafrechtlich relevanten Vorwürfen gegen parteiinterne Feinde an die gleichen Medien, mit der Bitte um möglichst schadenswirksame Veröffentlichung. Und bei beiden Parteien sind solche alten Vernichtungswünsche des Gegners schnell vergessen, wenn sich neue interne Feinde finden, die der eigenen Position noch mehr schaden.

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Die Piraten haben diese Phase weitgehend hinter sich: Dort sind viele extreme Unterwanderer gerade auf dem Absprung zur „emanzipatorischen Linken“, sei es, weil die Piraten keinen Zugang zu den Trögen mehr zu bieten haben, sei es, weil man in der neuen Heimat am linken Rand der PDS jeden mit nur leicht abweichender Ansicht problem- und kritiklos als Nazi bezeichnen kann. Dieser langwierige Trennungsprozess jedoch ruinierte das Ansehen der Partei, die gar nicht mehr lässig und engagiert, sondern zerrissen, missbraucht und von komischen Leuten ruiniert erschien. Man kann es dem AfD-Gründer Lucke angesichts dieser Erfahrung wohl nicht verübeln, wenn er nun wirklich die Flucht nach vorne antreten sollte, und schnell eine Entscheidung im Machtkampf herbei führt. Oder eben die Partei spaltet und ohne den radikaleren Flügel neu beginnt.

Nun kann man den Niedergang der Piraten recht genau mit jenem Bundesparteitag 2012 datieren, bei dem auf die beliebte Marina Weisband Johannes Ponader im Amt des politischen Geschäftsführers folgte, und auch sonst durch das Einwirken gewisser Berliner Kreise reichlich seltsame Personalentscheidungen für Leute getroffen wurden, die bald der eigenen Partei den Krieg erklärten. Damals dachte man noch, die Partei würde unaufhaltsam in den Bundestag spazieren. Doch schon bei der nächsten Landtagswahl in Niedersachsen erreichte sie nach heftigen Querelen nur noch 2,1 Prozent, und damit ein Ergebnis, von dem sie sich trotz der Steilvorlage durch die Snowdenenthüllungen bislang kaum erholt hat. Die AfD hat nach ihren Wahlerfolgen in drei ostdeutschen Ländern dort bei der Europawahl erkennbar – und für eine Protestpartei erstaunlich viel – verloren, und schaffte in Hamburg und Bremen nur knapp den Einzug in die Parlamente.

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Und an diesem Pukt nun wird der Vergleich auch für dieses Blog und für das Internet interessant, denn es gibt einen gewichtigen Unterschied zwischen Piraten und AfD und ihren internen Machtkämpfen: Die Piraten warteten meist gar nicht auf die jeweils im internen Kampf hilfreiche Berichterstattung, sondern erledigten das alles auf Twitter in schönster Offenheit selbst. Natürlich gab es auch bei den Piraten Journalistinnen, die ihre eigene politische Agenda mit solchen Spielen durchsetzen wollten, aber bei den meisten Konflikten war die Recherchearbeit gleich Null: Es reichte, den Twitteraccounts der üblichen berüchtigten Streithanseln und bekannt psychisch Derangierten zu folgen, die jede andere Meinung bis aufs Blut bekämpften. Während man bei der AfD den internen Konflikten über die gedämpften Aussagen der Führungsfiguren folgen muss, und Reporter von gescheiterten Parteitagen berichten, landeten bei den Piraten die Interna bei Pastebln und die Konflikte, angereichert mit Verbalinjurien, auf den entsprechenden Plattformen. Oder anders gesagt: Während sich der Wähler bei der AfD dank der glättenden Darstellung in den Medien noch der Vorstellung hingeben darf, dass die politische Uneinigkeit dem Konflikt um die Ausrichtung geschuldet ist, hatte man bei den Piraten oft schwer vermittelbare Persönlichkeiten, bei denen es oft genug um persönliche Animositäten ging.

Und das ist offensichtlich die Sorte Authentizität, die der Wähler nun wirklich überhaupt nicht schätzt. Wenn Bernd Lucke nun die Reissleine zieht und dazu übergeht, jenen Teil abzutrennen, der inzwischen die Partei erkennbar in eine radikale Richtung lenkt, mag das auf den ersten Blick riskant erscheinen. Aber wie die Geschichte der Piraten lehrt, wo man im Internet freidrehende Landesverbände vor allem im Osten lange tolerierte, ist bei dieser Strategie im Moment noch mehr in der Mitte zu holen, als an den bizarren Rändern zu verlieren. Wo eine Handvoll Einzelpersonen bei den Piraten versuchte, die Partei mit Internetkampagnen für ihre Ziele zu vereinnahmen, ist Lucke offensichtlich bereit, Konsequenzen zu ziehen, bevor noch mehr Schaden entsteht, und die Partei aufgrund extremer Positionen für die eigentlich geplanten Kernanhängerschaft unwählbar wird. Auch bei den Piraten hatte wohl zu Beginn niemand damit gerechnet, dass ein gewählter Abgeordneter Leute bei Twitter als Schwein bezeichnet, wo es doch eigentlich um eine entspanntere, inhaltlich überzeugende und menschenfreundlichere Politik mit Hilfe des Internets gehen sollte.

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Für den idealistischen Glauben an ein Internet als Basis für eine demokratische Meinungsbildung ist die AfD-Revolte von Oben mit ihrem Erpressungspotenzial natürlich ein abschreckendes Beispiel. Und für Rechtsradikale, die gern über die Lügenpresse schimpfen, wird die Einsicht auch nicht schnell kommen, wie nützlich es sein mag, wenn strategische Entscheidungen mit einem Blick auf die öffentliche Meinung getroffen werden. In dem Moment, wo die Piraten den öffentlichen Privatkrieg der linken Dogmatiker gegen den letztlich siegenden Datenschutzflügel mit den Kernanliegen erlebten, taucht Lucke lieber ab und macht das, was er für richtig hält, um sich schnell durchzusetzen.

Dass man ihm das offensichtlich nicht übel nimmt, liegt sicher auch am Beispiel, den die Piraten mit einem falschen Verständnis von Offenheit im Netz geliefert haben. Die Presseberichte sind nicht optimal, aber argumentativ nachvollziehbar und immer noch besser als ein offen ausgetragener, persönlicher Konflikt. Und dass die von den Piraten schon totgesagte Altherrenpartei FDP auch wieder da ist, sagt auch so manches darüber aus, was die verbliebenen Wähler dieses Landes gern sehen: Freundliche Berichte statt öffentliches Gezeter im Internet. Bei aller Kritik an die Medien: Die schlechteste Presse ist immer noch die, die man sich als Politiker selbst macht. Das will sich Lucke offensichtlich nicht mehr bieten lassen, und man kann es ihm kaum verdenken.